Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Jürgen Mistol BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 02.08.2018 Barrierefreiheit der Bahnhöfe Der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer hat in sei ner Regierungserklärung vom November 2013 das Ziel Bay ern barrierefrei 2023 ausgegeben. Demnach soll Bayern bis 2023 im öffentlichen Raum und im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) barrierefrei sein. Mit Hinblick auf den Schienenverkehr wird propagiert, der Freistaat würde bei entsprechender Einstufung von Bahnhö fen in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswege plans (BVWP) auch mit der Planung für die Barrierefreiheit in Vorleistung gehen. Ich frage die Staatsregierung: 1. Hält die Staatsregierung beim Verkehrsträger Schie ne am Ziel der Barrierefreiheit der Bahnhöfe bis 2023 fest? 2. Auf welcher Grundlage fußt die Einschränkung der Be reitschaft zur Vorausleistung bei der Planung der Bar rierefreiheit (Einstufung im vordringlichen Bedarf des BVWP)? 3. a) Unter welchen Bedingungen ist der Freistaat bereit, bei der Planung in Vorleistung zu gehen? b) Unter welchen Bedingungen ist der Freistaat bereit, beim Bau der Barrierefreiheit in Vorleistung zu gehen? 4. Inwiefern ist eine Realisierung der Barrierefreiheit von Bahnhöfen entlang der Strecke zwischen Hof – Ober traubling an eine Elektrifizierung der Bahnstrecke Hof – Obertraubling gebunden? 5. a) Nachdem im Rahmen einer Massenpetition vom De zember 2013 zum barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Weiden der Landtag die Beauftragte für Menschen mit Behinderung um Stellungnahme gebeten hat – „Diese bemängelt die nicht zufriedenstellende Erschließung barrierefreier Bahnhöfe insbesondere in der Oberpfalz und regt deshalb dringend an, die ‚Prioritätenliste‘, in der festgehalten wird, wann welcher Bahnhof mit wel chen konkreten Maßnahmen entsprechend umzubau en ist, um den Bahnhof Weiden zu erweitern.“ –, frage ich die Staatsregierung, wie sich diese Prioritätenliste darstellt? b) Sofern keine Prioritätenliste erstellt wurde, warum nicht? 6. a) Gibt es im Hinblick auf die Zusage des Staatsministers des Innern und für Integration Joachim Herrmann zur Planung des barrierefreien Umbaus des Bahnhofs in Cham bereits einen konkreten zeitlichen Verlauf? b) Oder wurden die Planungen bereits aufgenommen? c) Wie setzen sich konkret die Planungskosten von 700.000 Euro zusammen? 7. a) Gibt es vergleichbare Zahlen für die Bahnhöfe Weiden, Amberg und Schwandorf? b) Inwiefern stellt die Staatsregierung in diesem Fall Vor bedingungen für die Vorfinanzierung der Planungskos ten? c) Wird die Staatsregierung die Vorleistung der Pla nungskosten vom Bund bzw. der DB Station&Service AG zurückfordern? 8. a) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung für bereits barrierefreie Bahnhöfe, wie z. B. Regensburg, für die Ausfallzeiten der entsprechenden Barrierefrei heit garantierenden Einrichtungen wie Aufzüge oder Rolltreppen vor? b) Wer erstellt die Dokumentation über diese Ausfallzei ten? c) Inwieweit wird der Ausfall von Aufzügen und Rolltrep pen pönalisiert? Antwort des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr vom 20.08.2018 1. Hält die Staatsregierung beim Verkehrsträger Schiene am Ziel der Barrierefreiheit der Bahnhöfe bis 2023 fest? Für die Finanzierung der Schieneninfrastruktur und damit auch für den barrierefreien Ausbau der Verkehrsstationen im Eigentum der DB ist gemäß Grundgesetz der Bund zu ständig, der Vollzug liegt bei der DB. Aus Sicht der Staats regierung wäre es wünschenswert, bis zum Jahr 2023 die Bahnhöfe im bayerischen Bahnnetz barrierefrei zu bekom men. Inwieweit Bund und DB dies realisieren können, liegt nicht im Einflussbereich der Staatsregierung. Sie unterstützt jedoch seit Jahren den barrierefreien Ausbau massiv auf freiwilliger Basis, um den Prozess zu beschleunigen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.11.2018 Drucksache 17/23622 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23622 2. Auf welcher Grundlage fußt die Einschränkung der Bereitschaft zur Vorausleistung bei der Planung der Barrierefreiheit (Einstufung im vordringlichen Bedarf des BVWP)? 3. a) Unter welchen Bedingungen ist der Freistaat bereit , bei der Planung in Vorleistung zu gehen? b) Unter welchen Bedingungen ist der Freistaat bereit , beim Bau der Barrierefreiheit in Vorleistung zu gehen? Bund und DB gewähren bis dato keinerlei Möglichkeit, in Vorleistung zu gehen, sofern damit eine Vorfinanzierung ge meint ist. Jegliches freiwilliges Engagement von Dritten, sei es Land oder Kommune, wird nur als nicht rückzahlbarer Zuschuss akzeptiert. Ob die Staatsregierung die Planungen oder den Ausbau der Barrierefreiheit an Stationen fördert, hängt von der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln, Schwer punktsetzungen bei einzelnen Förderpaketen und der ver kehrlichen Notwendigkeit ab. Äußerst wichtige Aspekte für die Staatsregierung sind hierbei die Zahl der Ein und Aus steiger sowie die Knotenfunktion. Streckeneinstufungen im Bundesverkehrswegeplan ha ben im Übrigen grundsätzlich keinen direkten Zusammen hang mit dem barrierefreien Komplettausbau von Bahnhö fen. Die Staatsregierung fordert jedoch vom Bund, dass im Rahmen von BVWPAusbauprojekten alle Stationen ent lang der relevanten Strecke barrierefrei gemacht und durch das BVWPProjekt finanziert werden. Die Staatsregierung hat hierzu auch einen entsprechenden Beschluss der Ver kehrsministerkonferenz bewirkt. 4. Inwiefern ist eine Realisierung der Barrierefreiheit von Bahnhöfen entlang der Strecke zwischen Hof – Obertraubling an eine Elektrifizierung der Bahnstrecke Hof – Obertraubling gebunden? Die Elektrifizierung der Strecke Hof – Regensburg befin det sich zusammen mit dem Kapazitätsausbau zwischen Regensburg und Obertraubling als hoch prioritäres Aus bauprojekt im aktuellen Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2030). Ein durch das BVWPProjekt veranlasster barriere freier Ausbau würde nach bisheriger Vorgehensweise des Bundes lediglich für die Stationen bzw. Teilbereiche von Sta tionen vorgenommen werden, die durch das Ausbauprojekt baulich verändert werden und über 1.000 Ein und Ausstei ger aufweisen. Für jegliche gesonderte Aktivitäten zum barrierefreien Ausbau dieser Stationen ist jedoch unabdingbar, dass zuerst die Vorplanungen des BVWPStreckenausbaus abgewartet werden müssen, um ausreichende Erkenntnisse über den künftigen Zuschnitt der Stationen zu haben und Fehlinvesti tionen zu vermeiden. Das betrifft insbesondere die beiden Knotenbahnhöfe Schwandorf und Weiden, wo zudem auch Ausbaustrecken kreuzen, die sich bis dato noch im Poten ziellen Bedarf des BVWP 2030 befinden und durch die bei einer möglichen Hochstufung gegebenenfalls noch weitere Einflussfaktoren berücksichtigt werden müssten. 5. a) Nachdem im Rahmen einer Massenpetition vom Dezember 2013 zum barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Weiden der Landtag die Beauftragte für Menschen mit Behinderung um Stellungnahme gebeten hat – „Diese bemängelt die nicht zufriedenstellende Erschließung barrierefreier Bahnhöfe insbesondere in der Oberpfalz und regt deshalb dringend an, die ‚Prioritätenliste‘, in der festgehalten wird, wann welcher Bahnhof mit welchen konkreten Maßnahmen entsprechend umzubauen ist, um den Bahnhof Weiden zu erweitern.“ –, frage ich die Staatsregierung, wie sich diese Prioritätenliste darstellt? b) Sofern keine Prioritätenliste erstellt wurde, warum nicht? Die Staatsregierung hat den im Dezember 2016 beschlos senen weiterführenden barrierefreien Ausbau der baye rischen Bahnstationen mit dem sogenannten BayernPa ket II, das acht Realisierungs und vier Planungsprojekte umfasst, in enger Abstimmung mit der Beauftragten für Menschen mit Behinderung entwickelt. Wichtigste Grund lage für die Projektauswahl war eine gemeinsam mit DB Station&Service vorgenommene verkehrliche Priorisierung der noch nicht barrierefrei ausgebauten Bahnhöfe in Bayern nach den unterschiedlich gewichteten Kriterien „Anzahl der Ein/Aussteiger“, „Knotenfunktion“, „Distanz zum nächstge legenen barrierefreien Bahnhof“ und „besonderer Bedarf“. Bei der konkreten Auswahl der Bahnhöfe für das Bayern Paket II spielten dann noch weitere Determinanten eine Rolle, unter anderem das zur Verfügung stehende Finanzie rungsvolumen durch DB und Freistaat sowie die Maßgabe, dass bereits mit Landesmitteln beplante Barrierefreiheits projekte keinen Projektstopp hinnehmen dürfen und zur Re alisierung gebracht werden sollen. Die Bahnhöfe Schwandorf und Weiden kamen aufgrund der in der Antwort zu Frage 4 genannten Gründe nicht für ein bis zum Jahr 2021 befristetes Finanzierungspaket in frage, obschon sie gemäß der verkehrlichen Priorisierung unter den zehn bedeutendsten Stationen im Freistaat lagen, die damals noch keine Ausbauperspektive hatten. 6. a) Gibt es im Hinblick auf die Zusage des Staatsministers des Innern und für Integration Joachim Herrmann zur Planung des barrierefreien Umbaus des Bahnhofs in Cham bereits einen konkreten zeitlichen Verlauf? b) Oder wurden die Planungen bereits aufgenommen ? Die Zusage der Staatsregierung für die Finanzierung der Planungen zum barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Cham ist Ende 2016 in der gemeinsam von Staatsminister Jo achim Herrmann und dem damaligen Bahnchef Dr. Rüdiger Grube unterschriebenen Absichtserklärung zum weiteren Ausbau der Barrierefreiheit im Bahnland Bayern ergänzend und außerhalb des BayernPakets II (2019–2021) festgehal Drucksache 17/23622 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 ten worden. Ermöglicht wurde dies durch das geplante Pilot projekt des Freistaates, die Planungen für den Streckenaus bau zwischen Schwandorf und der deutschtschechischen Grenze hinter Furth im Wald nach Hochstufung des Projekts in den „Vordringlichen Bedarf“ des BVWP 2030 freiwillig zu finanzieren. Die Planungen für den barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Cham sollten Bestandteil der Streckenpla nungen sein. Um mit den Ausbauplanungen für den Bahnhof Cham zu starten, fehlt zum einen die vom damaligen Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Alexander Dobrindt vor einem Jahr zugesagte Hochstufung des Streckenausbaus im BVWP, die nach Aussagen des Bundes nunmehr Ende des dritten Quartals dieses Jahres erfolgen soll. Zum an deren wird eine Planungsaufnahme auch durch den schwe lenden Dissens erschwert, der zwischen dem aktuell ver traglich gültigen gemeinsamen Bahnsteighöhenkonzept von DB Station&Service und Freistaat und dem neu ins Spiel gebrachten Bahnsteighöhenkonzept von Bund und DB Station&Service herrscht. Aus Sicht des Freistaates ist am Bahnhof Cham bei einer aktuellen Planung eine Bahnsteig höhe von 55 cm ab Schienenoberkante sinnvoll, während Bund und DB aktuell auf 76 cm insistieren. c) Wie setzen sich konkret die Planungskosten von 700.000 Euro zusammen? Bei diesem Betrag handelt es sich um einen Schätzwert. Er fahrungsgemäß umfassen bei Barrierefreiheitsprojekten die Leistungsphasen 1 bis 4 nach Honorarordnung für Archi tekten und Ingenieurleistungen (HOAI) rund 10 Prozent der Gesamtkosten. Gemäß der vor rund drei Jahren erfolgten ersten Grobkostenschätzung von DB Station&Service, der Betreiberin des Bahnhofs Cham, wurde für den kompletten barrierefreien Ausbau der Station ein Gesamtvolumen von 7 Mio. Euro angesetzt. Unter Einbeziehung der Nominal preis und Marktentwicklung wird faktisch jedoch mit einem deutlich höheren Betrag zu rechnen sein, der derzeit jedoch nicht quantifizierbar ist. 7. a) Gibt es vergleichbare Zahlen für die Bahnhöfe Weiden , Amberg und Schwandorf? Für die genannten Bahnhöfe hat die DB damals eine gleich artige Grobkostenschätzung vorgenommen. Dabei ermit telte sie für den barrierefreien Ausbau des Bahnhofs Weiden ein Kostenvolumen von 14,3 Mio. Euro, für den Bahnhof Am berg von 7,4 Mio. Euro und für den Bahnhof in Schwandorf von 16,3 Mio. Euro. Auch hierfür gilt die Einschätzung der Kostensteigerungen in der Antwort zur Frage 6 c. Zum Ver gleich: Der in der Grobkostenschätzung mit einem ähnlichen Investitionsvolumen wie der Bahnhof Weiden eingestufte barrierefreie Ausbau des Bahnhofs Freilassing hatte Ende 2016 auf Basis fortgeschrittener Planungserkenntnisse be reits einen Ausbauumfang von über 30 Mio. Euro erreicht. b) Inwiefern stellt die Staatsregierung in diesem Fall Vorbedingungen für die Vorfinanzierung der Planungskosten ? c) Wird die Staatsregierung die Vorleistung der Planungskosten vom Bund bzw. der DB Station&Service AG zurückfordern? Im Fall der Bahnhöfe Weiden und Schwandorf wird auf die Antworten zu den Fragen 2 bis 4 verwiesen. Für den barrie refreien Ausbau des Bahnhofs Amberg gilt dasselbe, außer dass die Planungen des Ausbaus Bestandteil des Bayern Pakets II (2019–2021) sind und die Finanzierung durch ei nen nicht rückzahlbaren Zuschuss des Freistaates erfolgt. 8. a) Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung für bereits barrierefreie Bahnhöfe, wie z. B. Regensburg , für die Ausfallzeiten der entsprechenden Barrierefreiheit garantierenden Einrichtungen wie Aufzüge oder Rolltreppen vor? b) Wer erstellt die Dokumentation über diese Ausfallzeiten ? Der Staatsregierung liegen hierüber keine Erkenntnisse vor, es besteht auch keine Berichtspflicht. Nach Auskunft von DB Station&Service führt diese einen internen, engmaschigen Kontrollprozess durch, über den die Verfügbarkeit täglich ausgewiesen wird. Vorgabe ist, dass bei den Stationen im ländlichen Raum eine Verfügbarkeit von 95 Prozent und in den Ballungsräumen von 97 Prozent sicherzustellen ist. Über die kostenfreie DBApp „Bahnhof live“ ist es möglich, stationsbezogen die aktuelle Verfügbarkeit zu überprüfen. c) Inwieweit wird der Ausfall von Aufzügen und Rolltreppen pönalisiert? Es gibt rechtlich derzeit keine Möglichkeit, Ausfälle von Auf zügen und Rolltreppen zu pönalisieren. Die Verträge über die Stationsnutzung werden zwischen dem Bahnhofsbe treiber – i. d. R. DB Station&Service – und dem jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) abgeschlossen. Gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von DB Station&Service hat das EVU keinen Anspruch auf funktio nierende Aufzüge und Rolltreppen, auch eine Pönalisierung beim Ausfall dieser Anlagen ist nicht vorgesehen. Die Bundesnetzagentur als zuständige Regulierungsbe hörde prüft derzeit die Nutzungsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf garantierte Mindestleistungen und Anreize zur Verringerung von Störungen. Der Freistaat hat im Rah men des Prüfverfahrens gefordert, dass für Aufzüge und Rolltreppen eine Mindestverfügbarkeit festgelegt wird und Störungen pönalisiert werden.