Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze, Ulrich Leiner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 18.06.2018 Drogenpräventionsprojekt „Revolution Train“ Das Projekt „Revolution Train“ will mit aufwühlenden Kurzfilmen und Geschichten über Drogenkarrieren einen multimedialen Erlebnisraum für Jugendliche gegen Drogen schaffen. Dieser Schockansatz in der Drogenprävention begegnet bei Expertinnen und Experten Kritik und wird überwiegend als veraltet und ungeeignet eingeschätzt. Wir fragen die Staatsregierung: 1.1 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über das Präventionsangebot „Revolution Train“ des externen tschechischen Trägers Stifungsfonds Neues Tschechien zur Thematik Drogenkonsum? 1.2 Wie beurteilt die Staatsregierung den präventiven Ansatz und die fachliche Eignung des Projekts? 2. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung zu Werbeaktivitäten des Trägers bei Landeskriminalämtern? 3.1 Welche Stellungnahmen liegen der Staatsregierung in Bezug auf dieses Präventionsangebot seitens der betroffenen Landeskriminalämter vor und welchen Inhalt haben diese Stellungnahmen? 3.2 Empfehlen die Landeskriminalämter eine Beteiligung an diesem Projekt und, falls nicht, warum nicht? 3.3 Schließt sich die Staatsregierung der Einschätzung der Landeskriminalämter an? 4.1 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung darüber, dass der Träger nun gezielt an Landratsämter und Kommunen herantritt, um diese für das Projekt zu gewinnen ? 4.2 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Kooperationen bayerischer Kommunen und Landratsämter mit dem Projekt „Revolution Train“? 5. Welche Kosten entstehen für Landratsämter und Kommunen , wenn sie mit dem Projekt „Revolution Train“ kooperieren? 6.1 Hat die Staatsregierung die Kommunen und Landratsämter über ihre fachliche Einschätzung bzw. die fachliche Einschätzung der Landeskriminalämter zum Projekt „Revolution Train“ informiert? 6.2 Wenn ja, wie? 6.3 Wenn nein, warum nicht? 7.1 Welche Maßnahmen will die Staatsregierung ergreifen, um weitere Aufklärung über die fachliche Qualität dieses Projekts zu betreiben? 7.2 Welche Projekte bieten die Staatsregierung und/oder die Landeskriminalämter für Landratsämter und Kommunen an (ggf. auch in Kooperation mit externen Trägern ), um qualitativ hochwertige und geeignete Drogenpräventionsprojekte umsetzen zu können? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern und für Integration vom 22.08.2018 1.1 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über das Präventionsangebot „Revolution Train“ des externen tschechischen Trägers Stifungsfonds Neues Tschechien zur Thematik Drogenkonsum? „Revolution Train“ ist ein interaktives Suchtpräventionsprojekt des tschechischen Stiftungsfonds Neues Tschechien. Hierbei wurde ein Zug zum multimedialen Erlebnisraum so umgestaltet, dass vor allem für Jugendliche die negativen Aspekte von Drogen zielgruppenorientiert veranschaulicht werden. In den einzelnen Waggons „erlebt“ der Besucher in 90 Minuten interaktiv die „Karriere“ eines Drogenabhängigen – vom ersten Konsum legaler Drogen wie Alkohol und Nikotin über Cannabis hin zu Crystal Meth und letztendlich bis zum Tod. Dieser Weg wird in den jeweiligen Waggons auch filmisch dargestellt. Darin kommen auch Freunde des Drogenabhängigen zu Wort. Einige dieser Freunde nehmen ebenfalls Drogen, schaffen aber den Ausstieg. Andere wiederum sagen ganz klar Nein zu Drogen. Die Besucher werden von Mitarbeitern des Projekts begleitet. Nach jedem Waggon finden kurze Gesprächsrunden zu dem jeweils Gezeigten statt. 1.2 Wie beurteilt die Staatsregierung den präventiven Ansatz und die fachliche Eignung des Projekts? Anders als in Tschechien stehen die Fachkräfte der Suchtprävention in Bayern dem Projekt überwiegend kritisch gegenüber . Zwar geht das Projekt „Revolution Train“ mit der Art der Aufmachung und Darstellung gezielt auf die Jugendlichen ein. In der heutigen Zeit werden Kinder und Jugendliche über interaktive Angebote besser erreicht als durch Frontalunterricht und Plakate. Andererseits ist die Geschichte des im Film dargestellten Drogenabhängigen explizit auf Abschreckung ausgerichtet und häufig sehr überzeichnet und extrem dargestellt. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.10.2018 Drucksache 17/23627 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23627 Sucht- und Drogenprävention durch Abschreckung wird – vor allem aus wissenschaftlicher Sicht – im Hinblick auf ihre Wirksamkeit kritisch gesehen. Wenn überhaupt könnten kurzfristige Effekte erzeugt werden. Jugendliche sind gegenwartsorientiert und beziehen die Folgen (Verwahrlosung/ Tod) nicht auf sich und ihre Zukunft („Not-me-Syndrom“). Die im Film und in den Darstellungen ausgelösten Furchtappelle sind für die Jugendlichen zeitnah kaum greifbar. Die Intention für das Projekt war die Thematisierung der Droge Crystal (Methamphetamin) in der tschechischen Präventionsarbeit. Wissenschaftliche Studien, polizeiliche Erkenntnisse und die Erfahrung der Akteure in der Prävention belegen, dass Jugendliche nicht die typischen Konsumenten dieser Droge sind. Weitere Kritikpunkte sind, dass zu dem Projekt offensichtlich aktuell weder ein Konzept, das unter anderem als Grundlage für die spätere Evaluation dient, noch eine Wirksamkeitsstudie vorliegt. Die begleitend durchgeführte Besucherbefragung kann eine solche nicht ersetzen. Aus den im Fragebogen erfassten Antworten lassen sich lediglich Schlüsse über das Konsumverhalten der Jugendlichen ableiten. Schließlich ist eine direkte Nachbearbeitung durch den Veranstalter und die Schulen nicht vorgesehen. Laut Auskunft des Veranstalters wird lediglich im Nachgang der ausgefüllte Fragenbogen ausgewertet und soll dann ca. zwei bis drei Monate später im Klassenverband der Schule nachbereitet werden. Andererseits wird der „Revolution Train“ von den jugendlichen Besucherinnen und Besuchern überwiegend positiv bewertet, stößt dort, wo er eingesetzt wird, auf große (mediale ) Aufmerksamkeit sowie auf reges Interesse bei den regionalen politischen Entscheidungsträgern. Die Staatsregierung hat beide Aspekte im Blick. Kritisch bewertet sie v. a. jedoch das offenkundige Missverhältnis von finanziellem Aufwand im Verhältnis zum suchtpräventiven „Ertrag“. Sie setzt weiterhin auf nachhaltig ausgerichtete Präventionsprojekte , deren Schwerpunkt in der Stärkung der Lebenskompetenzen und dem Aufzeigen von Handlungsalternativen liegt. 2. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung zu Werbeaktivitäten des Trägers bei Landeskriminal ämtern? Der Träger ist bislang gezielt weder an die Staatsregierung noch an das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) herangetreten . Von anderen Landeskriminalämtern liegen keine Erkenntnisse betreffend Werbeaktivitäten des Trägers vor. 3.1 Welche Stellungnahmen liegen der Staatsregie rung in Bezug auf dieses Präventionsangebot sei tens der betroffenen Landeskriminalämter vor und welchen Inhalt haben diese Stellungnahmen? Dem BLKA liegt lediglich eine Stellungnahme des Landeskriminalamts Sachsen vor. Deren inhaltliche Kernaussagen decken sich weitgehend mit den unter 1.2 genannten Punkten . Weiterhin wurde das Projekt „Revolution Train“ auf der 78. Arbeitstagung der Kommission Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (KPK) am 18./19.10.2017 durch das BLKA zur Information vorgestellt. Auf der 79. KPK-Arbeitstagung am 17./18.04.2018 in Hamburg wurde beschlossen, dass die KPK eine Projektgruppe (PG) „Drogenprävention “ unter Federführung des Polizeipräsidiums Brandenburg mit den Mitgliedern Sachsen und Niedersachsen einrichtet. Aufgabe der PG „Drogenprävention“ ist die Erarbeitung eines Positionspapiers u. a. zum Einsatz des Projekts „Revolution Train“ bis zur KPK-Herbstsitzung 2018. 3.2 Empfehlen die Landeskriminalämter eine Betei ligung an diesem Projekt und, falls nicht, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 3.1 wird verwiesen. 3.3 Schließt sich die Staatsregierung der Einschät zung der Landeskriminalämter an? Auf die Antwort zu Frage 3.1 wird verwiesen. 4.1 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung da rüber, dass der Träger nun gezielt an Landratsäm ter und Kommunen herantritt, um diese für das Projekt zu gewinnen? Hierzu liegen weder der Staatsregierung noch dem BLKA valide Informationen vor. 4.2 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Kooperationen bayerischer Kommunen und Land ratsämter mit dem Projekt „Revolution Train“? Dem BLKA sind lediglich die Aktivitäten aus dem Jahr 2017 bekannt. Diese können der nachfolgenden Übersicht entnommen werden: Quelle: http://www.revolutiontrain.cz/de/aktuelles.php Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1.2 verwiesen. 5. Welche Kosten entstehen für Landratsämter und Kommunen, wenn sie mit dem Projekt „Revolution Train“ kooperieren? Die Kosten sollen sich auf ca. 9.000–10.000 Euro pro Einsatztag belaufen. 6.1 Hat die Staatsregierung die Kommunen und Land ratsämter über ihre fachliche Einschätzung bzw. die fachliche Einschätzung der Landeskriminaläm ter zum Projekt „Revolution Train“ informiert? 6.2 Wenn ja, wie? 6.3 Wenn nein, warum nicht? Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat das Thema „Revolution Train“ im Rahmen von turnusmäßigen Dienstbesprechungen sowohl mit den Sachgebietsleitern „Gesundheit“ wie auch den koordinierenden Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Regierungen erörtert. Diese geben die Informationen in ihren Dienstbesprechungen mit den Landratsämtern/Gesundheitsämtern an diese weiter. Drucksache 17/23627 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Im Rahmen der „27. Arbeitstagung der Verhaltensorientierten Prävention“ des Sachgebiets 513 des BLKA im Dezember 2017 wurden Vertreter der Polizeipräsidien über das Projekt „Revolution Train“ sowie über die bundesweit bestehenden Bedenken und die kritische Sichtweise des BLKA (SG 513) gegenüber dem Projekt informiert. Im Nachgang erhielten die Präsidien als Anlage zum Protokoll der Veranstaltung die Beurteilung des BLKA (SG 513) zum Tschechischen Präventionsprojekt. 7.1 Welche Maßnahmen will die Staatsregierung er greifen, um weitere Aufklärung über die fachliche Qualität dieses Projekts zu betreiben? Auf die Antwort zu Frage 3.1 wird verwiesen. 7.2 Welche Projekte bieten die Staatsregierung und/ oder die Landeskriminalämter für Landratsämter und Kommunen an (ggf. auch in Kooperation mit externen Trägern), um qualitativ hochwertige und geeignete Drogenpräventionsprojekte umsetzen zu können? Die Staatsregierung hat am 12.06.2007 im Beschluss „Grundsätze der Bayerischen Staatsregierung für Drogenund Suchtfragen“ u. a. ihre Strategien, Ziele und Schwerpunkte der bayerischen Drogen- und Suchtpolitik festgeschrieben . Grundsätzlich bezieht sich die Sucht- und Drogenprävention auf alle Rauschmittel (substanzunspezifischer Ansatz), da es sich in nahezu allen Fällen um Mischkonsum von legalen und illegalen Suchtstoffen handelt. Der heutige Aufklärungsansatz ist eine von der jeweiligen Art der Droge unabhängige Prävention mit dem Ziel, Lebenskompetenztraining zu betreiben und Alternativen zum Drogenkonsum aufzuzeigen. Gerade in der Suchtprävention sind die Steigerung des Risikobewusstseins, die Verdeutlichung jugendspezifischer Motive zum Drogenkonsum und die Stärkung der Hemmschwelle hauptsächliche Ziele. Diese Ziele lassen sich nur durch Maßnahmen erreichen, die nachhaltig angelegt sind und vernetzt organisiert/umgesetzt werden. So wurde flächendeckend in Bayern im Schuljahr 2003/2004 durch die damaligen Staatsministerien für Unterricht und Kultus sowie des Innern gemeinsam mit dem BLKA das schulartübergreifende Programm „PIT – Prävention im Team“ ins Leben gerufen. Alle weiterführenden Schulen (6., 7. und 8. Jahrgangsstufen) in Bayern haben seither die Möglichkeit , mit einem Team aus Lehrkräften, Polizeibeamten und weiteren Fachkräften einen gemeinsamen präventiven Unterricht durchzuführen. Hier werden der Zielgruppe Informationen zur Suchtentstehung sowie Erkennungsmerkmale und Folgen des Substanzmissbrauchs vermittelt. Die Aufgabe der Bayerischen Polizei in diesen Unterrichten ist, neben der Vermittlung rechtlicher Folgen, auch die Information über die Suchtmittel. Ergänzend zum bayernweiten PIT-Programm gibt es eine Vielzahl an lokalen und regionalen Präventionsprojekten, beispielsweise die Internetseite „Need No Speed“ (www. need-no-speed.de). Diese startete am 10.10.2012 und ist eine Initiative der Landkreise Neustadt a. d. Waldnaab und Tirschenreuth sowie der Stadt Weiden i. d. OPf. Diese grenznahe Region zu Tschechien ist am meisten vom zunehmenden Crystal-Konsum betroffen. In Kooperation mit den örtlichen Schulen und Verbänden sollen Eltern und Betroffene beraten und informiert werden. Weiterhin besteht im Bereich Polizeipräsidium Oberfranken die Initiative „Unsere Stadt – gemeinsam gegen Drogen“ in Zusammenarbeit mit den Städten Bamberg, Forchheim, Hof, Kronach, Kulmbach und Selb. Tatkräftig unterstützt von den lokalen polizeilichen Drogenpräventionsbeamten reichen die Aktivitäten von Informationsveranstaltungen, Workshops und Projektarbeit bis hin zu Freizeitveranstaltungen und Kooperationen mit anderen Aktionen wie „Kinder stark machen“ (www.kinderstarkmachen.de) und „mindzone“ (www.mindzone.info). Weiterhin setzt die Bayerische Polizei im Rahmen der kriminalpolizeilichen Suchtprävention auf eine Vielzahl von Maßnahmen, wie z. B. Öffentlichkeitskampagnen (Crystal-Präventionskampagne „Mein falscher Freund“), um der Unwissenheit vor Gefahren entgegenzuwirken . Darüber hinaus informiert das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit die bayerischen Suchtpräventionsfachkräfte der Landratsämter bei regelmäßig stattfindenden Fortbildungen und Kongressen zu aktuellen Themen und zur Weiterentwicklung bestehender Projekte. Beispielsweise fand im November 2017 in Nürnberg eine Fachtagung „Kommunale Suchtprävention – Prävention von Alkoholmissbrauch im öffentlichen Raum“ statt. Maßnahmen der Kommunen zur Suchtprävention und Suchtberatung sollten angepasst an die lokalen Gegebenheiten durchgeführt werden. Neben den oben beschriebenen Projekten existieren noch weitere lokale Projekte. Auch können die Kommunen Informationen zu innovativen , qualitativ hochwertigen Aktivitäten und Initiativen beispielsweise von dem Internetauftritt zum Bundeswettbewerb „Vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention“ (https://kommunale-suchtpraevention.de/aktueller-wettbe werb.html) erhalten. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat diesen Wettbewerb bereits zum siebten Mal durchgeführt.