Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ulrike Gote BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 11.07.2018 Täter-Opfer-Ausgleich 1.1 Welche Formen von Wiedergutmachungsverfahren (Täter-Opfer-Ausgleich – TOA –, Opfer-Empathie- Training und andere Arten von „Restorative Justice“- Maßnahmen) sind im Bayerischen Strafvollzugsgesetz bzw. Jugendarrestvollzugsgesetz verankert bzw. sind derartige Maßnahmen geplant? 1.2 Erfolgt die Umsetzung der dementsprechenden Projekte innerhalb des Sozialdienstes des Justizvollzugs oder durch externe Fachkräfte? 1.3 Wie werden derartige Maßnahmen in Bayern strukturiert bzw. finanziert? 2.1 Werden die Gesamtfallzahlen jeweils für den Jugend- TOA und Erwachsenen-TOA in Bayern einheitlich erfasst ? 2.2 Wie viele TOA-Verfahren wurden seit 2013 jeweils im Jugend-TOA und Erwachsenen-TOA jährlich bearbeitet ? 2.3 Wie kamen die einzelnen Verfahren zustande (Zuweisung durch Staatsanwaltschaften, Gerichte, Selbstmelder etc. – Bitte um Auflistung)? 3.1 Gibt es Delikte, die vom Täter-Opfer-Ausgleich ausgeschlossen sind? 3.2 Wie setzt sich die Deliktstruktur der TOA-Verfahren in Bayern zusammen? 3.3 Welche Veränderungen haben sich hierbei in den letzten zehn Jahren ergeben? 4.1 Wie wird gewährleistet, dass das Angebot des Täter- Opfer-Ausgleichs für Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene flächendeckend und nach den bundesweiten TOA-Standards entsprechend vorgehalten wird? 4.2 Wie wird gewährleistet, dass die Selbstmelder Zugang zu qualifizierten Mediatorinnen und Mediatoren haben ? 4.3 Inwieweit ist die Zuweisung durch justizielle Auftraggeberinnen und Auftraggeber Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Wiedergutmachungsdienste? 5.1 Welche spezielle Ausbildung/Qualifikation ist erforderlich bzw. wird angeboten, um die Durchführung des TOA gemäß den TOA-Standards zu gewährleisten? 5.2 Welche Qualifikationen sowie Fort- und Weiterbildungen haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die für die Durchführung des TOA zuständig sind? 5.3 Welche Erhebungen werden zur Sicherung der Ergebnisqualität bei den TOA-Institutionen durchgeführt? 6.1 Ist der Täter-Opfer-Ausgleich regulärer Bestandteil der Ausbildung bei der Landespolizei und den Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendaren? 6.2 Ist der TOA in der Grundausbildung und Weiterbildung der Kriminalpolizei verankert, und wie ist das Angebot ggf. ausgestaltet? 7. Wie werden die TOA-Mediatorinnen und TOA-Mediatoren bei den Jugendämtern, Gerichtshilfen, Behörden und freien Trägern in der Bezahlung eingestuft und vergütet? Antwort des Staatsministeriums der Justiz im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales sowie dem Staatsministerium des Inneren und für Integration vom 30.08.2018 1.1 Welche Formen von Wiedergutmachungsverfahren (Täter-Opfer-Ausgleich – TOA –, Opfer-Empathie -Training und andere Arten von „Restorative Justice“-Maßnahmen) sind im Bayerischen Strafvollzugsgesetz bzw. Jugendarrestvollzugsgesetz verankert bzw. sind derartige Maßnahmen geplant ? Das Bayerische Strafvollzugsgesetz (BayStVollzG) regelt die Wiedergutmachungsverfahren in Art. 78 Abs. 2. Namentlich soll die Einsicht der Gefangenen in ihre Verantwortung für die Tat, insbesondere für die beim Opfer verschuldeten Tatfolgen, geweckt werden (Art. 78. Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG). Ferner sind die Gefangenen anzuhalten, den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln (Art. 78 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG). Gemäß Art. 78 Abs. 2 Satz 3 BayStVollzG ist der Täter-Opfer-Ausgleich in geeigneten Fällen anzustreben. Mit dem am 14.06.2018 im Landtag beschlossenen, zum 01.01.2019 in Kraft tretenden Bayerischen Jugendarrestvollzugsgesetz (BayJAVollzG) vom 26.06.2018 ist neben einer landesrechtlichen Kodifikation des Vollzugs des Jugendarrestes auch eine Änderung bestehender Vollzugsgesetze und dabei auch des derzeit geltenden Bayerischen Strafvollzugsgesetzes, unter anderem hinsichtlich der oben angesprochenen Norm des Art. 78 BayStVollzG erfolgt. In Art. 5a BayStVollzG wurde ein eigenständiger Artikel zum Erfordernis einer opferbezogenen Vollzugsgestaltung aufgenommen , der im Hinblick auf den Gesetzesstandort in den Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.11.2018 Drucksache 17/23645 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23645 Grundsätzen zum Vollzug der Freiheitsstrafe angesiedelt ist und dadurch den hohen Stellenwert, der dem Opferschutz zukommt, künftig noch deutlicher zum Ausdruck bringt. In der ab 01.01.2019 geltenden Gesetzesfassung findet sich die derzeit in Art. 78 Abs. 2 BayStVollzG enthaltene Regelung in Art. 5a Abs. 2 BayStVollzG wieder. Im Bayerischen Jugendarrestvollzugsgesetz selbst spricht Art. 3 Abs. 2 Satz 5 künftig die auch im Jugendarrest grundsätzlich zielführende Opferorientierung des Vollzugs an, indem auf die Regelung des neuen Art. 5a Abs. 2 BayStVollzG verwiesen wird. Darüber hinaus können gemäß Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayJAVollzG mit den Jugendlichen bei schuldhaften Verstößen gegen Pflichten, die ihnen durch oder aufgrund des Bayerischen Jugendarrestvollzugsgesetzes auferlegt sind, in geeigneten Fällen im Wege einvernehmlicher Streitbeilegung Vereinbarungen getroffen werden. In Betracht kommen nach Art. 23 Abs. 4 Satz 2 BayJAVollzG insoweit insbesondere die Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung , zur Entschuldigung bei Geschädigten oder zur Erbringung von gemeinnützigen Leistungen. Erfüllen die Jugendlichen die getroffenen Vereinbarungen, so ist gemäß Art. 23 Abs. 4 Satz 3 BayJAVollzG von den nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 BayJAVollzG zur Verfügung stehenden erzieherischen Maßnahmen abzusehen. 1.2 Erfolgt die Umsetzung der dementsprechenden Projekte innerhalb des Sozialdienstes des Justizvollzugs oder durch externe Fachkräfte? Die Umsetzung der gesetzlichen Aufgaben erfolgt durch den sozialpädagogischen und psychologischen Fachdienst. Zur Durchführung von Täter-Opfer-Ausgleichen werden externe Fachkräfte in Anspruch genommen. 1.3 Wie werden derartige Maßnahmen in Bayern strukturiert bzw finanziert? In den Justizvollzugsanstalten ist die Entwicklung von Opfer -Empathie und in diesem Kontext die Durchführung von Schadenswiedergutmachungsverfahren unter anderem Bestandteil des Behandlungsangebots der Sozialtherapeutischen Abteilungen für Gewalt- und Sexualstraftäter. Zur Durchführung von Täter-Opfer-Ausgleichen kooperiert der bayerische Justizvollzug mit gemeinnützigen Vereinen, die sich im Wesentlichen durch Geldbußen und Spendengelder finanzieren. In der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech wurde im Oktober 2013 das Projekt Täter-Opfer-Ausgleich im Strafvollzug initiiert, das in enger Zusammenarbeit mit dem Münchener Verein Ausgleich e. V. durchgeführt wird. Inzwischen bietet der Verein Ausgleich e. V. die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs in allen bayerischen Justizvollzugsanstalten an. 2.1 Werden die Gesamtfallzahlen jeweils für den Jugend -TOA und Erwachsenen-TOA in Bayern einheitlich erfasst? 2.2 Wie viele TOA-Verfahren wurden seit 2013 jeweils im Jugend-TOA und Erwachsenen-TOA jährlich bearbeitet? 2.3 Wie kamen die einzelnen Verfahren zustande (Zuweisung durch Staatsanwaltschaften, Gerichte, Selbstmelder etc. – Bitte um Auflistung)? Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz liegen hinsichtlich des TOA keine Erkenntnisse zu den Fallzahlen oder zu dem Zustandekommen der einzelnen Verfahren vor. Die Fallzahlen werden weder im Bereich der allgemeinen Justiz noch im Justizvollzug statistisch erhoben. Eine nachträgliche Erfassung derjenigen Ermittlungs- und Strafverfahren, in denen ein TOA versucht bzw. erfolgreich durchgeführt wurde, und der jeweiligen Initiatoren wäre nur durch manuelle Sichtung aller Vorgänge möglich. Dies ist ohne nachhaltige Beeinträchtigung des Geschäftsbereichs der Justizbehörden nicht darstellbar. Das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) hat ferner ergänzt, dass weder das StMAS noch das Zentrum Bayern Familie und Soziales – Bayerisches Landesjugendamt (ZBFS-BLJA) über eigene Statistiken zum TOA im Jugendstrafverfahren verfügen. Aus für das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) erstellten Forschungsberichten (Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, Auswertung der bundesweiten Täter -Opfer-Ausgleichs-Statistik für die Jahrgänge 2013 und 2014 bzw. 2015 und 2016) ergeben sich zwar Fallzahlen auch für Bayern. Zu berücksichtigen ist dabei freilich, dass die Auswertung nicht auf einer Vollerhebung, sondern auf einer Umfrage beruht, an der nur ein Teil der TOA-Projektträger teilgenommen hat. Die Statistiken besitzen damit keine repräsentative Aussagekraft. Der Forschungsbericht für 2013/2014 findet sich unter: http://www.bmjv.de/Shared Docs/Downloads/DE/PDF/Berichte/TOA_in_Deutschland _2013_2014.pdf?__blob=publicationFile&v=1 und der Forschungsbericht für 2015/2016 unter https://www.bmjv. de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Berichte/TOA_in_ Deutschland_2015_2016.pdf?__blob=publicationFile&v=1 Hinsichtlich des Zustandekommens der einzelnen Verfahren führt das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales Folgendes aus: – 1. Zugang: Für TOA-Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) gilt, dass gemäß § 52 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) i. V. m. § 38 JGG die im Jugendstrafverfahren mitwirkende Fachkraft der Kinder- und Jugendhilfe frühzeitig zu prüfen hat, ob für den Jugendlichen oder den jungen Volljährigen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Betracht kommen. Ist dies der Fall oder ist eine geeignete Leistung bereits eingeleitet oder gewährt worden, so hat das Jugendamt den Staatsanwalt oder den Richter umgehend davon zu unterrichten , damit geprüft werden kann, ob diese Leistung ein Absehen von der Verfolgung (§ 45 JGG) oder eine Einstellung des Verfahrens (§ 47 JGG) ermöglicht. Dazu sollen die Jugendhilfefachkräfte gemäß einer Empfehlung des BLJA mit Bekanntwerden der Tat prüfen (i. d. R. mit Eingang einer polizeilichen Anzeige), ob sich der Vorgang für eine Diversion bzw. einen TOA gemäß § 45 Abs. 2 JGG eignen könnte. Dementsprechend schlagen sie dieses ggf. der zuständigen Jugendstaatsanwaltschaft noch im Ermittlungsverfahren vor. Nachdem die Staatsanwaltschaft grundsätzlich „Herrin des Verfahrens“ ist, obliegt ihr die Letztentscheidung. – Der 2. Zugang zum TOA erfolgt direkt über Zuweisung der Jugendstaatsanwaltschaften an die zuständigen Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe in Strafverfahren , mit der Bitte um Durchführung einer Diversion bzw. eines TOA gemäß § 45 Abs. 2 JGG. – Der 3. Zugang zum TOA erfolgt ebenfalls über Zuweisung bzw. Anregung der Jugendstaatsanwaltschaften beim zuständigen Jugendrichter, von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 3 JGG abzusehen, wenn eine Weisung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 JGG (TOA) erfüllt wird (und eine Anklage entbehrlich ist). Drucksache 17/23645 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 – Ferner kann das Jugendgericht einen TOA gemäß § 47 Abs. 1 oder Abs. 2 JGG im Hauptverfahren anordnen. 3.1 Gibt es Delikte, die vom Täter-Opfer-Ausgleich ausgeschlossen sind? Grundsätzlich ist nach dem Gesetz und der Rechtsprechung selbst bei schweren Straftaten nicht ausgeschlossen, dass z. B. ein zweiseitiger TOA, ggf. auch ohne Zuhilfenahme eines Schlichters, unmittelbar zwischen Täter und Opfer erfolgt. Die gesetzlichen Regelungen im Strafgesetzbuch (StGB) und in der Strafprozessordnung (StPO), die bestimmte Rechtsfolgen an die Durchführung eines TOA knüpfen, sehen jedoch Einschränkungen vor. So kommt z. B. eine Einstellung eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens nach § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, Abs. 2 StPO unter einer Auflage nicht bei Verbrechen in Betracht, also bei rechtswidrigen Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StGB). Nach § 46a StGB kann das Gericht die Strafe mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verwirkt ist, sogar von Strafe absehen. 3.2 Wie setzt sich die Deliktstruktur der TOA-Verfahren in Bayern zusammen? 3.3 Welche Veränderungen haben sich hierbei in den letzten zehn Jahren ergeben? Eine statistische Erfassung erfolgt nicht. In der Praxis liegt der Schwerpunkt des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Taten, die im persönlich-zwischenmenschlichen Bereich begangen werden. Häufig handelt es sich um (leichtere) Körperverletzungen , zumeist im sozialen Nahbereich. Zu den Veränderungen innerhalb der letzten zehn Jahre liegen mangels statistischer Erfassung keine entsprechenden Erkenntnisse vor. 4.1 Wie wird gewährleistet, dass das Angebot des Täter -Opfer-Ausgleichs für Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene flächendeckend und nach den bundesweiten TOA-Standards entsprechend vorgehalten wird? In ganz Bayern gibt es vielfältige Angebote der verschiedenen TOA-Stellen, die von den Betroffenen selbst in Anspruch genommen werden können. Alle bayerischen Gerichte und Staatsanwaltschaften machen von diesem Angebot ebenfalls Gebrauch, indem sie geeignete Fälle dorthin zuweisen. Seit Beginn der Etablierung des TOA hat das Staatsministerium der Justiz diesen vielfältig gefördert. Das zuständige Fachreferat steht in einem regelmäßigen Austausch mit den den TOA durchführenden Fachstellen und auch den Staatsanwaltschaften . Gegenüber den Staatsanwaltschaften wird bei Dienstbesprechungen in Erinnerung gerufen, dass es sich beim TOA um eine aus Sicht des Staatsministeriums der Justiz sinnvolle und wichtige Ergänzung der strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten handelt und Staatsanwaltschaften und Gerichte nach dem Gesetz aufgefordert sind, in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit zu prüfen, einen Ausgleich zwischen Beschuldigten und Verletzten zu erreichen. Da es jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls und hier insbesondere der Bereitschaft von Täter und Opfer zur Teilnahme an einem TOA abhängt, ob die Voraussetzungen für einen TOA überhaupt gegeben sind, sieht das Staatsministerium der Justiz jedoch seit jeher von allgemeinen Vorgaben in diesem Bereich ab. Gegenüber den unabhängigen Gerichten kann das Staatsministerium der Justiz ohnehin keine Vorgaben zur Initiierung oder auch nur Bekanntmachung des TOA machen. Das Staatsministerium der Justiz trägt seiner Verantwortung zur Förderung des Ausgleichsgedankens im Strafrecht auch dadurch Rechnung, dass es auf der Homepage des Staatsministeriums der Justiz Hinweise zum TOA bei den auf das Strafverfahren bezogenen Fachinformationen anbietet. Die Justiz leistet ihren Beitrag zur Finanzierung der Tätigkeit der freien Träger dadurch, dass diese von den Gerichten und Staatsanwaltschaften als Zuwendungsempfänger von Geldauflagen in Strafverfahren berücksichtigt werden. Nr. 93 Abs. 2 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren regelt ausdrücklich, dass der Staatsanwalt bei einer Einstellung nach § 153a StPO, bei der die Auflage erteilt wird, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, oder bei der Erklärung der Zustimmung dazu, neben spezialpräventiven Erwägungen darauf achten soll, dass bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Dienste und Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang berücksichtigt werden. Für den Täter-Opfer-Ausgleich im Bereich des Jugendstrafverfahrens hat das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mitgeteilt, dass das ZBFS-BLJA gemäß § 85 Abs. 2 SGB VIII u. a. den Auftrag hat, fachliche Empfehlungen zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII (hier: § 52 Abs. 2 JGG) zu entwickeln und Mitarbeitende der bayerischen Kinder- und Jugendhilfe zu beraten sowie fortzubilden. Im Rahmen der o. g. fachlichen Empfehlungen wurde ein Verfahren zur Einleitung von Diversionen bzw. TOA beschrieben und auf die fachlichen Standards in diesem Bereich hingewiesen. Darüber hinaus wird auch auf das bundesweit operierende Servicebüro für Täter-Opfer- Ausgleich und Konfliktschlichtung hingewiesen. Ferner werden Fachtage, Fortbildungen, regionale Arbeitskreise usw. genutzt, um TOA-Standards bekannt zu machen. 4.2 Wie wird gewährleistet, dass die Selbstmelder Zugang zu qualifizierten Mediatorinnen und Mediatoren haben? Im Ermittlungs- und Strafverfahren wird auf vielfältige Weise sichergestellt, dass die betroffenen Personenkreise über die Möglichkeiten des TOA informiert werden: – So sollen gemäß § 155a StPO Staatsanwaltschaft und Gericht in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten prüfen, einen TOA herbeizuführen. In geeigneten Fällen sollen sie darauf hinwirken. – Durch die langjährige Etablierung des TOA in der Strafrechtspraxis haben auch Rechtsanwälte (Verteidiger wie Opferschutzanwälte) durchgängig Kenntnis von diesem Institut. Auch sie können die Durchführung eines TOA initiieren. – Hinsichtlich der Beschuldigten schreibt § 136 Abs. 1 Satz 6 StPO für die erste Vernehmung vor, dass diese in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer- Ausgleichs hingewiesen werden sollen. – Mit Blick auf die Verletzten einer Straftat sieht der neue § 406i Abs. 1 Nr. 5 StPO vor, dass die Verletzten einer Straftat u. a. auch „möglichst frühzeitig, regelmäßig Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23645 schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache“ darüber informiert werden, dass sie nach Maßgabe des § 155a StPO eine Wiedergutmachung im Wege eines Täter-Opfer-Ausgleichs erreichen können. Diese Neuregelung hat Eingang in das von einer Bund- Länder-Arbeitsgruppe entwickelte sog. Opfermerkblatt (abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Publikationen/DE/Opfermerkblatt.html) gefunden. Im Justizvollzug wird interessierten Gefangenen der Zugang zu qualifizierten Mediatorinnen und Mediatoren sowohl durch Vermittlung der zuständigen Fachdienste als auch durch die Aushändigung der Flyer der im Bereich des Täter- Opfer-Ausgleichs tätigen gemeinnützigen Vereine gewährt. Das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales führt aus, dass die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe bei Selbstmeldern in jedem Einzelfall dafür sorgen, dass der junge Mensch und ggf. seine Personensorgeberechtigten ein bedarfsgerechtes pädagogisches Angebot der Beratung und Unterstützung erhalten. Hierzu gehört auch eine konzeptionelle Abstimmung im Bereich TOA bzw. Mediation mit den durchführenden Trägern. Diese Abstimmung wird in der Kinder- und Jugendhilfe regelhaft auf der Ebene der Leitungskräfte im Rahmen von Leistungsvereinbarungen mit den durchführenden Trägern vorgenommen. Die zu verwirklichenden Ziele ergeben sich aus dem SGB VIII und dem JGG. 4.3 Inwieweit ist die Zuweisung durch justizielle Auftraggeberinnen und Auftraggeber Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Wiedergutmachungsdienste ? Der professionell vermittelte Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht wird in Bayern nahezu ausschließlich unter Mitwirkung von freien Trägern durchgeführt. Für diesen Bereich ist dem Staatsministerium der Justiz nicht bekannt, ob diese Träger nur Fälle bearbeiten, die durch justizielle Auftraggeber zugewiesen werden. Für den Täter-Opfer-Ausgleich im Bereich des Jugendstrafverfahrens hat das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mitgeteilt, dass ohne entsprechende Zuweisung der Jugendstaatsanwaltschaften und Jugendgerichte die Handlungsgrundlage für die in Verfahren nach dem JGG mitwirkenden Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. auch Antwort zu Frage 2.3) fehlt. 5.1 Welche spezielle Ausbildung/Qualifikation ist erforderlich bzw. wird angeboten, um die Durchführung des TOA gemäß den TOA-Standards zu gewährleisten ? 5.2 Welche Qualifikationen sowie Fort- und Weiterbildungen haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen , die für die Durchführung des TOA zuständig sind? Im Staatsministerium der Justiz liegen keine Erkenntnisse vor, ob und in welchem Umfang spezielle Ausbildungen/ Qualifikationen bei den unterschiedlichen TOA-Stellen für erforderlich gehalten bzw. angeboten werden. In der Regel handelt es sich bei den mit der Durchführung der TOA- Maßnahmen betrauten Personen um Sozialpädagogen oder Rechtsanwälte. Das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales führt aus, dass seitens des ZBFS-BLJA kein eigenes Fortbildungsformat zum Thema TOA angeboten wird (vgl. auch die Antwort zu Frage 4.1). Entsprechende Anfragen von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe werden auf die Fachstellen der Täter-Opfer-Ausgleich Landesgruppe Bayern (vgl. auch: www. straffaelligenhilfe-ansbach.de/data/documents/Bayernkar te-LAG.pdf) oder andere bundesweite Angebote (z. B. über die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V. – DVJJ) verwiesen. Das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales teilt zu den Qualifikationen sowie zur Fort- und Weiterbildung mit, dass die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe bei den örtlichen öffentlichen Trägern der Jugendhilfe und freien Trägern der Jugendhilfe, die mit der Durchführung eines TOA befasst sind, i. d. R. staatlich anerkannte Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sind, ggf. mit Zusatzqualifikation im Bereich der konflikt- bzw. lösungsorientierten Beratung. Es gilt das Fachkräftegebot gemäß § 72 SGB VIII. 5.3 Welche Erhebungen werden zur Sicherung der Ergebnisqualität bei den TOA-Institutionen durchgeführt ? Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die „Erfolgsmessung“ nach durchgeführtem Täter-Opfer-Ausgleich naturgemäß Schwierigkeiten bereitet. Generell ist der Täter-Opfer-Ausgleich in besonderem Maße geeignet, Opferinteressen zu berücksichtigen. Der Täter-Opfer-Ausgleich kann in geeigneten Fällen dazu beitragen , dass Täter und Opfer sich versöhnen und Rechtsfrieden hergestellt werden kann. Der Täter-Opfer-Ausgleich bietet dem Opfer im Idealfall die Chance, seine Gefühle zu artikulieren und so Verunsicherung und Angst abzubauen. Auf der anderen Seite kann es zur Schuldeinsicht des Täters beitragen, wenn er damit konfrontiert wird, was er dem Opfer angetan hat. Zu den positiven Erfahrungen, die mit dem Täter-Opfer- Ausgleich gemacht wurden, zählt insbesondere der Umstand , dass hierdurch oftmals ein Kommunikationsprozess in Gang gesetzt wird und etwaige Konflikte zwischen Täter und Opfer, die oft die Tat ausgelöst haben, zur Sprache kommen . Geschädigte äußerten nach dem abgeschlossenen Ausgleichsverfahren z. B. weniger Wut, Enttäuschung und Ärger über die Beschuldigten und sie empfanden weniger Angst vor dem Beschuldigten. Im Staatsministerium der Justiz liegen keine Erkenntnisse vor, welche Erhebungen bei den einzelnen TOA-Stellen zur Sicherung der Ergebnisqualität durchgeführt werden. Darüber hinaus existieren in Bayern keine Richtlinien zur Durchführung des TOA. Das Staatsministerium der Justiz vertritt seit jeher die Auffassung, dass ministerielle Richtlinien nur dort vertretbar sind, wo sich ein hinreichendes Bedürfnis der Praxis ergeben hat. Für den Bereich des TOA ist dies nicht der Fall. Vielmehr haben sich die jeweiligen Projekte in vertrauensvoller Zusammenarbeit auf örtlicher Ebene eingespielt, ohne dass es hierzu geschriebener Handreichungen des Staatsministeriums der Justiz bedurft hätte. Das in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech im Oktober 2013 initiierte Projekt Täter-Opfer-Ausgleich im Strafvollzug wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Augsburg begleitet. Der Abschlussbericht der Begleitforschung wurde am 31.05.2016 vorgelegt und kommt zu einem positiven Resümee. Für den Täter-Opfer-Ausgleich im Bereich des Jugendstrafverfahrens hat das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mitgeteilt, dass das ZBFS-BLJA selbst keine Maßnahmen zur Sicherung der Ergebnisqualität im Bereich des TOA durchführt. Als überörtlicher Träger der Kinder- und Drucksache 17/23645 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Jugendhilfe hat das ZBFS-BLJA gemäß § 85 Abs. 2 SGB VIII i. V. m. § 79a SGB VIII jedoch die Aufgabe, die Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe in Bayern mit voranzubringen. Dies schließt die Aufgabe gemäß § 52 SGB VIII mit ein (vgl. Antwort zu Frage 4.1). Welche Maßnahmen zur Sicherung von Qualität durch die durchführenden Institutionen selbst realisiert werden, ist nicht bekannt. 6.1 Ist der Täter-Opfer-Ausgleich regulärer Bestandteil der Ausbildung bei der Landespolizei und den Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendaren? Hinsichtlich der Landespolizei hat das Staatsministerium des Innern und für Integration mitgeteilt, dass der Täter-Opfer -Ausgleich regulärer Bestandteil der Ausbildung bei der Landespolizei ist. In der Ausbildung zur 2. Qualifikationsebene wird das Thema „Täter-Opfer-Ausgleich“ im 1. Ausbildungsabschnitt im Modul „Anzeige und Vernehmung“ unterrichtet. Zusätzlich ist diese Thematik im Fach „Sachbearbeitung“ bei den rechtlichen Belehrungen beinhaltet. In der Ausbildung zur 3. Qualifikationsebene wird der „Täter -Opfer-Ausgleich“ in folgenden Fächern thematisiert: – Kriminologie: Strategische Analyse Jugendkriminalität, – Kriminologie: Viktimologie, u. a. strategischer und operativer Opferschutz, Opferrechte und Entschädigungsansprüche (z. B. Opferentschädigungsgesetz, Opferschutzgesetz , Gewaltschutzgesetz, Opferrechtsreformgesetz, Stiftung Opferhilfe), – Kriminologie: Strategische Analyse Raubdelikte, – Kriminologie: Strategische Analyse Sexualdelikte und Branddelikte, – Kriminalistik: Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen , – Eingriffsrecht: Vernehmung im Rahmen der Belehrung. In der Ausbildung zur 4. Qualifikationsebene wird der „Täter- Opfer-Ausgleich“ in folgenden Fächern thematisiert: Im Modul Kriminalwissenschaften wird die Thematik „Täter- Opfer-Ausgleich“ im Zusammenhang mit „Kriminalität Heranwachsender und Jungerwachsener“ und der „Erledigung staatsanwaltschaftlicher und gerichtlicher Verfahren wegen Gewaltkriminalität gemäß §§ 153, 153a StPO, §§ 45, 47 JGG“ besprochen. In der Ausbildung der Rechtsreferendare in Bayern ist die Beschäftigung mit opferschützenden Verfahrensbestimmungen seit langem Unterrichtsgegenstand, um allen künftigen juristischen Berufsträgern entsprechende Kenntnisse mit auf den Berufsweg zu geben. Auch gehören die Vorschriften über den Täter-Opfer-Ausgleich (§§ 153a Abs. 1 Nr. 5, 155a, 155b StPO, § 46a StGB) zum Pflichtstoff der Referendarausbildung und der Zweiten Juristischen Staatsprüfung (vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 4, § 58 Abs. 2 Nr. 1 und 3 Ausbildungs - und Prüfungsordnung für Juristen – APO). Fragen des Täter-Opfer-Ausgleichs waren in der Vergangenheit bereits Gegenstand schriftlicher Prüfungsaufgaben der Zweiten Juristischen Staatsprüfung; sie können zudem auch zum Gegenstand mündlicher Prüfungen gemacht werden. 6.2 Ist der TOA in der Grundausbildung und Weiterbildung der Kriminalpolizei verankert und wie ist das Angebot ggf. ausgestaltet? Das Staatsministerium des Innern und für Integration führt hierzu aus, dass der Täter-Opfer-Ausgleich in verschiedenen Seminaren des Fortbildungskatalogs der Bayerischen Polizei behandelt wird. Zu nennen sind hier die Seminare – Sexualdelikte/Misshandlung Kinder und Jugendliche, – Grundlagen Personenbeweis, – Kinder- und Jugendkriminalität, – Häusliche Gewalt/Opferschutz. In den Seminaren wird die aktuelle Gesetzeslage zum „Täter -Opfer-Ausgleich“ erläutert und anhand von Fallbeispielen konkretisiert. Ferner werden die entsprechenden Opfermerkblätter an die Seminarteilnehmer ausgegeben. 7. Wie werden die TOA-Mediatorinnen und TOA-Mediatoren bei den Jugendämtern, Gerichtshilfen, Behörden und freien Trägern in der Bezahlung eingestuft und vergütet? Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales führt aus, dass Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen im öffentlichen Dienst regelhaft in den Vergütungsgruppen S 12 bis 14 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst „So zialund Erziehungsdienst“ (TVöD-SuE) eingruppiert werden – abhängig von den dort hinterlegten Tätigkeitsmerkmalen. Entscheidungen dazu werden im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung getroffen. Die Träger der freien Jugendhilfe , die Aufgaben nach dem SGB VIII im Rahmen von Verfahren nach dem JGG durchführen und nicht diesen tarifvertraglichen Regelungen unterliegen, orientieren sich im Regelfall an den tariflichen Bestimmungen für den öffentlichen Dienst.