Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian von Brunn SPD vom 01.08.2018 Polyfluorierte Chemikalien (PFC) im Blut der Menschen im Landkreis Altötting – verharmlost die Staatsregierung die Gesundheitsgefahren der Bevölkerung? Vor wenigen Wochen hat das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) die Untersuchung „Human- Biomonitoring von perfluorierten Substanzen in Teilen des Landkreises Altötting“ veröffentlicht und öffentlich geäußert, dass die gefundenen Konzentrationen „nicht mit einer Gesundheitsgefährdung gleichzusetzen“ seien, obwohl die PFOA-Konzentrationen (PFOA = Perfluoroctansäure) im Blut der Bürgerinnen und Bürger bis zu 150 Mal höher liegen als der vom Umweltbundesamt festgelegte gesundheitlich unbedenkliche Wert. Nach Angaben des Landratsamtes Altötting haben Firmen des Chemieparks Gendorf in Altötting weiterhin die Genehmigung , PFOA-belastetes Wasser in die Alz einzuleiten. Ich frage daher die Staatsregierung: 1. a) Auf welcher Datenbasis beruht der vom LGL angegebene rechtlich bindende PFOA-Grenzwert von 5.000  μg/l  Blut  für  Beschäftigte,  die  im  direkten Umgang mit PFOA arbeiten? b) Wie beurteilt die Staatsregierung diesen Grenzwert, insbesondere im Umfeld des aktuellen Kenntnisstandes zur PFOA-Kontamination im Landkreis Altötting und zu möglichen gesundheitlichen Risiken? 2. a) Warum werden vom LGL öffentlich gesundheitliche Bedenken ausgeschlossen, obwohl im Abschlussbericht der Untersuchung in Altötting steht: „Der (gesundheitlich unbedenkliche) HBM-I-Wert (des Umweltbundesamtes ) für PFOA wird im Untersuchungsbereich von fast allen Personen überschritten“? b) Wie kommen Staatsregierung und die zuständigen Behörden zu dem Schluss, dass „eine besondere gesundheitliche Gefährdung (…) nicht gesehen“ wird, obwohl der Bericht, die „Fortschreibung der vorläufigen Bewertung von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) im Trinkwasser“ des Umweltbundesamtes vom 20.09.2016, erhebliche Gesundheitsrisiken ab den angegebenen Grenzwerten sieht, welche die meisten Personen in der Untersuchung um ein Vielfaches überschreiten? c) Warum gibt das LGL Entwarnung, obwohl im Untersuchungsgebiet die Menschen durchschnittlich 24,64 μg/l PFOA  im Blut haben und das Umweltbundesamt aufgrund wissenschaftlicher Studien festgehalten  hat, dass bereits ab 2 μg PFOA/l Blut die weibliche Fruchtbarkeit beeinflusst sowie Eierstockzysten hervorgerufen werden können und ab 21,2 μg PFOA/l Blut das Risiko für Schwangerschaftsvergiftungen steigt? 3. a) Wurden von bayerischen Behörden seit 2009 Messungen vorgenommen, um das Kühlwasser des Chemieparks Gendorf auf ADONA (Ammoniumsalz der Perfluoro-4,8-dioxa-3H-nonansäure) sowie per- und polyfluorierte Substanzen, insbesondere PFOA, zu untersuchen? b) Falls ja, welche Werte wurden festgestellt (mit Bitte um Angabe der Messhäufigkeit seit 2009)? c) Falls nein, wie wird die Unterlassung begründet? 4. a) Wurden von bayerischen Behörden Messungen vorgenommen , um das Sickerwasser des Chemieparks Gendorf auf ADONA sowie per- und polyfluorierte Substanzen , insbesondere PFOA, zu untersuchen? b) Falls ja, welche Werte wurden festgestellt (mit Bitte um Angabe der Messhäufigkeit seit 2009)? c) Falls nein, wie wird die Unterlassung begründet? 5. a) Wurden von bayerischen Behörden Messungen vorgenommen , um PFOA-Emissionen über die Abluft des Chemieparks bzw. einzelner Firmen auf ADONA sowie per- und polyfluorierte Substanzen, insbesondere PFOA, zu untersuchen? b) Falls ja, welche Werte wurden festgestellt (mit Bitte um Angabe der Messhäufigkeit in den letzten 40 Jahren)? c) Falls nein, wie wird die Unterlassung begründet? 6. a) Sind den bayerischen Behörden Fälle von Weiterverwendung oder problematischer Beseitigung von PFOA-kontaminiertem Bodenaushub oder Gütermaterial im Landkreis Altötting bekannt? b) Falls ja, wie wurde damit verfahren, um ökologischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden abzuwenden ? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.11.2018 Drucksache 17/23685 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23685 Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz vom 27.08.2018 1. a) Auf welcher Datenbasis beruht der vom LGL angegebene rechtlich bindende PFOA-Grenzwert von 5.000 μg/l Blut für Beschäftigte, die im direkten Umgang mit PFOA arbeiten? Bei dem Wert handelt es sich um den „Biologischen Grenzwert “ für PFOA nach der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 903, der auf dem „Biologischen Arbeitsplatztoleranzwert “ der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe basiert. Dessen Begründung ist unter folgendem Link zu finden: https://onlinelibrary.wiley. com/doi/pdf/10.1002/3527600418.bb33567d0014 b) Wie beurteilt die Staatsregierung diesen Grenzwert , insbesondere im Umfeld des aktuellen Kenntnisstandes zur PFOA-Kontamination im Landkreis Altötting und zu möglichen gesundheitlichen Risiken ? Bei „Biologischen Grenzwerten“ handelt es sich um rechtlich festgelegte Werte zum Schutz von Beschäftigten, die mit entsprechenden Substanzen umgehen. Die Personen, welche bei dem Human-Biomonitoring 2018 im Landkreis Altötting einen beruflichen Kontakt mit PFOA angegeben haben, wiesen im Mittel fast doppelt so hohe Blutkonzentrationen auf wie Personen, die einen Umgang mit PFOA verneint hatten. Aber auch der höchste Blutwert von 168 μg/l bei Beschäftigten lag weit unter dem „Biologischen Grenzwert“ von 5.000 μg/l,  sodass unter Berücksichtigung des vorgenannten Grenzwertes nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von einer gesundheitlichen Gefährdung für Arbeitnehmer auszugehen ist. 2. a) Warum werden vom LGL öffentlich gesundheitliche Bedenken ausgeschlossen, obwohl im Abschlussbericht der Untersuchung in Altötting steht: „Der (gesundheitlich unbedenkliche) HBM-I- Wert (des Umweltbundesamtes) für PFOA wird im Untersuchungsbereich von fast allen Personen überschritten“? Der HBM-I-Wert soll eine sehr weitgehende Vorsorge sicherstellen und stellt einen Zielwert dar. Ein Überschreiten bedeutet daher nicht, dass eine Gesundheitsgefahr besteht. Eine Überschreitung des HBM-I-Wertes sollte Anlass sein, der Ursache für die Erhöhung nachzugehen und gegebenenfalls verantwortliche Belastungsquellen, soweit unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit sinnvoll, zu mindern oder zu eliminieren. Dies ist in den belasteten Gebieten des Landkreises Altötting erfolgt. b) Wie kommen Staatsregierung und die zuständigen Behörden zu dem Schluss, dass „eine besondere gesundheitliche Gefährdung (…) nicht gesehen“ wird, obwohl der Bericht, die „Fortschreibung der vorläufigen Bewertung von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) im Trinkwasser“ des Umweltbundesamtes vom 20.09.2016, erhebliche Gesundheitsrisiken ab den angegebenen Grenzwerten sieht, welche die meisten Personen in der Untersuchung um ein Vielfaches überschreiten? Der Begründung der Trinkwasserleitwerte (Bericht des Umweltbundesamtes – UBA) vom 20.09.2016, auf den sich in der Frage bezogen wird) – bei denen es sich nicht um Grenzwerte im Sinn rechtlich festgelegter Werte, sondern um Richtwerte ohne rechtliche Verbindlichkeit handelt – ist nicht zu entnehmen, dass bei einem Überschreiten „erhebliche Gesundheitsrisiken“ gesehen werden (siehe hierzu auch Antwort zu Frage 2 c). c) Warum gibt das LGL Entwarnung, obwohl im Untersuchungsgebiet die Menschen durchschnittlich 24,64 μg/l PFOA im Blut haben und das Umweltbundesamt aufgrund wissenschaftlicher Studien festgehalten hat, dass bereits ab 2 μg PFOA/l Blut die weibliche Fruchtbarkeit beeinflusst sowie Eierstockzysten hervorgerufen werden können und ab 21,2 μg PFOA/l Blut das Risiko für Schwangerschaftsvergiftungen steigt? Die Angaben in dieser Frage unterstellen eine gesundheitliche Wirkung ab diesen Werten. Dies ist aus fachlicher Sicht aber unzutreffend. Der Forschungsstand wird somit nicht korrekt wiedergegeben. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse aus bevölkerungsbezogenen Studien insgesamt ein uneinheitliches Bild. Daher wurden diese unter anderem auch von der Trinkwasserkommission beim UBA, auf welche sich die Schriftliche Anfrage bezieht, nicht bei der Ableitung des PFOA-Leitwertes berücksichtigt. Statistische Auffälligkeiten bei einzelnen Parametern wie Blutfettwerten, Hormonspiegeln oder Krankheiten in epidemiologischen Untersuchungen stellen keinen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang dar. Vielmehr kann immer auch eine Vielzahl anderer Ursachen (z. B. Ernährung, Veranlagung) dafür in Betracht kommen. Gerade wenn man Untersuchungen an noch deutlich höher belasteten Personengruppen berücksichtigt , muss festgestellt werden, dass derzeit keine ursächlich gesicherten Zusammenhänge zwischen PFOA- Belastungen und Erkrankungen oder gar Vergiftungen bei Menschen herzustellen sind. Drucksache 17/23685 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 3. a) Wurden von bayerischen Behörden seit 2009 Messungen vorgenommen, um das Kühlwasser des Chemieparks Gendorf auf ADONA (Ammoniumsalz der Perfluoro-4,8-dioxa-3H-nonansäure) sowie per- und polyfluorierte Substanzen, insbesondere PFOA, zu untersuchen? Eine behördliche Probenahme und Analyse des Kühlwassers hinsichtlich PFC (einschließlich ADONA) erfolgt nicht. b) Falls ja, welche Werte wurden festgestellt (mit Bitte um Angabe der Messhäufigkeit seit 2009)? Siehe Antwort zu Frage 3 a. c) Falls nein, wie wird die Unterlassung begründet? Es gibt keine Anforderungswerte an PFC (einschließlich ADONA) für die Kühlwassereinleitungen im wasserrechtlichen Einleitbescheid. Untersuchungsergebnisse zu PFOA, die im Jahr 2017 vom Chemiepark Gendorf erhoben wurden, zeigen keine Belastung des Kühlwassers, alle Messwerte im Jahr 2017 sind unterhalb der Bestimmungsgrenze. 4. a) Wurden von bayerischen Behörden Messungen vorgenommen, um das Sickerwasser des Chemieparks Gendorf auf ADONA sowie per- und polyfluo rierte Substanzen, insbesondere PFOA, zu untersuchen ? Das Sickerwasser der Deponien A und B wird zur Kläranlage der Fa. Infra-Serv Gendorf im Chemiepark, das der Deponie C zur Kläranlage der Gemeinde Burgkirchen a. d. Alz abgeleitet. Eine behördliche Probenahme und Analyse des Sickerwassers erfolgt nicht. b) Falls ja, welche Werte wurden festgestellt (mit Bitte um Angabe der Messhäufigkeit seit 2009)? Siehe Antwort zu Frage 4 a. c) Falls nein, wie wird die Unterlassung begründet? Es gibt keine Anforderungswerte an PFC (einschließlich ADONA) für die Indirekteinleitung des Sickerwassers in die Kläranlagen. Das Sickerwasser der Deponie C wurde von InfraServ Gendorf im Rahmen der Eigenüberwachung in den Jahren 2008 bis 2014 auf PFOA analysiert. Die Jahresmittelwerte der Konzentrationen haben sich in diesem Zeitraum  von 0,610 mg/l im Jahr 2008 auf 0,0468 mg/l im Jahr  2014 verringert. Zwischenzeitlich wurde das PFOA-haltige Material in der Deponie C endabgedeckt. Eine behördliche Beprobung erfolgt in der Alz nach Durchmischung mit sämtlichen Einleitungen aus Burgkirchen an der Messstelle Hohenwart (Gemeinde Emmerting). Dort wird in der Regel viermal im Jahr beprobt. Die PFOA-Werte der letzten Jahre liegen weit unterhalb des bisher zugrunde gelegten PNEC-Wertes (PNEC = Predicted No Effect Concentration ; vorausgesagte Konzentration eines Stoffes, bis zu der sich keine Auswirkungen auf die Umwelt zeigen) für oberirdische Gewässer von 570 μg/l und unterschreiten den  Orientierungswert für Trinkwasser von 0,1 μg/l. 5. a) Wurden von bayerischen Behörden Messungen vorgenommen, um PFOA-Emissionen über die Abluft des Chemieparks bzw. einzelner Firmen auf ADONA sowie per- und polyfluorierte Substanzen, insbesondere PFOA, zu untersuchen? Die Behörde selbst führt regelmäßig keine Luftemissionsmessungen durch. Behördliche Untersuchungen erfolgten nur im Jahr 2010 im Rahmen von Abnahmemessungen. In den Genehmigungsbescheiden der jeweiligen betroffenen Anlagen sind wiederkehrende Messverpflichtungen der PFC (ein schließlich ADONA) festgeschrieben. Diese Messungen werden von nach § 29b Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) zugelassenen Messinstituten durchgeführt. b) Falls ja, welche Werte wurden festgestellt (mit Bitte um Angabe der Messhäufigkeit in den letzten 40 Jahren)? Von behördlicher Seite wurden nur im Jahr 2010 folgende Untersuchungen von ADONA in der Abluft durchgeführt: Emissionsmessstelle Ergebnis Grenzwert 232/01-01 <0,005 g/h 1 g/h 230/68-06 8,9 g/h 20 g/h 230/68-10 1,9 g/h 8 g/h 342/01-02 <0,004 g/h 0,5 g/h 344/01-03 4,7 g/h 20 g/h c) Falls nein, wie wird die Unterlassung begründet? Siehe Antwort zu Frage 5 a. 6. a) Sind den bayerischen Behörden Fälle von Weiterverwendung oder problematischer Beseitigung von PFOA-kontaminiertem Bodenaushub oder Gütermaterial im Landkreis Altötting bekannt? Im März 2018 gab das Landratsamt Altötting in einer Einzelfallentscheidung einer Logistikfirma im Industrieerweiterungsgebiet Vierlindenschlag, Burghausen, auf, für die Errichtung ihrer Anlagen die erforderlichen Baumaßnahmen, die den Umgang mit PFOA-belastetem Bodenmaterial betrafen , nämlich gesicherter Einbau unter mittels Gebäuden und Verkehrsflächen versiegelten Flächen, auf der Grundlage der Anforderungen und Planunterlagen eines Sachverständigengutachtens und nach Maßgabe von behördlichen Nebenbestimmungen durchzuführen. b) Falls ja, wie wurde damit verfahren, um ökologischen , gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schaden abzuwenden? Die in der Antwort zu Frage 6 a genannte Maßnahme wurde bzw. wird weiterhin durch einen privaten Sachverständigen nach § 18 Bundes-Bodenschutzgesetz (BBoSchG) bewertet und begleitet. Belastetes Material wird gesichert unterhalb von Gebäuden und asphaltierten Flächen wieder eingebaut.