Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Kerstin Celina, Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 26.06.2018 Medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere In Bayern leben aus verschiedensten Gründen Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus. Auch diese Menschen haben ein Recht auf gesundheitliche Versorgung und medi zinische Hilfe, nicht zuletzt ableitbar aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG). Wir fragen die Staatsregierung: 1. a) Wie viele Menschen halten sich nach Kenntnis oder Einschätzung der Staatsregierung ohne regulären Auf enthaltsstatus in Bayern auf (bitte nach Altersstruktur gliedern, inbes. die Zahl der Jugendlichen, Kinder und Kleinkinder nennen)? b) Welche aktuellen Studien und Berichte über die Le bensumstände und soziale Lage von Menschen ohne Papiere in Bayern liegen der Staatsregierung vor? c) In welchen Berufen sind Menschen ohne Papiere in der Erkenntnis oder nach Einschätzung der Staatsre gierung in Bayern überwiegend tätig? 2. a) Welchen zusätzlichen gesundheitlichen Risiken sind Menschen ohne Papiere nach Kenntnis oder Ein schätzung der Staatsregierung ausgesetzt (bitte auch auf Risiken durch Chronifizierungen von Krankheiten eingehen sowie die Risiken durch nicht durchgeführte präventive Maßnahmen oder Vorsorgeuntersuchun gen)? b) Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um das Menschenrecht auf medizinische Versorgung von Menschen, die sich ohne Papiere in Bayern aufhalten, zu gewährleisten (bitte hier auch auf die Situation von Kindern und Jugendlichen eingehen)? c) Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über die Förderung von regionalen Initiativen zur medizini schen Versorgung von Menschen ohne Papiere? 3. a) Erkennt die Staatsregierung eine Pflicht zur medizini schen Versorgung auch von Menschen ohne Papiere in Bayern an, die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG so wie Art. 11 (Recht auf Schutz der Gesundheit) der Eu ropäischen Sozialcharta 1961 sowie dem Internatio nalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, in Deutschland 1973 ratifiziert und 1976 in Kraft getreten (UNSozialpakt), ergibt? b) Inwieweit steht die Pflicht der Sozialämter, Menschen ohne Papiere, die einen Krankenschein beantragen, bei der Ausländerbehörde zu melden (Art. 87 Aufent haltsgesetz) dem Menschenrecht auf körperliche Un versehrtheit entgegen und sollte daher einer anderen Regelung weichen, um jedem Menschen den Zugang zur medizinischen Versorgung zu gewährleisten? c) Hält es die Staatsregierung für ausreichend, wenn der Zugang zu einem Menschenrecht (hier Gesundheits versorgung) abhängig ist vom lokal begrenzten und zufälligen Engagement Ehrenamtlicher? 4. a) Wie viele Menschen in Bayern (unabhängig von Her kunft und Aufenthaltsstatus) haben nach Kenntnis oder Einschätzung der Staatsregierung zum aktuellen Zeitpunkt keinen Versicherungsschutz (bitte die Grün de für den fehlenden Versicherungsschutz angeben)? b) Bei wie vielen davon handelt es sich um Asylsuchende, die eingeschränkte Leistungen nach dem Asylbewer berleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten, also wenigs tens bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft medizinisch versorgt wer den? c) Welche konkreten Schritte will die Staatsregierung umgehend in die Wege leiten, um vor allem beson ders vulnerable Personengruppen ohne Papiere wie Schwangere und Kinder/Jugendliche ohne Melde pflicht bei Behörden medizinisch zu betreuen und zu versorgen? 5. a) Welche Kenntnisse oder Einschätzungen über die soziale Lage und die Anzahl von Menschen ohne Pa piere, die sich 2016/2017 an Arztpraxen, Gesundheits ämter und Gesundheitshilfsorganisationen (z. B. Medi Netze, Ärzte der Welt o. Ä.) in Bayern gewendet haben, liegen der Staatsregierung vor? b) Wie beurteilt die Staatsregierung das Modell „Anony mer Krankenschein“, das u. a. in Thüringen und Nie dersachsen praktiziert wird, mit dem Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen können? c) Wie könnte ein „Anonymer Krankenschein“ auch in Bayern realisiert werden? 6. a) Sind der Staatsregierung Fälle bekannt, in denen Menschen eine medizinische Behandlung aufgrund der Unklarheiten bezüglich der Kostenerstattung ver weigert wurde? b) Hätte in einem Teil dieser Fälle ein „Anonymer Kran kenschein“ dazu beitragen können, negative gesund heitliche Folgen bei den Betroffenen zu vermeiden? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 19.11.2018 Drucksache 17/23690 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23690 c) Gibt es andere Maßnahmen, die die Staatsregierung als Alternative zum „Anonymen Krankenschein“ um setzt, um die medizinische Behandlung von Menschen ohne Papiere zu verbessern? 7. a) Welche Kenntnisse besitzt die Staatsregierung über die langfristige Wirkung von medizinischen Projekten in Bayern, die die Gesundheitsversorgung von Men schen ohne Papiere professionell gewährleisten? b) Welche Studien und Berichte über die Lage von Men schen ohne Papiere in Bayern liegen der Staatsregie rung vor? c) Welchen Handlungsbedarf zieht die Staatsregierung daraus? 8. a) Wie teilen sich die erbrachten medizinischen Leis tungen für Menschen ohne Papiere in Bayern in den Jahren 2016/2017 auf die verschiedenen Leistungs erbringer auf (bitte nach Gesundheitsämtern, Kliniken, Arztpraxen, ehrenamtlich tätigen Ärzten, Helferverei nen etc. aufschlüsseln)? b) Wie viele der erbrachten Leistungen konnten abge rechnet werden bzw. wurden ehrenamtlich erbracht? c) Welchen konkreten Handlungsbedarf erkennt die Staatsregierung unter Einbeziehung der Ergebnisse dieser Anfrage, um die Defizite in der Umsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit für Menschen ohne Papiere in Bayern der geltenden Regelungen zu be heben? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern und für Integration und dem Staatsministerium für Fa milie, Arbeit und Soziales vom 30.08.2018 Ergänzend zu den folgenden Ausführungen darf auch auf die Antwort der Bundesregierung (BTDrs. 19/3366) vom 10.07.2018 zur Kleinen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelp ke, Dr. Achim Kessler, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordne ter und der Fraktion DIE LINKE „Medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere“ (BTDrs. 19/2596) verwiesen werden. 1. a) Wie viele Menschen halten sich nach Kenntnis oder Einschätzung der Staatsregierung ohne regulären Aufenthaltsstatus in Bayern auf (bitte nach Alters struktur gliedern, inbes. die Zahl der Jugendlichen, Kinder und Kleinkinder nennen)? Die Staatsregierung geht davon aus, dass mit dem Begriff „Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus“ nicht die voll ziehbar Ausreisepflichtigen ohne Duldung gemeint sind, da diese leistungsberechtigt sind und deren Aufenthalt bekannt ist. Die Frage bezieht sich demnach wohl auf Personen („Menschen ohne Papiere“), die „untergetaucht“ sind und nicht mehr mit der Ausländerbehörde und anderen deut schen Behörden in Kontakt treten wollen, weil sie z. B. mit einer Festnahme rechnen müssen. Daten zu diesem Perso nenkreis liegen der Staatsregierung nicht vor. b) Welche aktuellen Studien und Berichte über die Lebensumstände und soziale Lage von Menschen ohne Papiere in Bayern liegen der Staatsregierung vor? Der Staatsregierung liegen keine aktuellen Studien und Berichte über die Lebensumstände und soziale Lage von Menschen ohne Papiere (im Sinn der Antwort zu Frage 1 a) in Bayern vor. c) In welchen Berufen sind Menschen ohne Papie re in der Erkenntnis oder nach Einschätzung der Staatsregierung in Bayern überwiegend tätig? Der Staatsregierung liegen keine besonderen Kenntnisse oder Einschätzungen vor, in welchen Berufen Menschen ohne Papiere in Bayern überwiegend tätig sind. In diesem Zusammenhang kann jedoch darauf hingewiesen werden, dass nach den Erfahrungswerten der zuständigen Kon trollbehörden (Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundes zollverwaltung) die Schwerpunkte von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung (allgemein; besondere Erkennt nisse zu Menschen ohne Papiere liegen nicht vor) in den in § 2a Abs. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (Schwarz ArbG) sowie in § 28a Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) genannten Branchen liegen. 2. a) Welchen zusätzlichen gesundheitlichen Risiken sind Menschen ohne Papiere nach Kenntnis oder Einschätzung der Staatsregierung ausgesetzt (bit te auch auf Risiken durch Chronifizierungen von Krankheiten eingehen sowie die Risiken durch nicht durchgeführte präventive Maßnahmen oder Vorsorgeuntersuchungen)? Hierzu liegen der Staatsregierung keine Kenntnisse oder Einschätzungen vor. b) Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, um das Menschenrecht auf medizinische Versor gung von Menschen, die sich ohne Papiere in Bay ern aufhalten, zu gewährleisten (bitte hier auch auf die Situation von Kindern und Jugendlichen einge hen)? Im Asylbewerberleistungsrecht gibt es keine Anknüpfung an den Begriff „Menschen ohne Papiere“ (vgl. auch die Ant wort zu Frage 1 a). Vollziehbar Ausreisepflichtige sind grund sätzlich leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Asylbewerber leistungsgesetz (AsylbLG), dessen Vollzug Ländersache ist. Die Krankenbehandlung richtet sich nach § 4 AsylbLG. Danach werden bei akuten Erkrankungen und Schmerzzu ständen grundsätzlich die erforderliche ärztliche und zahn ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei und Verbandsmitteln sowie sonstige zur Genesung, zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krank heitsfolgen erforderliche Leistungen gewährt. Leistungsbe rechtigte nach dem AsylbLG erhalten hierfür vom zuständi gen örtlichen Träger einen Krankenbehandlungsschein und können damit niedergelassene Ärzte aufsuchen. Dieser Be handlungsschein wird jedoch ausschließlich nach Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ausgegeben, wozu auch der Aufenthaltsstatus gehört. Des Weiteren siehe auch Antwort zu Frage 3 a. Drucksache 17/23690 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 c) Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über die Förderung von regionalen Initiativen zur me dizinischen Versorgung von Menschen ohne Pa piere? Die folgenden Projekte, die im Zusammenhang mit dem Thema Versorgung von Migrantinnen und Migranten bzw. Geflüchteten in verschiedenen Regionen Bayerns durchge führt werden, können potenziell auch Menschen ohne Pa piere mit einschließen. – „MiMi – Mit Migranten für Migranten“: Engagierte Migrantinnen und Migranten, die als Vor bilder bürgerschaftliche Verantwortung übernehmen, werden zu interkulturellen Gesundheitsmediatorinnen und mediatoren geschult. Nach ihrer Ausbildung führen sie muttersprachliche Informationsveranstaltungen zu verschiedenen Gesundheitsthemen durch. Bisher wurden bayernweit zwölf regionale MiMiStand orte aufgebaut. Das Projekt wird seitens des Staatsmi nisteriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) finanziell unterstützt. – „Wochenbettbetreuung bei Migrantinnen – Piktogramme für Hebammen von Hebammen“ in der Gesundheitsre gionplus Stadt Straubing: Es wurden eine PiktogrammBroschüre sowie zusätzlich ein Poster für die Gemeinschaftsunterkünfte zu den wich tigsten Punkten im Nachsorgebereich (z. B. VitaminD Prophylaxe, plötzlicher Kindstod, Hinweise auf U3/U4) umgesetzt, um die Kommunikation von Hebammen und Frauen ohne hinreichende Deutschkenntnisse zu unter stützen. – „Ausbau einer Struktur von Sprach und Integrations mittlern (SprInt)“ in der Gesundheitsregionplus Erlangen Höchstadt und Erlangen: Mit ihrem Projekt will die Gesundheitsregionplus Erlan genHöchstadt und Erlangen Teil eines bundesweiten SprIntNetzwerks werden. Sprach und Integrationsmitt ler – SprInts – sind Brückenbauer zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Fachpersonal im Bil dungs, Gesundheits und Sozialwesen. Die Fortbildung richtet sich an Empfänger von Leistungen nach dem SGB II mit Migrationshintergrund und soll voraussicht lich im Herbst 2018 starten (Finanzierung über Bildungs gutscheine). Danach soll eine Vermittlungszentrale auf gebaut werden. – Die Klinik St. Hedwig am Krankenhaus Barmherzige Brü der in Regensburg wurde für das Projekt „Medizinische Behandlung und Versorgung von Flüchtlingen und Mi granten“ mit dem Bayerischen Gesundheits und Pflege preis 2017 ausgezeichnet. Um Sprachbarrieren mit den Patienten zu überwinden und diese bestmöglich zu be handeln, arbeitet die Klinik u. a. mit Dolmetscherdiensten via Video und Übersetzungshilfen. Über ehrenamtliche Helfer mit Migrationshintergrund wird zudem versucht, Flüchtlinge und Migranten für die Krankenpflegehelfer ausbildung zu gewinnen 3. a) Erkennt die Staatsregierung eine Pflicht zur medi zinischen Versorgung auch von Menschen ohne Papiere in Bayern an, die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 11 (Recht auf Schutz der Gesundheit) der Europäischen Sozialcharta 1961 sowie dem Internationalen Pakt über wirtschaft liche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, in Deutschland 1973 ratifiziert und 1976 in Kraft ge treten (UNSozialpakt), ergibt? Durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen auslän discher Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchen de und in der Sozialhilfe vom 22.12.2016 wurden die An spruchsvoraussetzungen für Ausländerinnen und Ausländer bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen grundlegend umgestaltet und um mehrere Ausschlussgründe erweitert. Demnach haben Ausländer und ihre Familienangehörigen u. a. dann keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben. Dieser Leistungsaus schluss beinhaltet auch die Leistungen der Hilfe bei Krank heit. Der in der Schriftlichen Anfrage angesprochene Perso nenkreis von Menschen ohne Papiere bzw. Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus hat somit grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe, auch keinen An spruch auf Hilfen bei Krankheit. Der Bundesgesetzgeber hat allerdings die Möglichkeit der Gewährung von sog. Überbrückungsleistungen geschaffen. Bis zur Ausreise, längstens aber für einen Monat, werden einmalig innerhalb von zwei Jahren eingeschränkte Hilfen zur Überbrückung des Zeitraums bis zur Ausreise gewährt. Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist allerdings ein erkennbarer Ausreisewillen des betreffenden Ausländers. Die Überbrückungsleistungen umfassen dabei Leistungen zur Deckung der Bedarfe Ernährung, Körper und Gesund heitspflege, Unterkunft, Heizung und Warmwasser sowie Hilfe bei Krankheit, soweit es um die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände geht, und Hilfen bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Daten über gewährte Überbrückungsleistungen liegen der Staatsregierung nicht vor. Zudem sei darauf hingewiesen, dass die medizinische Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern (UMA) im Rahmen der Kinder und Jugendhilfe sicherge stellt ist. Diese werden unabhängig von Aufenthaltsstatus und vorgelegten Ausweisdokumenten nach Feststellung der Minderjährigkeit im Rahmen der Kinder und Jugendhilfe in Obhut genommen und versorgt. Die medizinische Versor gung ist dabei entsprechend § 40 SGB VIII (Krankenhilfe) vom „im Einzelfall notwendigen Bedarf“ umfasst. Damit sind die UMA den Jugendhilfeträgern bekannt und werden von ihnen betreut. Des Weiteren siehe Antwort zu Frage 2 b. Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23690 b) Inwieweit steht die Pflicht der Sozialämter, Men schen ohne Papiere, die einen Krankenschein beantragen, bei der Ausländerbehörde zu melden (Art. 87 Aufenthaltsgesetz) dem Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit entgegen und soll te daher einer anderen Regelung weichen, um jedem Menschen den Zugang zur medizinischen Versorgung zu gewährleisten? Siehe Antwort zu Frage 2 b und 3 a. Im Übrigen wird hierzu auf die Ausführungen der Bun desregierung in ihrer Antwort vom 10.07.2018 zur Kleinen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Achim Kessler, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE „Medizinische Versorgung von Menschen ohne Pa piere“ (BTDrs. 19/3366, S. 4) verwiesen. c) Hält es die Staatsregierung für ausreichend, wenn der Zugang zu einem Menschenrecht (hier Ge sundheitsversorgung) abhängig ist vom lokal be grenzten und zufälligen Engagement Ehrenamtli cher? Siehe Antwort zu Frage 2 b und 3 a. 4. a) Wie viele Menschen in Bayern (unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus) haben nach Kenntnis oder Einschätzung der Staatsregierung zum aktuellen Zeitpunkt keinen Versicherungs schutz (bitte die Gründe für den fehlenden Versi cherungsschutz angeben)? Zum 01.01.2009 wurde gemäß § 193 Abs. 3 Versicherungs vertragsgesetz die allgemeine Krankenversicherungspflicht für alle Personen mit Wohnsitz in Deutschland eingeführt. Das Gesetz verpflichtet gesetzliche und private Krankenkas sen, bisher Nichtversicherten einen Krankenversicherungs schutz anzubieten und einen Basisversicherungsschutz selbst dann zu gewährleisten, wenn vom Versicherten keine Beiträge entrichtet werden. Mit der Einführung der allgemei nen Krankenversicherungspflicht ging die Zahl der Nichtver sicherten zurück. Eine Statistik zur Anzahl der Menschen in Bayern ohne Krankenversicherungsschutz existiert nicht. Schätzungen des Statistischen Bundesamts aus dem im vierjährigen Turnus erhobenen Zusatzprogramm „Angaben zur Krankenversicherung“ aus dem Mikrozensus gehen für das Jahr 2015 bundesweit von einem Bevölkerungsanteil von etwa 0,1 Prozent aus. Übertragen auf Bayern wären dies ca. 13.000 Nichtversicherte. Dass es trotz des Versicherungsvertragsgesetzes noch Menschen ohne Versicherungsschutz gibt, hat verschiedene Ursachen. Personen ohne festen Wohnsitz (z. B. Obdach lose, „Aussteiger“) entziehen sich häufig wissentlich oder unwissentlich öffentlichen Institutionen wie dem Sozialver sicherungssystem. Einen zweiten zentralen Grund stellt die Verpflichtung zur Entrichtung von Krankenversicherungsbei trägen dar. Beitragsrückstände summieren sich schnell zu einem Betrag, der von zuvor Nichtversicherten kaum mehr beglichen werden kann. Um diese Beitragsschuld zu ver meiden, umgeht ein Teil der Nichtversicherten die allgemei ne Krankenversicherungspflicht. b) Bei wie vielen davon handelt es sich um Asylsu chende, die eingeschränkte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten, also wenigstens bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft medizinisch versorgt werden? Asylsuchende haben keinen Versicherungsschutz, sondern Anspruch auf medizinische Versorgung nach Maßgabe des AsylbLG (in den ersten 15 Monaten gemäß §§ 4 und 6 AsylbLG; danach gemäß § 2 AsylbLG wie ein gesetzlich Krankenversicherter). Leistungsberechtigte nach Asylbe werberleistungsgesetz haben diesen Anspruch auf Versor gung qua Aufenthalt in der Bundesrepublik; weitere Voraus setzungen im Sinne des Abschlusses einer Versicherung bestehen nicht. c) Welche konkreten Schritte will die Staatsregie rung umgehend in die Wege leiten, um vor allem be sonders vulnerable Personengruppen ohne Pa piere wie Schwangere und Kinder/Jugendliche ohne Meldepflicht bei Behörden medizinisch zu betreuen und zu versorgen? Siehe Antwort zu Frage 2 b und 3 a. 5. a) Welche Kenntnisse oder Einschätzungen über die soziale Lage und die Anzahl von Menschen ohne Papiere, die sich 2016/2017 an Arztpraxen, Ge sundheitsämter und Gesundheitshilfsorganisatio nen (z. B. MediNetze, Ärzte der Welt o. Ä.) in Bayern gewendet haben, liegen der Staatsregierung vor? Die Anzahl der Personen ohne Papiere, die sich an den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in Bayern wenden, werden nicht zentral erfasst, sodass hierzu keine Aussage getroffen werden kann. Erkenntnisse zu Gesundheitshilfsorganisationen liegen der Staatsregierung nicht vor. b) Wie beurteilt die Staatsregierung das Modell „Ano nymer Krankenschein“, das u. a. in Thüringen und Niedersachsen praktiziert wird, mit dem Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus ärztliche Be handlung in Anspruch nehmen können? c) Wie könnte ein „Anonymer Krankenschein“ auch in Bayern realisiert werden? Die Bezeichnung „Anonymer Krankenschein“ legt fälschlich einen Bezug zum System der gesetzlichen Krankenversi cherung (GKV) nahe. Für Menschen ohne Papiere besteht aber kein Bezug zur GKV. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 11 SGB V i. V. m. § 30 Abs. 1, 3 SGB gilt der Auffangtatbestand für eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken versicherung für Ausländer nur, sofern sie eine Aufenthalts erlaubnis besitzen. Auch die übrigen Fälle des § 5 Abs. 1 SGB V sind für „Menschen ohne Papiere“ nicht einschlägig. Drucksache 17/23690 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Eine Anwendbarkeit der Regelungen des SGB V ist daher für „Menschen ohne Papiere“ bundesrechtlich nicht vorge sehen. Die Ausstellung „Anonymer Krankenscheine“ durch die GKV für Menschen ohne legalen Aufenthalt oder Duldung bedürfte einer bundesgesetzlichen Grundlage und kann daher nicht durch landesrechtliche Regelungen in Bayern realisiert werden. Aus Sicht der Staatsregierung wäre ein solches Vorhaben aber auch abzulehnen. Menschen, die die Durchführung eines Asylverfahrens beantragen, nehmen an der Gesund heitsversorgung teil. Für andere Menschen in sozialer Not bestehen Ansprüche auf Hilfen zur Gesundheit nach dem SGB XII. Dagegen würde durch die Einführung solcher ano nymer Berechtigungsscheine/Karten – unabhängig von der Art der Finanzierung – die illegale Einwanderung bzw. der illegale Aufenthalt gefördert werden. Dies ist aus Sicht der Staatsregierung abzulehnen. 6. a) Sind der Staatsregierung Fälle bekannt, in de nen Menschen eine medizinische Behandlung aufgrund der Unklarheiten bezüglich der Kosten erstattung verweigert wurde? Hierzu liegen der Staatsregierung keine Erkenntnisse vor. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB) ha ben mitgeteilt, dass ihnen dazu keine Erkenntnisse vorlie gen. b) Hätte in einem Teil dieser Fälle ein „Anonymer Krankenschein“ dazu beitragen können, negative gesundheitliche Folgen bei den Betroffenen zu vermeiden? Siehe Antwort zu Frage 6 a. c) Gibt es andere Maßnahmen, die die Staatsregie rung als Alternative zum „Anonymen Kranken schein“ umsetzt, um die medizinische Behandlung von Menschen ohne Papiere zu verbessern? Für den Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versor gung sind keine Maßnahmen der Staatsregierung veran lasst. Denn dieser Versorgungsbereich ist durch den Bun desgesetzgeber auf die ärztliche Versorgung von in der GKV versicherten Personen beschränkt, zu dem Menschen ohne Papiere im Sinne der Anfrage grundsätzlich nicht zählen. Für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG sieht das Bundesrecht grundsätzlich eine lückenlose medizinische Versorgung ab Aufenthalt im Bundesgebiet vor. Zudem wird auf die Antwort zu Frage 2 b und 3 a verwie sen. 7. a) Welche Kenntnisse besitzt die Staatsregierung über die langfristige Wirkung von medizinischen Projekten in Bayern, die die Gesundheitsversor gung von Menschen ohne Papiere professionell gewährleisten? Einige Hilfsorganisationen und andere Einrichtungen bieten medizinische Hilfe für Menschen ohne Papiere in Bayern an, über die langfristige Wirkung der Projekte liegen keine Erkenntnisse vor. b) Welche Studien und Berichte über die Lage von Menschen ohne Papiere in Bayern liegen der Staatsregierung vor? Sofern sich die Frage auf die Lebensumstände und sozia le Lage von Menschen ohne Papiere bezieht, wird auf die Antwort zu Frage 1 b verwiesen. Sofern sich die Frage auf die medizinische Versorgung bezieht, beschreiben ver schiedene Organisationen regional begrenzte humanitäre und ehrenamtliche Ansätze im Bereich der medizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus und beschäftigen sich mit der Thematik. So erwähnt beispielsweise der Malteser Hilfsdienst in Bay ern in seinem Jahresbericht 2017, dass er in Augsburg und München jeweils eine Arztpraxis für Menschen ohne Kran kenversicherung betreibt. Die Organisation „Ärzte der Welt“ berichtet in ihrem Jah resbericht 2017 über ihre Anlaufstelle open.med in Mün chen, in der u. a. medizinische Konsultationen stattfinden. Auch die Diakonie Deutschland beschäftigt sich in einem Arbeitspapier der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegali tät aus dem Jahr 2017 gemeinsam mit anderen Wohlfahrts und Hilfsorganisationen mit der Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere. c) Welchen Handlungsbedarf zieht die Staatsregie rung daraus? Siehe Antwort zu Frage 2 b und 3 a. 8. a) Wie teilen sich die erbrachten medizinischen Leis tungen für Menschen ohne Papiere in Bayern in den Jahren 2016/2017 auf die verschiedenen Leis tungserbringer auf (bitte nach Gesundheitsämtern, Kliniken, Arztpraxen, ehrenamtlich tätigen Ärzten, Helfervereinen etc. aufschlüsseln)? b) Wie viele der erbrachten Leistungen konnten ab gerechnet werden bzw. wurden ehrenamtlich er bracht? Laut Stellungnahmen liegen der Kassenärztlichen Vereini gung Bayerns (KVB) und der Kassenzahnärztlichen Verei nigung Bayerns (KZVB) mangels gesetzlichen Auftrages keine Daten zu den für Menschen ohne Papiere erbrachten bzw. abgerechneten ambulanten ärztlichen Leistungen vor. Die KVB führt ergänzend aus, dass im Rahmen ihrer Quar talsabrechnungen nur mit dem Einheitlichen Bewertungs maßstab (EBM) konforme Leistungen abgerechnet würden, die auf Basis einer gültigen Krankenversichertenkarte bzw. eines gültigen Behandlungsscheins erbracht worden seien. Die KZVB wies in ihrer Stellungnahme auf das Hilfswerk Zahnmedizin Bayern e. V. (HZB) hin, das im Juni 2011 un ter der Schirmherrschaft der Bayerischen Landeszahnärz tekammer gegründet worden sei. Das HZB betreibe eine Zahnarztpraxis in München in der sozialmedizinischen An laufstelle des Malteser Hilfsdienstes im Rahmen des Pro jektes Malteser Migranten Medizin (MMM). Zielgruppe seien Nichtversicherte, hier vor allem Flüchtlinge und Migranten, die dort kostenfrei behandelt würden. Der Einsatz der Zahn ärzte erfolge ehrenamtlich. Die KZVB führte ergänzend aus, dass sie davon ausge he, dass bayerische Vertragszahnärztinnen und zahnärzte im Einzelfall Behandlungen ohne Berechnung der Kosten durchführen würden. Seite 6 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/23690 Im Rahmen des Vollzugs von § 19 Infektionsschutzge setz (IfSG) haben die Gesundheitsämter die Möglichkeit, anonyme Beratungen und Untersuchungen für bestimmte Infektionskrankheiten, insbesondere Geschlechtskrankhei ten oder Tuberkulose, auch anonym anzubieten. Damit ist es Personen ohne Papiere möglich, dieses Angebot an den Gesundheitsämtern wahrzunehmen. Bereits in der Vergan genheit wurden die Gesundheitsämter gebeten, vermehrt Beratungen und Untersuchungen für sexuell übertragbare Krankheiten und Tuberkulose für Risikogruppen auf freiwilli ger Basis und anonym anzubieten. Im Einzelfall kann es notwendig werden, dass die am bulante Behandlung durch einen Arzt am Gesundheitsamt erfolgt, soweit dies zur Verhinderung der Weiterverbreitung der sexuell übertragbaren Krankheiten und der Tuberkulose erforderlich ist. Die Kosten trägt hierbei die öffentliche Hand, sofern kein anderer Kostenträger zur Erstattung verpflichtet ist. Von den Gesundheitsämtern werden oftmals auch Kon takte zu lokalen Hilfsangeboten vermittelt. In Bezug auf Kliniken liegen der Staatsregierung keine Informationen vor. c) Welchen konkreten Handlungsbedarf erkennt die Staatsregierung unter Einbeziehung der Ergeb nisse dieser Anfrage, um die Defizite in der Um setzung des Menschenrechts auf Gesundheit für Menschen ohne Papiere in Bayern der geltenden Regelungen zu beheben? Siehe auch Antwort zu Frage 6 c. Der ÖGD in Bayern hat im Rahmen von Migrationsbe wegungen in den vergangenen Jahren eine starke Aufga benmehrung erfahren und sich der Probleme dieser Be völkerungsgruppe angenommen. So hat das StMGP in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) auch eine Vielzahl von Merk blättern zur Gesundheitsuntersuchung und zu relevanten Infektionskrankheiten in mehreren Sprachen erstellt. Es weist darin insbesondere auf die Möglichkeit von kosten loser anonymer Beratung und Untersuchungen bestimmter Infektionskrankheiten an den Gesundheitsämtern hin. Diese Merkblätter, die auf den Internetseiten des StMGP und des LGL frei zugänglich sind, stellen ein wichtiges Mittel der Auf klärungs und Öffentlichkeitsarbeit dar.