Schriftliche Anfrage
des Abgeordneten
Dr. Sepp Dürr
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
vom 15.10.2013
Beobachtung von Politikerinnen und Politern durch
das Landesamt für Verfassungsschutz
Das Bundesverfassungsgericht hat der Observation von Ab-
geordneten im Urteil zur Beobachtung des ehemaligen Bun-
destagsabgeordneten der Linken Bodo Ramelow durch das
Bundesamt für Verfassungsschutz enge Grenzen gesetzt
und an strenge Voraussetzungen geknüpft. Durch das Ur-
teil ist auch der bayerische Verfassungsschutz gezwungen,
seine bisherige Überwachungspraxis von Parlamentariern
neu zu gestalten. In der Antwort vom 31. Mai 2012 auf eine
Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Susanna Tausend
-
freund zur „Beobachtung von Politikerinnen und Politikern
durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz
(BayLfV)“ (Drs. 16/12190) hat die Staatsregierung einge
-
räumt, dass auch das BayLfV Mandatsträger beobachtet
hat.
In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung:
1.
Wie sieht sich das Bayerische Landesamt für V
erfas-
sungsschutz (BayLfV) durch das Urteil des Bundes
-
verfassungsgerichts hinsichtlich der Überwachung des
Abgeordneten Bodo Ramelow in der Durchführung
seines Beobachtungsauftrags extremistischer Be-
strebungen, der laut Behauptung der Staatsregierung
auch die Observation von Parlamentariern beinhaltet,
betroffen?
1.1
In
welchen konkreten Fällen wird es die Beobachtung
von Abgeordneten (Mdls, MdBs, MdEPs) einstellen,
weil keine Anhaltspunkte vorliegen, dass sie die frei-
heitliche demokratische Grundordnung bekämpfen
(bitte aufgeschlüsselt nach Anzahl und Partei)?
1.2
In welchen
Fällen wird es die Beobachtung fortsetzen?
2.
Wie definie
rt das Amt künftig die Kriterien, nach denen
weiterhin Abgeordnete beobachtet werden können?
2.1
W
elche Auswirkungen hat das Urteil auf den Einsatz
nachrichtendienstlicher Mittel bei der Beobachtung
bzw. Überwachung von Abgeordneten?
3.
W
elche Konsequenzen wird das Amt aus dem Urteil
bei der Observation kommunaler Mandatsträger zie-
hen?
3.1
Wird das
Amt in Zukunft bei der Beobachtung bzw.
Überwachung von Mandatsträgern mehr Transparenz
herstellen?
Antwort
des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr
vom 02.12.2013
Vorbemerkung:
Gegenstand des gesetzlichen Beobachtungsauftrags des
Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV)
sind extremistische Bestrebungen, die insbesondere auch
von politischen Parteien ausgehen können. Über extremisti-
sche Parteien wurde und wird deshalb im Bayerischen Ver-
fassungsschutzbericht unter Einbeziehung der Erkenntnisse
des BayLfV und allgemein zugänglicher Informationen be-
richtet.
Im Rahmen der Beobachtung der Partei DIE LINKE wur-
den vom BayLfV auch personenbezogene Daten über Ab-
geordnete der Partei DIE LINKE erfasst und gespeichert.
Dabei wurde deren verfassungsrechtlicher Stellung bislang
schon im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung und
unter Beachtung der bislang geltenden Vorgaben des Bun-
desverwaltungsgerichts (Urteil vom 21.07.2010, 6 C 22.09)
hierfür Rechnung getragen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-
dung vom 17.09.2013 die Bedeutung des freien Mandats
nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG betont und vor diesem Hinter-
grund die Anforderungen an die Beobachtung von Abgeord
-
neten und insbesondere an die Verhältnismäßigkeitsprüfung
konkretisiert und verschärft.
Die Entscheidung enthält im Wesentlichen folgende Aus-
sagen:
Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) ent-
hält in den maßgeblichen Vorschriften eine ausreichende
Rechtsgrundlage auch für die Beobachtung von Abgeordne
-
ten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Grund-
satz gelten damit für die Beobachtung von Abgeordneten
die gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen wie für die
Beobachtung von Privatpersonen.
Der besonderen Schutzbedürftigkeit von Abgeordneten
wird dadurch Rechnung getragen, dass nach den einschlä
-
gigen Vorschriften des BVerfSchG die Beobachtung verhält-
nismäßig sein muss.
Das freie Mandat gewährleistet grundsätzlich eine von
staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung
zwischen Abgeordnetem und Wähler sowie die Freiheit des
Abgeordneten von exekutiver Kontrolle. Die Freiheit des
Abgeordneten von exekutiver Beobachtung, Beaufsichti
-
gung und Kontrolle wird über Art. 28 Abs. 1 GG auch für
die Mitglieder der Landesparlamente gewährleistet. Bereits
die systematische Sammlung und Auswertung öffentlich zu-
gänglicher, d.
h. ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher
Mittel
erlangter Informationen stellt einen Eingriff in das freie
Mandat dar. Dieser Eingriff kann im Einzelfall zugunsten des
Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
gerechtfertigt sein, unterliegt jedoch strengen Verhältnismä
-
ßigkeitsanforderungen.
Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar.
Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung.
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Bayerischer
Landtag
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Ein Überwiegen des Interesses an der Beobachtung von
Abgeordneten durch den Verfassungsschutz zum Schutz
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kommt
insbesondere dann in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung miss-
braucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft.
Im Übrigen kommt es auf eine Gesamtabwägung aller
berührten Interessen und Umstände an. In deren Rahmen
ist eine Gesamtbeurteilung des Gewichts des Eingriffs, des
Gewichts der vom Abgeordneten ausgehenden Gefährdung
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie des
Gewichts der durch die Beobachtung zu erwartenden In-
formation für den Schutz der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung vorzunehmen. Im Rahmen der umfassenden
Abwägung ist auch das Verhältnis des Abgeordneten zu sei-
ner Partei mit einzubeziehen; dabei kann die Parteimitglied
-
schaft ein Aspekt der gebotenen Gesamtbeurteilung sein. In
der gebotenen Gesamtabwägung ist auch die Wertung des
Art. 21 GG zu berücksichtigen, dass ein parteipolitisches
Engagement, welches auf dem Boden der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung steht, diese grundsätzlich
stärkt.
1.
W
ie sieht sich das Bayerische Landesamt für Ver-
fassungsschutz (BayLfV) durch das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Über-
wachung des Abgeordneten Bodo Ramelow in der
Durchführung seines Beobachtungsauftrags ext-
remistischer Bestrebungen, der laut Behauptung
der Staatsregierung auch die Observation von
Parlamentariern beinhaltet, betroffen?
1.1
In
welchen konkreten Fällen wird es die Beobach-
tung von Abgeordneten (Mdls, MdBs, MdEPs) ein-
stellen, weil keine Anhaltspunkte vorliegen, dass
sie die freiheitliche demokratische Grundordnung
bekämpfen (bitte aufgeschlüsselt nach Anzahl und
Partei)?
1.2
In
welchen Fällen wird es die Beobachtung fortset-
zen?
2.
W
ie definiert das Amt künftig die Kriterien, nach
denen weiterhin Abgeordnete beobachtet werden
können?
Die Fragen 1., 1.1, 1.2 und 2. werden wegen des Sachzu-
sammenhangs gemeinsam beantwortet.
Dem Beobachtungsauftrag des BayLfV unterliegen auch
Abgeordnete extremistischer Parteien (wie z.
B. der NPD)
aus
Bundestag, Landtagen und Europäischem Parlament. In
diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass das BayLfV
Erkenntnisse zu Abgeordneten extremistischer Parteien
nicht mit dem nachrichtendienstlichen Mittel der Observati-
on (verdecktes, planmäßiges und unauffälliges Beobachten)
gesammelt hat. Das hat die Bayerische Staatsregierung ent-
gegen der Fragestellung niemals behauptet.
Das BayLfV überprüft derzeit anhand der vom Bundes-
verfassungsgericht entwickelten strengen Verhältnismä
-
ßigkeitsanforderungen, die bei der Beobachtung eines
Abgeordneten durch eine Verfassungsschutzbehörde im
Einzelfall erfüllt sein müssen, um den damit verbundenen
Eingriff in das freie Mandat nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG
zu rechtfertigen, die Beobachtung und die aktuellen Spei-
cherungen von Daten zu Abgeordneten der Partei DIE LIN-
KE. Als Sofortmaßnahme wurden die Datensätze gesperrt.
Hinsichtlich des weiteren Vorgehens wurden der Bayerische
Landesbeauftragte für den Datenschutz und das Parlamen
-
tarische Kontrollgremium eingebunden. Sollte das Ergebnis
der Prüfung die Unverhältnismäßigkeit der Beobachtung
und der Datenspeicherungen für die gesetzlichen Beobach
-
tungsaufgaben des BayLfV ergeben, sind diese Daten nach
den gesetzlichen Vorschriften zu löschen.
Im Übrigen wird hinsichtlich der für die Beobachtung von
Abgeordneten geltenden Kriterien auf die Vorbemerkung
verwiesen.
2.1
W
elche Auswirkungen hat das Urteil auf den Ein-
satz nachrichtendienstlicher Mittel bei der Beob-
achtung bzw. Überwachung von Abgeordneten?
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
17.09.2013 betrifft einen Fall der Informationserhebung
ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, also ohne
Methoden der verdeckten Informationsbeschaffung. Sie
enthält deshalb keine konkreten Aussagen zur Anwendung
nachrichtendienstlicher Mittel im Rahmen der Beobachtung
von Abgeordneten. Das Bundesverfassungsgericht stellt in
der Entscheidung aber im Übrigen fest, dass die Beobach
-
tung von Abgeordneten auch bezüglich der Wahl der Mittel
der Beobachtung verhältnismäßig sein muss. Daraus ist
ableitbar, dass der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel
im Sinne von Art. 6 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz
gegen Abgeordnete nur unter engen Voraussetzungen erfol-
gen darf, aber nicht per se als unzulässig angesehen wer-
den kann. Das BayLfV hat bereits in der Vergangenheit bei
der Beobachtung von Abgeordneten auch in der Wahl der
Mittel den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Ge-
zielte Datenerhebungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln
zu Abgeordneten sind nicht erfolgt.
3.
W
elche Konsequenzen wird das Amt aus dem Ur-
teil bei der Observation kommunaler Mandatsträ-
ger ziehen?
Kommunale Mandatsträger sind Mitglieder exekutiver Ver-
waltungsorgane. Ihr Rechtsstatus ist somit nicht dem der
parlamentarischen Abgeordneten als Teil der Legislative
vergleichbar. Die Entscheidung des Bundesverfassungsge
-
richts vom 17.09.2013 beschränkt sich ausschließlich auf
die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Beobachtung
von Mitgliedern des Bundestages und der Landtage.
3.1
W
ird das Amt in Zukunft bei der Beobachtung bzw.
Überwachung von Mandatsträgern mehr Transpa-
renz herstellen?
Grund und Grenzen der Zulässigkeit der Beobachtung von
Abgeordneten, die extremistischen Bestrebungen angehö
-
ren, folgen nach den Ausführungen des Bundesverfassungs
-
gerichts bereits aus den Verfassungsschutzgesetzen. Das
Bayerische Verfassungsschutzgesetz enthält mit Art. 15 die
Rechtsgrundlage für eine Information der Öffentlichkeit über
verfassungsfeindliche Bestrebungen. Dementsprechend
können Abgeordnete verfassungsfeindlicher Parteien auch
in den jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichten
und im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bayerischen
Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr thema-
tisiert werden (vgl. zuletzt Verfassungsschutzbericht 2012).