Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Christian Magerl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 04.09.2018 Schutz der Endemiten in Bayern Unter Endemiten versteht man Arten, die nur in einem Land vorkommen. Da ihr Aussterben gleichzeitig das weltweite Verschwinden bedeuten würde, haben die Länder für solche Arten eine besonders große Verantwortung für den Artenschutz . Bei Arten, die im Grenzbereich zwischen zwei Ländern vorkommen spricht man von Subendemiten. Für sie gilt Ähnliches. Leider weist gerade Bayern eine besonders hohe Zahl von ausgestorbenen Endemiten auf. Dazu zählen die bayerische Kurzohrmaus, die Chiemseerenke Coregonus hoferi, der Laufkäfer Asaphidion cyanicorne tyrolensis oder die jüngst am Bodensee verschwundene Bodensee- Schmiele Deschampsia rhenana. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Für welche Artengruppen liegt der Staatsregierung eine Übersicht über die Endemiten und Subendemiten vor? b) Für welche Endemiten liegen der Staatsregierung aktuell Daten zu Verbreitung und Bestand vor? c) Welche staatliche Stelle ist verantwortlich für den Erhalt und Schutz der Endemiten in Bayern? 2. a) Für welche Endemiten und Subendemiten gibt es in Bayern ein Ex-situ-Erhaltungsprogramm? b) Für welche weiteren Endemiten und Subendemiten in Bayern ist ein Ex-situ-Erhaltungsprogramm geplant? 3. a) Für welche Endemiten und Subendemiten in Bayern erfolgt derzeit eine gezielte Suche nach Vorkommen und Bestand? b) Welche Konsequenzen hätte ein Neufund eines bisher als verschollen eingestuften Endemiten? 4. Bis wann ist auch für die bayerische Fauna eine Prioritätensetzung beim Artenschutz geplant und welche Bedeutung haben dabei die Endemiten? 5. a) Gibt es für vom Aussterben bedrohte Endemiten in Bayern Managementpläne zu ihrem Schutz? b) Wenn nein, warum nicht? c) Wenn ja, wer ist bei welcher Art für deren Umsetzung verantwortlich? 6. a) Welche Konsequenzen hat das Vorkommen von vom Aussterben bedrohten endemischen Fischarten auf die berufliche und private Fischerei in Bayern? b) Gibt es realistische Möglichkeiten, die vom Aussterben bedrohten endemischen Fischarten, die z. T. in großer Tiefe vorkommen, zu züchten? 7. a) Welchen Status haben endemische Arten, wenn sie bei Eingriffen in Natur und Landschaft betroffen sind? b) Hält die Staatsregierung diesen Status für ausreichend ? c) Inwieweit wird bei der Bewirtschaftung von Wäldern das Vorkommen endemischer Arten berücksichtigt? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 01.10.2018 1. a) Für welche Artengruppen liegt der Staatsregierung eine Übersicht über die Endemiten und Subendemiten vor? Für die Flora liegt mit Erscheinen der Roten Liste (RL) Gefäßpflanzen 2003 eine vollständige Übersicht über die endemischen und subendemischen Pflanzenarten Bayerns vor. Eine wesentliche Grundlage für die RL waren dabei die Aktivitäten des Landesamtes für Umwelt (LfU), das seit 1991 durch zahlreiche Kartierungen die grundlegenden Kenntnisse über die bayerischen Endemiten erarbeitet hat. In den am LfU vorliegenden Entwürfen für die RL Moose und die RL Flechten (Stand August 2018) sind keine (Sub-)Endemiten ausgewiesen. Bei beiden Gruppen sind wie bei den Pilzen aufgrund der sehr mobilen Ausbreitungsstadien in Bayern keine Endemiten zu erwarten. Eine Aufstellung der endemischen Tierarten Bayerns wird vom LfU aktuell vorbereitet. Generell ist in der bayerischen Fauna die Anzahl endemischer Taxa überschaubar. In etlichen Fällen handelt es sich zudem um Unterarten (z. B. in den Alpen vorkommende Käfer), deren taxonomische Eigenständigkeit nicht gesichert ist. b) Für welche Endemiten liegen der Staatsregierung aktuell Daten zu Verbreitung und Bestand vor? Für folgende Arten liegen aktuelle Bestandsdaten vor: – Armeria maritima ssp. purpurea (Purpur-Grasnelke), – Cochlearia bavarica (Bayerisches Löffelkraut), – Deschampsia rhenana (Bodensee-Schmiele), – Euphrasia bavarica (Bayerischer Augentrost), – Gentianella bohemica (Böhmischer Fransenenzian), – Ranunculus rostratulus (Geschnäbelter Gold-Hahnenfuß ), – Rubus acanthodes (Hofmanns Brombeere), Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 23.11.2018 Drucksache 17/24230 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/24230 – Saxifraga oppositifolia ssp. amphibia (Bodensee-Steinbrech ), – Sorbus cordigastensis (Kordigast-Mehlbeere), – Sorbus fischeri (Ries-Mehlbeere), – Stipa pulcherrima ssp. bavarica (Bayerisches Federgras ), – Tephroseris integrifolia ssp. vindelicorum (Augsburger Steppen-Greiskraut). Zahlreiche endemische Pflanzenarten sind bereits in den letzten zehn Jahren untersucht worden und konnten als nicht gefährdet eingestuft werden (z. B. Sorbus algoviensis) oder waren bereits in der RL nicht als gefährdet ausgewiesen (z. B. Aconitum bavaricum ssp. bavaricum). Diese Endemiten unterliegen keinem detaillierten Monitoring. Unter den endemischen Tierarten ist die Rhön-Quellschnecke (Bythinella compressa) mit zahlreichen Vorkommen aktuell gut erfasst. Die Verbreitung der endemischen Fischarten Ammersee-Kilch (Coregonus bavaricus), Ammersee -Tiefensaibling (Salvelinus evasus) und Ammersee- Kaulbarsch (Gymnocephalus ambriaelacus) beschränkt sich auf den Ammersee. c) Welche staatliche Stelle ist verantwortlich für den Erhalt und Schutz der Endemiten in Bayern? Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist ein ressortübergreifendes Ziel der Staatsregierung, bekräftigt 2008 mit der Verabschiedung der Bayerischen Biodiversitätsstrategie und 2014 mit dem Beschluss des Biodiversitätsprogramms Bayern 2030. Für Maßnahmen zum Erhalt endemischer Arten sind die Naturschutzbehörden federführend zuständig. Fachliche Unterstützung bietet dafür das LfU, künftig auch das Bayerische Artenschutzzentrum. 2. a) Für welche Endemiten und Subendemiten gibt es in Bayern ein Ex-situ-Erhaltungsprogramm? Erhaltungskulturen existieren für folgende Arten: – Armeria maritima ssp. purpurea (Purpur-Grasnelke), – Cochlearia bavarica (Bayerisches Löffelkraut), – Deschampsia rhenana (Bodensee-Schmiele), – Gentianella bohemica (Böhmischer Fransenenzian), – Sorbus cordigastensis (Kordigast-Mehlbeere), – Sorbus hohenesteri (Hohenesters Mehlbeere), – Sorbus mergenthaleriana (Mergenthalers Mehlbeere), – Taraxacum pollichii (Pollichs Löwenzahn). Weitere Erhaltungskulturen in eingeschränktem Maßstab gibt es für: – Hieracium wiesbaurianum ssp. arnoldianum (Arnolds Habichtskraut), – Myosotis rehsteineri (Bodensee-Vergissmeinnicht), – Sorbus adeana (Ades Mehlbeere), – Stipa pulcherrima ssp. bavarica (Bayerisches Federgras ), – Tephroseris integrifolia ssp. vindelicorum (Augsburger Steppen-Greiskraut). Als wichtige Voraussetzung für den Ex-situ-Erhalt von genetischen Ressourcen wurde die Genbank Bayern Arche an der Universität Regensburg errichtet. Sie ist deutschlandweit die erste Genbank, die sich ausschließlich mit seltenen und gefährdeten Pflanzen befasst, darunter auch bayerischen Endemiten. Im Rahmen eines Projekts konnten dort 32 Prozent der in Bayern gefährdeten Pflanzenarten, davon 54 Prozent der vom Aussterben bedrohten und 43 Prozent der stark gefährdeten Arten, einlagert und wertvolle Informationen zur Ökologie dieser Arten gewonnen werden. b) Für welche weiteren Endemiten und Subendemiten in Bayern ist ein Ex-situ-Erhaltungsprogramm geplant? Derzeit gibt es keine konkreten Planungen für zusätzliche Ex-situ-Erhaltungsprogramme. 3. a) Für welche Endemiten und Subendemiten in Bayern erfolgt derzeit eine gezielte Suche nach Vorkommen und Bestand? In den letzten Jahren wurde mehrfach – bisher vergeblich – nach der Bayerischen Kurzohrmaus gesucht, überwiegend in geeigneten Habitaten am Typenfundort bei Garmisch- Partenkirchen und in dessen Umgebung. Zusätzlich führte das LfU (Vogelschutzwarte) 2012 ein Citizen-Science-Projekt im Werdenfelser Land durch, das keinen neuen Nachweis der Bayerischen Kurzohrmaus erbrachte. Trotzdem setzt das LfU seine Bemühungen fort, in Zusammenarbeit mit Spezialisten ein Vorkommen dieses Subendemiten in Bayern wiederzufinden. Eine kleine Population existiert im österreichischen Rofangebirge (Tirol). Im Bereich der wirbellosen Tiere werden derzeit Vorkommen endemischer Laufkäfer und Spinnentiere recherchiert. b) Welche Konsequenzen hätte ein Neufund eines bisher als verschollen eingestuften Endemiten? Wiederfunde können eine neue Bewertung der Gefährdungssituation und damit eine Änderung der Einstufung in der Roten Liste zur Folge haben. Zudem würde versucht, eine Bestandsanalyse durchzuführen und ein Managementkonzept zu erarbeiten. Gegebenenfalls kann es möglich und sinnvoll sein, eine ergänzende Ex-situ-Maßnahme vorzusehen . So kann bei Gefäßpflanzen die Einlagerung von Samen in der Genbank in Erwägung gezogen werden. 4. Bis wann ist auch für die bayerische Fauna eine Prioritätensetzung beim Artenschutz geplant und welche Bedeutung haben dabei die Endemiten? Die Auswahl von Artenhilfsprogrammen für die Fauna erfolgt nach einer Systematik, welche verschiedene Kriterien beachten und gewichten muss (z. B. Gefährdung, Umsetzbarkeit , Artenschutzrecht, Leitartencharakter). Auch Endemismus ist ein zentrales wertbestimmendes Kriterium. Die meisten Tierarten bzw. Unterarten, welche im Zusammenhang mit Endemismus in Bayern diskutiert werden, sind in den Alpen in naturnahen bis natürlichen Lebensräumen beheimatet . Der Bedarf an Hilfsmaßnahmen für diese Tierarten ist daher vergleichsweise gering. An der Prioritätensetzung und Umsetzung von Maßnahmen im Artenschutz wird künftig das Bayerische Artenschutzzentrum in Augsburg mitwirken, das der Ministerrat am 31.07.2018 als neues Leuchtturmprojekt der Naturoffensive Bayern beschlossen hat. Als Elitezentrum für Artenvielfalt wird es in enger Kooperation mit der Akademie für Natur- Drucksache 17/24230 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 schutz und Landschaftspflege (ANL) in Laufen, dem Institut für Bienenkunde und Imkerei in Veitshöchheim und weiteren Einrichtungen der Naturoffensive für einen Qualitätssprung beim Arten- und Naturschutz in Bayern sorgen. 5. a) Gibt es für vom Aussterben bedrohte Endemiten in Bayern Managementpläne zu ihrem Schutz? Managementpläne für vom Aussterben bedrohte endemische Arten gibt es für folgende Arten des Anhangs II der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie): – Gentianella bohemica (Böhmischer Fransenenzian) im Rahmen der FFH-Managementplanung für die Art, – Myosotis rehsteineri (Bodensee-Vergissmeinnicht) im Rahmen der FFH-Managementplanung für die Art und den Wuchsort, – Stipa pulcherrima ssp. bavarica (Bayerisches Federgras ) im Rahmen der FFH-Managementplanung für die Art. Spezifische Schutzmaßnahmen sind auch in Artenhilfsprogrammen vorgesehen, die es für folgende Endemiten gibt: – Gentianella bohemica (Böhmischer Fransenenzian), – Myosotis rehsteineri (Bodensee-Vergissmeinnicht), – Armeria maritima ssp. purpurea (Purpur-Grasnelke), – Tephroseris integrifolia ssp. vindelicorum (Augsburger Steppen-Greiskraut), – Deschampsia rhenana (Bodensee-Schmiele). Für Deschampsia rhenana gibt es außerdem einen Managementplan im Rahmen eines internationalen Projekts aller Bodensee-Anrainerstaaten. b) Wenn nein, warum nicht? Nicht für alle (Sub-)Endemiten sind Managementpläne nötig , weil manche Arten stabile Populationen aufweisen oder nicht gefährdet sind. Für zahlreiche Arten können derzeit aufgrund deutlicher personeller Engpässe im Naturschutz keine Managementpläne entwickelt und von den unteren Naturschutzbehörden umgesetzt werden. Durch die geplante Einrichtung des Artenschutzzentrums in Augsburg ist mit einer Verbesserung der Situation zu rechnen. c) Wenn ja, wer ist bei welcher Art für deren Umsetzung verantwortlich? Für die Umsetzung sind die höheren und unteren Naturschutzbehörden zuständig. 6. a) Welche Konsequenzen hat das Vorkommen von vom Aussterben bedrohten endemischen Fischarten auf die berufliche und private Fischerei in Bayern ? Von den endemischen Fischarten ist aktuell keine vom Aussterben bedroht. b) Gibt es realistische Möglichkeiten, die vom Aussterben bedrohten endemischen Fischarten, die z. T. in großer Tiefe vorkommen, zu züchten? Siehe Antwort zu Frage 6 a. 7. a) Welchen Status haben endemische Arten, wenn sie bei Eingriffen in Natur und Landschaft betroffen sind? Alle endemischen Arten des Anhangs II unterliegen nach der FFH-Richtlinie dem Verschlechterungsverbot und sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Sie müssen daher in FFH-Verträglichkeitsprüfungen und in speziellen artenschutzrechtlichen Prüfungen (saP) behandelt werden. Arten der Rote-Liste-Kategorien 1 und 2 sollten im Rahmen der Eingriffsregelung angemessen beachtet werden . Andere Endemiten, wie endemische Habichtskräuter oder Brombeeren, die leicht mit häufigen Arten zu verwechseln sind, haben keinen besonderen rechtlichen Status. b) Hält die Staatsregierung diesen Status für ausreichend ? Ja. c) Inwieweit wird bei der Bewirtschaftung von Wäldern das Vorkommen endemischer Arten berücksichtigt ? Im Wald bzw. in den Bereichen der Wald-Offenland-Übergänge oder auf Sukzessionsflächen können gerade in Sondersituationen Vertreter seltener oder endemischer Artengruppen auftreten. Bei Baumarten gilt das z. B. für die Gattung Sorbus. In Bayern kommen etwa 40 verschiedene Arten dieser Gattung vor. Neben den allgemein bekannten Sorbus-Arten wie Vogelbeere, Elsbeere, Speierling und Gemeine Mehlbeere gibt es auch weitgehend unbekannte Vertreter , davon allein 20, die nur in Bayern vorkommen. Viele besiedeln nur sehr kleine Areale. Häufig handelt es sich dabei um Sonderstandorte, auf denen i. d. R. keine forstliche Nutzung stattfindet (z. B. xerotherme Felskuppen in der Frankenalb). Im Staatswald werden solche und andere entsprechend ökologisch wertvollen Flächen besonders berücksichtigt. Bei der forstlichen Betriebsplanung (Forsteinrichtung) werden nach § 30 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) gesetzlich geschützte Biotope erfasst. Flächen, die nicht gesondert gesetzlich geschützt sind, werden als SPE-Flächen (SPE = Schützen, Pflegen, Entwickeln) oder aber als Flächen mit dauerhafter Hiebsruhe ausgewiesen. Damit wird situationsangepasst auf besondere Biotope, Habitate und Strukturen sowie auf die dort vorkommenden Arten Rücksicht genommen und ihrem Schutz entsprechend Rechnung getragen. Im Privat- und Körperschaftswald wirken u. a. die Forstbehörden im Rahmen der Beratung und Betriebsleitung und -ausführung auf die Berücksichtigung bekannter Vorkommen besonders schützenswerter Arten- und Lebensräume hin, darunter auch endemische Arten. Ergänzend führt das Amt für forstliche Saat- und Pflanzenzucht (ASP) auch Generhaltungsmaßnahmen für seltene heimische Baumarten durch (siehe Konzept zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung forstlicher Genressourcen in Bayern http://www.asp. bayern.de/118443/index.php). Insgesamt ist es von entscheidender Bedeutung, über die vielfach nur Experten bekannten Standorte zu informieren. Um diese seltenen und teilweise unbekannten Arten bei Managementmaßnahmen besser berücksichtigen zu können, werden neben einem entsprechenden Beratungsservice des LfU u. a. auch Merkblätter, z. B. zu seltenen Sorbus- Arten, angeboten: www.lfu.bayern.de/natur/artenhilfspro gramm_botanik/merkblaetter/doc/35lfumerkblatt_sorbus. pdf.