Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 18.10.2018 Beobachtung von Politikern und Politikerinnen der AfD durch das Landesamt für Verfassungsschutz Laut Bericht im Münchner Merkur werden einzelne Mitglieder der neuen AfD-Fraktion im Landtag vom Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) beobachtet. Sowohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) haben entschieden, dass das parlamentarische Informationsinteresse besonders hoch zu gewichten ist, soweit nach der Überwachung von Politikerinnen und Politikern durch den Verfassungsschutz gefragt wird. Auch das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen steht einer Beantwortung grundsätzlich nicht entgegen. Es handelt sich um Personen, die aufgrund einer demokratischen Wahl oder der Kandidatur für eine solche Wahl ohnehin im Rahmen ihrer beruflichen Sphäre in der Öffentlichkeit stehen und nach Einschätzung des BayLfV durch ihr Verhalten Anlass für verfassungsschutzrechtliche Maßnahmen gegeben haben (BayVerfGH vom 20.03.2014, Rn. 16). Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche Mitglieder der neu gewählten AfD-Fraktion im Landtag sind oder waren Beobachtungsobjekt des BayLfV? 2. Welches Verhalten der betroffenen Personen gab Anlass zu dieser Beobachtung? 3. Insbesondere über welche Verbindungen in welche verfassungsfeindlichen Netzwerke (z. B. rechtsextremistische Szene, Reichsbürger etc.) verfügen diese Personen? 4. Welche Erkenntnisse und Einschätzungen hat das BayLfV zu diesen Personen gewonnen? 5. Wird die Beobachtung nach Aufnahme der Mandatstätigkeit fortgesetzt? Antwort des Staatsministeriums des Innern und für Integration vom 25.10.2018 1. Welche Mitglieder der neu gewählten AfD-Fraktion im Landtag sind oder waren Beobachtungsobjekt des BayLfV? Das Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) beobachtet derzeit folgende Personen, die für die Partei Alternative für Deutschland (AfD) ein Mandat für den Landtag errungen haben: – Herrn Ulrich Henkel, – Herrn Ralf-Dieter Stadler und – Herrn Andreas Winhart 2. Welches Verhalten der betroffenen Personen gab Anlass zu dieser Beobachtung? 2.1 Ulrich Henkel Auf der Internetseite www.uli-henkel-afd.de konnte das You- Tube-Video „Aus Wut wird Gewalt! ‚Flüchtlinge‘ werden sich bald nehmen was sie wollen, Uli Henkel AfD sorgt sich“ aufgerufen werden. Die darin getätigten Aussagen Ulrich Henkels sind in der Gesamtschau aufgrund der Übertragung exponiert negativer Merkmale ausschließlich auf Menschen aus Schwarzafrika im Sinne der gesetzlichen Aufgabenerfüllung des BayLfV als extremistisch zu werten und motivieren zum Hass. Das Video hatte mit ca. 136.000 Aufrufen und ca. 900 Kommentierungen einen hohen Verbreitungsgrad. Zahlreiche Kommentierungen beinhalten extremistische Äußerungen bis hin zur Befürwortung von Gewalt. Ulrich Henkel gehört daneben zu den Unterstützern des Vereins „Volksbegehren e.V“, der im Hinblick auf eine extremistische Beeinflussung durch Aktivisten vom BayLfV beobachtet wird, und nahm an dessen erstem Aktivistentreffen am 26.08.2018 im Raum München teil. 2.2 Ralf-Dieter Stadler Im Facebook-Profil des Herrn Ralf-Dieter Stadler waren Freundschaftsverbindungen zu dem BayLfV bekannten Rechtsextremisten sichtbar. Weitere „Likes“ wiesen auf Bezüge zur vom BayLfV unter Beobachtung stehenden sog. Identitären Bewegung hin. Am 07.08.2018 lobte Ralf-Dieter Stadler Aktivitäten von Michael Stürzenberger, der weiterhin die zentrale Figur der verfassungsschutzrelevanten islamfeindlichen Szene in Bayern ist. In einem weiteren Post veröffentlichte Herr Ralf-Dieter Stadler eine Sympathiebekundung für die wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe verurteilte Ursula Haverbeck. 2.3 Andreas Winhart In zwei im Internet verbreiteten Videomitschnitten, die auch Gegenstand medialer Berichterstattung waren, äußerte sich Herr Andreas Winhart abfällig zu Pflegekräften aus dem Kosovo und Albanien und stellte die Behauptung auf, er habe vom Gesundheitsamt Rosenheim nachrecherchieren las- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www . bayern . landtag . de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www . bayern . landtag . de – Aktuelles / Sitzungen / Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.12.2018 Drucksache 17/24270 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/24270 sen, dass es durch Flüchtlinge zu weitaus mehr HIV-, Krätzeund TBC-Fällen im Landkreis gekommen sei. Die Wortwahl ist in ihrer Gesamtschau aufgrund der Übertragung exponiert negativer Merkmale ausschließlich auf diesen Personenkreis im Sinne der gesetzlichen Aufgabenerfüllung des BayLfV als extremistisch zu werten und motiviert zum Hass. 3. Insbesondere über welche Verbindungen in welche verfassungsfeindlichen Netzwerke (z. B. rechtsextremistische Szene, Reichsbürger etc.) verfügen diese Personen? 4. Welche Erkenntnisse und Einschätzungen hat das BayLfV zu diesen Personen gewonnen? Die Beobachtung der angefragten Personen erfolgte aus offen zugänglichen Informationsquellen. Vereinzelt wurden aus der Beobachtung rechtsextremistischer Organisationen durch das BayLfV Erkenntnisse gewonnen, die auf Verbindungen und Unterstützungshandlungen durch eine oder mehrere der oben genannten Personen schließen lassen. Die Staatsregierung ist jedoch nach sorgfältiger Abwägung des verfassungsrechtlich verbürgten Frage- und Informationsrechts der Abgeordneten und dem öffentlichen Interesse an der Geheimhaltung von Informationen, die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter betreffen , zu der Auffassung gelangt, dass bei den Fragen 3 und 4 die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen überwiegen und eine offene Beantwortung nicht möglich ist. Mit der Beantwortung der Fragen 3 und 4 würden Informationen preisgegeben, die das Wohl des Freistaates Bayern gefährden , da sie die Wirksamkeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit beeinträchtigen könnten. Eine Beantwortung der vorgenannten Fragen birgt die Gefahr, dass Einzelheiten zur konkreten Methodik, zu Vorgehensweisen und zu in hohem Maße schutzwürdigen Fähigkeiten des BayLfV bekannt würden, was dem BayLfV die Erfüllung seiner gesetzlich festgelegten Aufgaben wesentlich erschweren oder unmöglich machen könnte. Soweit die Gewinnung von Informationen des BayLfV entfällt oder wesentlich zurückgeht, also empfindliche Informationslücken entstehen, ist auch die Sicherheit des Freistaates Bayern bzw. der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Das BayLfV beobachtet die teils kleinteilige rechtsextremistische Szene in Bayern auch unter Nutzung nachrichtendienstlicher Mittel wie V-Leuten. Dies sind geheime, der jeweiligen Sicherheitsbehörde nicht angehörende Informanten, die gegen Geld auf längere Zeit mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten und zu einem Beobachtungsobjekt, dem sie angehören, verdeckt berichten. Der Einsatz von V-Leuten zur verdeckten Informationsgewinnung ist im Gesetz ausdrücklich vorgesehen. Der Einsatz von V-Leuten zählt zu den effektivsten nachrichtendienstlichen Mitteln für eine kontinuierliche Informationsgewinnung und ist für die Sicherheitsbehörden unverzichtbar. Den Betroffenen wird hierbei, um sie nicht zu gefährden und ihnen auch weiterhin ihre Informationstätigkeit im Interesse des Verfassungsschutzes zu ermöglichen, strikte Vertraulichkeit zugesichert. Die Geheimhaltung von Informationen über den Einsatz von V-Leuten dient neben dem Schutz der V-Leute selbst auch dem Schutz der Arbeitsfähigkeit des Verfassungsschutzes. Die Kriterien für den Einsatz von V-Leuten sind in der extremistischen Szene bekannt und ermöglichen bei als kritisch eingeschätzten Personen ein Abprüfen von Eignungskriterien . Jede weitere Information macht eine Individualisierung leichter und eine Aufdeckung der Quelle wahrscheinlicher . Bei Beantwortung der Fragen 3 und 4 würden solche zusätzlichen Informationen bekannt, die konkrete Rückschlüsse auf eine einzelne Vertrauensperson zuließen. Die quellengeschützten Erkenntnisse sind einem derart kleinen Personenkreis zugänglich, dass eine Preisgabe dieser Informationen einem Offenlegen der Quelle gleichkommen würde. Neben einer möglichen Gefährdung der Quelle hätte dies zur Folge, dass diese umgehend abgeschaltet werden müsste und das BayLfV künftig von wichtigen Informationen, die zur Aufhellung der Szene beitragen, abgeschnitten wäre. Aufgrund dieser besonders geheimhaltungsbedürftigen Konstellation ist weder eine Offenlegung der Gruppierungen bzw. Organisationen noch eine Zuordnung, welcher Abgeordnete über entsprechende Verbindungen verfügt, möglich. Hinzu kommt, dass die Preisgabe von Informationen, die eine Identifizierung einer Quelle ermöglichen, zu einer massiven Verunsicherung bei allen derzeit geführten V-Leuten führen würde. Auch diese würden sich die Frage stellen, ob und ggf. unter welchen Umständen sie betreffende Tatsachen offenbart werden könnten, und würden die Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden nochmals überdenken. Zum anderen würde auch die Anwerbung neuer V-Leute erheblich erschwert, da die Zusage strikter Vertraulichkeit die Basis der Zusammenarbeit darstellt. Vor dem Hintergrund, dass die Zahl der für die Übermittlung von Informationen an den Verfassungsschutz geeigneten Personen innerhalb der rechtsextremistischen Szene begrenzt ist, hätte dies erhebliche negative Auswirkungen auf die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung, zumal kein Ersatz durch andere Instrumente der nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung möglich ist. Nach Abwägung aller Gesamtumstände, auch unter Berücksichtigung des hohen Informationsbedürfnisses des Parlaments, können diese als Verschlusssache (VS) mit dem Geheimhaltungsgrad „VS – Vertraulich Quellenschutz“ erfragten Informationen daher nicht in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil beantwortet werden. Die Antworten zu den Fragen 3 und 4 werden deshalb gem. § 48 Verschlusssachenanweisung (VSA) der VS-Registratur des Landtagsamts mit der Bitte um VSA-konformen Umgang übermittelt. 5. Wird die Beobachtung nach Aufnahme der Mandatstätigkeit fortgesetzt? Ob und inwieweit die Beobachtung der genannten Abgeordneten der AfD weiterhin erfolgt, wird im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der sog. Ramelow- Entscheidung definierten erhöhten Schwelle zur Beobachtung von Mandatsträgern geprüft.