Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 10.06.2014 Fixierungen durch Justiz und Polizei In der Justizvollzugsanstalt Landshut verstarb Ende Mai ein 28-jähriger Asylbewerber, der wegen Geiselnahme in U-Haft einsaß. Nach Berichten habe er in seiner Zelle randaliert. Justizvollzugsbeamte seien eingeschritten und hätten ihn am Boden fixiert. Als Folge der Gewaltanwendung habe er einen Atem- bzw. Herzstillstand erlitten. Trotz Reanimation sei er am selben Tag gestorben. In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. Wie viele Häftlinge in bayerischen Justizvollzugsan- stalten verstarben nach Fixierungen bzw. vergleichbaren Maßnahmen zur Ruhigstellung durch Justizvollzugsbeamte in den letzten 10 Jahren (Auflistung nach Datum, Justizvollzugsanstalt, Grund der Fixierung, Todesursache)? 1.1 Wie viele Häftlinge in bayerischen Justizvollzugsanstalten mussten nach Fixierungen bzw. vergleichbaren Maßnahmen durch Justizvollzugsbeamte in den letzten 10 Jahren über längere Zeit medizinisch behandelt werden (Auflistung nach Datum, Justizvollzugsanstalt, Grund der Fixierung, Grund und Dauer der Behandlung )? 1.2 Wie viele Personen verstarben nach Fixierungen bzw. vergleichbaren Maßnahmen durch Polizeibeamte im Rahmen von Polizeieinsätzen in den letzten 10 Jahren (Auflistung nach Datum, Anlass des Einsatzes, Grund der Fixierung, Todesursache)? 2. In welchen Todesfällen nach Fixierungen wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen beteiligte Justiz- oder Polizeibeamte eingeleitet? 2.1 Kam es dabei zu Verurteilungen (Angabe des Falls, des Strafmaßes und der Begründung der Verurteilung )? 2.2 Wurden in den letzten 10 Jahren Justiz- oder Polizeibeamte wegen Fixierungen verurteilt? 2.3 Werden Todesfälle nach Fixierungen grundsätzlich der Öffentlichkeit bekannt gemacht? 3. Nach welchen Bestimmungen (Voraussetzungen, Durchführung, ärztliche Folgebetreuung) werden Fixierungen geregelt? 3.1 Wie im Einzelnen erfolgt die Fixierung? 3.2 Gibt es bei den Regelungen zur Fixierung zwischen Polizei und Justiz Unterschiede? 3.3 Wenn ja, welche? 4. Gibt es bei den Regelungen und Fixierungsmethoden bei Justiz und/oder Polizei Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern? 4.1 Wenn ja, welche (Auflistung nach Bundesländern inklusive der zu Bayern abweichenden Regelungen und Methoden)? 4.2 Welche Erfahrungen haben diese Bundesländer mit ihren Regelungen und Methoden gemacht? 5. Wurden in Bayern die Regelungen und/oder die Fixie- rungsmethoden in den letzten 10 Jahren neu gefasst? 5.1 Wenn ja, wann und was wurde neu geregelt? 6. Wie werden die zuständigen Beamten bei Justiz und Polizei geschult? 6.1 Müssen sie die Schulungen in bestimmten Abständen wiederholen? 7. Wurde in den letzten Jahren Kritik an den Fixierungs- methoden der Justiz und/oder der Polizei geäußert? 7.1 Wenn ja, was waren die Argumente und welche Alter- nativen wurden vorgeschlagen? 7.2 Mit welcher Begründung lehnt die Staatsregierung sie ab? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 28.07.2014 Am 24. Mai 2014, kurz nach Mitternacht, randalierte ein Untersuchungsgefangener in der Justizvollzugsanstalt Landshut in seinem Haftraum, wobei neben weiten Teilen des Haftraummobiliars auch das Haftraumfenster zu Bruch ging. Bereits beim Eintreffen der Beamten vor Ort hatte sich der Gefangene zudem mit den Glasscherben des Fensters diverse Schnittverletzungen zugefügt. Versuche der Beamten , die Situation zu deeskalieren und den Gefangenen zur Herausgabe der Glasscherben zu bewegen, schlugen fehl. Im Gegenteil: Trotz der Beschwichtigungsversuche begann der Inhaftierte, mit der Glasscherbe auf seinen Arm einzustechen. Die Bediensteten (u. a. ein Krankenpfleger) entschieden daher, den Haftraum zu öffnen, um den Gefangenen zu seinem Schutz einer medizinischen Behandlung zuzuführen. Bei Betreten des Haftraums griff der Gefangene die Beamten sofort mit einer Glasscherbe bewaffnet an. Drei Bedienstete wurden bei dem Zugriff zum Teil nicht unerheblich verletzt. Auch nachdem der Gefangene überwältigt Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.09.2014 17/2839 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2839 und bereits an Händen und Füßen gefesselt worden war, beruhigte er sich nicht, sodass eine Behandlung seiner Verletzungen durch den herbeigerufenen Notarzt nicht möglich gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund begannen die Beamten , den weiter tobenden Gefangenen mittels einer speziell hierfür vorgehaltenen Fixiereinrichtung auf eine Krankentrage zu fixieren. Während der Fixierung bemerkte der Krankenpfleger, dass sich die Haut des Inhaftierten plötzlich blau verfärbte. Zudem war kein Puls mehr tastbar. Der Krankenpfleger begann sofort, den Gefangenen zu reanimieren, was durch den eintreffenden Notarzt fortgeführt wurde. Trotz zunächst erfolgreicher Reanimation verstarb der Gefangene jedoch noch am Vormittag des gleichen Tages im Krankenhaus in Landshut. Dies vorangestellt, wird die Schriftliche Anfrage im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Häftlinge in bayerischen Justizvollzugsanstalten verstarben nach Fixierungen bzw. vergleichbaren Maßnahmen zur Ruhigstellung durch Justizvollzugsbeamte in den letzten 10 Jahren (Auflistung nach Datum, Justizvollzugsanstalt, Grund der Fixierung, Todesursache)? Neben dem bereits genannten Untersuchungsgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Landshut verstarb in den letzten 10 Jahren ein Gefangener der Justizvollzugsanstalt Weiden im Zusammenhang mit einer Maßnahme zur Ruhigstellung. Der Gefangene der Justizvollzugsanstalt Weiden erlitt am 5. Dezember 2011 auf dem Transport in die psychiatrische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Straubing einen Atemstillstand , nachdem er zuvor trotz Fesselung an Händen und Füßen im PKW randaliert hatte und zu seinem eigenen und zum Schutz der ihn begleitenden Bediensteten ruhiggestellt werden musste. Trotz zunächst erfolgreicher Reanimation durch die Vollzugsbediensteten und den herbeigerufenen Notarzt verstarb der Gefangene am 8. Dezember 2011 im Krankenhaus. Als Todesursache wurde im Sektionsprotokoll vom 12. Dezember 2011 ein Multiorganversagen festgestellt. Die Durchführung feingeweblicher sowie chemisch-toxikologischer Untersuchungen durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg vom 8. Juni 2012 bestätigten den Befund der Obduzenten auf Multiorganversagen, ohne dass sich ein morphologisches Korrelat für den reanimationspflichtigen Zustand, der letztlich zum Tod des Betroffenen geführt hatte, nachweisen ließ. Weiter führte das Gutachten aus, dass im vorliegenden Fall in der Gesamtschau der Befunde und in Kenntnis der Ergebnisse der chemisch -toxikologischen Untersuchung, insbesondere auch unter Kenntnis der Vorgeschichte, letztlich an eine funktionelle Störung vor allem des Herzens, die weder anhand makroskopischer Obduktionsbefunde noch feingeweblicher Zusatzuntersuchung belegt werden könnten, gedacht werden müsse. Es könne zwar z. B. auch ein zerebraler Krampfanfall diskutiert werden; wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen der emotionalen Erregung im Rahmen des „Randalierens“ und dem Eintreten des Kreislaufzusammenbruchs sei aber eine akut einsetzende Herzrhythmusstörung infolge einer Katecholaminausschüttung sicherlich viel naheliegender. 1.1 Wie viele Häftlinge in bayerischen Justizvollzugsanstalten mussten nach Fixierungen bzw. vergleichbaren Maßnahmen durch Justizvollzugsbeamte in den letzten 10 Jahren über längere Zeit medizinisch behandelt werden (Auflistung nach Datum, Justizvollzugsanstalt, Grund der Fixierung , Grund und Dauer der Behandlung)? Eine längere medizinische Behandlung war in keinem Fall notwendig. 1.2 Wie viele Personen verstarben nach Fixierungen bzw. vergleichbaren Maßnahmen durch Polizeibeamte im Rahmen von Polizeieinsätzen in den letzten 10 Jahren (Auflistung nach Datum, Anlass des Einsatzes, Grund der Fixierung, Todesursache)? Unter Berücksichtigung der Intention der Anfrage konnten die nachfolgenden Sachverhalte recherchiert werden: Fall 1. 08.06.2005; Ingewahrsamnahme einer randalierenden Person ; Fesselung zur Eigensicherung der Polizeibeamten und zum Schutz Dritter; die durchgeführte Obduktion ergab als vermutliche Todesursache eine Heroin-Cocain-Intoxikation. Fall 2. 29.08.2006; Unterbringung einer randalierenden Person im Bezirkskrankenhaus; Fesselung zur Eigensicherung der Polizeibeamten ; die Todesursache konnte mit der durchgeführten Obduktion nicht geklärt werden. Fall 3. 14.11.2006; Unterbringung einer psychisch auffälligen Person nach deren Flucht aus einem Krankenhaus; Fesselung zur Eigensicherung der Polizeibeamten; die durchgeführte Obduktion ergab als Todesursache lagebedingten Erstickungstod . Fall 4. 03.07.2009; Ingewahrsamnahme einer randalierenden Person ; Fesselung zur Eigensicherung der Polizeibeamten; die durchgeführte Obduktion ergab als vermutliche Todesursache hypoxischen Hirnschaden. Fall 5. 01.11.2012; Unterbringung einer randalierenden und psychisch auffälligen Person im Bezirkskrankenhaus; Fesselung zur Eigensicherung der Polizeibeamten und zum Schutz Dritter; die durchgeführte Obduktion ergab als vermutliche Todesursache Methamphetamin-Intoxikation. Fall 6. 17.03.2014; Festnahme einer Person nach tätlichem Angriff auf die Polizeibeamten im Rahmen einer Verkehrsunfallaufnahme ; Fesselung zur Eigensicherung der Polizeibeamten; die Todesursache konnte in der Obduktion nicht eindeutig geklärt werden. 2. In welchen Todesfällen nach Fixierungen wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen beteiligte Justiz- oder Polizeibeamte eingeleitet? Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren die Justizvollzugsanstalt Weiden betreffend wurde eingestellt, da Drucksache 17/2839 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 ein Fremdverschulden nicht feststellbar war. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren im Fall des Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Landshut ist noch nicht abgeschlossen . Für den Bereich der Polizei gilt Folgendes: Zu Fall 1. Es wurden keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen die beteiligten Polizeibeamten eingeleitet. Zu Fall 2. Es wurden keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen die beteiligten Polizeibeamten eingeleitet. Zu Fall 3. Gegen die beteiligten Polizeibeamten wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeleitet. Zu Fall 4. Gegen die beteiligten Polizeibeamten wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeleitet. Zu Fall 5. Gegen die beteiligten Polizeibeamten wurden keine staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eingeleitet. Zu Fall 6. Gegen die beteiligten Polizeibeamten wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungen eingeleitet, welche noch nicht abgeschlossen sind. 2.1 Kam es dabei zu Verurteilungen (Angabe des Falls, des Strafmaßes und der Begründung der Verurteilung )? Nein. 2.2 Wurden in den letzten 10 Jahren Justiz- oder Polizeibeamte wegen Fixierungen verurteilt? Im Bereich des Justizvollzugs kam es zu keinen Verurteilungen wegen Fixierungen. Eine nach dieser Frage auswertbare Aufstellung der Verurteilungen von Polizeibeamten in Fällen von Körperverletzung im Amt liegt nicht vor. 2.3 Werden Todesfälle nach Fixierungen grundsätzlich der Öffentlichkeit bekannt gemacht? Über den Tod eines Gefangenen wird stets der oder die Vorsitzende und der Vertreter oder die Vertreterin des Anstaltsbeirates , die aus der Mitte des Bayerischen Landtags gewählt werden, unterrichtet (vgl. Nr. 2 Abs. 2 VV zu Art. 187 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes – BayStVollzG). Bei strafrechtlichen Ermittlungen gegen Polizeibeamte wird die Öffentlichkeit in Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft grundsätzlich informiert. 3. Nach welchen Bestimmungen (Voraussetzungen, Durchführung, ärztliche Folgebetreuung) werden Fixierungen geregelt? Für den Bereich des Justizvollzugs gilt Folgendes: Die Anwendung von unmittelbarem Zwang durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalten ist in den Art. 101 ff. BayStVollzG , den hierzu erlassenen Verwaltungsvorschriften, in Art. 42 BayUVollzG und in Art. 77 BaySvVollzG geregelt. Gem. Art. 96 Abs. 1 BayStVollzG, Art. 42 BayUVollzG bzw. Art. 74 BaySvVollzG können gegen Gefangene und Sicherungsverwahrte besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder aufgrund ihres seelischen Zustands in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmords oder der Selbstverletzung besteht. Die Fesselung von Gefangenen bzw. Sicherungsverwahrten ist nach Art. 96 Abs. 2 Nr. 6 BayStVollzG bzw. Art. 74 Abs. 2 Nr. 6 BaySvVollzG als besondere Sicherungsmaßnahme zulässig. Die Art und Weise der Fesselung von Gefangenen und Sicherungsverwahrten ist ergänzend in Art. 98 BayStVollzG bzw. Art. 74 Abs. 5 BaySvVollzG geregelt. Danach sind Gefangene bzw. Sicherungsverwahrte in der Regel nur an den Händen oder an den Füßen zu fesseln (Art. 98 Satz 1 BayStVollzG, Art. 74 Abs. 5 Satz 1 BaySvVollzG). Im Interesse des Gefangenen und des Sicherungsverwahrten kann jedoch im Einzelfall auch eine andere Art der Fesselung angeordnet werden (Art. 98 Satz 2 BayStVollzG, Art. 74 Abs. 5 Satz 2 BaySvVollzG), wovon insbesondere die Fixierung mit Gurten umfasst ist. Diese kommt nur als äußerstes Mittel zum Einsatz, um eine akute Lebensgefahr oder einen schwerwiegenden Gesundheitsschaden für den betroffenen Gefangenen bzw. den Sicherungsverwahrten selbst oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen abzuwenden. Vor allem ist sie dann zulässig, wenn diese Art der Fesselung geeignet und geboten ist, den Gefangenen bzw. den Sicherungsverwahrten vor erheblichen Selbstverletzungen zu bewahren, die mit einer Fesselung nach Art. 98 Satz 1 BayStVollzG bzw. Art. 74 Abs. 5 Satz 1 BaySvVollzG nicht verhindert werden könnten . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist stets zu wahren (Art. 96 Abs. 5 BayStVollzG, Art. 75 Abs. 3 BaySvVollzG). Zudem ist die Fesselung zeitweise zu lockern bzw. kann gelockert werden, soweit dies notwendig ist (Art. 98 Satz 3 BayStVollzG, Art. 74 Abs. 5 Satz 3 BaySvVollzG). Ist ein Gefangener bzw. Sicherungsverwahrter innerhalb der Justizvollzugsanstalt – regelmäßig allenfalls im besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände – gefesselt, ist er ärztlich zu überwachen. Der Anstaltsarzt hat den gefesselten Gefangenen bzw. den Sicherungsverwahrten nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG, Art. 76 Abs. 1 BaySvVollzG alsbald und in der Folge möglichst täglich aufzusuchen. Für den Bereich der Polizei gilt Folgendes: Unabhängig von der Rechtsgrundlage der Primärmaßnahme richtet sich die etwaig notwendige Anwendung des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Maßnahme nach den Bestimmungen der Art. 60 ff. PAG. Bei jedem Einschreiten ist von den Beamten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (Art. 4 PAG). Die körperliche Gewalt (Art. 61 Abs. 2 PAG) ist die einfachste Form der Zwangsanwendung . Hierbei handelt es sich um diejenige Zwangsanwendung , die der Polizeibeamte ohne Zuhilfenahme irgendwelcher Gegenstände mit seinen Händen, Beinen oder seinem Gesamtkörper ausüben kann. Fesseln sind Hilfsmittel der körperlichen Gewalt (Art. 61 Abs. 3 PAG). Die Fesselung ist eine besondere Form der Anwendung unmittelbaren Zwangs. Die Befugnis zur Fesselung von Personen ergibt sich aus Art. 65 PAG, unabhängig davon, ob die Person nach den Vorschriften des PAG, der StPO oder sonstigen Gesetzen (z. B. Unterbringungsgesetz) festgehalten wird. Für eine Fesselung, die zur Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft nach §§ 112 ff. StPO oder der einstweiligen Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2839 Unterbringung nach § 126 a StPO erforderlich ist, ist allerdings die vorrangige Anordnungsbefugnis nach § 119 Abs. 1 StPO, ggf. i. V. m. § 126 a Abs. 2 Satz 1 StPO, zu beachten. Wird eine Person bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei verletzt, so ist ihr, soweit es nötig ist und es die Lage zulässt, Beistand zu leisten und ärztliche Hilfe zu verschaffen (Art. 63 PAG). 3.1 Wie im Einzelnen erfolgt die Fixierung? Für den Bereich des Justizvollzugs gilt Folgendes: Die Fixierung erfolgt mittels medizinischer Patienten-Fixiersysteme , wie sie etwa auch in psychiatrischen Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommen. Es wird stets darauf geachtet, dass die Fixierung fachgerecht, human und schmerzfrei stattfindet. Vor dem Anlegen der Fixierung werden alle gefährlichen Utensilien von dem Gefangenen entfernt. Während der Fixierung wird darauf geachtet , dass kein gefährlicher Gegenstand (z. B. ein Messer oder ein Feuerzeug) in Reichweite des Fixierten gelangt. Zusätzlich wird in den bayerischen Justizvollzugsanstalten die ständige unmittelbare Beaufsichtigung des Fixierten durch eine sog. Sitzwache sichergestellt. Diese hält sich in unmittelbarer Nähe des Fixierten auf, damit außergewöhnliche Geräusche oder ein auffälliges Verhalten sofort wahrgenommen werden können. Auf ein Verrutschen oder versehentliches Lösen der Gurte wird im Hinblick auf eine potenzielle Strangulation ein besonderes Augenmerk gerichtet . Auf Lebenszeichen des Fixierten wird stets geachtet. Gegebenenfalls wird zur verbesserten Überwachung ein geeignetes Gerät zur Sauerstoff- und Pulsmessung an einem Zeh des Gefangenen befestigt, das bei einem möglichen Atem- oder Kreislaufstillstand Alarm gibt. Zudem wird den Grundbedürfnissen des fixierten Gefangenen Sorge getragen sowie die umgehende und laufende ärztliche Betreuung sichergestellt. Zur praktischen Durchführung der Sitzwache in den Justizvollzugsanstalten wurde unlängst ein „Hinweisblatt für Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes für die Durchführung von Sitzwachen bei fixierten Gefangenen und Sicherungsverwahrten“ entwickelt und den Anstalten zur Verfügung gestellt. Die Fesselung eines Gefangenen erfolgt grundsätzlich in aufrechter Lage. Soweit im Rahmen eines Zugriffs eine Fesselung in Bauch- oder Rückenlage stattfindet, erfolgt dies nur kurzfristig und es wird stets darauf geachtet, den Gefangenen so schnell wie möglich in eine aufrechte Position oder eine die Atmung erleichternde Position zu bringen. Für den Bereich der Polizei gilt Folgendes: Die Festhaltung einer Person im Rahmen polizeilichen Einschreitens erfolgt zunächst durch die Ausübung einfacher körperlicher Gewalt (Festhalten, Festlegen bzw. Fixieren der Arme, z. B. auf dem Rücken mit Haltegriffen). Ziel einer Fesselung ist es, einer festgehaltenen Person die Bewegungsfreiheit durch Festbinden einzelner Glieder oder des gesamten Körpers einzuschränken. Eine Fesselung zur Verhinderung der Flucht kann sich von einer Fesselung zur Unterbindung von Angriffen gegen Dritte oder Selbstverletzungen nach Beachtung der Verhältnismäßigkeit unterscheiden. In der überwiegenden Anzahl der Fälle in der polizeilichen Praxis werden dabei die Hände des polizeilichen Gegenübers (auf dem Rücken) aneinander geschlossen. Im Einzelfall (z. B. bei besonders gefährlichen oder aggressiven Personen) ist jedoch auch ein Festbinden der Beine oder sogar des gesamten Körpers zulässig. Die Vollzugsbekanntmachung zu Art. 65 PAG führt unter Nr. 65.3 aus, dass mit den zugewiesenen Schließketten oder Schließzangen gefesselt werden soll. Wenn diese nicht zur Verfügung stehen, können auch sonstige geeignete Fesselungsmittel von den Beamten benutzt werden. 3.2 Gibt es bei den Regelungen zur Fixierung zwischen Polizei und Justiz Unterschiede? 3.3 Wenn ja, welche? Die Unterschiede ergeben sich aus den einschlägigen Vorschriften (vgl. Antwort zu Frage 3). 4. Gibt es bei den Regelungen und Fixierungsmethoden bei Justiz und/oder Polizei Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern? 4.1 Wenn ja, welche (Auflistung nach Bundesländern inklusive der zu Bayern abweichenden Regelungen und Methoden)? 4.2 Welche Erfahrungen haben diese Bundesländer mit ihren Regelungen und Methoden gemacht? Wesentliche Unterschiede zwischen den Bundesländern sind hier nicht bekannt. 5. Wurden in Bayern die Regelungen und/oder die Fixierungsmethoden in den letzten 10 Jahren neu gefasst? 5.1 Wenn ja, wann und was wurde neu geregelt? Die einschlägigen Regelungen wurden im Bereich des Justizvollzugs in den letzten 10 Jahren grundsätzlich nicht geändert . Es wurde jedoch das bereits genannte „Hinweisblatt für Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes für die Durchführung von Sitzwachen bei fixierten Gefangenen und Sicherungsverwahrten“ entwickelt und den Justizvollzugsanstalten zur Verfügung gestellt. Im Bereich der Polizei wurde erstmals im Zusammenhang mit dem Tod eines sudanesischen Staatsangehörigen anlässlich seiner Abschiebung am 28.05.1999 das Phänomen des „Lagebedingten Erstickungstodes“ (sog. Positional Asphyxia) bekannt. Unmittelbar nach Kenntnisnahme der Erstinformation wurden die nachgeordneten Dienststellen am 18.06.1999 vom Sachverhalt in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig Hinweise zum polizeilichen Einsatzverhalten zur Verhinderung von Fällen des „Lagebedingten Erstickungstodes “ bei Festnahmen gegeben. Diese Hinweise wurden mit Schreiben des StMI vom 08.07.1999 und 12.11.1999 präzisiert. Noch im Jahr 1999 wurde in einer gemeinsamen Projektgruppe der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg die Thematik mit ärztlicher Beratung aufbereitet, eine Lehrunterlage und ein Lehrfilm erstellt und den nachgeordneten Dienststellen als Grundlage für die verpflichtende Aus- und Fortbildung zur Verfügung gestellt. In den Jahren 2007 und 2008 wurden diese Unterlagen überprüft und unter Einbeziehung des Ärztlichen Dienstes der Bayerischen Polizei auf den aktuellen medizinischen Stand gebracht. In den Jahren 2012 und 2013 wurde die Fortbildung im Polizeilichen Einsatzverhalten den modernen Inhalten der Ausbildung im Rahmen des sog. „epSVE neu“ (einsatzbezogene polizeiliche Selbstverteidigung und Eigensicherung) bayernweit einheitlich angeglichen. Drucksache 17/2839 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 6. Wie werden die zuständigen Beamten bei Justiz und Polizei geschult? 6.1 Müssen sie die Schulungen in bestimmten Abständen wiederholen? Bayernweit stellt sich die Aus- und Fortbildung der Justizvollzugsbediensteten zu der Thematik wie folgt dar: Im Rahmen der insgesamt 20-monatigen Ausbildung erhalten die Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes sowie des Werkdienstes an der Bayerischen Justizvollzugsschule in Straubing eine praktische Ausbildung in waffenloser Selbstverteidigung. Neben Techniken zur Verteidigung gegen Angriffe wird in diesem Zusammenhang auch auf die Ausübung unmittelbaren Zwangs gegen einen Gefangenen, dessen Grenzen sowie die Gefahr eines lagebedingten Erstickungstods explizit eingegangen. Der lagebedingte Erstickungstod (Positionelle Asphyxie) wird zudem in den Unterlagen zu dieser Unterrichtseinheit in einem gesonderten Kapitel thematisiert. Ergänzend zur Ausbildung behandeln die Justizvollzugsanstalten das Thema „Waffenlose Selbstverteidigung“ und in diesem Zusammenhang auch den unmittelbaren Zwang einschließlich des lagebedingten Erstickungstods sowie die Fixierung von Gefangenen mittels medizinischer PatientenFixiersystemen immer wieder im Rahmen der anstaltsinternen Fortbildung. Besonders intensiv setzen sich die Sicherungsgruppen, die regelmäßig in den größeren Justizvollzugsanstalten bestehen, mit der Thematik auseinander. Sowohl in der Grundausbildung für Neumitglieder der Sicherungsgruppen als auch in den vierteljährigen Stützpunkttrainings für Sicherungsgruppen wird der Zugriff auf einen Gefangenen auf beengtem Raum (Haftraum), der unmittelbare Zwang einschließlich dessen rechtlichen Grenzen sowie die Gefahr eines lagebedingten Erstickungstods immer wieder trainiert und thematisiert. Für den Bereich der Polizei gilt Folgendes: Durch die Vermittlung fachlicher Kenntnisse, praktischer Fertigkeiten sowie die Förderung und Steigerung persönlicher und sozialer Kompetenzen werden die angehenden Polizeivollzugsbeamten im Rahmen der Ausbildung für ihre Tätigkeit qualifiziert. Hierbei hat das Polizeiliche Einsatztraining eine besondere Gewichtung. Die zentrale und dezentrale Fortbildung der Beamten baut auf den Inhalten der Ausbildung auf und ergänzt diese. Unter der Berücksichtigung, dass die Anwendung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen erforderlich sein kann, wird sowohl in der Aus- als auch in der Fortbildung stets das Ziel vermittelt, Konflikte möglichst gewaltfrei zu handhaben. Im unausweichlichen Fall sind aber polizeiliche Zwangsmaßnahmen nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit sicher und konsequent durchzuführen. Das Polizeiliche Einsatztraining umfasst das gesamte Spektrum des polizeilichen Einschreitens und gewährt somit eine professionelle und bürgerorientierte Aufgabenerfüllung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Belange der polizeilichen Eigensicherung. Bei der multiplikatorenbasierten Unterrichtung von Zugriffs - und Festnahmetechniken im Rahmen des Polizeilichen Einsatzverhaltens (PE) werden den Polizeivollzugsbeamten zur Thematik „Lagebedingter Erstickungstod“ auch deren medizinische Indikationen und die einschlägigen Maßnahmen der Ersten Hilfe vermittelt. Das Kommunikationstraining hilft, Emotionen bei Bürgern und bei den einschreitenden Beamten zurückzufahren. Gleichzeitig erlangen die Beamten damit aktiv Informationen über den Gesundheits - bzw. Erregungszustand des von der Maßnahme Betroffenen. Konkret werden feste Kommunikationspunkte im Training durch hohe Wiederholungszahlen verinnerlicht, sodass eine etwaige körperliche Auseinandersetzung gezielt wieder auf eine sprachliche Ebene zurückgeführt wird. Sowohl das Setzen von Kommunikationspunkten als auch das Thema „Lagebedingter Erstickungstod“ sind deshalb in den Aus- und Fortbildungslehrgängen für die epSVE-Trainer mit entsprechenden Unterrichtseinheiten hinterlegt. Damit ist gewährleistet, dass alle Polizeivollzugsbeamten gezielt für diese Thematik sensibilisiert werden. Das Training im Polizeilichen Einsatzverhalten (PE) muss von allen im Wach- und Streifendienst eingesetzten bayer. Polizeivollzugsbeamten mehrmals jährlich wiederholt werden . 7. Wurde in den letzten Jahren Kritik an den Fixierungsmethoden der Justiz und/oder der Polizei geäußert ? 7.1 Wenn ja, was waren die Argumente und welche Alternativen wurden vorgeschlagen? 7.2 Mit welcher Begründung lehnt die Staatsregierung sie ab? Eine systemrelevante Kritik aus Fachkreisen ist hier nicht bekannt.