Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer FREIE WÄHLER vom 18.06.2014 Suizidversuche Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie viele Suizidversuche und wie viele tatsächlich abge­ schlossene Suizide wurden in den verschiedenen Abtei­ lungen der Psychiatrie einschließlich der Forensik in al­ len Bezirkskrankenhäusern und anderen psychiatrischen Fachkliniken in den letzten 5 Jahren in Bayern durchge­ führt, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Bezirken? 2. Welche Methoden/Techniken/Medikamente o. ä. wurden angewandt? 3. Was waren die genauen Todesursachen bei den abge­ schlossenen Suiziden und wie lauteten die Diagnosen bei den Einlieferungen in die stationäre Behandlung, jeweils aufgeschlüsselt nach Altersgruppen? 4. Wurde seitens der psychiatrischen Fachabteilungen, ein­ schließlich der Forensik, dokumentiert, ob auffällige Ver­ haltensveränderungen oder andere außergewöhnliche Besonderheiten vor einem Suizidversuch bzw. Suizid bei den einzelnen Patienten bemerkt wurden, wie wurde dies dokumentiert und welche Behandlungsmaßnahmen bzw. Hilfestellungen wurden angeboten oder erbracht ? 5. Waren aufgrund der Suizidversuche Notarzteinsätze und/ oder Intensivbehandlungen erforderlich, in welcher An­ zahl und wie lange dauerten durchschnittlich diese Inten­ sivbehandlungen? 6. Gibt es Konzepte der Staatsregierung, um Suizidver­ suche bzw. Suizide zu verhindern, im Sinne eines Prä­ ventionsmodels, wird das zuständige Personal entspre­ chend geschult bzw. fortgebildet und ist es aufgrund der relativ hohen Anzahl der Suizidvorfälle notwendig, das Personal aufzustocken? Antwort des Staatsministerin für Gesundheit und Pflege vom 06.08.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Bay­ erischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Suizidversuche und wie viele tatsächlich abgeschlossene Suizide wurden in den verschiedenen Abteilungen der Psychiatrie einschließlich der Forensik in allen Bezirkskrankenhäusern und anderen psychiatrischen Fachkliniken in den letzten 5 Jahren in Bayern durchgeführt, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Bezirken? Die Zahl der Suizide und Suizidversuche, die von Patienten der Bezirkskrankenhäuser bzw. der Abteilungen für Psy­ chiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern durchgeführt werden, ist der Staatsregierung nicht bekannt, da diese Daten nicht zentral erfasst werden. In den bayerischen Maßregelvollzugseinrichtungen ha­ ben sich in den Jahren 2009 bis 2013 16 untergebrachte Personen suizidiert. Verteilung nach Regierungsbezirken: Oberbayern 3, Niederbayern 5, Oberpfalz 1, Oberfranken 4, Mittelfranken 1, Unterfranken 1, Schwaben 1. Die Zahl der Suizidversuche in den bayerischen Maßregelvollzugsein­ richtungen ist der Staatsregierung nicht bekannt. 2. Welche Methoden/Techniken/Medikamente o. Ä. wurden angewandt? Als Methoden/Techniken wurden in den bayerischen Maß­ regelvollzugseinrichtungen gewählt: Erhängen, Ersticken, Aufschneiden von Blutgefäßen, Überdosis Heroin, Messer­ stich in den Bauch. 3. Was waren die genauen Todesursachen bei den abgeschlossenen Suiziden und wie lauteten die Diagnosen bei den Einlieferungen in die stationäre Behandlung , jeweils aufgeschlüsselt nach Altersgruppen? Hierzu liegen der Staatsregierung keine Erkenntnisse vor. 4. Wurde seitens der psychiatrischen Fachabteilungen, einschließlich der Forensik, dokumentiert, ob auffällige Verhaltensveränderungen oder andere außergewöhnliche Besonderheiten vor einem Suizidversuch bzw. Suizid bei den einzelnen Patienten bemerkt wurden , wie wurde dies dokumentiert und welche Behandlungsmaßnahmen bzw. Hilfestellungen wurden angeboten oder erbracht? Verhaltensänderungen oder außergewöhnliche Besonder­ heiten werden grundsätzlich in der Krankenakte dokumen­ tiert. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 26.09.2014 17/2885 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2885 Nach Angaben der Maßregelvollzugseinrichtungen lagen in den unter Frage 1 genannten Fällen keine Verhaltensän­ derungen oder auf den Suizid hindeutende Auffälligkeiten vor. Weitere Erkenntnisse zu auffälligen Verhaltensverände­ rungen oder anderen außergewöhnlichen Besonderheiten vor einem Suizidversuch bzw. Suizid liegen der Staatsregie­ rung nicht vor. 5. Waren aufgrund der Suizidversuche Notarzteinsätze und/oder Intensivbehandlungen erforderlich, in welcher Anzahl und wie lange dauerten durchschnittlich diese Intensivbehandlungen? Eine zuverlässige Angabe zu Zahl und Dauer von Notarzt­ einsätzen in Bezirkskrankenhäusern und psychiatrischen Fachkliniken ist nicht möglich. Zu Erhebungsmöglichkeiten wurde die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns und das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Uni München befragt. Die Notärzte werden durch die Integrierten Leitstellen (ILS) alarmiert, welche nach vorgegebenen Stichworten und zugehörigen Schlagworten disponieren. Es gibt kein ei­ genes Einsatz­ bzw. Dispositionsstichwort für einen Notruf aus einer solchen Einrichtung. Daher ist es nicht möglich, solche Einsätze aus den gesamten Einsätzen unter dem Stichwort „Rettungsdienst 2“ und dem Schlagwort „Suizid/ suizidale Handlung“ zu filtern. Des Weiteren können suizida­ le Handlungen je nach Meldung unter bestimmten anderen Schlagworten wie bspw. „Sturz aus großer Höhe“, „Stichver­ letzung“, „Stromunfall“ oder nur „Bewusstsein“ zugeordnet sein. Eine Filterung durch Adressen ist nicht zielführend. Dies erfordert die Angabe des Notrufers, um welchen Ort es sich konkret handelt. So kann bspw. die Angabe der Ad­ resse der Einrichtung für eine Selbsttötung außerhalb, aber in unmittelbarer Nähe der Einrichtung das Ergebnis verfäl­ schen. Ebenfalls kann ein Notruf aus der Einrichtung, aber ohne Nennung der Einrichtung, dazu führen, dass die Ab­ frage den Fall übersieht. Auch sind nicht sämtliche psychi­ atrischen Fachkliniken als solche hinterlegt. Aus denselben Gründen ist eine solche Filterung auch nicht anhand der Notarztbehandlungsprotokolle zuverlässig möglich. 6. Gibt es Konzepte der Staatsregierung, um Suizidversuche bzw. Suizide zu verhindern, im Sinne eines Präventionsmodells, wird das zuständige Personal entsprechend geschult bzw. fortgebildet und ist es aufgrund der relativ hohen Anzahl der Suizidfälle notwendig , das Personal aufzustocken? Für die Schulung und Weiterbildung des Fachpersonals sind die Träger der psychiatrischen Fachkrankenhäuser und Bezirkskrankenhäuser zuständig. In diesen Einrichtungen ist Suizidalität ein reguläres Thema. In vielen derartigen Krankenhäusern und Abteilungen existieren Handlungsan­ weisungen, wie mit suizidgefährdeten Patienten umzugehen ist. Übergreifend hat die AG Suizidprävention und Psychiat­ risches Krankenhaus schon vor Jahren ein eigenes Empfeh­ lungspapier hierzu entwickelt. Die Fort­ und Weiterbildung der unterschiedlichen Berufsgruppen in den bayerischen Bezirkskrankenhäusern und in den Abteilungen für Psychi­ atrie und Psychotherapie wurde in den letzten zwanzig Jah­ ren beständig intensiviert. Ob eine Personalaufstockung erforderlich ist, entscheidet der jeweilige Klinikträger in eigener Verantwortung. Die forensische Psychiatrie als eine Teildisziplin der Psy­ chiatrie bedient sich bezüglich Suizidalität der gleichen prä­ ventiven Maßnahmen wie die Allgemeinpsychiatrie. (z. B. Ansprechen auf mögliche Suizidalität, Anti­Suizidpakt, evtl. Überwachung, Medikation usw.). Die Suizidprävention im Maßregelvollzug folgt den leitlinienbasierten Standards des psychiatrischen Versorgungsalltags und unterscheidet sich nicht wesentlich von diesem. Bei Aufnahme eines Patienten wird im Sinne eines Risi­ koassessments anhand der Unterlagen und der klinischen Aufnahmeuntersuchung erhoben, ob in der Vorgeschichte Hinweise für Suizidalität vorliegen und ob beim aktuellen Befund eine Suizidgefahr in Erwägung zu ziehen ist. Nach der Aufnahmebefunderhebung wird dann bei den regelmäßigen Erhebungen des psychopathologischen Be­ fundes im Rahmen von Visiten und therapeutischen Ge­ sprächen eruiert, ob Suizidgedanken, Suizidabsichten und gegebenenfalls entsprechender Handlungs­ und Umset­ zungsdruck vorliegen. Insofern erfolgt eine engmaschige, auch diesbezüglich kontinuierliche Erhebung des psycho­ pathologischen Befundes bei den Patienten. Im weiteren Behandlungsverlauf wird Wert auf möglichst häufige Kontakte des Patienten mit geschultem Fachperso­ nal (Therapeuten und/oder Bezugspfleger) gelegt, um Än­ derungen dieser Risikolage schnell feststellen zu können. Im Rahmen der täglichen Patientenübergaben und der wöchentlichen Teambesprechungen werden Hinweise auf Suizidalität aufgegriffen und entsprechende Maßnahmen verabredet und durchgeführt: Diese können medikamentö­ ser oder psychotherapeutischer Art sein, allerdings auch im­ plizieren, dass Patienten kurzzeitig in einem entsprechend ausgestalteten, suizidsicheren Raum isoliert werden. Bei Patienten, bei denen aus Vorgeschichte oder den Befunderhebungen sich eine erkennbare oder erwartbare mögliche suizidale Gefährdung abbildet, werden – individu­ ell abgestimmt für die einzelnen Patienten – weitergehende diagnostische sowie intensivierte therapeutische Kontroll­ und Überwachungsmaßnahmen festgelegt, durchgeführt und deren Durchführung überprüft. Zur Frage, ob das zuständige Personal entsprechend geschult bzw. fortgebildet wird, ist festzuhalten, dass Sui­ zidprävention grundsätzlich innerhalb der Psychiatrie, inso­ fern auch der forensischen Psychiatrie, Kernbestandteil der Diagnostik und Behandlung ist. Die entsprechenden Kennt­ nisse entsprechen dem von jedem Mitarbeiter im ärztlichen, psychologischen und pflegerischen Bereich erwarteten Lehrbuchwissen, das auch im Rahmen der regelmäßigen Fachweiter­ und ­fortbildung immer wieder Gegenstand der Diskussion ist. Im Rahmen von Fort­ und Weiterbildung bzw. berufsgrup­ penspezifischen Schulungen der Mitarbeiter werden Fragen des Erkennens von suizidaler Gefährdung und des Um­ gangs mit suizidal gefährdeten Patienten intensiv behandelt. Das Erkennen und der Umgang mit suizidalen Tendenzen ist Teil der berufsgruppenspezifischen, fachlichen Ausbil­ dungen und Schulungen. Das therapeutische Personal wird – meist klinikintern – fortwährend in der Anwendung o. g. Konzepte geschult und praxisorientiert angeleitet. Insbesondere wird hier Wert auf das Erarbeiten von Techniken zur Anbahnung von Kontakt­ angeboten mit suizidgefährdeten Patienten gelegt. Dabei werden verschiedene Gesprächsführungs­ und Interventi­ onsmethoden erlernt. Zum Teil werden daneben die Metho­ den zur Einschätzung der Suizidalität in Übungsbeispielen angewandt und die Selbst­ und Fremdwahrnehmung des therapeutischen Personals optimiert. Geschult und geübt Drucksache 17/2885 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 wird auch der Umgang mit suizidalen Krisen. Teilweise wird zudem die Fähigkeit zum Erkennen von Übertragungs­ und Gegenübertragungsphänomenen geschult. Einige Kliniken verpflichten alle Mitarbeiter, an Grund­ und Aufbauschulun­ gen zum professionellen Deeskalationsmanagement teilzu­ nehmen. Die Kosten für derartige Schulungen sind in den Jah­ resbudgets enthalten, welche zur Abdeckung von Perso­ nal­ und Sachkosten der Forensik zwischen dem Freistaat Bayern als Kostenträger und den Trägern der Maßregelvoll­ zugseinrichtungen vereinbart werden.