Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 21.07.2014 Regelungen zum Freigang im bayerischen Strafvollzug Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Gefangene des bayerischen Strafvollzugs außerhalb der Anstalt, ohne beaufsichtigt zu werden, einer Be­ schäftigung nachgehen – also Freigänger sein – dür­ fen? 2. Wie lange ist die Haftdauer, bevor dieser Status ein­ geräumt wird (bitte mindestens, durchschnittlich und höchstens angeben)? 3. Wie oft wird diese Möglichkeit eingeräumt (bitte Zahlen aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre angeben)? 4. Wie oft werden entsprechende Anträge abgelehnt (bit­ te Zahlen aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre an­ geben)? 5. Wie gestaltet sich der Vollzug, welche Auflagen müs­ sen die Gefangenen erfüllen, wenn der Freigang­Sta­ tus eingeräumt worden ist? 6. Welcher Art sind die Beschäftigungen, denen die Frei­ gänger nachgehen? 7. Welcher Art sind die Straftaten, die zur Verurteilung der Freigänger geführt hatten? 8. Unter welchen Voraussetzungen kann dieser Status wieder entzogen werden? Wie oft erfolgt dies (bitte Zahlen aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre ange­ ben)? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 21.08.2014 1. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Gefangene des bayerischen Strafvollzugs außerhalb der Anstalt, ohne beaufsichtigt zu werden , einer Beschäftigung nachgehen – also Freigänger sein – dürfen? Nach Art. 13 Abs. 2 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (BayStVollzG) dürfen Lockerungen gemäß Art. 13 Abs. 1 BayStVollzG und damit auch Freigang gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayStVollzG mit Zustimmung der Gefangenen an­ geordnet werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzugs zu Straftaten missbrau­ chen werden. Die Gewährung von Lockerungen ist in jedem Fall stets von einer Prüfung des Einzelfalls abhängig. Ergänzend hierzu enthalten die Verwaltungsvorschriften (VV) zu Art. 13 BayStVollzG die nachfolgenden Regelungen. Bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Frei­ heitsentzugs eine lebenslange Freiheitsstrafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, und bei Gefangenen, für die Sicherungsverwahrung vorgemerkt ist, sind gemäß Nr. 2 Abs. 1 VV zu Art. 13 BayStVollzG vor der erstmaligen An­ ordnung von Lockerungen des Vollzugs – und damit gege­ benenfalls auch im Fall von Freigang – mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zwei Gutachten externer Sachverstän­ diger einzuholen. Ausgeschlossen ist Freigang gemäß Nr. 3 Abs. 1 VV zu Art. 13 BayStVollzG bei Gefangenen, a) gegen die während des laufenden Freiheitsentzugs eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74 a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG von einem Oberlandesgericht oder dem Bayerischen Obersten Lan­ desgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist, b) gegen die Untersuchungs­, Auslieferungs­ oder Abschie­ bungshaft angeordnet ist, c) gegen die eine vollziehbare Ausweisungsverfügung für den Geltungsbereich des Grundgesetzes besteht und die aus der Haft abgeschoben werden sollen, d) gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel der Bes­ serung und Sicherung oder eine sonstige Unterbringung gerichtlich angeordnet und noch nicht vollzogen ist. In den Fällen von VV Nr. 3 Abs. 1 Buchst. a, c und d zu Art. 13 BayStVollzG sind Ausnahmen mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig. In den Fällen des Buchst. a ist die Vollstreckungsbehörde, des Buchst. d das zuständige Gericht zu hören; in den Fällen des Buchst. c bedürfen Aus­ nahmen des Benehmens mit der zuständigen Ausländerbe­ hörde. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 26.09.2014 17/2916 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2916 Ungeeignet für Freigang sind gemäß VV Nr. 4 Abs. 2 zu Art. 13 BayStVollzG in der Regel insbesondere Gefangene, a) die erheblich suchtgefährdet sind, b) die während des laufenden Freiheitsentzugs entwichen sind, eine Flucht versucht, einen Ausbruch unternommen oder sich an einer Gefangenenmeuterei beteiligt haben, c) die aus dem letzten Urlaub oder Ausgang nicht freiwillig zurückgekehrt sind oder bei denen zureichende tatsäch­ liche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie wäh­ rend ihres letzten Urlaubs oder Ausgangs eine strafbare Handlung begangen haben, d) gegen die ein Ausweisungs­, Auslieferungs­, Ermittlungs­ oder Strafverfahren anhängig ist, e) bei denen zu befürchten ist, dass sie einen negativen Einfluss ausüben, insbesondere die Erfüllung des Be­ handlungsauftrags bei anderen Gefangenen gefährden würden. Ausnahmen können in den Fällen von VV Nr. 4 Abs. 2 zu Art. 13 BayStVollzG zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind zu dokumen­ tieren. In den Fällen des Buchst. d ist die zuständige Behör­ de zu hören. 2. Wie lange ist die Haftdauer, bevor dieser Status eingeräumt wird (bitte mindestens, durchschnittlich und höchstens angeben)? Für Freigang ungeeignet sind in der Regel Gefangene, die sich im geschlossenen Vollzug befinden und gegen die bis zum voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt noch mehr als 18 Monate Freiheitsstrafe zu vollziehen sind (Nr. 3 Abs. 3 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Ausnahmen können zugelassen werden, wenn besondere Umstände vorliegen; die Gründe hierfür sind zu dokumentieren. Bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefange­ nen ist Freigang nach Nr. 2 Abs. 1 Satz 4 VV zu Art. 13 BayStVollzG i. V. m. Art. 14 Abs. 3 BayStVollzG in der Regel erst möglich, wenn sie sich einschließlich vorhergehender Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung zwölf Jahre im Vollzug befunden haben oder wenn sie in den offenen Vollzug überwiesen oder hierfür geeignet sind. Statistische Zahlen zur durchschnittlichen Verweildau­ er von Gefangenen im Vollzug, bis Freigang gewährt wird, liegen nicht vor. Solche Angaben hätten auch nur einge­ schränkte Aussagekraft, da auch Gefangenen mit einer langjährigen oder gar lebenslangen Freiheitsstrafe im Rah­ men der Entlassungsvorbereitung oftmals Lockerungen und auch Freigang gewährt werden. Jeder Gefangene muss da­ her unter Berücksichtigung seiner Verurteilung und seiner Lebensumstände individuell betrachtet werden. 3. Wie oft wird diese Möglichkeit eingeräumt (bitte Zahlen aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre angeben )? Für die Jahre 2009 bis 2013 stellt sich die Anzahl der Frei­ gänger wie folgt dar: Jahr: Zahl der Freigänger: 2009 2.051 2010 1.583 2011 1.759 2012 1.705 2013 1.601 4. Wie oft werden entsprechende Anträge abgelehnt (bitte Zahlen aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre angeben)? Statistische Erhebungen zur Anzahl abgelehnter Anträge auf Freigang liegen nicht vor. 5. Wie gestaltet sich der Vollzug, welche Auflagen müssen die Gefangenen erfüllen, wenn der Freigang-Status eingeräumt worden ist? Gefangene, bei denen Freigang angeordnet ist, müssen die Ruhezeiten in der Anstalt verbringen. Ausnahmen bedürfen der Zustimmung der Aufsichtsbehörde (Nr. 1 Abs. 3 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Ferner ist Freigang zur Beschäftigung beim früheren Ar­ beitgeber des oder der Gefangenen nur zulässig, wenn dies zur Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des Betriebs des Arbeitgebers oder zur Erhaltung des Arbeitsplatzes des oder der Gefangenen für die Zeit nach der Entlassung not­ wendig ist, wenn die Straftat des oder der Gefangenen nicht mit seiner bzw. ihrer beruflichen Tätigkeit und insbesondere der bisherigen Beschäftigungsstelle zusammenhängt, wenn sonst die Verteidigung der Rechtsordnung nicht entgegen­ steht und wenn keine Unzuträglichkeiten zu befürchten sind. Die Gefangenen sollen sich vor der Beschäftigung bei dem früheren Arbeitgeber eine angemessene Zeit im Strafvollzug befunden haben. Unter den vorstehenden Voraussetzungen kann in Ausnahmefällen mit Zustimmung der Aufsichtsbe­ hörde auch die Selbstbeschäftigung im eigenen Betrieb oder die Beschäftigung bei Angehörigen des oder der Gefange­ nen im Sinne des Strafgesetzbuches zugelassen werden; dies gilt insbesondere für Härtefälle, in denen im Betrieb nur eine begrenzte Zeit der Abwesenheit des oder der Gefange­ nen überbrückt und die Einstellung eines Vertreters für die Betriebsführung nicht finanziert werden kann (Nr. 6 Abs. 1 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Freigänger dürfen auch mit dem Führen von Kraftfahr­ zeugen beauftragt werden, wenn sie dafür geeignet sind und insbesondere die erforderliche Fahrerlaubnis besitzen. Gegebenenfalls ist ihnen ihr Führerschein auszuhändigen (Nr. 6 Abs. 2 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Die Person oder Stelle, bei der die Freigänger beschäftigt sind, soll die Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt abho­ len und wieder dorthin zurückbringen. Ist dies nicht möglich oder nicht zweckmäßig, sollen die Gefangenen öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Können die Gefangenen sonst die Beschäftigungsstelle nicht in zumutbarer Weise erreichen, kann ihnen die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs gestattet werden (Nr. 6 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Zudem dürfen sich die Gefangenen beim Freigang nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Anstaltsleiters oder der An­ staltsleiterin in Wohn­ und Geschäftsräume eines oder einer Vollzugsbediensteten oder von dessen bzw. deren Angehö­ rigen im Sinne des Strafgesetzbuchs begeben (Nr. 1 Abs. 4 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Nach der Beschäftigungszeit müssen die Gefangenen unverzüglich in die Anstalt zurückkehren. Sie dürfen nicht in unerlaubten Verkehr mit anderen Personen (z. B. Tatopfer) treten, ihnen ausgehändigte Geldbeträge nur bestimmungs­ gemäß verwenden sowie außerhalb der Anstalt erworbene Gegenstände nur mit ausdrücklicher Zustimmung des An­ staltsleiters oder der Anstaltsleiterin in die Anstalt einbringen (Nr. 6 Abs. 5 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Drucksache 17/2916 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Freigänger sollen in der Justizvollzugsanstalt von ande­ ren Gefangenen getrennt werden (Nr. 6 Abs. 8 VV zu Art. 13 BayStVollzG). Die weitere Ausgestaltung des Freigangs erfolgt abhän­ gig vom Einzelfall. 6. Welcher Art sind die Beschäftigungen, denen die Freigänger nachgehen? Die Beschäftigungen, denen die Freigänger nachgehen, sind vielfältig und reichen von einfachen, durch die Justiz­ vollzugsanstalten vermittelten Hilfstätigkeiten bis hin zu hoch qualifizierten Tätigkeiten in einem freien Beschäftigungs­ verhältnis nach Art. 42 Abs. 1 BayStVollzG oder qualifizie­ renden Aus­ und Fortbildungsmaßnahmen außerhalb der Justizvollzugsanstalten. Der Freigang soll dazu beitragen, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwor­ tung ein Leben ohne Straftaten zu führen und – insbeson­ dere im Falle eines freien Beschäftigungsverhältnisses oder einer Aus­ und Fortbildungsmaßnahme – Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. 7. Welcher Art sind die Straftaten, die zur Verurteilung der Freigänger geführt hatten? Die Straftaten, die zur Verurteilung der Freigänger geführt hatten, decken das gesamte Spektrum strafbarer Taten ab. Einen Ausschluss von Freigang in Fällen bestimmter An­ lassdelikte sieht das Bayerische Strafvollzugsgesetz nicht vor. Nr. 3 Abs. 1 lit. a) VV zu Art. 13 BayStVollzG ist zu be­ achten (siehe Antwort zu Frage 1). 8. Unter welchen Voraussetzungen kann dieser Status wieder entzogen werden? Wie oft erfolgt dies (bitte Zahlen aufgeschlüsselt für die letzten fünf Jahre angeben )? Gewährter Freigang kann gemäß Art. 16 BayStVollzG wider­ rufen oder für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn aufgrund nachträglicher Umstände die Voraussetzungen für den Freigang (siehe Antwort zu Frage 1) entfallen, die Ge­ fangenen den Freigang missbrauchen oder einer Weisung nicht nachkommen. Regelmäßig erfolgt ein Widerruf oder eine Rücknahme für die Zukunft in den Fällen, in denen der oder die Gefangene die Zustimmung zum Freigang wieder zurücknimmt, in denen Arbeitsplatzverlust eintritt oder in de­ nen der oder die Gefangene im Freigang versagt, also sich nicht an Auflagen hält, Straftaten begeht oder versucht zu fliehen. Für die Jahre 2009 bis 2013 stellt sich die Anzahl der Be­ endigung von Freigang durch Widerruf oder Rücknahme wie folgt dar: Jahr: Beendigung des Freigangs durch Widerruf oder Rücknahme: 2009 276 2010 165 2011 217 2012 196 2013 163