Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 08.07.2014 Gewaltdelikt mit Todesfolge vor der Münchner Kultfabrik : Möglicher rechtsextremer Hintergrund? Am Pfingstmontag wurde laut Presseberichten ein 49-jähriger Mann mit afghanischer Staatsangehörigkeit vor der Münchner Kultfabrik von einem 23-Jährigen zusammengeschlagen . Die Verletzungen waren so schwerwiegend, dass das Opfer ihnen Ende Juni im Krankenhaus erlag. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung darüber, ob der Tatverdächtige Verbindungen zur rechtsextremen Szene hatte? 1.1 Ist der Tatverdächtige in der Vergangenheit bereits durch Kontakte zur rechtsextremen Szene oder durch rechtsextrem bzw. rassistisch motivierte Straftaten aufgefallen (Kontakte bzw. Straftaten bitte ggf. einzeln auflisten)? 2. Inwiefern haben mögliche Verbindungen zur rechtsextremen Szene oder ein rechtsextremes bzw. rassistisches Motiv bei den Ermittlungen der Polizei eine Rolle gespielt und welches Ergebnis hatten sie ggf.? 3. Wird in Fällen, in denen Menschen Opfer von Straf- bzw. Gewalttaten werden, die grundsätzlich verstärkt von rechtsextremer Gewalt bedroht sind (Menschen mit Migrationshintergrund, Homo-/Transsexuelle, Menschen mit Behinderung, Obdachlose etc.), automatisch ermittelt, ob der/die Täter/-in bzw. der/die Tatverdächtige Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat oder ob ein rechtsextremes bzw. rassistisches Motiv vorliegt? 3.1 Existieren zu diesem Vorgehen landesweite Anweisungen des Innenministeriums (bitte ggf. detailliert darlegen)? 3.2 Wenn nein, sind entsprechende Anweisungen künftig geplant? 4. Gab es in den letzten zwölf Monaten vergleichbare Fälle, bei denen ein rechtsextremer bzw. rassistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte (Fälle bitte einzeln und detailliert auflisten)? 5. Wie gehen die Ermittlungsbehörden grundsätzlich im Rahmen ihrer Pressearbeit damit um, wenn bei Straftaten Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund bestehen oder wenn Täterinnen/Täter bzw. Tatverdächtige nachweislich Verbindungen zur rechtsextremen Szene haben? 6. Existieren landesweite Anweisungen des Innenministeriums dazu, wie Polizei und Staatsanwaltschaften gegenüber der Öffentlichkeit mit entsprechenden Hinweisen umzugehen haben? 6.1 Wenn ja, wie lauten diese? 6.2 Wenn nein, sind entsprechende Anweisungen künftig geplant? 7. Weshalb wurde im Fall Dominic H., in dessen Wohnung im Münchner Glockenbachviertel am 16. April 2014 Waffen, brandfördernde Mittel und Zündvorrichtungen sichergestellt wurden, erst in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze Drs. 17/2524 bekannt gegeben, dass zusätzlich eine Ausgabe der NS-Hetzschrift „Mein Kampf“ sowie Bücher des sogenannten „Oklahoma-Bombers“ aufgefunden wurden? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 25.08.2014 Die Schriftliche Anfrage wird nach Einbindung des Polizeipräsidiums München und des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Justiz wie folgt beantwortet: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung darüber , ob der Tatverdächtige Verbindungen zur rechtsextremen Szene hatte? 1.1 Ist der Tatverdächtige in der Vergangenheit bereits durch Kontakte zur rechtsextremen Szene oder durch rechtsextrem bzw. rassistisch motivierte Straftaten aufgefallen (Kontakte bzw. Straftaten bitte ggf. einzeln auflisten)? Die Fragen zu 1. und 1.1 werden gemeinsam beantwortet. Der Staatsregierung liegen keine Erkenntnisse über Verbindungen des Tatverdächtigen zur rechtsextremistischen Szene vor. Der Tatverdächtige ist den bayerischen Sicherheitsbehörden auch in der Vergangenheit weder durch Kontakte in die rechtsextremistische Szene noch durch rechtsextremistisch bzw. rassistisch motivierte Straftaten aufgefallen. 2. Inwiefern haben mögliche Verbindungen zur rechtsextremen Szene oder ein rechtsextremes bzw. rassistisches Motiv bei den Ermittlungen der Polizei eine Rolle gespielt und welches Ergebnis hatten sie ggf.? Im Rahmen der beim Polizeipräsidium München geführten polizeilichen Ermittlungen wurden die in der Frage aufge- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 03.10.2014 17/2955 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2955 führten Motivlagen berücksichtigt. Weder aus dem Tathergang noch aus der Überprüfung des bekannten Tatverdächtigen ergaben sich Hinweise auf eine mögliche Begehung mit politischer Motivation. 3. Wird in Fällen, in denen Menschen Opfer von Straf- bzw. Gewalttaten werden, die grundsätzlich verstärkt von rechtsextremer Gewalt bedroht sind (Menschen mit Migrationshintergrund, Homo-/ Transsexuelle, Menschen mit Behinderung, Obdachlose etc.), automatisch ermittelt, ob der/die Täter/-in bzw. der/die Tatverdächtige Verbindungen zur rechtsextremen Szene hat oder ob ein rechtsextremes bzw. rassistisches Motiv vorliegt? Die Beantwortung einer identischen Fragestellung erfolgte durch die Staatsregierung in Zusammenhang mit der Schriftlichen Anfrage der Frau Abgeordneten Katharina Schulze vom 09.04.2014 betreffend Kontrollpraxis durch Beamte der Polizei – Maßnahmen gegen „racial profiling“. Auf die Antwort der Staatsregierung zur dortigen Frage 8 wird hingewiesen (vgl. Drs. 17/2225). Ergänzend wird erläutert, dass der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) nicht isoliert fremdenfeindliche Motive aufgreift , sondern innerhalb des Meldedienstes auch die sogenannte Hasskriminalität als politisch motivierte Straftat abgebildet wird, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen deren – Nationalität – Volkszugehörigkeit – Rasse – Hautfarbe – Religion – Herkunft – äußeren Erscheinungsbildes – Behinderung – sexuellen Orientierung – gesellschaftlichen Status gerichtet wird und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Das Prüfschema des Definitionssystems PMK findet bei der Bayerischen Polizei entsprechende Anwendung. Im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen werden grundsätzlich alle Erkenntnisse zur Person des Täters bzw. Tatverdächtigen und soweit möglich und/oder erkennbar auch die Motivlage erhoben. Sollten sich dabei auch nur ansatzweise Hinweise ergeben, die eine Tatbegehung mit politischer Motivation möglich erscheinen lassen, werden die Staatsschutzdienststellen in die Ermittlungen mit eingebunden. Durch konsequente Aus- und Fortbildungsmaßnahmen der Bayer. Polizei ist es gewährleistet, die durch den Erstzugriffsbeamten als der „Hasskriminalität“ zuordenbare Straftat der örtlich zuständigen Kriminalpolizeidienststelle zur weiteren und abschließenden Sachbearbeitung zu übergeben. 3.1 Existieren zu diesem Vorgehen landesweite Anweisungen des Innenministeriums (bitte ggf. detailliert darlegen)? 3.2 Wenn nein, sind entsprechende Anweisungen künftig geplant? Die Fragen 3.1 und 3.2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Das bundesweit einheitliche polizeiliche Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) ermöglicht eine länderübergreifende differenzierte, mehrdimensionale Erfassung von Täter-, Tat- und Opfermerkmalen zur Erzielung qualifizierter Aussagen im Aufgabenfeld des Polizeilichen Staatsschutzes. Das Definitionssystem PMK und die einhergehenden Unterlagen zum Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) wurden nach bundesweiter Abstimmung zum 01.01.2001 in Kraft gesetzt und werden auch durch Beteilung seitens Bayerns an der bundesweiten Gremienarbeit weiterentwickelt. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage der Frau Abgeordneten Katharina Schulze vom 09.04.2014 betreffend Kontrollpraxis durch Beamte der Polizei – Maßnahmen gegen „racial profiling“, Antwort zu Frage 8, verwiesen (vgl. Drs. 17/2225). 4. Gab es in den letzten zwölf Monaten vergleich bare Fälle, bei denen ein rechtsextremer bzw. rassistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte (Fälle bitte einzeln und detailliert auflisten )? Im Bereich des Polizeipräsidiums München wurde nachstehender Fall bekannt, bei dem ein derartiger Hintergrund wegen der Tatumstände nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Am Abend des 16.06.2014 hielt sich ein 20-jähriger Litauer mit Wohnsitz in England gemeinsam mit einem österreichischen Staatsangehörigen auf dem Gelände der Kultfabrik in München auf. Noch in der gleichen Nacht fand der Österreicher seinen Bekannten schwer verletzt im Bereich des Veranstaltungsgeländes. Der Geschädigte gab an, dass er zuvor von Unbekannten zusammengeschlagen worden sei. Beide reisten, ohne Verständigung der Polizei bzw. des Rettungsdienstes, nach Österrreich aus. Aufgrund der Verletzungen im Kopfbereich sprach der Geschädigte am 20.06.2014 in einem Krankenhaus in Österreich vor und wurde dort behandelt. Die Mordkommission München wurde über den Fall informiert und nahm die Ermittlungen unter Beteiligung der Staatsschutzdienststelle auf. Darüber hinaus wurden nach Mitteilung des BLKA für den Zeitraum der letzten zwölf Monate bayernweit keine Fälle (Tötungsdelikte bzw. Straftaten mit Todesfolge) bekannt, bei denen Hinweise auf einen rechtsextremistischen bzw. rassistischen Hintergrund vorliegen. 5. Wie gehen die Ermittlungsbehörden grundsätzlich im Rahmen ihrer Pressearbeit damit um, wenn bei Straftaten Hinweise auf einen rechtsextremen Hinter-grund bestehen oder wenn Täterinnen/Täter bzw. Tatverdächtige nachweislich Verbindungen zur rechtsextremen Szene haben? 6. Existieren landesweite Anweisungen des Innenministeriums dazu, wie Polizei und Staatsanwaltschaften gegenüber der Öffentlichkeit mit entsprechenden Hinweisen umzugehen haben? 6.1 Wenn ja, wie lauten diese? 6.2 Wenn nein, sind entsprechende Anweisungen künftig geplant? Die Fragen 5 und 6 sowie 6.1 und 6.2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Medienarbeit im Justizbereich erfolgt nach den erst kürzlich neu gefassten Richtlinien für die Zusammenarbeit Drucksache 17/2955 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 der bayerischen Justiz mit der Presse – Presserichtlinien – vom 26. Mai 2014 (JMBl 2014, S. 67). Ziffer 3.2.3 dieser Richtlinien enthält allgemein eine Regelung zur Weitergabe personenbezogener Daten in Strafsachen. Die Regelung lautet: „Personenbezogene Daten dürfen an die Presse nur dann weitergegeben werden, wenn die Beteiligten darin eingewilligt haben oder das Verfahren gerade im Hinblick auf die Person der oder des Betroffenen oder die besonderen Umstände der Tat für die Öffentlichkeit von überwiegendem Interesse ist. Sofern weitere Angaben, wie beispielsweise der Wohnort, das Alter, der Beruf oder eine Partei- oder Vereinsmitgliedschaft im Einzelfall eine Identifizierung des Betroffenen ermöglichen, gilt Satz 1 entsprechend. Bei der Entscheidung , ob und in welchem Umfang personenbezogene Daten an die Presse übermittelt werden, sind die schutzwürdigen Belange der Betroffenen und der Grundsatz der Unschuldsvermutung gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen. Bei der Abwägung sind namentlich die privaten und beruflichen Folgen einer Veröffentlichung für die oder den Beschuldigten, für das Opfer und für deren Angehörige, die Schwere, die Umstände und die Folgen der Tat, der Grad des Tatverdachts und der Verfahrensstand zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Bekanntgabe personenbezogener Daten von jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten an die Presse ist besondere Zurückhaltung zu üben; bei jugendlichen Beschuldigten hat eine Bekanntgabe in der Regel zu unterbleiben. Eine Übermittlung personenbezogener Daten von Opfern, Zeugen und Familienangehörigen an die Presse hat in der Regel zu unterbleiben. Bei der Weitergabe personenbezogener Daten ist in Stellungnahmen von Wertungen zulasten der oder des Betroffenen abzusehen. Eine Herausgabe von Bildaufnahmen und -aufzeichnungen mit personenbezogenen Daten an die Presse zum Zweck der Berichterstattung ist nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig.“ Darüber hinaus sind – auch mit Blick auf die gestellten Fragen – für den Justizbereich gegenwärtig keine weiteren Regeln geplant oder gar veranlasst. Die Polizei ist im Rahmen der dortigen Ermittlungsarbeit im Rahmen von Straftaten an die Vorschriftenlage der ermittlungsführenden Behörde gebunden. Über eine Presseveröffentlichung entscheidet bei laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren generell die sachleitende Staatsanwaltschaft. Insofern wird auf die vorstehend dargelegten Richtlinien für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse verwiesen. Landesweite Anweisungen des Innenministeriums, wie Polizei und Staatsanwaltschaft gegenüber der Öffentlichkeit mit entsprechenden Hinweisen umzugehen haben, bestehen nicht und sind derzeit auch nicht geplant. 7. Weshalb wurde im Fall Dominic H., in dessen Wohnung im Münchner Glockenbachviertel am 16. April 2014 Waffen, brandfördernde Mittel und Zündvorrichtungen sichergestellt wurden, erst in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze Drs. 17/2524 bekannt gegeben, dass zusätzlich eine Ausgabe der NS-Hetzschrift „Mein Kampf“ sowie Bücher des sogenannten „Oklahoma-Bombers“ aufgefunden wurden? Vor dem Hintergrund der in der Antwort zu den Fragen 5 und 6 genannten Grundsätze und Richtlinien zur Medienarbeit ist bei Medienanfragen, insbesondere zu Ermittlungsdetails ,die Rückschlüsse auf eine Motivation des Täters suggerieren könnten, die jedoch nicht gesichert oder bestätigt sind, besondere Zurückhaltung geboten. Aus Gründen der Objektivität und Neutralität werden solche ungesicherten Auskünfte von der Polizei, unabhängig von der politischen Motivlage , grundsätzlich nicht erteilt. Wie bereits in der Antwort zur Schriftlichen Anfrage vom 07.05.2014, Antwort zu den Fragen 6, 6.1 und 6.2 (vgl. Drs. 17/2524), dargelegt, erbrachten die Ermittlungen bislang keine Hinweise auf eine Verbindung zur rechtsextremistischen Szene.