Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Herbert Kränzlein SPD vom 04.08.2014 Die Angst der Richter vor der E-Akte Kürzlich berichtete eine Zeitung unter der oben verwendeten Überschrift, die bayerische Justiz plane die papierlose, digitale Aktenführung an allen bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften. Ich frage daher die Staatsregierung: 1. Gibt es Pläne des Justizministers, künftig bei Gerichten und Staatsanwaltschaften nur noch mit „elektronischen Akten“ zu arbeiten? 2. Ab wann sollte das geschehen? 3. Müssen dann alle Verfahrensbeteiligten und bei Ermittlungsfahren auch die Polizei, die Steuerbehörden, die privaten Anzeigeerstatter, etc. Schriftsätze in digitaler Form einreichen? 4. a) In welchem Umfang sind dazu Gesetzesänderungen erforderlich? b) Welche Parlamente sind dafür zuständig? c) Ist der Bundesjustizminister oder andere Länderminis- ter eingebunden? 5. a) Sind die bei der Justiz vorhandene Hardware, Software und die Netzwerke für diese Umstellung tauglich ? b) Braucht es Ertüchtigungen, und wenn ja, welche, und mit welchen Kosten ist dafür zu rechnen? 6. a) Sind die Bedenken, die diverse Richterräte an bayerischen Gerichten dem Hauptrichterrat zugeleitet haben , dem Justizminister inzwischen bekannt gemacht worden? b) Wie bewertet er diese Bedenken? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 03.09.2014 1. Gibt es Pläne des Justizministers, künftig bei Gerichten und Staatsanwaltschaften nur noch mit „elektronischen Akten“ zu arbeiten? Die Einführung der elektronischen Akte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften ist geplant, ausgenommen in Strafsa- chen, für die bisher keine Rechtsgrundlage für eine elektronische Aktenführung besteht. 2. Ab wann sollte das geschehen? Es ist geplant, elektronische Akten bei Gerichten in Zusammenhang mit dem elektronischen Rechtsverkehr einzuführen . Eine konkrete Einführungsplanung besteht bisher nur für den elektronischen Rechtsverkehr und die elektronische Akte in Zivilsachen bei den Landgerichten. Soweit die organisatorischen und technischen Voraussetzungen geschaffen werden können, ist geplant, den elektronischen Rechtsverkehr bei dem Landgericht Landshut ab 1. Dezember 2014 zu erproben. In zeitlichem Zusammenhang ist dort auch die Erprobung der elektronischen Akte in erstinstanzlichen Zivilsachen geplant. Dabei soll zunächst für einen möglichst kurzen Übergangszeitraum eine parallele elektronische Akte neben der verbindlichen Papierakte geführt werden. Sobald nach den Ergebnissen des Erprobungsbetriebs Funktionalität und Datensicherheit gewährleistet sind, soll nur noch eine ausschließlich elektronische Akte geführt werden. 3. Müssen dann alle Verfahrensbeteiligten und bei Ermittlungsfahren auch die Polizei, die Steuerbehörden , die privaten Anzeigeerstatter, etc. Schriftsätze in digitaler Form einreichen? Aufgrund des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) muss bei den Gerichten der elektronische Zugang zum 1. Januar 2018 eröffnet werden. Dieser Zeitpunkt kann landesweit und für alle betroffenen Gerichtsbarkeiten einheitlich um höchstens zweimal ein Jahr hinausgeschoben werden, also bis spätestens 1. Januar 2020. Eine Nutzungspflicht wird durch das neue Gesetz zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgelöst. Eine gesetzliche Verpflichtung zur elektronischen Einreichung besteht bisher nur für Anmeldungen zur Eintragung in das Handels-, Genossenschafts - und Partnerschaftsregister. In Grundbuchsachen können Notare verpflichtet werden, Dokumente beim Grundbuchamt elektronisch einzureichen. Durch das oben genannte Gesetz werden bestimmte Verfahrensbeteiligte (z. B. Rechtsanwälte und Behörden) verpflichtet, ab 1. Januar 2022 Schriftsätze elektronisch bei den Gerichten einzureichen. Diese Verpflichtung kann durch Landesrechtsverordnung unter bestimmten Voraussetzungen um maximal zwei Jahre vorverlegt werden. Bürger und Unternehmen sind auch nach diesem Zeitpunkt – wie bisher – nicht verpflichtet, ihre Anträge und sonstigen Erklärungen im elektronischen Rechtsverkehr den Gerichten zu übersenden. Für sie ist der elektronische Rechtsverkehr ein Angebot, das sie freiwillig nutzen können. Die Nutzungsverpflichtung des elektronischen Rechtsverkehrs für bestimmte Verfahrensbeteiligte gilt nur im Anwendungsbereich des genannten Gesetzes, also z. B. nicht in Strafverfahren. In der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 31.10.2014 17/2998 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/2998 Gerichten ist geplant, den elektronischen Rechtsverkehr auf der Grundlage der geltenden Ermächtigungsnormen in den Verfahrensordnungen einzuführen, um die Gerichte schrittweise auf die Neuerungen vorbereiten zu können. Eine Nutzungsverpflichtung besteht dabei nicht, auch nicht für Rechtsanwälte und Behörden. 4. a) In welchem Umfang sind dazu Gesetzesänderungen erforderlich? Für die geplante Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte sind keine Gesetzesänderungen erforderlich. Auf der Grundlage der bestehenden Ermächtigungsnormen in den Verfahrensordnungen werden die Gerichte, die Verfahren und der Zeitpunkt der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte durch Rechtsverordnung bestimmt. b) Welche Parlamente sind dafür zuständig? Durch Rechtsverordnung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz wird bestimmt, bei welchen Gerichten, in welchen Verfahren und ab wann der elektronische Rechtsverkehr und elektronische Akten eingeführt werden. Hierzu ist es erforderlich, dass die in den Verfahrensordnungen enthaltenen Ermächtigungen für die Staatsregierung zuvor auf das Bayerische Staatsministerium der Justiz übertragen werden. c) Ist der Bundesjustizminister oder andere Länderminister eingebunden? Eine Einbindung des Bundesjustizministers oder anderer Länderminister ist nicht erforderlich. Die Übertragung der Ermächtigungen zum Erlass der Rechtsverordnungen zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte auf das Bayerische Staatsministerium der Justiz wird vom Bayerischen Ministerrat beschlossen. 5. a) Sind die bei der Justiz vorhandene Hardware, Software und die Netzwerke für diese Umstellung tauglich ? Für die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte bei den ordentlichen Gerichten können die vorhandene Hard- und Software sowie die Netzwerke in großem Umfang weiter verwendet werden, es sind jedoch Änderungen bzw. Ergänzungen erforderlich. Hierzu bestehen Planungen. Der konkrete Umfang soll unter anderem durch das Pilotprojekt bei dem Landgericht Landshut festgestellt werden. b) Braucht es Ertüchtigungen, und wenn ja, welche, und mit welchen Kosten ist dafür zu rechnen? Für die umfassende Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte, ausgenommen in Strafsachen, werden Änderungen bzw. Ergänzungen erforderlich , deren finanzieller Aufwand auf der Grundlage eines Grobkonzepts auf rd. 22 Mio. € geschätzt worden ist. 6. a) Sind die Bedenken, die diverse Richterräte an bayerischen Gerichten dem Hauptrichterrat zugeleitet haben, dem Justizminister inzwischen bekannt gemacht worden? Dem Bayerischen Staatsminister der Justiz wurde vom Hauptrichterrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit ein an diesen gerichtetes Schreiben übersandt, das Bedenken gegen die bei den Gerichten eingesetzte Fachanwendung forumSTAR und dessen Einsatzbedingungen sowie gegen die geplante elektronische Akte enthält. b) Wie bewertet er diese Bedenken? Die Bedenken der Richter werden vom Bayerischen Staatsminister der Justiz sehr ernst genommen; ihnen wird nachgegangen . Die Verbesserung der Anwendungssoftware wird dabei ebenso geprüft wie die Möglichkeiten, die Störungsquellen zu beseitigen, die eine komplexe vernetzte Datenverarbeitung mit sich bringt. Mit den Hauptpersonalvertretungen und den entsprechenden Verbänden steht das Bayerische Staatsministerium der Justiz in einem engen Dialog. Die Richter, Staatsanwälte, Rechtspfleger und Serviceeinheiten sind in die Entwicklung des Programms zur Integration des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte durch einen Praxisbeirat intensiv eingebunden. Bei der Entwicklung dieses Programms und bei der dafür erforderlichen technischen Infrastruktur bilden die hohen Anforderungen, die an die Verfügbarkeit dieses Systems gestellt werden, von Anfang an einen Schwerpunkt. Sorgfalt , Zuverlässigkeit und Datensicherheit gehen bei der Entwicklung und Einführung der elektronischen Akte in meinem Geschäftsbereich klar vor Schnelligkeit. Es ist mir ein Kernanliegen, mit den technischen Neuerungen nicht nur die gesetzlichen Vorgaben zeitgerecht zu erfüllen, sondern den Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern einen echten Mehrwert bei der Erledigung ihrer umfangreichen und anspruchsvollen Geschäftsaufgaben zu bieten.