Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28.07.2014 Residenzpflicht für Asylsuchende Die Residenzpflicht führt dazu, dass Asylsuchende sich in Deutschland unfrei fühlen. Betroffen sind Menschen im Asylverfahren und Geduldete. Ihnen wird häufig aus verschiedensten Gründen keine Verlassenserlaubnis gewährt, um Reisen aus ihrem Regierungsbezirk heraus zu unternehmen. Darum frage ich die Staatsregierung: 1. a) Aus welchen Gründen dürfen Flüchtlinge bisweilen nicht einmal zum gelegentlichen und auch spontanen Besuch von Verwandten oder Freunden die ihnen zugewiesenen Regierungsbezirke verlassen? b) Welche weiteren und genaueren Begründungen für Nichterteilung von Verlassenserlaubnissen gibt es neben der allgemeinen Begründung, dass die Betroffenen ihrer Mitwirkungspflicht im Asylverfahren nicht nachkommen? c) Welche Gründe wurden 2012, 2013 und 2014 angeführt , um die Nichterteilung von Verlassenserlaubnissen zu begründen, aufgeschlüsselt nach Art und Häufigkeit der Begründungen? 2. a) Wie lange vor Antritt der Reise müssen die Betroffenen Verlassenserlaubnisse beantragen, aufgeschlüsselt nach den betroffenen Ausländerbehörden? b) Wie hoch sind die Kosten für die Beantragung einer Verlassenserlaubnis, aufgeschlüsselt nach den betroffenen Ausländerbehörden? 3. a) Wie oft wurde in den Jahren 2012, 2013 und 2014 ge- gen die Residenzpflicht verstoßen? b) Welche Strafen können bei Verstößen gegen die Resi- denzpflicht verhängt werden? c) Welche Strafen wurden in den Jahren 2012, 2013 und 2014 in welcher Höhe verhängt, aufgeschlüsselt nach den betroffenen Ausländerbehörden? 4. a) Wie kann verhindert werden, dass jugendliche Asylsu- chende eine Lehrstelle nur deshalb nicht bekommen, weil ihr Lehrherr befürchtet, dass er seinen Azubi nur mit erheblichem Zusatzaufwand auf unterschiedliche Baustellen mitnehmen kann? b) Kann für Ausbildung oder Berufsausübung eine generelle Befreiung erteilt werden und wissen dies alle Ausländerbehörden Bayerns? c) Welche Gründe gibt es solche generellen Befreiungen zu untersagen? 5. Welche Regelungen gibt es, zur Aufhebung der Residenzpflicht über Bundesländergrenzen hinweg zum Zwecke der Ausbildung und der Arbeitsaufnahme? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 09.09.2014 1. a) Aus welchen Gründen dürfen Flüchtlinge bisweilen nicht einmal zum gelegentlichen und auch spontanen Besuch von Verwandten oder Freunden die ihnen zugewiesenen Regierungsbezirke verlassen? b) Welche weiteren und genaueren Begründungen für Nichterteilung von Verlassenserlaubnissen gibt es neben der allgemeinen Begründung, dass die Betroffenen ihrer Mitwirkungspflicht im Asylverfahren nicht nachkommen? Die Fragen 1 a und 1 b werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Asylbewerber haben bundesgesetzlich nach § 55 Abs. 1 Satz 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Ihr Aufenthalt ist auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt (§ 56 AsylVfG ). Das vorübergehende Verlassen des räumlich zugewiesenen Aufenthaltsbereichs bedarf grundsätzlich der ausländerbehördlichen Erlaubnis (§ 58 Abs. 1 AsylVfG). Auf Grundlage der Verordnung über das vorübergehende Verlassen des Aufenthaltsbereichs (AsylVerlV) ist es in Bayern Asylbewerbern, die nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, allgemein erlaubt, sich vorübergehend im gesamten Regierungsbezirk der zuständigen Ausländerbehörde sowie bei Grenzlagen zusätzlich in angrenzenden Kommunen des benachbarten Regierungsbezirks aufzuhalten, ohne dass es einer behördlichen Erlaubnis bedarf. Soweit eine Verlassenserlaubnis erforderlich ist, ist diese nach § 58 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung eine unbillige Härte bedeuten würde. § 58 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gibt der Ausländerbehörde zudem die Möglichkeit, das vorübergehende Verlassen des Aufenthaltsbereichs im Wege des Ermessens zu erlauben. Asylbewerbern können Verlassenserlaubnisse auch außerhalb der Fallgruppen des § 58 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG erteilt werden, wenn Gründe des öffentlichen Interesses, insbesondere asylverfahrens- oder aufenthaltsrechtliche Belange , nicht entgegenstehen. Öffentliche Belange stehen der Erteilung von Verlassenserlaubnissen beispielsweise entgegen , wenn Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 25.10.2014 17/3030 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/3030 – durch die Abwesenheit des Asylbewerbers eine Verfahrensverzögerung bei der Ausländerbehörde oder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eintritt, – Erkenntnisse vorliegen, dass der Asylbewerber plant, nicht an den zugewiesenen Wohnort zurückzukehren bzw. seinen Wohnort faktisch zu verlegen, – konkrete Tatsachen vorliegen, dass das Verlassen des Aufenthaltsbereichs zur Begehung von Straftaten genutzt werden soll, – bei Sicherheitsgefährdern (vgl. § 54 a AufenthG). Ob öffentliche Belange entgegenstehen, bedarf einer Einzelfallprüfung durch die Ausländerbehörde. Da die jeweiligen Erkenntnisse oder Tatsachen sich daher von Fall zu Fall unterscheiden können, können keine Angaben zu genaueren Begründungen gemacht werden. c) Welche Gründe wurden 2012, 2013 und 2014 angeführt , um die Nichterteilung von Verlassenserlaubnissen zu begründen, aufgeschlüsselt nach Art und Häufigkeit der Begründungen? Hierzu wird zunächst auf die Antwort zu den Fragen 1 a und 1 b verwiesen. Statistische Daten sind hierzu nicht vorhanden . Es handelt sich um ein ausländerbehördliches Alltagsgeschäft . Eine nachträgliche Erhebung durch Sichtung aller Akten wäre nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand zu leisten. 2. a) Wie lange vor Antritt der Reise müssen die Betroffenen Verlassenserlaubnisse beantragen, aufgeschlüsselt nach den betroffenen Ausländerbehörden ? Die Beantragung der Erlaubnis ist an keine Frist gebunden. Sie kann im Rahmen des üblichen Publikumsverkehrs in der Ausländerbehörde auch kurzfristig beantragt werden. Statistische Daten sind hierzu nicht vorhanden. Es handelt sich um ein ausländerbehördliches Alltagsgeschäft. Eine Erhebung bei den Ausländerbehörden zur durchschnittlichen Bearbeitungszeit wäre nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand zu leisten. b) Wie hoch sind die Kosten für die Beantragung einer Verlassenserlaubnis, aufgeschlüsselt nach den betroffenen Ausländerbehörden? Die Staatsregierung hat die Landratsämter und kreisfreien Städte Ende Juli 2013 gebeten, bei Asylbewerbern generell von der Erhebung von Gebühren für die Erteilung von Verlassenserlaubnissen abzusehen. 3. a) Wie oft wurde in den Jahren 2012, 2013 und 2014 gegen die Residenzpflicht verstoßen? Statistische Daten zu Ordnungswidrigkeiten nach § 86 Abs. 1 AsylVfG sind nicht vorhanden. Es handelt sich um ein ausländerbehördliches Alltagsgeschäft. Daten zu Straftaten nach § 85 Nr. 2 AsylVfG können aus den polizeilichen Systemen nicht recherchiert werden, da dieser Tatbestand nicht gesondert ausgewiesen wird. Daten zu Straftaten nach § 85 AsylVfG werden nur insgesamt erhoben. Eine nachträgliche Erhebung der Daten durch Sichtung aller Akten wäre nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand zu leisten. b) Welche Strafen können bei Verstößen gegen die Residenzpflicht verhängt werden? Gemäß § 86 Abs. 1 AsylVfG handelt ein Ausländer, der einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 oder 2 Asyl-VfG zuwiderhandelt, ordnungswidrig. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 2.500 EUR geahndet werden (§ 86 Abs. 2 AsylVfG). Gemäß § 85 Nr. 2 AsylVfG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer wiederholt einer Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs.1 oder 2 AsylVfG zuwiderhandelt. c) Welche Strafen wurden in den Jahren 2012, 2013 und 2014 in welcher Höhe verhängt, aufgeschlüsselt nach den betroffenen Ausländerbehörden? Statistische Daten sind hierzu nicht vorhanden. Eine Erhebung durch die Ausländerbehörden durch Sichtung aller Akten wäre nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand zu leisten. 4. a) Wie kann verhindert werden, dass jugendliche Asylsuchende eine Lehrstelle nur deshalb nicht bekommen, weil ihr Lehrherr befürchtet, dass er seinen Azubi nur mit erheblichem Zusatzaufwand auf unterschiedliche Baustellen mitnehmen kann? Auf Grundlage der Verordnung über das vorübergehende Verlassen des Aufenthaltsbereichs (AsylVerlV) ist es Asylbewerbern , die nicht oder nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, allgemein erlaubt, sich vorübergehend im gesamten Regierungsbezirk der zuständigen Ausländerbehörde sowie bei Grenzlagen zusätzlich in angrenzenden Kommunen des benachbarten Regierungsbezirks aufzuhalten, ohne dass es einer behördlichen Erlaubnis bedarf. Da die bayerischen Regierungsbezirke in Größe und Zuschnitt den Landesgebieten nicht weniger Bundesländer entsprechen, bedürfen Asylsuchende in Ausbildung oder Berufsausübung damit in der weit überwiegenden Zahl der Fälle überhaupt keiner Verlassenserlaubnis und können ihrer Tätigkeit nachgehen. Für Tätigkeitsorte, die außerhalb des nach der AsylVerlV allgemein erlaubten Aufenthaltsbereichs liegen, bedarf es einer Erlaubnis, die zum Zwecke der betrieblichen Ausbildung in der Regel zu erteilen ist (§ 58 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ). b) Kann für Ausbildung oder Berufsausübung eine generelle Befreiung erteilt werden und wissen dies alle Ausländerbehörden Bayerns? Um den Besuch einer Schule oder sonstigen Ausbildungsstätte in gleichgelagerten Fällen zu ermöglichen, kann eine Erlaubnis nach § 58 Abs. 1 AsylVfG auch für ein regelmäßig wiederkehrendes vorübergehendes Verlassen erteilt werden. Erlaubt werden kann in besonderen Fällen auch, sich allgemein in dem Bezirk einer anderen Ausländerbehörde aufzuhalten, wenn diese zustimmt. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 a verwiesen. Daneben kommt in Ausnahmefällen eine landesinterne Umverteilung nach § 8 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) in Betracht. Das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat keine Veranlassung zu der Annahme, dass diese gesetzlichen Regelungen den Ausländerbehörden nicht bekannt sind. c) Welche Gründe gibt es, solche generellen Befreiungen zu untersagen? Das Recht zum vorübergehenden Aufenthalt innerhalb des gesamten Gebiets des Regierungsbezirks und ggf. in be- Drucksache 17/3030 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 nachbarten Bezirken besteht nicht bei Personen, denen gegenüber ein erheblicher Verstoß gegen asylverfahrensrechtliche Mitwirkungspflichten festgestellt wurde (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylVerlV). Mit dem Ausschlussgrund wird sichergestellt, dass die Erweiterung der Bewegungsfreiheit mit dem asylrechtlichen Beschleunigungsgebot vereinbart werden kann. Ein erheblicher Verstoß gegen asylverfahrensrechtliche Mitwirkungspflichten liegt vor, wenn der Asylbewerber gegen seine Verpflichtung, für Behörden und Gerichte erreichbar zu sein, gravierend zuwiderhandelt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn er wiederholt oder über einen längeren Zeitraum für Behörden bzw. Gerichte nicht erreichbar war oder wiederholt behördliche bzw. gerichtliche Termine nicht wahrgenommen hat. Ein erheblicher Verstoß kann hingegen nicht allein auf frühere Verstöße gegen räumliche Beschränkungen gestützt werden, welche die Erreichbarkeit im Asylverfahren nicht beeinträchtigt haben. Soweit eine Verlassenserlaubnis erforderlich ist, wird auf die Antwort zu den Fragen 1 a und 1 b verwiesen. 5. Welche Regelungen gibt es zur Aufhebung der Residenzpflicht über Bundesländergrenzen hinweg zum Zwecke der Ausbildung und der Arbeitsaufnahme ? Die Erlaubnis für eine nach § 61 Abs. 2 AsylVfG erlaubte Beschäftigung oder für eine schulische oder betriebliche Ausbildung ist in der Regel zu erteilen (§ 58 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) und kommt auch bei länderübergreifenden Sachverhalten mit den in der Antwort auf Frage 4 b genannten Möglichkeiten in Betracht. Einer Aufhebung der „Residenzpflicht “ bedarf es daher nicht; sie ist bundesrechtlich zu den genannten Zwecken auch nicht vorgesehen. Im Übrigen kann in Ausnahmefällen eine länderübergreifende Umverteilung nach § 10 DVAsyl erfolgen.