Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 30.07.2014 Tod eines Flüchtlings in der JVA Landshut Am 25. Mai 2014 kam in der Justizvollzugsanstalt Landshut ein abgewiesener Asylsuchender zu Tode. Es liegt laut Medienberichten der Verdacht nahe, dass das Agieren der Mitarbeiter der JVA nach einer suizidalen Handlung des Kosovaren den Tod des Betroffenen mitverschuldet hat. Der Gefangene soll von den Wachleuten fixiert worden sein. Während dieser Fixierung sei es zum Herzstillstand gekommen . Die Ursachen des Todes müssen geklärt werden, auch ob die psychische Lage des Betroffenen und offensichtliche Traumata untersucht wurden. Daher frage ich die Staatsregierung: 1. Mit welchen Ergebnissen wurde der Betroffene auf psychologischen Hilfebedarf – vor der Abschiebung wie auch nach der Festnahme – untersucht? 2. Wie war der Ablauf des Abschiebeversuchs nach Ungarn, warum wurde trotz der psychischen Probleme des Betroffenen ein Abschiebeversuch unternommen? 3. Wurde vor der Abschiebung das Angebot einer Rückkehrberatung gemacht? 4. a) Weshalb wurden Mitarbeiter und Passagiere der betroffenen Fluglinie durch die bayerischen Behörden in Gefahr gebracht, weil eine Abschiebung unter diesen Umständen durchgeführt wurde? b) Welche Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen der betroffenen Fluglinie und/oder welches Bordpersonal wurde von der geplanten Abschiebung und den Hintergründen informiert? 5. Hält die Staatsregierung weiterhin an ihrer Praxis fest, in EU-Staaten abzuschieben, in denen offensichtlich Asylverfahren und die Betreuung von Asylsuchenden nicht nach europäischen Standards durchgeführt werden ? 6. a) Wie ist die derzeitige Situation Asylsuchender in Ungarn im Hinblick auf Verfahren und Unterbringung der Asylsuchenden? b) Welche Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und Existenzsicherung haben Asylsuchende in Ungarn nach Anerkennung in einem Asylverfahren? c) Wie beurteilt die Staatsregierung die Sicherheit Asyl- suchender vor rechtsradikalen Übergriffen in Ungarn? 7. Wie häufig wurden in den letzten beiden Jahren Asylbewerber in normalen Linienflugzeugen abgeschoben und wie wird zukünftig verhindert, dass Dritte und Unbeteiligte dadurch in Gefahr gebracht werden? 8. a) War die Fixierung durch Mitarbeiter der JVA ursächlich für den Tod des Betroffenen? b) Wird gegen die Mitarbeiter der JVA ermittelt? c) Wenn ja, wegen welchen Verdachtsmomenten? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 18.09.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministeri um der Justiz wie folgt beantwortet: 1. Mit welchen Ergebnissen wurde der Betroffene auf psychologischen Hilfebedarf – vor der Abschiebung wie auch nach der Festnahme – untersucht? Der Betroffene wurde am 4. März 2014 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe in die Justizvollzugsanstalt Passau eingeliefert . Der Betroffene zeigte während seiner Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Passau eine unauffällige vollzugliche Führung. Er verhielt sich ruhig, angepasst und fügte sich reibungslos in den Vollzug ein. Sowohl im Umgang mit Bedienste ten als auch Mitgefangenen zeigte er kein auffälliges Verhalten. Die durchgeführte ärztliche Zugangsuntersuchung erbrachte keine Hinweise auf die Notwendigkeit einer psychologischen Intervention respektive einen entsprechenden Betreuungs bedarf. Eine weitergehende, insbesondere (fach-)ärztliche Untersuchung des Betroffenen auf entsprechenden Hilfebedarf war aus seinerzeitiger vollzuglicher Sicht daher weder nach seiner Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt Passau noch vor seiner Überantwortung an Bedienstete der Bundespolizei am 1. April 2014 indiziert. Das sich anschließende Verfahren der Rücküberstellung erfolgte durch die Bun despolizei in eigener Verantwortung ohne Beteiligung einer bayerischen Behörde. Während der Rücküberstellung des Betroffenen auf dem Luftweg nach Ungarn bemächtigte sich der Betroffene nacheinander zweier Stewardessen und verletzte eine der beiden mit einer Rasierklinge, woraufhin das Flugzeug nach München zurückkehrte. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 05.11.2014 17/3084 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/3084 Wegen dieses Vorfalls befand sich der Betroffene aufgrund Haftbefehls des Amts gerichts Erding ab dem 2. April 2014 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugs anstalt Landshut. Nachdem das dem Betroffenen zur Last gelegte Geschehen im Flugzeug nunmehr nahelegte, dass bei ihm eine erhebliche Stresssituation vorlag, wurde die Unterbringung des Betroffenen auf der Krankenabteilung der Anstalt angeordnet. Dort wurde er bis zum 9. April 2014 untergebracht und eingehend untersucht. Weder von ärzt- licher noch von pflegerischer Seite wurden im Zuge dessen psychische Auffälligkeiten festgestellt. Auch im Rah- men sich anschließen der Gespräche mit Vertretern des Sozialdienstes sowie der für ihn zuständigen Abteilungsleitung ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremd gefährdung oder sonstige Auffällig- keiten. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Betroffene während seines Aufent halts in der Justizvollzugsanstalt Landshut eingehend auf psychologischen Hilfebedarf untersucht , ein solcher indessen nicht festgestellt wurde. 2. Wie war der Ablauf des Abschiebeversuchs nach Ungarn, warum wurde trotz der psychischen Probleme des Betroffenen ein Abschiebeversuch unternommen ? Hierzu kann die Staatsregierung keine Angaben machen. Das Verfahren der Rücküberstellung erfolgte durch die Bundespolizei in eigener Verantwortung ohne Beteiligung einer bayerischen Behörde. 3. Wurde vor der Abschiebung das Angebot einer Rückkehrberatung gemacht? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. a) Weshalb wurden Mitarbeiter und Passagiere der betroffenen Fluglinie durch die bayerischen Behörden in Gefahr gebracht, weil eine Abschiebung unter diesen Umständen durchgeführt wurde? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. b) Welche Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen der betroffenen Fluglinie und/oder wel ches Bordpersonal wurde von der geplanten Abschiebung und den Hintergründen informiert? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 5. Hält die Staatsregierung weiterhin an ihrer Praxis fest, in EU-Staaten abzuschie ben, in denen offensichtlich Asylverfahren und die Betreuung von Asylsuchenden nicht nach europäischen Standards durchgeführt werden? Die Frage setzt voraus, bayerische Ausländerbehörden hätten bei der Frage des „Ob“ von Rücküberstellungen von Asylbewerbern, für deren Asylverfahren nach der Dublin-Verordnung ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, Entscheidungs spielräume. Dies ist nicht der Fall. Zuständig für die Durchführung der Dublin-Verordnung ist das Bundesamt für Mig ration und Flüchtlinge. Dieses prüft, ob Deutschland für die Behandlung der Asyl anträge zuständig ist oder diese aufgrund besonderer Umstände trotz Unzustän digkeit im Rahmen des sog. Selbsteintrittsrechts behandelt. Den bayerischen Aus länderbehörden obliegt lediglich die Durchführung der durch das Bundesamt angeordneten Überstellung. Sie sind an die Entscheidungen des Bundesamts ge bunden und nicht befugt, die Situation der Asylbewerber im Zielstaat zu prüfen oder die Überstellung infrage zu stellen. 6. a) Wie ist die derzeitige Situation Asylsuchender in Ungarn im Hinblick auf Verfahren und Unterbringung der Asylsuchenden? Die Beurteilung der Rückkehrsituation von Asylbewerbern in andere Mitgliedstaa ten obliegt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und nicht den bayeri schen Ausländerbehörden (vgl. Antwort zu Frage 5). Für die Beurteilung durch das Bundesamt bzw. bei einer gerichtlichen Überprü fung durch die Verwaltungsgerichte gilt: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dürfen Asylbewerber nach der Dublin -Verordnung nicht in Mitgliedstaaten überstellt werden, wenn dort sys temische Mängel des Asylverfahrens bzw. bei den Aufnahmebedingungen mit der Folge bestehen, dass Asylbewerber dort tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. EGMR und EuGH haben systemische Mängel bislang nur betreffend Griechenland festge stellt. Betreffend Ungarn vertreten die Instanzgerichte vorherrschend die Auffas sung, dass systemische Mängel nicht bestehen. b) Welche Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und Existenzsicherung haben Asylsu chende in Ungarn nach Anerkennung in einem Asylverfahren? Die Frage bezieht sich auf das ungarische Asylrecht, das nach dem Beitritt Un garns zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 an die damals geltende Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerken nung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, anzupassen war. Gemäß Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG gestatten die Mitgliedstaaten Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, unmittelbar nach der Zuerkennung die Aufnahme einer unselbstständigen oder selbstständigen Er werbstätigkeit nach den Vorschriften, die für den betreffenden Beruf oder für die öffentliche Verwaltung allgemein gelten. Die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften über das Arbeitsentgelt, den Zugang zu Systemen der sozialen Sicherheit im Rahmen der abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit so wie sonstige Beschäftigungsbedingungen finden Anwendung (Art. 26 Abs. 5 Richtlinie 2004/83/EG). Die nachfolgende Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit An recht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, enthält identische Bestimmungen. c) Wie beurteilt die Staatsregierung die Sicherheit Asylsuchender vor rechtsradikalen Übergriffen in Ungarn? Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben die Europäische Menschen rechtskonvention anerkannt und sich im Rahmen des sog. Gemeinsamen Europä ischen Drucksache 17/3084 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Asylsystems einem fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahren verpflichtet. Deutschland kann sich also grundsätzlich auch darauf verlassen, dass Asylbewer ber in anderen Mitgliedstaaten keine unmenschliche oder erniedrigende Behand lung erfahren. Im Übrigen obliegt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Prüfung der Situation der Asylbewerber im Zielstaat, wozu auch etwaige Si cherheitsgefährdungen gehören. 7. Wie häufig wurden in den letzten beiden Jahren Asylbewerber in normalen Linien flugzeugen abgeschoben und wie wird künftig verhindert, dass Dritte und Unbetei ligte dadurch in Gefahr gebracht werden? In der Zuständigkeit bayerischer Behörden wurden 2012 insgesamt 182 abgelehn te Asylbewerber auf Linienflügen abgeschoben. 2013 waren es 224, im laufenden Jahr bislang 122. Zahlen der Bundespolizei liegen nicht vor. Die Frage einer eventuell notwendigen Sicherheitsbegleitung richtet sich nach den Bestimmungen über die Rückführung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg (BestRückLuft) des Bundesministeriums des Innern, die für Vollzugsbe amte der Bundespolizei bundesweit verbindlich sind. In allen Fällen, an denen bayerische Ausländerbehörden und bayerische Vollzugsbeamte an Abschiebun gen beteiligt waren, haben sich diese Vorschriften bisher als ausreichend erwie sen. 8. a) War die Fixierung durch Mitarbeiter der JVA ursächlich für den Tod des Betroffe nen? Die Staatsanwaltschaft Landshut hat gegen acht Bedienstete der Justizvollzugs anstalt Landshut ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge eingeleitet, das weiterhin andauert. Die Frage, ob und gegebenen falls welche Handlungen von Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Landshut ur sächlich für den Tod des Betroffenen waren, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen , deren Ergebnis abzuwarten bleibt. Die zeitliche Rekonstruktion des Vor falls liegt der Staatsanwaltschaft inzwischen vor, das abschließende Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin steht noch aus. b) Wird gegen die Mitarbeiter der JVA ermittelt? Auf die Antwort zu Frage 8 a wird verwiesen. c) Wenn ja, wegen welchen Verdachtsmomenten? Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens erfolgte vor dem Hintergrund der ersten Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Landshut über die Geschehnisse in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 2014 in der Justizvollzugsanstalt Landshut, wo nach der Betroffene Bedienstete der Anstalt tätlich angegriffen und verletzt habe und nach einem Handgemenge im Rahmen von Fixierungsmaßnahmen kollabiert und am Vormittag des 24. Mai 2014 schließlich verstorben sei, sowie der vorläufi gen Ergebnisse der am selben Tag durchgeführten Obduktion des Betroffenen. Danach habe sich eine mit bloßem Auge sicher nachweisbare Todesursache nicht ergeben. In erster Linie sei an einen lagebedingten Erstickungstod zu denken. Weiter festgestellte Verletzungen im Kehlkopfbereich könnten hinsichtlich ihrer Relevanz für den Gesamtverlauf ad hoc noch nicht abgeschätzt werden.