Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 14.08.2014 Reformprozess im Verfassungsschutzverbund In einer Reihe von Bundesländern und im Bund wird infolge der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und der im Anschluss identifizierten Defizite u.a. bei den Verfassungsschutzbehörden derzeit über neue Verfassungsschutzgesetze und die Novellierung bestehender gesetzlicher Vorschriften diskutiert und parlamentarisch entschieden . Ich frage die Staatsregierung: 1. Welchen Stand hat der Reformprozess zur Novellierung der Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesbehörden für Verfassungsschutz und wie beteiligt sich die Staatsregierung an diesem Reformprozess ? 2. Ist es in diesem Zusammenhang zutreffend, dass Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Anweisung erteilt haben, besonders schutzwürdige Informationen nicht mehr an den Thüringer Verfassungsschutz oder andere Verfassungsschutzbehörden weiterzugeben? 3. Falls ja, welche Behörden haben nach Kenntnis der Staatsregierung eine entsprechende Anweisung erteilt und wann? 4. Falls bayerische Behörden eine entsprechende Anweisung erteilt haben sollten, was ist der genaue Inhalt der Anweisung und welche Informationen sind nach Thüringen nicht mehr zu übermitteln? 5. Falls bayerische Behörden eine entsprechende Anweisung erteilt haben, auf welcher Grundlage erfolgte diese und wie begründet die Staatsregierung eine solche Anweisung ? 6. Welche Initiativen plant die Staatsregierung im Hinblick auf den Reformprozess im Verfassungsschutzverbund? 7. Wie steht die Staatsregierung der Einführung einer zentralen V-Mann-Datei des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz gegenüber , und weshalb verzögert sich bislang die angekündigte Einführung? 8. Wann ist mit Ergebnissen der Reform zu rechnen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 24.09.2014 1. Welchen Stand hat der Reformprozess zur Novellierung der Zusammenarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesbehörden für Verfassungsschutz und wie beteiligt sich die Staatsregierung an diesem Reformprozess? Das Bundesministerium des Innern plant eine Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG). Schwerpunkte sollen etwa die Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und die Neufassung der Übermittlungsvorschriften zur Verbesserung des Informationsflusses zwischen den Sicherheitsbehörden sein. Dabei sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zum Antiterrordateigesetz vom 24.04.2013 (1 BvR 1215/07) zu berücksichtigen. Das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat sich sowohl auf politischer als auch auf fachlicher Ebene im Rahmen von Bund-Länder-Arbeitsgruppen am bisherigen Diskussionsprozess zur Novellierung des Bundesverfassungsschutzgesetzes beteiligt. Der federführend vom Bundesinnenministerium auf Basis der fachlichen Vorarbeiten erarbeitete Gesetzentwurf soll zeitnah mit den übrigen Ressorts auf Bundesebene abgestimmt werden. Er liegt der Staatsregierung noch nicht vor. Die parlamentarischen Beratungen schließen sich hieran an. Die Länder können ihre Vorstellungen über den Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren einbringen. 2. Ist es in diesem Zusammenhang zutreffend, dass Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Anweisung erteilt haben, besonders schutzwürdige Informationen nicht mehr an den Thüringer Verfassungsschutz oder andere Verfassungsschutzbehörden weiterzugeben? 3. Falls ja, welche Behörden haben nach Kenntnis der Staatsregierung eine entsprechende Anweisung erteilt und wann? 4. Falls bayerische Behörden eine entsprechende Anweisung erteilt haben sollten, was ist der genaue Inhalt der Anweisung und welche Informationen sind nach Thüringen nicht mehr zu übermitteln? 5. Falls bayerische Behörden eine entsprechende Anweisung erteilt haben, auf welcher Grundlage erfolgte diese und wie begründet die Staatsregierung eine solche Anweisung? Wegen des gegebenen Sachzusammenhangs werden die Fragen 2 bis 5 gemeinsam beantwortet. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 05.11.2014 17/3119 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/3119 Der Staatsregierung liegen keine Informationen über die Erteilung von Weisungen vor, die ein Absehen von der Übermittlung besonders sensibler, geheimhaltungsbedürftiger Erkenntnisse an den Thüringer Verfassungsschutz vorsehen . In Bayern ist eine derartige dienstliche Weisung weder durch das Innenministerium noch durch die Amtsleitung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz (BayLfV) ergangen. Das inzwischen verabschiedete und zum 01.01.2015 in Kraft tretende neue Thüringer Verfassungsschutzgesetz (Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung sicherheitsrechtlicher Vorschriften vom 08.08.2014, GVBl für den Freistaat Thüringen Nr. 8 vom 28.08.2014, S. 529) trägt den bestehenden Sicherheits- und Geheimhaltungsinteressen im Einzelfall hinreichend Rechnung. So ist eine Weitergabe von Informationen anderer Verfassungsschutzbehörden, die im Rahmen der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern dem Thüringer Verfassungsschutz übermittelt werden, nur nach einer Abstimmung mit der datenübermittelnden Behörde möglich. Die Übermittlungspflicht des Thüringer Verfassungsschutzes ist insofern eingeschränkt (vgl. § 22 Abs. 2 ThürVerfSchG n. F. und die Beschlussempfehlung des Innenausschusses im Thüringer Landtag Drs. 5/8007, S. 2 f.). 6. Welche Initiativen plant die Staatsregierung im Hinblick auf den Reformprozess im Verfassungsschutzverbund ? Die Staatsregierung wird im Herbst den Ausschüssen für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen sowie für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport über die Umsetzung der Erkenntnisse der Untersuchungsausschüsse des 16. Bayerischen Landtags und des 17. Deutschen Bundestags zur NSU-Mordserie berichten (vgl. Berichtsantrag der CSU-Fraktion auf der Drs. 17/2550 vom 07.07.2014, und die entsprechende Beschlussempfehlung auf der Drs. 17/2667 vom 10.07.2014). Beide Ausschüsse werden dabei auch über den Stand des Reformprozesses zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes unter Berücksichtigung des bis dahin weiter fortgeschrittenen Normsetzungsverfahrens auf Bundesebene informiert. Eine – in Aussicht genommene – Novellierung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes ist nur unter Berücksichtigung der normativen Anpassungen und Neuerungen im Bundesverfassungsschutzgesetz sinnvoll. Dies entspricht den Empfehlungen der Untersuchungsausschüsse und den Ergebnissen der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus (BLKR), die von den Untersuchungsausschüssen ebenfalls herangezogen wurden. Eine weitgehende Vereinheitlichung der Übermittlungsvorschriften des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern hat namentlich die BLKR gefordert (vgl. deren Abschlussbericht vom 30.04.2013, S. 224 ff. Rn. 509 ff. und S. 355 Rn. 798). Die Staatsregierung wird deshalb eine Initiative zur Änderung der normativen Grundlagen für die Arbeit des Verfassungsschutzes in Bayern ergreifen, sobald die künftige Regelungslage auf Bundesebene hinreichend sicher absehbar ist. 7. Wie steht die Staatsregierung der Einführung einer zentralen V-Mann-Datei des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz gegenüber, und weshalb verzögert sich bislang die angekündigte Einführung? Die Staatsregierung begrüßt die Einführung einer zentralen Datei für die von den Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern eingesetzten Vertrauenspersonen (VP). Für die rechtliche Ausgestaltung und technische Umsetzung der beim BfV geführten Datei ist eine Abstimmung aller Länder mit dem Bund erforderlich. Dieser Prozess ist noch nicht endgültig abgeschlossen. Eine Realisierung der Datei ist aus Sicht der Staatsregierung aber zeitnah zu erwarten. Im Übrigen darf zu diesem Themenkomplex auf die Antwort der Bundesregierung vom 07.08.2014 auf eine im Deutschen Bundestag gestellte Kleine Anfrage verwiesen werden (BT-Drs. 18/2300). 8. Wann ist mit Ergebnissen der Reform zu rechnen? Die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes ist ein Prozess , der mit der Aufdeckung der NSU-Mordserie im Herbst 2011 begonnen hat. Er beschränkt sich nicht auf die Anpassung normativer Grundlagen, sondern erfordert eine Optimierung der bisherigen Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden , insbesondere aber auch der bisherigen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern . Das BayLfV beteiligt sich ebenso wie die Abteilung Verfassungsschutz und Cybersicherheit im Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr an den bundesweiten Reformüberlegungen. In Bayern sind frühzeitig praktische Umsetzungsmaßnahmen ergriffen worden, deren Erfolge bereits sichtbar sind. Verfolgt wurden in allererster Linie drei wesentliche Ziele: – größere Transparenz der Arbeit des Verfassungsschut- zes, – Intensivierung der Beobachtung des gewalttätigen Rechtsextremismus durch einen personen- und fallbezogenen Ansatz und – eine Optimierung der Zusammenarbeit mit den anderen Sicherheitsbehörden. Über den bisherigen Verlauf des Reformprozesses im Bereich des Verfassungsschutzes, aber auch darüber hinaus , hat das Innenministerium bereits im Juni 2013 dem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ berichtet (siehe das als Anlage 5 des Schlussberichts veröffentlichte Schreiben – Drs. 16/17740 vom 10.07.2013, S. 237 ff.). Zudem ist der Bayerische Landtag zuletzt in der Antwort auf eine Anfrage zum Plenum des Herrn Abgeordneten Franz Schindler über den diesbezüglichen Sachstand informiert worden. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (LT-Drs. 17/1882 vom 08.05.2014, S. 8 ff.). Die Ergebnisse der gegenwärtig noch ausstehenden gesetzgeberischen Änderungen bleiben abzuwarten.