Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Alexandra Hiersemann SPD vom 11.08.2014 Bundeserstattungen Bildungs- und Teilhabeleistungen Nach langen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss beschloss der Bundesgesetzgeber im März 2011 das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket. Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen Rechtskreisen (SGB II, SGB XII, Wohngeld, Kinderzuschlag, Asylbewerber, Geringverdiener) sollen hiernach aus Steuermitteln Leistungen zusätzlich finanziert werden, die im Umfeld des Schulbesuchs anfallen oder die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern. Hierbei handelt es sich z. B. um Klassenausflüge, Schulbedarf , Lernförderung, Schulmittagessen sowie um soziale und kulturelle Teilhabe. Für die Umsetzung sind die Kommunen zuständig, deren Aufwand vollständig aus dem Bundeshaushalt zu erstatten ist. Während in der ersten Phase der Umsetzung die Bewältigung der Verfahrensregelungen im Vordergrund stand, rücken mittlerweile Finanzierungsprobleme sowie die Frage in den Mittelpunkt, inwieweit das angestrebte Ziel erreicht wird, die Chancengleichheit im Bildungswesen und die gesellschaftliche Teilhabe für Kinder aus dem angesprochenen Personenkreis zu verbessern. Nach § 46 Absätze 6–8 SGB II hat der Bund den Kommunen die individuellen Bildungs- und Teilhabe-Sachleistungen (B+T) für die Kinder zu 100 % zu erstatten, deren Eltern z. B. SGB II, Wohngeld oder Kinderzuschlagsleistungen beziehen . Aus verfassungsrechtlichen Gründen (Föderalismusreform ) können diese kommunalen Ausgaben jedoch nicht unmittelbar aus dem Bundeshaushalt an die Kommunen erstattet werden, sondern nur über den Umweg über den Haushalt des jeweiligen Bundeslandes. Zu diesem Zweck rechnet der Bund die zur B+T-Erstattung für alle bayerischen Kommunen erforderlichen Mittel in einen zusätzlichen Prozentsatz auf die reguläre KdUBundeserstattung (Unterkunftskostenanteil des Bundes für SGB-II-Bezieher) für bayerische Kommunen um. Die so an den Freistaat Bayern überwiesene, erhöhte KdU-Bundeserstattung enthält nunmehr also sowohl die Bundesmittel zur teilweisen Erstattung der KdU-Kosten der bayerischen Kommunen wie auch die Bundesmittel zur vollständigen Erstattung der B+T-Kosten der bayerischen Kommunen . Bei der Weiterverteilung durch den Freistaat an die bayerischen Kommunen müssten – um eine sachgerechte Kostenerstattung vor Ort zu erreichen – beide Teilsummen nach unterschiedlichen Maßstäben verteilt werden: Die ei- gentliche KdU-Erstattung nach dem Maßstab „örtlicher KdUAufwand “ und die zur B+T-Erstattung bestimmte Teilsumme nach dem Maßstab „örtlicher B+T-Aufwand“. Aktuell gibt es im Freistaat Bayern für die Weiterverteilung der zur B+T-Erstattung bestimmten Teilsumme allerdings keine gesonderte Regelung zur Verteilung dieser Bundesmittel auf die einzelnen Kommunen entsprechend den tatsächlich geleisteten B+T-Zahlungen. Stattdessen wird auch diese Teilsumme nach dem sachlich falschen Maßstab „örtlicher KdU-Aufwand“ verteilt – mit der Folge, dass das Ziel der B+T-Kostenerstattung massiv verfehlt wird: Der erstattungsfähige Kostenaufwand für Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket betrug z. B. in der Stadt Erlangen im Jahr 2013 615.525,76 €. Tatsächlich gingen 2013 bei der Stadt Erlangen für diesen Zweck aber lediglich Bundesmittel in Höhe von 278.965,80 € ein. In der Konsequenz bewirkt dieses Fehlen einer gesonderten Verteilungsregelung für die vom Bund an den Freistaat Bayern gezahlten B+T-Erstattungsmittel, dass den bayerischen Kommunen mit hoher Inanspruchnahme von B+TLeistungen die ihnen nach dem Gesetz zustehenden Bundeserstattungen zum Teil vorenthalten werden. Dagegen erhalten Kommunen mit geringerer Inanspruchnahme von B+T-Leistungen vom Freistaat mehr Erstattungszahlungen des Bundes überwiesen, als sie überhaupt für diesen Zweck ausgegeben haben. Ich frage deshalb die Staatsregierung: 1. Nach welcher Methode erfolgt aktuell in Bayern die Verteilung der Bundesmittel für die Erstattung der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket auf die Kommunen ? 2. Wie begründet die Staatsregierung, dass aktuell nicht alle Kommunen ihren tatsächlichen Aufwand im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets erstattet bekommen? 3. Welche Maßnahmen trifft die Staatsregierung, um in Zukunft eine gerechte, die tatsächlichen Ausgaben der jeweiligen Kommune ausgleichende Verteilung zu gewährleisten (durch nicht ankommende Bundeserstattungen würde auf Dauer ein starker Anreiz zur Reduzierung von B+T-Leistungen gesetzt werden)? 4. Wie viele und welche Kommunen in Bayern erhalten aktuell weniger Mittel erstattet, als ihnen gem. § 46 Absätze 6–8 SGB II eigentlich zusteht und wie viele Kommunen in Bayern erhalten aktuell mehr Mittel erstattet, als ihnen eigentlich zustehen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 10.11.2014 17/3295 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/3295 Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 04.10.2014 1. Nach welcher Methode erfolgt aktuell in Bayern die Verteilung der Bundesmittel für die Erstattung der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket auf die Kommunen? Bei Einführung der Bildungs- und Teilhabeleistungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (BuT) im Jahr 2011 (betrifft SGB II, SGB XII, Bundeskindergeldgesetz – BKGG, Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG) erhielten die Kommunen die politische Zusage der Bundesregierung , dass entstehende Kosten ausgeglichen werden. Eine unmittelbare Eins-zu-eins-Erstattung der BuT durch Bundesmittel hätte zur Bundesauftragsverwaltung geführt (Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG). Eine solche war nicht gewollt . Stattdessen erhalten die Kommunen zur Finanzierung der BuT (allerdings nur, soweit betreffend SGB II und BKGG) einen mittelbaren Ausgleich. Dazu wird die Beteiligungsquote des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) um einen jährlich gesetzlich festzulegenden Prozentsatz erhöht. Bislang sieht das bayerische Landesrecht eine unveränderte Weitergabe der gesamten Bundesbeteiligung an die Kommunen vor. Infolgedessen kommen die Mittel ausschließlich entsprechend dem jeweiligen Aufwand für KdU bei den Kommunen an. Eine auf die BuT bezogene, belastungsadäquate Verteilung findet bisher nicht statt. 2. Wie begründet die Staatsregierung, dass aktuell nicht alle Kommunen ihren tatsächlichen Aufwand im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets erstattet bekommen? Die aktuelle bayerische Regelungslage entspricht dem Bundesrecht . Der Bund erstattet KdU-Anteile. Der Freistaat gibt diese eins zu eins weiter. Die gesamte Bundesbeteiligung erfolgt gem. § 46 Abs. 5 SGB II „zweckgebunden“, ohne dass der Zweck im Gesetzeswortlaut des SGB II ausdrücklich näher definiert würde. Die Zweckbindung muss daher aus dem Sinnzusammenhang erschlossen werden und bedeutet im Wesentlichen, dass die Länder als Empfänger der Erstattungsleistungen des Bundes zur Weitergabe an die zuständigen Träger des SGB II verpflichtet sind. Es handelt sich um eine allgemeine, auf das SGB II bezogene Zweckbindung. Eine Vorgabe dazu, ob die Bundesbeteiligung an den KdU als solche unverändert an die Kommunen weiterzugeben ist, oder ob der als Kompensation für BuT gedachte Anteil entsprechend den jeweiligen Leistungsausgaben für BuT umzuverteilen ist, enthält das Bundesgesetz nicht und kann es auch nicht. In § 46 Absatz 6 und 7 SGB II wird im Bund-Länder-Verhältnis eine jährliche Revision vorgesehen, wonach die Ausgabenentwicklung bei BuT sich auf die Höhe der Bundesbeteiligung an den KdU auswirkt. Die BuT sind jedoch ausschließlich Berechnungsgrundlage , nicht Gegenstand der Erstattung. Erstattet werden ausschließlich KdU-Anteile. Es ist Aufgabe des Landesgesetzgebers, den bestehenden Gestaltungsspielraum zu nutzen und entweder eine Umverteilung vorzunehmen oder die bisherige schlichte Weitergabe der Mittel zu belassen. 3. Welche Maßnahmen trifft die Staatsregierung, um in Zukunft eine gerechte, die tatsächlichen Ausgaben der jeweiligen Kommune ausgleichende Verteilung zu gewährleisten (durch nicht ankommende Bundeserstattungen würde auf Dauer ein starker Anreiz zur Reduzierung von B+T-Leistungen gesetzt werden)? Die Staatsregierung hat noch nicht abschließend entschieden , ob und in welcher Richtung sie initiativ wird. a) Es gibt gute Gründe sowohl für eine veränderte Verteilung als auch für den Fortbestand der bisherigen Regelung : ● Einerseits kann eine Beteiligung an den KdU, selbst wenn sie für die Gesamtheit der bayerischen Kommunen relativ zielgenau erfolgt, nicht für jede einzelne Kommune den tatsächlichen Ausgaben für BuT entsprechen. Je nach Entwicklung der Ausgaben bei den KdU bzw. bei den BuT gibt es bei den Kommunen „Gewinner“ und/oder „Verlierer“. Der Bayerische Landkreistag und der Bayerische Städtetag haben daher ganz im Sinne der Stadt Erlangen darum gebeten, landesweit einen Ausgleichmechanismus einzuführen, der eine möglichst an den BuTAusgaben orientierte Verteilung dieser KdU-Bundesmittel gewährleistet. ● Auf der anderen Seite kann eine Vollkostenerstattung zu Fehlanreizen und zu unwirtschaftlichem Verhalten führen. Es ist strukturell problematisch, die politischen Entscheidungsträger vor Ort in die Lage zu setzen, auf fremde Rechnung, also ohne jedes finanzielle Eigenrisiko, unlimitierte sozialpolitische Wunschvorstellungen umsetzen zu können. Zudem bedeutet eine Umverteilung erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, und zwar sowohl bei der durchführenden staatlichen Stelle als auch bei den Kommunen . Mit der Zahl der Umverteilungs- und Ausgleichsmaßnahmen steigt auch die Zahl der möglichen Fehlerquellen (Datenübertragungsfehler, Berechnungsfehler, Zuordnungsfehler). Auch in anderen Bereichen erfüllen die Kommunen soziale Aufgaben ohne Vollkostenerstattung. Die von den Kommunen gewünschte Umverteilung bringt einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich und macht das Verfahren fehleranfälliger. Wenn die von den Kommunen gewünschte Umverteilung neben den bestehenden Belastungsausgleich zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“ und zum Ausgleich von Verwerfungen durch die Verlagerung sozialer Zuständigkeiten für Ausländer und Aussiedler von den Bezirken auf die Kreisebene nach Art. 5 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze – AGSG) tritt, wird sich zusätzlich auch die Komplexität des Belastungsausgleichs nochmals erhöhen. In diesem Zusammenhang wird die Staatsregierung für ihr Initiativverhalten die von ihr selbst festgelegte Paragrafenbremse berücksichtigen. Ziel ist es, der Gefahr, mit immer neuen Vorschriften beständig die Komplexität des Verwaltungshandelns zu erhöhen, entschlossen entgegen- wirken. Der Staatsregierung liegt inhaltlich daran, den bereits vorhandenen Verwaltungsabläufen nicht beständig neue hinzuzufügen, ohne gleichzeitig die Berechtigung der bereits vorhandenen Abläufe kritisch zu hinterfragen. Bei einer Rechtsänderung, die zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führt, sind daher auch Maßnahmen zur Entlastung der Verwaltung zu ergreifen. Drucksache 17/3295 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 b) Im Zusammenhang mit einer möglichen Umverteilung der Bundesbeteiligung an KdU bietet sich als Möglichkeit, eine Erhöhung der Komplexität zu vermeiden, zugleich als Kompensation im Sinne der Paragrafenbremse eine Aufhebung des bestehenden Belastungsausgleichs zu Hartz IV (Aufhebung von Art. 5 AGSG) an, bei gleichzeitiger Umschichtung /Einpassung der dort verfügbaren Finanzmittel in eine bestehende laufende Finanzausgleichsleistung. Acht Jahre nach der Einführung des SGB II braucht es keine Abfederung des Übergangs mehr. Die Staatsregierung möchte das Vorhaben zu a allenfalls im „Paket“ mit dem Vorhaben zu b umsetzen und steht insoweit in Gesprächen mit den Kommunalen Spitzenverbänden . 4. Wie viele und welche Kommunen in Bayern erhalten aktuell weniger Mittel erstattet, als ihnen gem. § 46 Absätze 6-8 SGB II eigentlich zustehen, und wie viele Kommunen in Bayern erhalten aktuell mehr Mittel erstattet , als ihnen eigentlich zustehen? Für das Jahr 2013 haben folgende Kommunen mehr für BuT verausgabt, als sie an Mitteln nach § 46 Absätze 6–8 SGB II (anteilige Bundesbeteiligung an den KdU) erhalten haben: Aichach-Friedberg, Altötting, Amberg-Stadt, AmbergSulzbach -Landkreis, Ansbach-Landkreis, AschaffenburgLandkreis , Aschaffenburg-Stadt, Augsburg-Landkreis, Augsburg-Stadt, Bad Kissingen, Bayreuth-Stadt, Cham, Coburg-Landkreis, Coburg-Stadt, Dachau, DingolfingLandau , Donau-Ries, Eichstätt, Erding, Erlangen-Höchstadt -Landkreis, Erlangen-Stadt, Forchheim, Freising, Freyung-Grafenau, Fürth-Landkreis, Fürth-Stadt, Günzburg , Haßberge, Hof-Landkreis, Hof-Stadt, Ingolstadt, Kaufbeuren , Kelheim, Kempten, Kitzingen, Kronach, Kulmbach, Landsberg a. Lech, Landshut-Landkreis, Landshut-Stadt, Lichtenfels, Lindau (Bodensee), Main-Spessart, Memmingen , Miesbach, Miltenberg, München-Landkreis, Neuburg -Schrobenhausen, Neumarkt i. d. Opf., Neustadt a. d. Aisch-Bad Windsheim, Neustadt a. d. Waldnaab, Neu-Ulm, Nürnberg-Stadt, Oberallgäu, Ostallgäu, Pfaffenhofen a. d. Ilm, Regen, Regensburg-Landkreis, Regensburg-Stadt, Rhön-Grabfeld, Rosenheim-Landkreis, Rosenheim-Stadt, Roth, Schwabach, Schwandorf, Schweinfurt-Landkreis, Tirschenreuth, Unterallgäu, Weiden i. d. Opf., WeißenburgGunzenhausen , Wunsiedel i. Fichtelgeb., Würzburg-Stadt. Alle übrigen Kommunen hatten niedrigere Ausgaben für BuT als anteilige Einnahmen durch Bundesbeteiligung an KdU. Ausgaben für BuT und anteilige Einnahmen durch Bundesbeteiligung an KdU sind in keinem einzigen Fall deckungsgleich . Das ist wenig überraschend, da auch der Anteil der Kommunen an den gesamtbayerischen BuT-Leistungen und der Anteil an den gesamtbayerischen KdU- Leistungen in keinem Fall deckungsgleich sind. Die Kommunen haben allerdings in jedem Fall genau das erhalten, was ihnen aufgrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen (SGB II und Landesrecht) zusteht. Es steht ihnen auch nicht „eigentlich“ etwas anderes zu, solange der Landesgesetzgeber keine entsprechende Regelung trifft. Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen .