Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Jürgen Mistol BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25.11.2013 Verkauf der landeseigenen Wohnungsgesellschaft GBW und Mieterschutz durch Sozialcharta Bereits ein halbes Jahr nach dem Verkauf der landeseigenen GBW-Wohnungen an das private Investorenkonsortium um das Augsburger Unternehmen Patrizia drängt sich der Verdacht auf, dass die Sozialcharta, die den GBW-Mietern nach dem Verkauf eigentlich einen besonderen Schutz garantieren soll, offenbar nicht greift und dies vonseiten der Patrizia vollumfänglich ausgenutzt wird. Ich frage die Staatsregierung: 1. War die Staatsregierung beim Entwurf der Sozialcharta beteiligt? a) Wenn ja, in welcher Form? b) Wenn nein, weshalb nicht? 2. Wann wurde die Sozialcharta dem Landtag bzw. dem Haushaltsausschuss erstmals vorgelegt? a) Hatte der Bayerische Landtag die Möglichkeit, Änderungen der Sozialcharta vorzunehmen? b) Wenn nein, weshalb nicht? 3. Da bei Mieterhöhungen, Investitionen und Verkauf immer Bezug auf den Gesamtbestand genommen wird und die Sozialcharta rechtlich auch nicht belastbar ist, stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt ein individueller Mieterschutz besteht? a) Inwieweit geht die Sozialcharta über den bundes- und landesrechtlich geregelten Mieterschutz hinaus? b) Mit wie vielen Mietern wurden bisher individuelle Zusatzvereinbarungen getroffen? c) Wie wird bei Weiterkäufen sichergestellt, dass diese individuellen Zusatzvereinbarungen ebenfalls getroffen werden? 4. Wie viele Wohnungen aus dem GBW-Bestand wurden bisher von der Patrizia weiterverkauft? a) An welchen Standorten ist das der Fall? b) Welche Städte und Gemeinden planen, von dem kom- munalen Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen bzw. haben schon Gebrauch davon gemacht? c) Wie viele Mieter haben bisher vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht? 5. Wie viele der GBW-Wohnungen stehen auf kommunalen Grundstücken, die der Erbpacht unterliegen? a) An welchen Standorten ist das der Fall? 6. Weshalb wurde im Kaufvertrag kein unabhängiges Kontrollgremium festgeschrieben? a) Wie kontrolliert bzw. evaluiert die Staatsregierung die Einhaltung der Sozialcharta? b) Wie ist überhaupt eine Kontrollmöglichkeit gewährleistet , wenn bei einer Evaluation nur der Gesamtbestand erfasst und nicht zwischen den Standorten differenziert wird? 7. Welche Vertragsstrafen sind im Kaufvertrag festgelegt ? a) Wie können Vertragsverstöße festgestellt und entsprechend sanktioniert werden? b) In welchen Fällen wurden bereits Vertragsstrafen verhängt ? c) In welcher Höhe sind bisher Vertragsstrafen verhängt worden? Antwort des Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat vom 10.01.2014 1. War die Staatsregierung beim Entwurf der Sozialcharta beteiligt? a) Wenn ja, in welcher Form? b) Wenn nein, weshalb nicht? Die Sozialcharta wurde von der BayernLB in Zusammenarbeit mit ihren Beratern unter Berücksichtigung insbesondere der beihilferechtlichen Vorgaben erstellt. Die Bayerische Staatsregierung war über ihre Mandatsträger im Verwaltungsrat und auch in Gesprächen mit Vertretern der BayernLB bei der Erstellung der Sozialcharta eingebunden. Dabei wurde von Anfang an darauf gedrungen, die Grenze des rechtlich Möglichen vollständig auszuschöpfen. 2. Wann wurde die Sozialcharta dem Landtag bzw. dem Haushaltsausschuss erstmals vorgelegt? a) Hatte der Bayerische Landtag die Möglichkeit, Änderungen der Sozialcharta vorzunehmen? b) Wenn nein, weshalb nicht? Die von der Patrizia AG veröffentlichte Sozialcharta wurde in der Sitzung des Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen am 9. April 2013 verteilt. Der Verkauf der Beteiligung an der GBW AG und damit auch die Regelungen der dem Verkauf zugrunde gelegten Sozialcharta lag in der Zuständigkeit der BayernLB. Im Vorfeld des Verkaufs erhobene Regelungswünsche wurden von der BayernLB auf ihre rechtliche Machbarkeit überprüft. Bei der Festlegung der Regelungen der Sozialcharta ging die BayernLB dann an die Grenzen des EU-rechtlich Möglichen. Im Übrigen sprach Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 21.02.2014 17/366 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/366 die BayernLB noch vor Durchführung des Bieterverfahrens mit Vertretern von Mieterverbänden über die Inhalte der Sozialcharta . 3. Da bei Mieterhöhungen, Investitionen und Verkauf immer Bezug auf den Gesamtbestand genommen wird und die Sozialcharta rechtlich auch nicht belastbar ist, stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt ein individueller Mieterschutz besteht? a) Inwieweit geht die Sozialcharta über den bundes- und landesrechtlich geregelten Mieterschutz hinaus ? b) Mit wie vielen Mietern wurden bisher individuelle Zusatzvereinbarungen getroffen? c) Wie wird bei Weiterkäufen sichergestellt, dass diese individuellen Zusatzvereinbarungen ebenfalls getroffen werden? Die Sozialcharta ist für das Erwerbskonsortium verbindlich und ihre Einhaltung wird überwacht. Zudem sind die Regelungen zum Kündigungsschutz und zum zeitlich begrenzten Ausschluss von Luxusmodernisierungen individualvertraglich einzuräumen. Um die individualvertragliche Umsetzung in den Mietverträgen vorzunehmen, müssen die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen bei der GBW AG geschaffen werden. Hierfür ist laut Patrizia ein Beherrschungsvertrag erforderlich . Das Erwerbskonsortium und die GBW AG führen dazu das nach den Vorschriften des Aktiengesetzes erforderliche Verfahren durch. Eine außerordentliche Hauptversammlung der GBW AG hat zwischenzeitlich am 28.11.2013 dem Beherrschungsvertrag mehrheitlich zugestimmt. Der Vertrag wird nach den Bestimmungen des Aktienrechts wirksam, wenn sein Bestehen in das Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft eingetragen worden ist. Die Patrizia AG hat in einem hochrangigen Gespräch mit dem Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat erklärt, dass unmittelbar nach Eintragung des Beherrschungsvertrags die GBW AG den Mieterinnen und Mietern die Änderung ihrer Mietverträge entsprechend der Sozialcharta anbieten werde. Insofern ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Sozialcharta rechtlich nicht belastbar sein sollte. Die Sozialcharta geht zum Beispiel bei der individualvertraglichen Aufnahme von Kündigungsschutzbestimmungen und dem zeitlich befristeten Ausschluss von Luxusmodernisierungen über die Regelungen des BGB hinaus. Auch die portfoliobezogenen Schutzmaßnahmen und das kommunale Vorkaufsrecht sind zusätzliche Regelungen über das BGB hinaus. Im Fall vom Weiterverkauf von Wohnungen besteht die Verpflichtung aus der Sozialcharta, dass die Bestimmungen zum Kündigungsschutz und zum Ausschluss von Luxusmodernisierungen vom Erwerber weiterhin eingehalten werden. Verkäufe von Wohnungen an die Mieter selbst und sonstige Selbstnutzer sind hiervon ausgenommen. 4. Wie viele Wohnungen aus dem GBW-Bestand wur- de bisher von der Patrizia weiterverkauft? a) An welchen Standorten ist das der Fall? b) Welche Städte und Gemeinden planen, von dem kommunalen Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen bzw. haben schon Gebrauch davon gemacht? c) Wie viele Mieter haben bisher vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht? Es handelt sich bei den erfragten Informationen um interne Geschäftsinformationen der GBW AG, die in diesem Umfang nicht veröffentlicht sind. Die Patrizia AG hat mitgeteilt, dass die GBW AG die nach der Sozialcharta zulässige Obergrenze von Wohnungsverkäufen und von Mieterhöhungen im Jahr 2013 nicht ausschöpfen werde. Die interne Willensbildung der Städte und Gemeinden zur Ausübung des kommunalen Vorkaufsrechts ist der Staatsregierung nicht bekannt. Ebenfalls nicht bekannt ist, wie viele Mieter von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht haben. 5. Wie viele der GBW-Wohnungen stehen auf kommunalen Grundstücken, die der Erbpacht unterliegen ? a) An welchen Standorten ist das der Fall? Es handelt sich bei den erfragten Informationen um interne Geschäftsinformationen der GBW AG, die nicht veröffentlicht sind. 6. Weshalb wurde im Kaufvertrag kein unabhängiges Kontrollgremium festgeschrieben? a) Wie kontrolliert bzw. evaluiert die Staatsregierung die Einhaltung der Sozialcharta? b) Wie ist überhaupt eine Kontrollmöglichkeit gewährleistet , wenn bei einer Evaluation nur der Gesamtbestand erfasst und nicht zwischen den Standorten differenziert wird? Die Einhaltung der Regelungen der Sozialcharta wird von der BayernLB überwacht, die als Verkäuferin die Sozialcharta beim Verkauf vorgegeben hat. Der BayernLB ist dazu jährlich ein von unabhängigen Wirtschaftsprüfern bestätigter Bericht zur Einhaltung der Sozialcharta vorzulegen. Die Kontrollmöglichkeit der Sozialcharta ist gewährleistet, da sich die Sozialcharta auf den Gesamtbestand bezieht. Die Patrizia AG hatte zudem im Rahmen des Verkaufs im April 2013 angekündigt, eine Stelle einzurichten, die für die Einhaltung der Sozialcharta zuständig ist. In Umsetzung dieser Zusage wurde Herr Dr. Günther Beckstein zum Ombudsmann bei Fragen zur Sozialcharta als unparteiische Schiedsperson bestimmt. 7. Welche Vertragsstrafen sind im Kaufvertrag festgelegt ? a) Wie können Vertragsverstöße festgestellt und entsprechend sanktioniert werden? b) In welchen Fällen wurden bereits Vertragsstrafen verhängt? c) In welcher Höhe sind bisher Vertragsstrafen verhängt worden? Die BayernLB hat hierzu mitgeteilt, dass die Regelungen zu den Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung der Sozialcharta Vertragsinhalt des Kaufvertrages sind und der vereinbarten Vertraulichkeit unterliegen. Bislang sind keine Verstöße gegen die Sozialcharta bekannt , sodass auch keine Vertragsstrafen verhängt wurden. Wegen der Überprüfung der Einhaltung der Sozialcharta siehe im Übrigen Antwort zu Frage 6, erster Absatz.