Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian von Brunn SPD vom 22.10.2013 Mord im Rahmen Häuslicher Gewalt Am 14.Oktober 2013 wurde in München Giesing im Rahmen Häuslicher Gewalt eine Frau von ihrem Ehemann ermordet. Die Frau wurde zuvor mehrfach von ihrem Mann geschlagen , bedroht, die Wohnung verwüstet und das verhängte Kontaktverbot im Rahmen des GewSchG missachtet. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft aufgrund der seit längerer Zeit bestehenden Bedrohungen und des Nachstellens ein Ermittlungsverfahren gegen den Täter eingeleitet (laut Zeitungsberichten war der Staatsanwaltschaft bekannt, dass der Täter damit gedroht hatte, seine Ehefrau „abzustechen“)? b) Wenn nein, warum kamen § 241 StGB und § 238 StGB nicht in Betracht? 2. a) Welche Konsequenzen hatte der mehrfache Ver- stoß des Täters gegen das Kontaktverbot für diesen (§ 4 GewSchG)? b) Falls die Verstöße gegen das Kontaktverbot keine Konsequenzen für ihn zur Folge hatten, was hatte dies für Gründe? 3. a) Wäre in diesem konkreten Fall ein Polizeigewahrsam nach § 17 PAG möglich gewesen? b) Wenn ja, warum erfolgte er nicht? 4. a) Erfolgte eine Beratung des späteren Opfers über ihre Möglichkeiten sich und ihre Kinder zu schützen? b) Wenn ja, durch wen erfolgte diese Beratung? c) Wie werden die beratenden Personen konkret ge- schult? 5. Welche Möglichkeiten sich und ihre Kinder zu schüt- zen, wurden der Frau aufgezeigt? 6. a) Erfolgte eine längerfristige Betreuung des Opfers? b) Wenn ja, durch wen und in welchem Umfang wird die- se grundsätzlich finanziert? c) Wenn nein, warum nicht? 7. a) Welche weiteren Maßnahmen erfolgten im konkreten Fall, um die Frau und ihre zwei Kinder zu schützen? b) Falls keine weiteren erfolgten, warum nicht? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 10.01.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Justiz wie folgt beantwortet: Einleitend darf ich anmerken, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (40. StrÄndG) vom 22.März 2007 ein wesentlicher Schritt getan wurde, um die öffentliche Sensibilität für diesen Bereich zu erhöhen und den Schutz der Opfer vor Nachstellungen zu verbessern. Gleichwohl kristallisierte sich aus den Erfahrungen der (polizeilichen) Praxis in diesem Bereich Verbesserungsbedarf zum Schutz der Opfer vor beharrlichen Nachstellungen heraus. Eine Arbeitsgruppe der Bayerischen Polizei wurde beauftragt , aufbauend auf den „Rahmenvorgaben zur polizeilichen Bekämpfung der Häuslichen Gewalt und damit in Zusammenhang stehender Stalking-Fälle“ weiteren Optimierungsbedarf des polizeilichen bzw. staatlichen Umgangs mit Stalking-Fällen in Bayern zu prüfen. Neben Optimierungsmöglichkeiten im Bereich der Ermittlungsverfahren wurde als das zentrale Handlungsfeld der Bedarf an Rechtsänderungen im Kontext beharrlicher Nachstellungen erkannt. Auf Initiative des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz wurde im Rahmen der Justizministerkonferenz am 15. November 2012 bereits die Anpassung des „StalkingParagrafen “ erörtert. Die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder sehen ebenfalls den Bedarf der Neugestaltung des sog. „Stalking-Paragrafen“ als Gefährdungsdelikt und sprechen sich dafür aus, weitere Gesetzesinitiativen mit dem Ziel der frühzeitigen Täterintervention zu prüfen. Im Jahr 2012 wurden in Bayern insgesamt über 19.000 Vorgänge mit Phänomenbereich „Häusliche Gewalt“ polizeilich erfasst. Von diesen fallen allein an die 3.500 in den Bereich des Polizeipräsidiums München. Ergänzend hierzu enthält die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2012 1.801 Fälle der Nachstellung nach § 238 StGB. 1. a) Wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft aufgrund der seit längerer Zeit bestehenden Bedrohungen und des Nachstellens ein Ermittlungsverfahren gegen den Täter eingeleitet (laut Zeitungsberichten war der Staatsanwaltschaft bekannt, dass der Täter damit gedroht hatte, seine Ehefrau „abzustechen“)? Im Jahr 2012 kam es aufgrund von Straftaten zum Nachteil der Ehefrau des Beschuldigten zu folgenden Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten: – Aktenzeichen: 231 Js 160274/12 o vorsätzliche Körperverletzung; Tatzeit: 24. März 2012 Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 03.02.2014 17/367 Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/367 – Aktenzeichen: 231 Js 1846658/12 o vorsätzliche Körperverletzung; Tatzeit: 10. August 2012 Im Jahr 2013 kam es aufgrund von Straftaten zum Nachteil der Ehefrau des Beschuldigten zu folgenden Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten: – Aktenzeichen: 231 Js 171266/13 o vorsätzliche Körperverletzung; Tatzeit: 7. Juni 2013 o Bedrohung; Tatzeit: 9. Juni 2013 o Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz; Tatzeit: 18. Juli 2013 o Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz; Tatzeit: 28. Juli 2013 – Aktenzeichen: 231 Js 201874/13 o Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz; Tatzeit: 30. September 2013 b) Wenn nein, warum kamen § 241 StGB und § 238 StGB nicht in Betracht? Entfällt (vgl. Antwort zu Frage 1 a). 2. a) Welche Konsequenzen hatte der mehrfache Verstoß des Täters gegen das Kontaktverbot für diesen (§ 4 GewSchG)? Die Ehefrau des Beschuldigten beantragte am 11. Juni 2013 beim Amtsgericht – Familiengericht – München, gegen ihren Ehemann gerichtliche Maßnahmen nach den §§ 1 und 2 Gewaltschutzgesetz (GewSchG) anzuordnen. Mit Beschluss vom 12. Juni 2013 traf das Familiengericht im Verfahren der einstweiligen Anordnung wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung die beantragten Maßnahmen. Unter anderem wurde der Ehefrau die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zugewiesen und dem Beschuldigten untersagt, mit seiner Ehefrau in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen. Die Dauer der Anordnung wurde bis zum 12. Dezember 2013 befristet. In einer Sitzung vor dem Familiengericht am 28. August 2013 schlossen der Beschuldigte und seine Ehefrau eine Vereinbarung zum Umgang des Beschuldigten mit seinen minderjährigen Kindern. Sie erklärten übereinstimmend, der Beschluss vom 12. Juni 2013 solle bestehen bleiben. Maßnahmen zur zivilrechtlichen Vollstreckung der im Beschluss vom 12. Juni 2013 getroffenen Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz wurden beim Familiengericht nicht beantragt. b) Falls die Verstöße gegen das Kontaktverbot keine Konsequenzen für ihn zur Folge hatten, was hatte dies für Gründe? Die Staatsanwaltschaft München I musste die beiden Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2012 nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen, weil die Ehefrau des Beschuldigten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch machte und keine sonstigen objektiven Beweismittel zur Verfügung standen. Im Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2013 (Tatzeitraum: Juni/Juli 2013) warf die Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft München I die Frage eines Haftbefehls auf. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft war die Beantragung eines Haftbefehls jedoch nicht möglich, da kein Haftgrund nach § 112 StPO vorlag. Der Beschuldigte verfügte über einen festen Wohnsitz und die Straferwartung der angezeigten Taten begründeten weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit den Haftgrund der Fluchtgefahr. Ferner waren alle angezeigten Delikte nicht im Katalog des § 112a StPO enthalten, sodass auch Wiederholungsgefahr als Haftgrund ausschied. Andere Haftgründe lagen nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft ebenfalls nicht vor. Für die Annahme einer Strafbarkeit wegen Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB fehlte es nach staatsanwaltschaftlicher Bewertung an den Änderungen in der Lebensführung des Opfers, sodass das Tatbestandsmerkmal der „schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ nicht erfüllt war. 3. a) Wäre in diesem konkreten Fall ein Polizeigewahr- sam nach § 17 PAG möglich gewesen? Das Bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) stellt zur Bekämpfung des Phänomenbereichs „Häusliche Gewalt“ ein mehrere Möglichkeiten umfassendes Instrumentarium zur Verfügung. Je nach Gefahrenprognose reicht es von der einfachen Streitschlichtung über das Aussprechen eines Platzverweises und/oder eines Kontaktverbots, der Sicherstellung des Wohnungsschlüssels bis hin zur Ingewahrsamnahme des Täters. Bei der Ingewahrsamnahme ist aufgrund der damit verbundenen vorübergehenden (längstens 14 Tage dauernden) Freiheitsentziehung als schwerwiegendster Eingriff die Gefahrenlage sorgfältig unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG, Art. 20 Abs. 3 GG) zu prüfen . Dies bringt auch die Formulierung der maßgeblichen Vorschrift deutlich zum Ausdruck: So darf die Polizei nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG eine Person nur in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern. Im Übrigen unterliegt die polizeiliche Ingewahrsamnahme – wie auch alle anderen polizeilichen Befugnisnormen – einer zeitlichen Befristung; sie ist keine Dauermaßnahme. Die Polizei kann von Gesetzes wegen zur Erfüllung ihrer Aufgabe immer nur vorübergehende Maßnahmen treffen (bei Häuslicher Gewalt: zur Verhütung der Fortsetzung von Gewalttaten und um dem Opfer einen Freiraum zu eröffnen, in dem es Überlegungen anstellen kann und Entscheidungen treffen kann, ohne hierbei körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein). Auch bei einer richterlichen Entscheidung ist ein Gewahrsam nach PAG lediglich maximal 14 Tage möglich. Die Polizei kann in der Regel weder die soziale Bindung zwischen Täter und Opfer beenden, noch eine langfristige bzw. längerfristige Trennung beider bewirken. Letzteres kann das Opfer nur mit Hilfe des Gewaltschutzgesetzes erreichen. Eine gerichtliche Schutzmaßnahme wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 12. Juni 2013 nach §§ 1 und 2 GewSchG erlassen. Dem Beschuldigten wurde darin bis zum 12. Dezember 2013 unter anderem verboten, die eheliche Wohnung zu betreten, sich im Umkreis von 100 Metern von dieser aufzuhalten, den Kindergarten der beiden gemeinsamen Kinder aufzusuchen oder Kontakt mit seiner Ehefrau aufzunehmen bzw. ein Zusammentreffen herbeizuführen . Des Weiteren wurde zur Durchsetzung dieser Unterlassungsverpflichtungen für jede Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld i. H. v. bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft angedroht. Dem Opfer war somit die Möglichkeit gegeben, diese Verpflichtungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 3 FamFG i. V. m. § 758 ZPO durchsetzen zu lassen. Sie hat diese jedoch nicht in Anspruch genommen. Drucksache 17/367 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Am 1. Oktober 2013 rief bei der Ehefrau ein unbekannter Mann an und riet, in der Wohnung zu bleiben, da ihr ansonsten „etwas Schlimmes“ passieren würde. Aufgrund des Anrufs wurden, unter gleichzeitiger Berücksichtigung einer am 1. Oktober 2013 zur Anzeige gebrachten Bedrohung mit Tatzeit 30. September 2013, unverzüglich entsprechende polizeiliche Maßnahmen zum Schutz des Opfers an deren Wohnanschrift und Umgebung angeordnet. Für den Fall eines erneuten Auftretens des Beschuldigten am Wohnsitz sollte eine Ingewahrsamnahme geprüft werden. Am 2. Oktober 2013 erfolgte eine Gefährderansprache in Anwesenheit der Schwester des Beschuldigten. Im Rahmen der Gefährderansprache teilten sowohl der Beschuldigte, als auch seine Schwester mit, dass der Beschuldigte und seine Ehefrau seit Ende August/Anfang September erneut eine Beziehung miteinander führten, die vor ein bis zwei Wochen von seiner Ehefrau wieder beendet worden sei. Eine sofortige, telefonische Klärung des Sachverhalts mit dem Opfer selbst war aufgrund einer bestehenden Sprachbarriere nicht möglich. Zur Durchführung einer detaillierteren Nachvernehmung, unter anderem zur Klärung der Einlassungen des Beschuldigten, wurde am 9. Oktober 2013 eine Vorladung, terminiert für den 30. Oktober 2013, an das Opfer versandt. Nachdem der Beschuldigte bis zum 7. Oktober 2013 im Rahmen der Schutzmaßnahmen nicht am Wohnanwesen angetroffen wurde und auch sonst keine Erkenntnisse über eine Kontaktaufnahme mit der Ehefrau vorlagen, wurden die verstärkten Schutzmaßnahmen am 7. Oktober 2013 aufgehoben . Ungeachtet dessen bestand im Einsatzleitsystem des Polizeipräsidiums München weiterhin ein entsprechender Einsatzhinweis. Nachdem am 9. Oktober 2013 eine Verwandte des Opfers mitteilte, dass der Beschuldigte über das soziale Netzwerk „facebook“ drohte, das Opfer eines Tages „zu schnappen“, wurde erneut geprüft, ob zur Gefahrenabwehr polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Ingewahrsamnahme des Beschuldigten, erforderlich bzw. unerlässlich waren. Nachdem , anders als beim Vorfall am 30. September 2013, keine persönliche Kontaktaufnahme des Beschuldigten mit dem Opfer stattfand, die Drohung nach Darstellung des Polizeipräsidiums München inhaltlich wenig konkret war und der Beschuldigte auch während der bis wenige Tage zuvor bestehenden Schutzmaßnahmen nicht in oder in der Nähe der Wohnung angetroffen worden war, ergaben sich bei der Gefahrenprognose keine Anhaltspunkte für eine unmittelbar bevorstehende Begehung einer Straftat und damit der Unerlässlichkeit einer Ingewahrsamnahme nach PAG. Zur Sicherstellung der Ausschöpfung aller evtl. bestehender rechtlicher Möglichkeiten wurde, trotz hoher rechtlicher Hürden und hieraus resultierender, geringer Erfolgsaussicht, durch den kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter noch am 9. Oktober 2013 eine Vorabinformation per Fax an die Staatsanwaltschaft München I mit der Bitte um Prüfung der Haftfrage gesandt. Der übersandte Vorgang enthielt die Strafanzeige wegen eines Verstoßes nach dem Gewaltschutzgesetz (Kontaktverbot), die Bedrohung vom 30. September 2013 sowie die Information zu dem Anruf der unbekannten männlichen Person am 1. Oktober 2013 und der Drohung über das soziale Netzwerk „facebook“ vom 9. Oktober 2013. Ebenfalls am 9. Oktober 2013 wurde ein Bericht an das Ausländeramt und das Referat für Gesundheit und Umwelt zur Kenntnisnahme und Einleitung geeigneter Maßnahmen in eigener Zuständigkeit übersandt. b) Wenn ja, warum erfolgte er nicht? Vgl. Antwort zu Frage 3 a. 4. a) Erfolgte eine Beratung des späteren Opfers über ihre Möglichkeiten sich und ihre Kinder zu schützen ? Es erfolgten durch die Präventions- und Opferschutzstelle des Polizeipräsidiums München (Kommissariat 105) und die Kooperationspartner der Polizei im Rahmen des MUM (Münchner Unterstützungsmodell für Opferberatung) sowohl mehrere Beratungsangebote, als auch telefonische und persönliche Beratungsgespräche. Im Einzelnen wurden folgende Beratungsmaßnahmen durchgeführt: Bereits nach der ersten Anzeigenerstattung wegen Häuslicher Gewalt vom 24. März 2012 wurde am 28. März 2012 durch das Kommissariat für Häusliche Gewalt (K 22) ein Bericht an das Jugendamt gefaxt. Am 10. April 2012 wurden dem Opfer ein schriftliches Beratungsangebot sowie ein Informationsflyer in griechischer Sprache durch eine Beamtin des Präventions- und Opferschutzkommissariats 105 zugesandt . Am 19. April 2012 vereinbarte die zuständige Beauftragte der Polizei für Frauen und Kinder (BPFK) telefonisch mit dem Opfer einen persönlichen Beratungstermin bei der Polizei für den 23. April 2012. Dieser Termin wurde von dem Opfer wie vereinbart wahrgenommen und durch die BPFK unter Hinzuziehung einer Dolmetscherin durchgeführt (siehe auch Antwort zu Frage 5). Ein weiteres Beratungsersuchen erging durch das Kommissariat 105 am 13. August 2012 an den MUM-Kooperationspartner , die Frauenberatungsstelle „Frauennotruf“. Grund für das erneute Beratungsangebot war ein weiterer Vorfall in der Wohnung des Opfers vom 10. August 2012, bei dem der Beschuldigte Geld von ihr forderte und ihr ins Gesicht schlug. Der Frauennotruf führte mit dem Opfer nach dem dritten Kontaktversuch eine kurze telefonische Beratung durch, die sich auf Grund der Sprachbarrieren allerdings schwierig gestaltete. Deswegen teilte das Opfer der Beraterin des Frauennotrufs mit, dass eine Freundin, die besser Deutsch sprechen würde, nochmals anrufen werde. Dieser Rückruf erfolgte jedoch nicht und es kam seitens des Frauennotrufs zu keinen weiteren Kontakten mit dem Opfer oder Angehörigen von ihr. Am 7. Juni 2013 zeigte das Opfer ihren Ehemann wegen Häuslicher Gewalt und am 9. Juni 2013 wegen Bedrohung an. Aufgrund dieser Vorfälle wurde durch die Polizei (Kommissariat 105) im Rahmen des Kooperationsprojekts MUM am 10. Juni 2013 ein Fax mit dem polizeilichen Kurzbericht zur Häuslichen Gewalt an die Beratungsstelle der Einrichtung „Frauen helfen Frauen“ versandt. Die Leiterin der Einrichtung „Frauen helfen Frauen“ hatte anschließend mehrmals Beratungskontakt zum Opfer. Am 11. Juni 2013 führte die Einrichtung ein längeres Beratungsgespräch mit dem Opfer und einer Freundin, die als Übersetzerin fungierte. Bei diesem Gespräch wurde dem Opfer unter anderem empfohlen, ein Frauenhaus aufzusuchen. Des Weiteren wurde sie zu Themen des Familienrechts (z. B. Umgangsrecht, Sorgerecht) beraten. Sie wurde über die Möglichkeiten eines rechtsanwaltschaftlichen Beistands aufgeklärt. Neben den von der BPFK bereits vorgetragenen Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/367 Verhaltensempfehlungen informierte die Leiterin von „Frauen helfen Frauen“ das Opfer außerdem über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten . Weiterführende Hilfsangebote, wie die Unterbringung in ein Frauenhaus, wurden von dem Opfer abgelehnt. Sie gab an, dass sie ohne polizeiliche Unterstützung mit ihren Kindern nach Griechenland umsiedeln wolle. b) Wenn ja, durch wen erfolgte diese Beratung? Vgl. Antwort zu Frage 4 a. c) Wie werden die beratenden Personen konkret geschult ? Für die polizeiliche Opferschutzberatung sind die Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder (BPFK) hauptverantwortlich . Bei der BPFK handelt es sich um eine erfahrene Polizeivollzugsbeamtin, die schwerpunktmäßig insbesondere in den Deliktsfeldern Stalking (Nachstellung), Häusliche Gewalt oder/und Sexualdelikte eingesetzt wird. Das spezifische Aufgabengebiet der BPFK erfordert besondere persönliche und fachliche Voraussetzungen; daher sind bei potenziellen Bewerberinnen folgende Merkmale gefordert : – dritte Qualifikationsebene (gehobener Dienst), – mehrjährige Berufserfahrung, – ausgeprägte soziale Kompetenz und – rhetorische Fähigkeiten; Folgende Fortbildungsmaßnahmen werden beim Polizeipräsidium München im Einzelnen durchgeführt: – Seminare am Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei in Ainring zum Thema Gefährderansprache, Stalking, Sexualdelikte /Misshandlung, Häusliche Gewalt/Opferschutz – Regelmäßige Teilnahme an Arbeitskreisen und Runden Tischen (z. B. „Aktiv gegen Männergewalt“ initiiert durch die Stadt München) sowie an Vernetzungsgesprächen mit Hilfseinrichtungen und Beratungsstellen – Arbeitskreis des Familiengerichts im Rahmen des „Münchner Modells“ – Fachtage des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration – Dienstunterrichte mit zum Teil externer Beteiligung (z. B. Kriseninterventionsteam, Traumaambulanz, LMU München – Lehrstuhl für Psychologie) zu aktuellen Themen. Darüber hinaus organisiert das Polizeipräsidium München im Rahmen der jährlichen MUM-Fortbildungsprogramme zu Opferschutzberatungen entsprechende Veranstaltungen. An diesen Seminaren nehmen die BPFK und Beamte des polizeilichen Opferschutzkommissariats (K 105) regelmäßig teil. Des Weiteren werden Supervisionen und Einzelfallbesprechungen unter der Leitung des Zentralen Psychologischen Diensts (ZPD) durchgeführt. Das Polizeipräsidium München führt selbst zu den o. a. Themen Fortbildungsmaßnahmen und Vorträge, z. B. für das Amtsgericht München (Rechtspfleger/-innen und Familienrichter/-innen), einschlägige Hilfsorganisationen (z. B. „Weißer Ring“, Deutsche Stalkingopferhilfe), die Rechtsanwaltskammer, Versorgungsämter, Frauenhäuser sowie -beratungsstellen und Institutionen und Behörden auf kommunaler Ebene/Landesebene durch. Die polizeiliche Opferschutzberatung in München ist nicht zuletzt aufgrund der Initiierung und Durchführung des MUM in München anerkannt und weitflächig vernetzt. In nahezu allen Bereichen der Opferhilfe kann das Polizeipräsidium München auf seine Kooperationspartner (z. B. Weißer Ring, Zentrum Bayern Familie und Soziales – „ZBFS“, Deutsche Stalkingopferhilfe) zurückgreifen. Neben der BPFK werden sechs Opferschutzberater im Präventions- und Opferschutzkommissariat 105 eingesetzt, die im gleichen Rahmen fortgebildet werden. 5. Welche Möglichkeiten sich und ihre Kinder zu schützen, wurden der Frau aufgezeigt? Wie bereits unter Frage 4 a angeführt, wurde im Beisein einer Dolmetscherin eine umfassende persönliche Beratung am 23. April 2012 durch die BPFK durchgeführt. Dem Opfer wurden dabei folgende rechtliche und verhaltenspräventive Maßnahmen aufgezeigt, um sich und ihre Kinder zu schützen: – Dem Opfer wurde ein vorläufiger Aufenthalt in einem Frauenhaus dringend empfohlen. Dies wurde von ihr jedoch abgelehnt. Sie meinte, dass dies nicht nötig wäre, da sie Deutschland verlassen und nach Griechenland zurückkehren wolle. – Beantragung einer zivilrechtlichen Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (Näherungs- und Kontaktverbot ). Dies lehnte das Opfer zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ab, obwohl ihr angeboten wurde, bei der Erstellung des Antrags unter Zuhilfenahme des Dolmetschers behilflich zu sein. – Hinweis auf die Möglichkeiten des Familiengerichts und des Jugendamts. Dem Opfer wurde empfohlen, mit dem Jugendamt bezüglich ihrer Kinder Kontakt aufzunehmen. – Umfassende Verhaltenstipps für den Fall, dass ihr Ehemann sie aufsucht (z. B. sofortige Verständigung der Polizei , Öffentlichkeit herstellen, Nachbarn verständigen und im Vorfeld informieren, keinen Einlass gewähren, keinerlei Gespräche mit dem Beschuldigten). – Vermittlung eines Kontakts zum „Weißen Ring“; – Hinweis auf die Risiken inkonsequenten Verhaltens (Ver- söhnung, Verharmlosung der Gefahr durch den Ex-Partner ). – Die BPFK erläuterte dem Opfer, dass eine Steigerung der Gewalt mit Fortdauer der Beziehung möglich sein kann. Auf Grund dessen sollte sie die ihr empfohlenen Verhaltensmöglichkeiten unbedingt ernst nehmen. – Sofortige Anzeigenerstattung bei weiteren Vorfällen. – Angebot von polizeilichen Gerichtsbegleitungen bei ent- sprechenden Terminen. 6. a) Erfolgte eine längerfristige Betreuung des Opfers? Vgl. Antwort zu Frage 4 a. b) Wenn ja, durch wen und in welchem Umfang wird diese grundsätzlich finanziert? Die MUM-Kooperationspartner werden durch Spenden, Zuschüsse der Kommunen, sonstige Fördergelder und im Einzelfall durch Bußgeldzuweisungen finanziert. c) Wenn nein, warum nicht? Entfällt (vgl. Antwort zu Frage 6 a). Drucksache 17/367 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 7. a) Welche weiteren Maßnahmen erfolgten im konkreten Fall, um die Frau und ihre zwei Kinder zu schützen ? Im Einzelnen erfolgten folgende polizeiliche Maßnahmen: Am 14. Dezember 2011 wurde nach einem Familienstreit wegen Kindergeld erstmals ein Platzverweis gegen den Beschuldigten durch die Polizei ausgesprochen. Am 24. März 2012 verhängte die Polizei ein Kontaktverbot nach Häuslicher Gewalt. Strafanzeige wegen Körperverletzung wurde erstellt. Am 10. August 2012 wurde erneut eine Strafanzeige wegen Körperverletzung nach Häuslicher Gewalt erstellt. Das Opfer wollte jedoch keine strafverfolgenden Maßnahmen. Am 7. Juni 2013 wurde nach erneuter Häuslicher Gewalt Anzeige wegen Körperverletzung, Bedrohung und Sachbeschädigung erstellt. Gleichzeitig sprach die Polizei ein Kontaktverbot vom 7. bis zum 17. Juni 2013 aus. Am 9. Juni 2013 rief der Beschuldigte das Opfer an, beleidigte und bedrohte sie. Es wurde Anzeige wegen Bedrohung und Beleidigung erstellt. Gleichzeitig wurde eine Gefährderansprache durch die Polizei durchgeführt. Diese wurde durch einen Bekannten des Beschuldigten übersetzt. Der Beschuldigte lebte inzwischen getrennt von seiner Ehefrau. Außerdem wurde bei dem Opfer eine Gefährdetenansprache durchgeführt . Ihr Türschloss wurde ausgetauscht. Am 12. Juni 2013 beantragte das Opfer eine zivilrechtliche Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz. Diese wurde bewilligt und dem Beschuldigten am 14. Juni 2013 zugestellt (gültig bis zum 12. Dezember 2013). Am 20. Juni 2013 suchte der Beschuldigte nach schriftlicher Vorladung das Kommissariat 22 auf. Es wurde eine erneute Gefährderansprache durchgeführt. Anschließend wurde ein neuer Vernehmungstermin für den Beschuldigten unter Hinzuziehung eines Dolmetschers wegen unzureichender Deutschkenntnisse vereinbart. Mit Schreiben vom 24. Juli 2013 teilte der Anwalt des Beschuldigten mit, dass sein Mandant vorerst keine Angaben zur Sache machen wolle . Am 18. Juli 2013 führte die Polizei eine Nachschau an der Wohnadresse des Beschuldigten durch, nachdem dieser gegen die zivilrechtliche Schutzanordnung nach dem GewSchG verstoßen hatte. Ein polizeiliches Kontaktverbot wurde erlassen. Gleichzeitig wurde eine Anzeige wegen eines Verstoßes nach dem Gewaltschutzgesetz erstellt. Am 28. Juli 2013 verstieß der Beschuldigte erneut gegen die zivilrechtliche Schutzanordnung nach dem GewSchG. Es wurde erneut Anzeige wegen eines Verstoßes nach dem Gewaltschutzgesetz erstellt. Am 30. September 2013 passte der Beschuldigte das Opfer am U-Bahnhof Goetheplatz ab und folgte ihr nach Hause . Der Beschuldigte äußerte, dass sie ihr „blaues Wunder“ erleben werde. Das Opfer solle die Anzeige zurückziehen, ansonsten werde er sie alleine „schnappen“ und sie werde für die Anzeige büßen. Das Opfer gelangte in ihre Wohnung. Die Polizei verständigte sie zunächst jedoch nicht. Am 1. Oktober 2013 erhielt das Opfer einen Anruf einer ihr unbekannten männlichen Person, welche angeblich ein Freund ihres Mannes sei. Der Anrufer riet ihr, in der Wohnung zu bleiben und Fenster und Türen geschlossen zu halten, da ansonsten „was Schlimmes“ passieren würde. Das Opfer suchte deswegen am gleichen Tag die Polizeiinspektion 23 auf und erstattete Anzeige wegen eines Verstoßes nach dem Gewaltschutzgesetz . Die aufnehmenden Beamten brachten das Opfer nach der Anzeigenerstattung nach Hause. Hinsichtlich der polizeilichen Maßnahmen wird auf die Antwort zu Frage 3 a verwiesen. b) Falls keine weiteren erfolgten, warum nicht? Vgl. Antwort zu Frage 7 a. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass in Fällen Häuslicher Gewalt seitens der Polizei und Justiz der Schutz der Opfer oberste Priorität hat und gegen die Täter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten vorgegangen wird. Dass im Fall der getöteten Ehefrau die ergriffenen Maßnahmen letztendlich den tragischen Ausgang nicht verhindern konnten, ist zutiefst bedauerlich.