Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Margit Wild SPD vom 15.09.2014 Umgang mit steigendem Anteil des Förderschwerpunkts „Emotionale und soziale Entwicklung" an Sonderpädagogischen Förderzentren Meine Anfrage zur „Entwicklung der Sonderpädagogischen Förderzentren“ hat gezeigt, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung“ stetig ansteigt. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wodurch ist dieser vergleichsweise hohe Anstieg zu erklären ? 2. Welche pädagogischen Konzepte und Hilfestellungen bietet der Freistaat den Lehrkräften hierfür an? 3. Wie gut lässt sich dieser Förderschwerpunkt mit den anderen Föderbereichen in den Sonderpädagogischen Förderzentren integrieren? Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 03.11.2014 1. Wodurch ist dieser vergleichsweise hohe Anstieg zu erklären? Die zunehmende Anzahl von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung " ist ein Phänomen unserer Zeit und eine Herausforderung , die derzeit alle Schularten betrifft. Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung " ist durch vielfältige Faktoren bedingt. In der Regel ist ätiologisch von einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Faktoren auszugehen. Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung" tritt in verschiedenen Formen und Schweregraden vorübergehend oder lang anhaltend in Erscheinung. Eine Zunahme der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung " wird derzeit nicht nur in Bayern, sondern auch in anderen deutschen Ländern und international beobachtet. Als Ursachen für dieses gesellschaftliche Phänomen werden in der Fachliteratur verschiedenste Faktoren, u. a. auch einige Erziehungsstile diskutiert. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die quantitative Zunahme auch auf eine allgemeine gesellschaftliche, pädagogische und medizinische Sensibilisierung für kindliche Verhaltensweisen sowie eine Verfeinerung der entsprechenden Feststellungsdiagnostik zurückgeführt werden kann. So wird im fließenden Übergangsbereich zwischen normalem und pathologischem Verhalten die Grenze zunehmend enger gezogen und Verhalten, das bislang noch als normal akzeptiert wurde, häufiger als früher pathologisiert (Beispiel: ADHS). Darüber hinaus kann ein Wandel der Schülerschaft an den Sonderpädagogischen Förderzentren mit Zunahme des Förderschwerpunkts „Emotionale und soziale Entwicklung" unter anderem auch dadurch erklärt werden, dass Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Lernen und Sprache verstärkt inklusive Angebote an Regelschulen wahrnehmen und sehr häufig erfolgreich absolvieren. Dies führt seit einigen Jahren an Sonderpädagogischen Förderzentren zu einem prozentualen Rückgang der Förderschwerpunkte Lernen und Sprache, während die als pädagogisch sehr herausfordernd erlebten Schülerinnen und Schüler häufig am Sonderpädagogischen Förderzentrum verbleiben. 2. Welche pädagogischen Konzepte und Hilfestellungen bietet der Freistaat den Lehrkräften hierfür an? Das Staatsministerium achtet darauf, dass Förderschulen aller Förderschwerpunkte im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung" das Angebot eines sonderpädagogisch -professionellen Systems von Unterricht und Erziehung, Diagnostik, Beratung, Förderung, Fortbildung und Koordinierung der Maßnahmen bereitstellen. Es ist dringend geboten, für eine steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit diesem Förderschwerpunkt ein breit gefächertes Förderangebot zur Verfügung zu stellen. Eine Vielfalt passgenauer Förderangebote im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung muss weiterhin im Sinne von Prävention, Intervention und hinsichtlich der inklusiven Herausforderungen gewährleistet sein. Unterstützungsangebote für eine möglichst wohnortnahe und flexible sonderpädagogische Förderung sollten die Einbeziehung von Jugendarbeit an Schulen und die Zusammenarbeit mit heilpädagogischen, sozialpädagogischen , psychologischen und medizinisch-therapeutischen Hilfen vorsehen. Das Zusammenwirken mit Erziehungsberechtigten , mit den verschiedenen Fachdiensten und Institutionen ist dabei ein verpflichtender Auftrag sonder- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.01.2015 17/4097 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/4097 pädagogischer Professionalität. Sowohl die Struktur der Förderangebote als auch den inhaltlichen Aspekt sonderpädagogischer Förderung gilt es dabei stets weiterzuentwickeln . Verschiedene Konzeptionen wie Elterntrainingsprogramme , Beratungsgespräche und weitere effiziente Formen sind anzubieten. In besonderer Weise ist hierbei das Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung gefordert, seine Angebotsstrukturen und Kompetenzen für eine zunehmend heterogene Schülerschaft auch innerhalb der verschiedenen Förderschwerpunkte zu entwickeln. Dies erfordert einerseits intensive Kooperation aller Schularten und andererseits den Ausbau der dafür notwendigen Unterstützungssysteme . Die Unterstützung der Lehrkräfte fußt auf drei Säulen: 1. Zuwachs an professionellen Kenntnissen durch Fortbildungen : ● Didaktisch-methodische Kenntnisse eines strukturiert- rhythmisierten Unterrichts ● Anwendungswissen über verhaltenstherapeutisch ori- entierte Systeme (Verstärkersysteme, Kontingenzverträge etc.) 2. Stärkung der Persönlichkeit durch Reflexion und Lehrertrainings ● Kollegiale Fallberatung ● Supervision (z. B. das Konzept „Klasse-Team") ● Lehrertrainings 3. Sicherung der systemischen Bedingungen durch schulorganisatorische und -strukturelle Strategien: ● Schulkonzeption zum Umgang mit schwierigen Schü- lern (z. B. Auszeitmodelle: „Auszeitraum", „Insel" etc.) ● Erziehungskompetenzteam ● Ganztagsangebote ● Schulsozialarbeit ● Schulpastoral ● Kooperationsprojekte mit externen Partnern (z. B. All- gemeine Sozialdienste, Handwerks- und Gewerbebetriebe , therapeutische Fachkräfte) Darüber hinaus stehen zahlreiche Konzepte und Informationsmaterialien , (z. T. seitens des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung ISB) zur Verfügung, die auch im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen multipliziert werden, u. a.: ● Coaching für Schulleitungen ● Interne Schulentwicklung durch Externe Beratung (ISEB) ● Schulentwicklung (z. B. der Leitfaden „Profilbildung inklu- sive Schule" des Wissenschaftlichen Beirats „Inklusion") ● Mediation/Streitschlichtung ● „Klasse-Team" (Graf, Walper u. a.) ● Team-Pinboard (Kleindieck) ● Trainingsraum"-Programm (Balke) ● Konzept „Positive Peer Kultur" (PPC) (Opp & Unger) ● Kooperative Lernformen (Weidner) ● Der ISB-Rundbrief „Erziehung Konkret" (bislang 6 Ausga- ben, die auf der Homepage des ISB kostenfrei abgerufen werden können) ● „Erziehung unterstützen – sonderpädagogische Angebote auf dem Weg zur Inklusion/DVD" (Multimediale Fortbildungsbausteine ) ● „Kinder stützen – Lehrer stärken" (ISB, 8 Module für die unterrichtliche Praxis) ● ETEP ("Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik"; Pädagogisches Programm zum Aufbau von Verhaltenskompetenzen ) ● „Werte machen stark" (ISB, Handbuch zur Werteerziehung ) ● „Psychisch belastete Kinder und Jugendliche" (DVD) ● Verschiedenste Verhaltens- und Anti-Aggressions-Trai- nings, z. B. ○ „Faustlos" ○ „Zammgrauft" ○ „Mit mir nicht" ○ „Klasse 2000" etc. Speziell zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich „Emotionale und soziale Entwicklung" an Regelschulen wurde an Sonderpädagogischen Förderzentren das sogenannte „Alternative schulische Angebot" (AsA) eingerichtet. Im Rahmen von AsA unterstützen und begleiten Lehrkräfte für Sonderpädagogik mit der Qualifikation Verhaltensgestörtenpädagogik schon seit vielen Jahren Schülerinnen und Schüler mit dem entsprechenden Förderbedarf in der Inklusion an der Regelschule und bieten Eltern sowie Lehrkräften Beratung und Unterstützung an. Für Schülerinnen und Schüler mit sehr hohem sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich „Emotionale und soziale Entwicklung" und seelischer Behinderung nach Buch VIII SGB wurden an Sonderpädagogischen Förderzentren mit den Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache in Kooperation mit der Jugendhilfe Sonderpädagogische Stütz- und Förderklassen etabliert. Diese Kleinklassen stellen für bis zu 8 Schülerinnen und Schüler ein intensives Ganztagsangebot in enger Verzahnung von Schule und Jugendhilfe zur Verfügung. Im Schuljahr 2013/14 existierten 56 solcher Klassen. Alternativ besteht für Schülerinnen und Schüler mit sehr hohem Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung" auch die Möglichkeit, ein für diese Schülerinnen und Schüler passgenaues Förderzentrum, Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung" zu besuchen. Diese Schulen bieten schon seit vielen Jahren ein spezialisiertes, sonderpädagogisches Angebot im Förderschwerpunkt „Emotionale und soziale Entwicklung" und tragen durch wertvolle Impulse zu Weiterentwicklungen in diesem Förderschwerpunkt bei. Schließlich gibt es auch Schülerinnen und Schüler, die vorübergehend nicht im System der Förderschule unterrichtet bzw. gefördert werden können. Seitens der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) bzw. der Jugendhilfe werden sie als traumatisiert, „nicht gruppenfähig" oder stark verhaltensauffällig beschrieben. Für diese Schüler gibt es das Angebot , sie neben der zuständigen Schule für Kranke temporär mit Hausunterricht zu versorgen. 3. Wie gut lässt sich dieser Förderschwerpunkt mit den anderen Förderbereichen in den Sonderpädagogischen Förderzentren integrieren? Das Sonderpädagogische Förderzentrum deckt die Förderschwerpunkte „Lernen", „Sprache" und „Emotionale und soziale Entwicklung" ab. Dies wurde konzeptionell so verankert , da in der Praxis in der Regel eine komplexe, wechsel- Drucksache 17/4097 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 seitige Verschränkung dieser drei Förderschwerpunkte vorliegt . So ziehen primäre Sprachentwicklungsstörungen sehr häufig Beeinträchtigungen im unterrichtlichen Lernen sowie in der emotionalen und sozialen Entwicklung nach sich. Umgekehrt zeigen Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Lernen" sehr häufig auch Einschränkungen im sprachlichen sowie im emotional-sozialen Bereich, und bei Schülerinnen und Schülern mit primären Verhaltensstörungen kumulieren diese häufig auch mit Lernschwierigkeiten und sprachlichen Auffälligkeiten. Eine isolierte Betrachtung und Abgrenzung dieser drei Förderschwerpunkte ist nur theoretisch möglich. Erfolgreiche Ansätze der Prävention und Intervention müssen stets die Verzahnung aller drei Förderschwerpunkte in den Blick nehmen und mit umfassenden pädagogischen Konzepten eine hilfreiche Unterstützung der Kinder und Jugendlichen ermöglichen. Bei Bedarf besteht an den Sonderpädagogischen Förderzentren die Möglichkeit, bei der Klassenbildung in einzelnen Klassen besondere Schwerpunktsetzungen im Sinne von „S-, E- und L-Klassen" vorzunehmen. In der Regel nehmen die Lehrkräfte für Sonderpädagogik innerhalb der heterogenen Lerngruppen neben dem gemeinsamen Klassenunterricht die notwendige Differenzierung und Individualisierung des sonderpädagogischen Unterrichts- und Förderangebots vor. Hierzu werden auch Zweitlehrkräfte, soweit verfügbar, zur Unterstützung der Klassenlehrkräfte eingesetzt. Sonderpädagogik stellt sich seit Jahren diesen fachlichen Herausforderungen, sieht sich aber immer wieder mit den Grenzen dieser Arbeit durch die Dominanz des Förderschwerpunkts „Emotionale und soziale Entwicklung" konfrontiert. Hier stellen Sonderpädagogische Stütz- und Förderklassen für Schülerinnen und Schüler mit einem sehr hohen Förderbedarf im Bereich „Emotionale und soziale Entwicklung" ein sehr hilfreiches und für die Schulen sehr entlastendes Angebot dar.