Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Joachim Unterländer CSU vom 09.10.2014 Gutachten in Sorgerechtsfällen Informationen entsprechend wurde mit Unterstützung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eine Studie durchgeführt, die familienpsychologische Gutachten aus Nordrhein-Westfalen auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards bei Sorgerechtsverfahren analysiert hat. Ich frage in diesem Zusammenhang die Staatsregierung: 1. Ist der Staatsregierung diese Studie von Familienpsychologen aus Nordrhein-Westfalen bekannt? 2. Lassen sich die darin getroffenen Erkenntnisse, dass wissenschaftliche Standards zum Erhalt des Kindeswohls bei den Gutachten oft mangelhaft seien, auf die Situation im Freistaat Bayern übertragen? 3. Welche Erkenntnisse über familienpsychologische Gutachten im Rahmen von Sorgerechtsverfahren im Freistaat Bayern liegen der Staatsregierung vor? 4. Ist der Staatsregierung bekannt, von welchen Berufsgruppen Begutachtungen im Freistaat Bayern überwiegend erstellt werden? 5. Wie beurteilt die Staatsregierung in diesem Zusammenhang die Forderung, dass Mindeststandards für die Begutachtung gesetzlich geregelt werden sollen? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 08.11.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet: 1. Ist der Staatsregierung diese Studie von Familienpsychologen aus Nordrhein-Westfalen bekannt? Die Schriftliche Anfrage bezieht sich auf eine Untersuchung des Instituts für Psychologie der Fernuniversität Hagen zum Thema „Psychologische Gutachten für das Familiengericht: Diagnostische und methodische Standards in der Begutachtungspraxis “. Diese Untersuchung ist dem Staatsministerium der Justiz bekannt. 2. Lassen sich die darin getroffenen Erkenntnisse, dass wissenschaftliche Standards zum Erhalt des Kindeswohls bei den Gutachten oft mangelhaft seien , auf die Situation im Freistaat Bayern übertragen ? Die Untersuchung der Fernuniversität Hagen fußt auf der Auswertung von lediglich 116 familienrechtspsychologischen Gutachten, die in den Jahren 2010 und 2011 bei vier Familiengerichten im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm (Nordrhein-Westfalen) erstattet wurden. Dabei betrafen 98 Gutachten die Beurteilung psychologischer Aspekte im Rahmen der Erst- oder Neuregelung der elterlichen Sorge. Da die Namen und Adressdaten sämtlicher Sachverständiger im Rahmen der Untersuchung vollständig anonymisiert wurden , sind keine Aussagen dazu möglich, ob und wie viele dieser Gutachten von ein und demselben Sachverständigen verfasst worden sind. Vor diesem Hintergrund können die Ergebnisse der Untersuchung nicht als repräsentativ für die bei den 650 Familiengerichten in Deutschland bzw. den 73 Familiengerichten in Bayern erstatteten Gutachten angesehen werden. Inhaltlich befasst sich die Untersuchung der Fernuniversität Hagen mit der Frage, ob die in den Jahren 2010 und 2011 bei vier Familiengerichten in Nordrhein-Westfalen erstatteten Gutachten die von der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen aufgestellten Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten (1994) einhalten. Insoweit ist allerdings zu sehen, dass die Richtlinien der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen keine verbindlichen Vorgaben für die Erstattung familienpsychologischer Gutachten enthalten. 3. Welche Erkenntnisse über familienpsychologische Gutachten im Rahmen von Sorgerechtsverfahren im Freistaat Bayern liegen der Staatsregierung vor? Das Staatsministerium der Justiz hat im Jahr 2013 ein Fachgespräch mit Familienrichtern, Rechtsanwälten, psychologischen Sachverständigen, Vertretern der Jugendämter und Vertretern des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) zur Frage familienpsychologischer Gutachten durchgeführt. Hieraus ergaben sich folgende Erkenntnisse : ● Generelle Qualitätsmängel bei familienpsychologischen Gutachten werden weder aus Sicht der Familienrichter noch aus Sicht der teilnehmenden Rechtsanwälte oder Psychologen beklagt. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.01.2015 17/4286 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/4286 ● Es gibt fachliche Grundlagen, die der Sachverständige bei der Erstellung psychologischer Gutachten einzuhalten hat, um die Verwertbarkeit des Gutachtens zu gewährleisten . Es muss dafür Sorge getragen werden, dass diese Grundlagen auch den Familienrichtern hinreichend bekannt sind. ● Eine Standardisierung familienpsychologischer Gutachten wird kritisch gesehen, weil der Begutachtungsprozess hierdurch verlängert, verteuert und unnötig formalisiert würde. Da der Sachverständige stets mit einem speziellen Konflikt in einer konkreten Familie befasst ist und im Rahmen des § 163 Abs. 2 FamFG auch auf dessen Lösung hinwirken soll, können an sein Tätigwerden nicht dieselben methodischen Anforderungen gestellt werden wie an Veröffentlichungen im Rahmen wissenschaftlicher Forschung. ● Die Zahl der Gutachtenaufträge hat aufgrund gesetzlicher und höchstrichterlicher Vorgaben in den letzten Jahren zugenommen. Es ist daher oft schwierig, von den besonders qualifizierten Sachverständigen zeitnah ein Gutachten zu bekommen. Es wird deshalb begrüßt, dass der BDP und die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGP) zwischenzeitlich im Rahmen der Deutschen Psychologen Akademie spezielle Weiterbildungen für Psychologen im Bereich der Rechtspsychologie durchführen, die dazu beitragen, die Zahl qualifizierter psychologischer Gerichtssachverständiger zu erhöhen. Das Staatsministerium der Justiz hat das Fachgespräch zum Anlass genommen, die Fortbildung der bayerischen Familienrichterinnen und Familienrichter durch eine Tagung über familienpsychologische Gutachten und deren Interpretation zu ergänzen. Die Tagung wurde erstmals im April 2014 durchgeführt und ist seither Bestandteil des jährlichen Fortbildungsprogramms. 4. Ist der Staatsregierung bekannt, von welchen Berufsgruppen Begutachtungen im Freistaat Bayern überwiegend erstellt werden? Zahlenmaterial zu dieser Frage liegt nicht vor. Im Rahmen der Justizstatistik werden Daten hierzu nicht erhoben. Nach dem Ergebnis des unter 3. genannten Fachgesprächs ist jedoch davon auszugehen, dass in Bayern ganz überwiegend Diplom-Psychologen oder Sachverständige mit vergleichbarer Qualifikation (insb. Master of Science in Psychologie) mit der Erstellung familienpsychologischer Gutachten beauftragt werden. 5. Wie beurteilt die Staatsregierung in diesem Zu- sammenhang die Forderung, dass Mindeststandards für die Begutachtung gesetzlich geregelt werden sollen? Für familienpsychologische Gutachten, die in Kindschaftssachen (dazu gehören Verfahren über die elterliche Sorge) erhoben werden, gelten die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung über den Sachverständigenbeweis (§§ 402-414 ZPO) entsprechend. Danach hat der Sachverständige das Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten (§ 410 Abs. 1 ZPO). Außerdem kann dem Sachverständigen in Kindschaftssachen vom Gericht aufgegeben werden, bei der Erstellung des Gutachtens auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinzuwirken (sog. lösungsorientiertes Gutachten , § 163 Abs. 2 FamFG). Darüber hinaus gibt es keine inhaltlichen gesetzlichen Vorgaben für die Gutachtenerstellung . Vielmehr ist es Sache des zuständigen Gerichts, die Richtigkeit und Verwertbarkeit des Gutachtens zu beurteilen . Die Beteiligten haben Gelegenheit, im gerichtlichen Verfahren Einwendungen gegen das Gutachten zu erheben und Ergänzungsfragen zu dem Gutachten zu stellen (§ 411 Abs. 4 ZPO). Das Gericht kann eine neue Begutachtung anordnen, wenn es ein Gutachten für ungenügend erachtet (§ 412 ZPO). Aus Sicht des Staatsministeriums der Justiz besteht kein Anlass, gerade für psychologische Gutachten in Sorgerechtsverfahren inhaltliche oder methodische Mindeststandards gesetzlich vorzuschreiben, während dies ansonsten für Gutachten in gerichtlichen Verfahren (z. B. Arzthaftungssachen , Bausachen, Wirtschaftssachen) nicht der Fall ist. Davon unabhängig wird es kaum möglich sein, fachliche oder methodische Standards psychologischer Begutachtung zu formulieren, die in Gesetzesform übertragen und jedem in Betracht kommenden Sorgerechtsfall bindend zugrunde gelegt werden können.