Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Johann Häusler FREIE WÄHLER vom 27.10.2014 Fragenkatalog zur Errichtung von gesteuerten Flutpoldern an der bayerischen Donau Mit dem „Hochwasserschutzaktionsprogramm 2020plus“ hat die Staatsregierung ein Konzept erarbeitet, mithilfe dessen künftige Hochwasserereignisse und deren Folgen besser unter Kontrolle gebracht werden sollen. Das landesweite Projekt sieht die Errichtung zahlreicher Flutpolder in Hochwassergebieten vor. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Welchen Zeitplan verfolgt die Staatsregierung im Hin- blick auf das Raumordnungsverfahren zur Anweisung von Flutpoldern? 2. Woraus resultiert die Notwendigkeit zur vorläufigen Si- cherung der Flächen über die Wasserwirtschaftsämter bei den jeweils zuständigen Landratsämtern? a) Wie rechtfertigt sich jener Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungshoheit? 3. Wer soll künftig für die Steuerung der Polder ver- antwortlich sein und entscheidet im Rahmen eines Hochwasserereignisses darüber, ob geflutet wird oder nicht? 4. Für welchen Zeitraum bleiben die betroffenen Flächen im Falle einer Flutung unter Wasser? a) Auf welche Weise und zu welchen Konditionen erfolgt in diesem Fall die Schadensregulierung? b) Wie wird mit etwaigen aus der Flutung resultierenden Schadstoffeinträgen umgegangen? c) Sind bezüglich der Konzentrationsflächen des Kiesab- baus Einschränkungen absehbar? 5. Welche Konsequenzen resultieren für die betroffenen Flächen im Hinblick auf etwaige Prämien und Zuschüsse aus ihrer landwirtschaftlichen Nutzung? a) Bis zu welchem Grad können die erfassten Flächen noch einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden, insbesondere dann, wenn aufgrund der lokalen Begebenheiten von einer regelmäßigen Flutung auszugehen ist? b) Wo sollen entsprechende Ausgleichsflächen durch wen ausgewiesen werden? 6. Nachdem davon auszugehen ist, dass im Zuge der Flutung Wege und Gräben in kommunaler Trägerschaft aufgeweicht und beschädigt werden, frage ich, welche Entschädigungen für diesen Mehraufwand der Kommunen vorhergesehen sind? a) Auf welche Weise werden die Kommunen für den wahrscheinlich nicht unerheblichen Humuseintrag auf die Ackerflächen entschädigt? 7. Auf welche Weise wird sichergestellt, dass dort, wo das Flutpolderkonzept Flächen umfasst, welche in einem nationalen oder europäischen Naturschutzraum eingebunden sind, die naturfachlichen Erhaltungsziele eingehalten werden? a) Wie sollen die Entschädigungen ausfallen für den Fall, dass Polderflächen in Naherholungsgebieten ausgewiesen werden, die für die Attraktivität und den Wohnwert der Umgebung maßgeblich erscheinen? b) Durch welche Maßnahmen kann ausgeschlossen werden , dass durch einen erhöhten Wasserdruck im Bereich von Baggerseen Verunreinigungen des Grundwassers entstehen? 8. Welche Folgen hat ein polderbedingter Anstieg des Grundwassers im bebauten Bereich bei Schäden an Privatbesitz? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 27.11.2014 Die Schriftliche Anfrage wird in Abstimmung mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet : 1. Welchen Zeitplan verfolgt die Staatsregierung im Hinblick auf das Raumordnungsverfahren zur Anweisung von Flutpoldern? Am 28.11.2014 wird in einer zentralen Auftaktveranstaltung in Deggendorf ein Dialogverfahren an den Standorten für gesteuerte Flutpolder entlang der Donau begonnen. Bei dieser und in den folgenden Veranstaltungen an den Standorten für gesteuerte Flutpolder sollen Befürchtungen und Sorgen der Betroffenen aufgenommen und u. a. in Workshops gemeinsam Lösungswege erarbeitet werden. Die Ergebnisse sollen in die weiteren Planungen einfließen, die Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.01.2015 17/4644 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/4644 wiederum Grundlage für anschließende Raumordnungsverfahren (ROV) sind. Diese ROV sollen frühestens Ende 2015 eingeleitet werden. 2. Woraus resultiert die Notwendigkeit zur vorläufigen Sicherung der Flächen über die Wasserwirtschaftsämter bei den jeweils zuständigen Landratsämtern ? a) Wie rechtfertigt sich jener Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungshoheit? Gesteuerte Flutpolder sind ein zentrales Instrument des Hochwasserschutzes. Sie ergänzen die bewährten Schutzsysteme , bieten zusätzliche Sicherheit und reduzieren das vorhandene Restrisiko. Zuletzt hat das Hochwasserereignis 2013 gezeigt, wie wichtig es ist, den Flüssen mehr Raum zu geben und im Hochwasserfall Handlungsoptionen zu haben, um künftig für derart katastrophale Hochwasserereignisse Vorsorge zu treffen. Die Talräume wurden in den vergangenen Jahrzehnten stark durch die Entwicklung der Gesellschaft beansprucht. Damit sind – entlang der gesamten Donau gesehen – nur noch wenige Flächen vorhanden, die zum Hochwasserrückhalt mit gesteuerten Flutpoldern geeignet sind. Nach dem Wasserhaushaltsgesetz müssen Gebiete, die zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beansprucht werden, als Überschwemmungsgebiete festgesetzt werden. Sind diese Gebiete noch nicht festgesetzt, sind sie durch die wasserwirtschaftlichen Fachbehörden zu ermitteln, in Kartenform darzustellen und durch die Kreisverwaltungsbehörden vorläufig zu sichern. Es handelt sich insoweit um eine unmittelbare Rechtspflicht. Diese dient insbesondere dazu, bereits im Vorfeld von förmlichen Verfahren im Interesse des Hochwasserschutzes diese Gebiete zu ermitteln und zu sichern, um so neue Schadenspotenziale bzw. dem entgegenstehende Nutzungen zu verhindern. Das Wasserhaushaltsgesetz sieht deshalb für vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete die gleichen Schutzbestimmungen wie für festgesetzte Überschwemmungsgebiete vor. Zugleich kann der erforderliche Zeitraum für den Dialog ohne Gefahr von gegenläufigen Überplanungen in Anspruch genommen werden. Der Hochwasserschutz ist eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang. Das verfassungsrechtlich verankerte Selbstverwaltungsrecht , insbesondere die gemeindliche Planungshoheit wird nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Es gilt mithin nicht absolut, sondern ist der gesetzlichen Einwirkung zugänglich. Aufgrund des allgemeinen Gesetzesvorbehalts können Eingriffe in dieses Recht danach gerechtfertigt sein. Beschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedenfalls insoweit mit Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar, als sie dessen Kernbereich unangetastet lassen. 3. Wer soll künftig für die Steuerung der Polder verantwortlich sein und entscheidet im Rahmen eines Hochwasserereignisses darüber, ob geflutet wird oder nicht? Die Steuerung der Flutpolder wird in einer Betriebsvorschrift festgelegt. Diese ist Bestandteil eines notwendigen Planfeststellungsbeschlusses . Die Betriebsvorschrift wird durch die bayerische Wasserwirtschaftsverwaltung ausgeführt. 4. Für welchen Zeitraum bleiben die betroffenen Flächen im Falle einer Flutung unter Wasser? a) Auf welche Weise und zu welchen Konditionen erfolgt in diesem Fall die Schadensregulierung? b) Wie wird mit etwaigen aus der Flutung resultierenden Schadstoffeinträgen umgegangen? c) Sind bezüglich der Konzentrationsflächen des Kiesabbaus Einschränkungen absehbar? Die Einstauzeiten gesteuerter Flutpolder hängen vom Verlauf eines Hochwasserereignisses und vom jeweiligen Standort ab. Detaillierte Untersuchungen sind Bestandteil der weiteren Planungen. An der Donau ist in der Regel von einem Zeitraum zwischen mehreren Tagen und rund einer Woche auszugehen. So weist zum Beispiel der gesteuerte Flutpolder Riedensheim eine Einstauzeit von ca. 4,5 Tagen auf. Für die Schadensregulierung wurde in einer interministeriellen Arbeitsgruppe gemeinsam mit dem Bayerischen Bauernverband eine Mustervereinbarung erarbeitet, die die Modalitäten der Schadensregulierung zwischen Freistaat und Grundstückseigentümer nach einer Flutung von seinen landwirtschaftlichen Flächen innerhalb des Flutpolders regelt. Die Mustervereinbarung liegt aktuell im Entwurf vor. Vorgesehen ist, dass der Grundstückseigentümer für die Eintragung einer Grunddienstbarkeit eine Einmalzahlung erhält . Nach jeder tatsächlich erfolgten Flutung werden gemäß Gutachterbewertung dann die entsprechenden Schäden wie Aufwuchsschäden, Flurschäden, Kontaminationen, Schadstoffeinträge , Folgeschäden, Verlust von Abnahmeverträgen usw. ausgeglichen. Die Regelungen hierzu sind in der Mustervereinbarung enthalten. Sofern sich an den Standorten für gesteuerte Flutpolder Konzentrationsflächen für den Kiesabbau befinden, wird auf die Thematik einzelfallbezogen im Rahmen des anstehenden Dialogverfahrens und den anschließenden Raumordnungs - bzw. wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren eingegangen werden. 5. Welche Konsequenzen resultieren für die betroffenen Flächen im Hinblick auf etwaige Prämien und Zuschüsse aus ihrer landwirtschaftlichen Nutzung ? a) Bis zu welchem Grad können die erfassten Flächen noch einer landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden, insbesondere dann, wenn aufgrund der lokalen Begebenheiten von einer regelmäßigen Flutung auszugehen ist? b) Wo sollen entsprechende Ausgleichsflächen durch wen ausgewiesen werden? Die Lage einer landwirtschaftlichen Fläche innerhalb eines Flutpolders hat nach jetziger Erkenntnis keinerlei Auswirkung auf etwaige Zuschüsse oder Förderungen. In der Mustervereinbarung ist jedoch vorsorglich enthalten, dass möglicherweise entstehende Nachteile bei Prämien oder Förderungen finanziell ausgeglichen werden. Eine landwirtschaftliche Nutzung der Flächen ist in der Regel uneingeschränkt möglich. Die Flutung der Flächen erfolgt sehr selten. In Einzelfällen können in Teilbereichen eines Flutpolders sogenannte ökologische Flutungen gefordert werden. Lediglich auf diesen Flächen kommt es dann zu regelmäßigen Überschwemmungen, wodurch sich Einschränkungen für die landwirtschaftliche Nutzung ergeben können. Diese Flächen sind jedoch dann Teil des ökologisch erforderlichen Ausgleichskonzeptes und sind in der Planung dann individuell zu berücksichtigen. Die Ausweisung, die Erforderlichkeit Drucksache 17/4644 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 sowie der Umfang solcher ökologischen Ausgleichsflächen werden zentral im Planfeststellungsverfahren geregelt. Zuständig hierfür ist die jeweilige Regierung. 6. Nachdem davon auszugehen ist, dass im Zuge der Flutung Wege und Gräben in kommunaler Trägerschaft aufgeweicht und beschädigt werden, frage ich, welche Entschädigungen für diesen Mehraufwand der Kommunen vorhergesehen sind? a) Auf welche Weise werden die Kommunen für den wahrscheinlich nicht unerheblichen Humuseintrag auf die Ackerflächen entschädigt? Schäden, die infolge der Flutung eines gesteuerten Flutpolders auftreten, werden ausgeglichen. 7. Auf welche Weise wird sichergestellt, dass dort, wo das Flutpolderkonzept Flächen umfasst, welche in einem nationalen oder europäischen Naturschutzraum eingebunden sind, die naturfachlichen Erhaltungsziele eingehalten werden? a) Wie sollen die Entschädigungen ausfallen für den Fall, dass Polderflächen in Naherholungsgebieten ausgewiesen werden, die für die Attraktivität und den Wohnwert der Umgebung maßgeblich erscheinen ? Werden durch ein Flutpolder Flächen berührt, die ein Schutzgebiet nach dem Bundesnaturschutzgesetz betreffen , so gelten die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes. D. h., sollte beispielsweise ein Landschaftsschutzgebiet betroffen sein, so ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Erlaubnis, Ausnahme oder Befreiung vorliegen. Dabei ist zu beachten, dass der Hochwasserschutz einen Grund für ein überwiegendes öffentliches Interesse darstellt. Liegt ein Flutpolder beispielsweise in einem europäischen Schutzgebiet, so ist zunächst im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung abzuschätzen, ob das konkrete Projekt bzw. der konkrete Plan geeignet ist, das Natura-2000-Gebiet in den für seine Erhaltungsziele bzw. den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich zu beeinträchtigen. Wird dies bejaht, so ist die Möglichkeit einer Ausnahme zu prüfen . Auch hier ist zu berücksichtigen, dass der Hochwasserschutz einen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses darstellen kann. Im Rahmen des anstehenden Dialogverfahrens sind Workshops zu einzelnen Themengebieten vorgesehen. Darin werden auch Fragen kommunaler Infrastruktur behandelt . Gemeinsam mit den Kommunen und betroffenen Bürgern sollen Lösungen erarbeitet werden. In der Regel können Landschaftsbestandteile, die bisher auch der Naherholung dienen, nach dem Bau eines gesteuerten Flutpolders weiter als solche genutzt werden. b) Durch welche Maßnahmen kann ausgeschlossen werden, dass durch einen erhöhten Wasserdruck im Bereich von Baggerseen Verunreinigungen des Grundwassers entstehen? Die Beantwortung erfolgt im Zusammenhang mit Frage Nr. 8. 8. Welche Folgen hat ein polderbedingter Anstieg des Grundwassers im bebauten Bereich bei Schäden an Privatbesitz? Zur Klärung der Grundwasserproblematik werden detaillierte Modelluntersuchungen beauftragt. Dabei soll untersucht werden, inwieweit sich der Bau und Betrieb von gesteuerten Flutpoldern auf die Grundwasserverhältnisse auswirkt. Sollten die Untersuchungen ergeben, dass sich Verschlechterungen für Dritte ergeben könnten, werden entsprechende Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen geplant und umgesetzt. Dadurch wird verhindert, dass es zu einem polderbedingten Anstieg von Grundwasser kommt. Weitere Belange des Grund- und Trinkwasserschutzes können standortbezogen im Rahmen des anstehenden Dialogverfahrens eingebracht werden.