Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Jürgen Mistol BündniS 90/die Grünen vom 31.10.2014 Wohnungsaufsicht Nach Aufhebung des Wohnungsaufsichtsgesetzes (WoAufG ) zum 01.01.2005 sind die bayerischen Gemeinden zwar weiterhin aufgrund Art. 83 der Verfassung für die Wohnungsaufsicht zuständig, die spezifischen wohnungsaufsichtsrechtlichen Eingriffsbefugnisse sind jedoch weggefallen . Seit einiger Zeit häufen sich Presseberichte von Mietwucher, Überbelegung sowie Verwahrlosung/Vernachlässigung von Wohnraum. Davon betroffene Mieterinnen und Mieter sind vor allem Zuwanderer aus osteuropäischen EU-Ländern. Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über steigende Fallzahlen von Mietwucher, Überbelegung sowie Verwahrlosung/Vernachlässigung von Wohnraum in bayerischen Gemeinden? 2. Wie hat sich seit Abschaffung des Wohnungsaufsichtsgesetzes die Zahl der Zivilrechtsfälle zur Durchsetzung vertraglicher Ansprüche von Mietern im Freistaat entwickelt? 3. Wie beurteilt die Staatsregierung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der EU-Osterweiterung und dem damit verbundenen Zuzug, dass insbesondere die Notlage wohnungssuchender Migrantinnen und Migranten von einzelnen Vermieterinnen und Vermietern derart ausgenutzt wird? 4. Hält die Staatsregierung die rechtlichen Möglichkeiten der Gemeinden für ausreichend, um gegen Missstände und Problemimmobilien, die durch Verwahrlosung/ Vernachlässigung von Wohnraum oder durch Überbelegung von Wohnraum entstehen, wirksam vorzugehen ? 5. Wie beurteilt die Staatsregierung, dass Gemeinden oftmals kein Verfahren gem. § 5 WiStG einleiten können , weil betroffene Mieterinnen und Mieter aus Angst vor Wohnungsverlust die erforderliche Mitwirkung nicht leisten wollen bzw. können? 6. Was hält die Staatsregierung davon, Mindestanforderungen an Wohnraum festzulegen, um Überbelegung zu vermeiden oder zu beenden und eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten? 7. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Wirkung von Gesetzen zur Wohnungsaufsicht in anderen Bundesländern? 8. Stimmt die Staatsregierung zu, dass sich seit Abschaffung des Wohnungsaufsichtsgesetzes die Situation auf dem bayerischen Wohnungsmarkt insbesondere in Gebieten mit Wohnraummangel weiter verschärft hat? a) Hält es die Staatsregierung deshalb für erforderlich, Maßnahmen in ihrem Wirkungskreis zu ergreifen, die Mieterinnen und Mieter künftig besser schützen? b) Wenn ja, welche? Antwort des Staatsministeriums des innern, für Bau und Verkehr vom 12.12.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium der Justiz, dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration und dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege wie folgt beantwortet: 1. Welche erkenntnisse hat die Staatsregierung über steigende Fallzahlen von Mietwucher, überbelegung sowie Verwahrlosung/Vernachlässigung von Wohnraum in bayerischen Gemeinden? Statistische Zahlen zu Fällen von Mietwucher, Überbelegung sowie Verwahrlosung/Vernachlässigung von Wohnraum in bayerischen Gemeinden sind nicht vorhanden. Insbesondere lassen sich aus der Strafverfolgungsstatistik keine Rückschlüsse auf Fälle von Mietwucher (§ 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs – StGB) ziehen, da die Statistik nicht zwischen den in § 291 Abs. 1 StGB genannten vier Tatbeständen von Wucher unterscheidet. 2. Wie hat sich seit Abschaffung des Wohnungsaufsichtsgesetzes die Zahl der Zivilrechtsfälle zur durchsetzung vertraglicher Ansprüche von Mietern im Freistaat entwickelt? Die Zahl der abgeschlossenen erstinstanzlichen Verfahren in Wohnraummietsachen an den bayerischen Amtsgerichten ist in den Jahren 2004 bis 2006 von 32.012 (2004) auf 28.574 (2006) zurückgegangen und nach einem leichten Anstieg auf 29.574 (2007) in den letzten Jahren auf 28.601 (2012) und schließlich auf 28.386 (2013) gesunken. Ein Einfluss der Abschaffung des Wohnungsaufsichtsgesetzes auf die Zahl der Zivilverfahren in Wohnraummietsachen kann daher nicht festgestellt werden. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 06.02.2015 17/4827 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode drucksache 17/4827 Eine spezifische Statistik über die Anzahl der Verfahren, in denen der Mieter zur Durchsetzung vertraglicher Ansprüche Klage erhoben hat, liegt der Staatsregierung nicht vor. 3. Wie beurteilt die Staatsregierung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der eU-Osterweiterung und dem damit verbundenen Zuzug, dass insbesondere die notlage wohnungssuchender Migrantinnen und Migranten von einzelnen Vermieterinnen und Vermietern derart ausgenutzt wird? Die Staatsregierung hat über Einzelfälle hinaus keine Erkenntnisse darüber, dass gerade die Notlage wohnungssuchender Migrantinnen und Migranten von einzelnen Vermieterinnen und Vermietern besonders ausgenutzt wird. 4. Hält die Staatsregierung die rechtlichen Möglichkeiten der Gemeinden für ausreichend, um gegen Missstände und Problemimmobilien, die durch Verwahrlosung/Vernachlässigung von Wohnraum oder durch überbelegung von Wohnraum entstehen , wirksam vorzugehen? Ja. Den Gemeinden und Kreisverwaltungsbehörden stehen die allgemeinen öffentlich-rechtlichen Befugnisse aus dem Zweckentfremdungs-, Bauordnungs-, Gesundheits- oder allgemeinen Sicherheitsrecht zur Verfügung. Das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) gibt den Gemeinden mit Wohnraummangel die Befugnis, Satzungen zu erlassen, auf deren Grundlage sie gegen Zweckentfremdung von Wohnraum vorgehen können. Eine Zweckentfremdung liegt z. B. vor, wenn der Wohnraum in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist, oder bei gewerblicher Schlafstellenvermietung. Die Landeshauptstadt München hat von dieser Satzungsbefugnis Gebrauch gemacht. Nach § 13 ihrer Satzung kann sie unter anderem in Fällen, in denen Wohnraum unbewohnbar geworden ist, eine Instandsetzung anordnen. Um die Einhaltung der Vorschriften des Zweckentfremdungsrechts überwachen zu können, steht ihr ein Betretungsrecht von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen zu. Nach Art. 7 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) können die Gemeinden als Sicherheitsbehörden Anordnungen treffen, um konkrete Gefahren abzuwehren oder eingetretene Störungen zu beseitigen, die Leben oder Gesundheit bedrohen oder verletzen. Kreisfreie Gemeinden und Kreisverwaltungsbehörden besitzen darüber hinaus weitreichende Befugnisse nach dem Seuchen- bzw. Infektionsschutzrecht und können zur effektiven Gefahrenabwehr z. B. notwendige Maßnahmen auch in Bezug auf Grundstücke und Wohnräume zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen nach § 16 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) anordnen. 5. Wie beurteilt die Staatsregierung, dass Gemeinden oftmals kein Verfahren gem. § 5 WiStG einleiten können, weil betroffene Mieterinnen und Mieter aus Angst vor Wohnungsverlust die erforderliche Mitwirkung nicht leisten wollen bzw. können? Die Staatsregierung hat keine Erkenntnisse, ob und wie häufig Mieter aus Angst vor Wohnungsverlust die erforderliche Mitwirkung bei Verfahren nach § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 (WiStrG) nicht leisten wollen bzw. können. Zu der von der Staatsregierung angestrebten Änderung des § 5 WiStrG sh. Antwort auf Frage Nr. 8. 6. Was hält die Staatsregierung davon, Mindestanforderungen an Wohnraum festzulegen, um überbelegung zu vermeiden oder zu beenden und eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten ? Die Bayerische Bauordnung enthält bereits Anforderungen an Aufenthaltsräume und Wohnungen; weitere gesetzliche Festlegungen werden nicht für erforderlich gehalten. Das schließt nicht aus, dass die nicht nur vorübergehende Erhöhung der Zahl der Bewohner einer Wohnung im Einzelfall dazu führen kann, dass eine baurechtlich relevante Nutzungsänderung vorliegen kann. Für diesen Fall steht der zuständigen unteren Bauaufsichtsbehörde das bauaufsichtliche Eingriffsinstrumentarium (z. B. Nutzungsuntersagung ) zur Verfügung. Das Wohnungsaufsichtsgesetz, in dem für die bauliche Beschaffenheit von Wohnungen bzw. Wohnräumen Mindestanforderungen an gesunde Wohnverhältnisse festgelegt waren, wurde durch Gesetz vom 27.12.2004 aufgehoben . Gründe hierfür waren neben dem Abbau von Vorschriften vor allem die zunehmend geringe Bedeutung des Gesetzes in der Praxis, die bereits bestehenden Instrumentarien zur Beseitigung von Wohnungsmissständen sowie die wesentlich verbesserte Gesetzgebung und Rechtsprechung zugunsten der Mieter, die eine Beibehaltung der wohnungsaufsichtsrechtlichen Bestimmungen letztlich entbehrlich machten. Dies gilt auch derzeit noch. 7. Welche erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Wirkung von Gesetzen zur Wohnungsaufsicht in anderen Bundesländern? Lediglich in Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen gelten derzeit Gesetze zur Wohnungsaufsicht. Der Staatsregierung liegen keine belastbaren Erkenntnisse über die Wirkungen dieser Gesetze vor. 8. Stimmt die Staatsregierung zu, dass sich seit Abschaffung des Wohnungsaufsichtsgesetzes die Situation auf dem bayerischen Wohnungsmarkt insbesondere in Gebieten mit Wohnraummangel weiter verschärft hat? In den letzten Jahren hat sich die Situation auf den bayerischen Wohnungsmärkten insbesondere in Ballungsraumgebieten zunehmend dergestalt verschärft, dass vor allem einkommensschwächere Haushalte Schwierigkeiten haben, eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden. Für einen Zusammenhang mit der Aufhebung des Wohnungsaufsichtsgesetzes im Jahr 2004 gibt es keinerlei Anhaltspunkte. a) Hält es die Staatsregierung deshalb für erforderlich , Maßnahmen in ihrem Wirkungskreis zu ergreifen , die Mieterinnen und Mieter künftig besser schützen? b) Wenn ja, welche? Die Staatsregierung hält eine praxistauglichere Ausgestaltung des Ordnungswidrigkeitstatbestands des § 5 WiStrG für erforderlich, um Mieter bei unangemessen hohen Mietforderungen künftig besser zu schützen. Sie hat daher einen entsprechenden Bundesratsantrag unterstützt, der bei den Beratungen des Entwurfs eines Mietrechtsnovellierungsgesetzes gestellt wurde (Stellungnahme des Bundesrates vom 07.11.2014, BR-Drs. 447/14 – Beschluss –, S. 8 ff.). Die in der Ausgestaltung durch die Rechtsprechung bislang sehr hohen Anforderungen an eine Mietpreisüberhöhung im Sin- drucksache 17/4827 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 ne des § 5 WiStrG sollen hiernach abgesenkt werden, um den Anwendungsbereich der Vorschrift zu erweitern. Insbesondere soll das in der derzeitigen Fassung vorgesehene Tatbestandsmerkmal des „Ausnutzens“ einer Wohnmangellage gestrichen werden, da durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Mieter bislang insoweit eine – insbesondere in subjektiver Hinsicht – kaum zu erfüllende Darlegungs- und Beweislast auferlegt wurde. Nach der vorgeschlagenen Neuregelung soll künftig lediglich an das objektive Vorliegen eines geringen Wohnraumangebots angeknüpft werden. Auch soll es nicht zwingend auf die Marktlage im gesamten Gemeindegebiet ankommen, sondern vielmehr ausreichend sein, wenn in dem Teil der Gemeinde, in dem die Wohnung zu belegen ist, ein geringes Angebot an Wohnraum vorliegt. Eine entsprechende Änderung des § 5 WiStrG würde zu einem besseren Schutz des Mieters beitragen. Dieser Bundesratsantrag fand bei den Beratungen in den Ausschüssen eine Mehrheit und ging schließlich in die Stellungnahme des Bundesrates zum Mietrechtsnovellierungsgesetz ein. In ihrer Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme weist die Bundesregierung darauf hin, dass sie sich einer Prüfung, wie § 5 WiStrG praxistauglich ausgestaltet werden kann, nicht grundsätzlich verschließt. Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 13.11.2014 die Überweisung des Entwurfs eines Mietrechtsnovellierungsgesetzes in die Ausschüsse beschlossen. Die Staatsregierung hat im Übrigen bereits zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter in Gebieten mit Wohnraummangel getroffen und wird dies auch in Zukunft tun. Beispiele sind: – Verlängerung der Geltungsdauer des Zweckentfrem- dungsgesetzes, – Erlass der Verordnung zur Verlängerung der Kündigungs- sperrfrist (§ 577a Abs. 2 BGB), – Erlass der Verordnungen zur Senkung der Kappungs- grenze für Mieterhöhungen bei bestehenden Verträgen (§ 558 Abs. 3 BGB), – Erlass der Verordnung zur Einführung des Genehmigungsvorbehalts bei der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen (mittelbarer Mieterschutz; nicht beschränkt auf Gebiete mit Wohnraummangel), – geplant: Erlass einer Verordnung zur Einführung der sogenannten Mietpreisbremse.