Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Margit Wild SPD vom 13.10.2014 Inklusion und Ganztag im Referendariat Ich frage die Staatsregierung: 1. Trifft es zu, dass Referendare in Bayern nicht im Ganztag , in Kooperationsklassen und in Partnerklassen eingesetzt werden können? 2. Wenn ja, mit welcher Begründung? 3. Inwiefern werden Referendare während des Vorbereitungsdienstes auf die Umsetzung der Inklusion in Bayern vorbereitet? 4. Inwiefern werden die pädagogischen Bedürfnisse eines Unterrichts an Ganztagsschulen während des Vorbereitungsdienstes vermittelt? Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 15.12.2014 1. Trifft es zu, dass Referendare in Bayern nicht im Ganztag, in Kooperationsklassen und in Partnerklassen eingesetzt werden können? 2. Wenn ja, mit welcher Begründung? In Bayern werden Ganztagsschulen derzeit in gebundener und offener Form eingerichtet. Bei offenen Ganztagsangeboten nehmen die Schülerinnen und Schüler ab Jahrgangsstufe 5 am stundenplanmäßigen Vormittagsunterricht teil und besuchen anschließend nachmittägliche Bildungs- und Betreuungsangebote. In der Regel kommen hierbei kein schulisches Lehrpersonal bzw. Referendare zum Einsatz. Die Durchführung der offenen Ganztagsangebote wird stattdessen zumeist im Rahmen von Kooperationsverträgen freien gemeinnützigen Trägern oder den Kommunen übertragen, die die Betreuungs- und Bildungsangebote mit eigenem Personal gemäß dem jeweiligen pädagogischen Konzept der Schule durchführen. Die Schulleitung kann im Benehmen mit dem Schulaufwandsträger und ggf. in Abstimmung mit dem Kooperationspartner auch Einzelpersonen für Bildungs- und Betreuungsangebote in der offenen Ganztagsschule einsetzen. Die Konzeption für gebundene Ganztagsangebote sieht u. a. vor, dass der Unterricht in einer eigenen Ganztagsklas- se in rhythmisierter Form erteilt wird und die vormittäglichen und nachmittäglichen Bildungs- und Betreuungsangebote in einem konzeptionellen Zusammenhang stehen. Während in der offenen Ganztagsschule hauptsächlich externes Personal eingesetzt wird, werden diese Bildungs- und Erziehungsangebote vornehmlich von Lehrkräften durchgeführt und betreut. An staatlichen Schulen können hierzu auch Referendare während ihres Vorbereitungsdienstes in gebundenen Ganztagsklassen gemäß dem jeweiligen pädagogischen Konzept der Schule eingesetzt werden. Kooperationsklassen an Grund- und Mittelschulen werden von bis zu fünf Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf besucht. Für diese Klassen ist eine besondere Kompetenz der Lehrkraft wünschenswert. Da Lehramtsanwärter im eigenverantwortlichen Unterricht nach § 21 ZALGM (Zulassungs- und Ausbildungsordnung für den Vorbereitungsdienst an Grund- bzw. Mittelschulen) nach Möglichkeit nicht in besonders schwierigen Klassen eingesetzt werden sollen, erfolgt ein Einsatz in Kooperationsklassen nur in gemeinsamer Absprache mit Schulleitung und Seminarleitung. In Klassen mit festem Lehrertandem, in denen sieben Schülerinnen und Schüler mit sehr hohem sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf von einem Sonderpädagogen und einer Lehrkraft aus der Grund-/Mittelschule unterrichtet werden, kommen Lehramtsanwärter nicht zum Einsatz. Für die Partnerklassen gibt es keine grundsätzliche Einschränkung bzgl. des Einsatzes von Studienreferendarinnen bzw. Studienreferendaren. 3. Inwiefern werden Referendare während des Vorbereitungsdienstes auf die Umsetzung der Inklusion in Bayern vorbereitet? Grundschule und Mittelschule: Das Thema „Inklusion“ ist in der zweiten Phase der Lehrerausbildung in § 16 der Zulassungs- und Ausbildungsordnung für Grundschulen und Mittelschulen (ZALGM) verankert: – Im Punkt 6 a im Kompetenzbereich „Kooperieren“: Ge- meinsame Maßnahmen der Inklusion. – im Punkt 8 „Inklusive Pädagogik“ mit den Themen: • Inklusion als Aufgabe aller Schulen, • Organisation inklusiver Schulen, • Erziehung und Unterricht in kooperativen Lernformen und in der inklusiven Schule, • interdisziplinäre Teamkooperation, • inklusives Schulkonzept, • externe Unterstützungssysteme. Seminarrektoren kooperieren in diesen Bereichen mit den Förderzentren und den sonderpädagogischen Seminaren und werden für diese Thematik im Rahmen regionaler und überregionaler Fortbildungen geschult. Im Doppelhaushalt 2013/2014 wurden acht Stellen für Seminarrektoren in der Besoldungsgruppe A14+AZ verankert , deren Zuständigkeit in der Koordination in der Semi- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 09.02.2015 17/4836 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/4836 narausbildung bzgl. des Ausbildungsinhalts „Inklusion“ liegt (jeweils eine Stelle pro Regierungsbezirk, zwei in Oberbayern ). Diese Seminarrektoren haben die Aufgabe, die Thematik „Inklusion“ in der Zweiten Phase der Ausbildung vollumfänglich zu implementieren (Konzeptentwicklung). Realschule: Inklusive Beschulung wird vorwiegend in den Fachbereichen der allgemeinen Ausbildung (Pädagogik, Psychologie und Schulrecht/Schulentwicklung) thematisiert. Grundsätzlich wird das Augenmerk auf folgende Aspekte gelenkt: • Verschiedene Formen von Behinderungen und Störun- gen, z. B. Legasthenie, ADHS/ADS, Dyskalkulie, Autismus , Mutismus, Sozialverhalten, Aggression, Depres - sion ... • Einschränkende Auswirkungen auf Verhalten, Erleben und Lernmöglichkeiten von betroffenen Schülerinnen und Schülern im schulischen Kontext • Möglichkeiten der Unterstützung betroffener Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern • Einsatz und Rolle von Schulbegleitern an Realschulen • Beratungshilfen durch den Mobilen Sonderpädagogi- schen Dienst (MSD) • Flexibilität bei der Wahl von Lernwegen, besonders auch Maßnahmen in den Bereichen von Individualisierung und Differenzierung • Training der Kommunikationskompetenz von Studienreferendaren , besonders im Bereich der Beratung und im Umgang mit schwierigen Situationen • Bedeutung eines positiven Selbstkonzepts für erfolgreiches Lernen sowie Möglichkeiten der Förderung eines solchen • Stärkung einer Bewusstseinskultur an Realschulen mit Verständnis für und Achtung von Verschiedenheit sowie für Notwendigkeit und Möglichkeiten von Inklusion • Inklusion als ein Ziel der Schulentwicklung • Umgang mit dem Nachteilsausgleich im Zeugnis • Rolle der Schulaufsicht • schulorganisatorische und didaktisch-methodische Maß- nahmen, z. B. o Wahl des Klassenzimmers, Klassengröße, Sitzord- nung o Bedeutung der Atmosphäre innerhalb der Klasse o Bedeutung des Frontalunterrichts sowie des „Lehrer- echos“ im Kontext von Beeinträchtigungen wie ADHS und Hörschädigung o Sprachführung durch die Lehrkraft, Möglichkeiten der Visualisierung und Verbalisierung bestimmter Unterrichtsinhalte und der erhöhte Zeitbedarf im Unterricht o Anregung zum Besuch von Schulen mit dem Profil Inklusion o Ggf. Besuch von Schulen mit dem Profil Inklusion, Förderschulen etc. Bei der Aufteilung der Ausbildungsinhalte stimmen sich die Seminarlehrkräfte der allgemeinen Ausbildung ab. Ferner wurden für den Bereich der Inklusion in der Lehrerausbildung eigens acht Seminarrektorenstellen der BesGr. A14 mit einer Amtszulage ausgestattet. Die entsprechenden Lehrkräfte widmen sich in den jeweiligen MB-Aufsichtsbezirken zusätzlich der Fortbildung von Seminarschulen, der Standardisierung von Ausbildungsinhalten sowie der Vermittlung einschlägiger Kontakte zu Universitäten, Experten etc. im Kontext der Inklusion als Ausbildungsinhalt. Gymnasium: Die Behandlung der Inklusion als Querschnittsthema erfolgt im Rahmen der allgemeinen Ausbildung v. a. in den Gebieten Pädagogik, Psychologie, Schulrecht z. B. durch die vorgeschriebenen Inhalte „erzieherisches Handeln“, „soziales Lernen “ und „ausgewählte Bildungs- und Erziehungsaufgaben“ (Pädagogik), „Förderung sozialer Strukturen und Prozesse schulischer Gruppen“ und „Analyse und Modifikation von abweichendem Lern- oder Sozialverhalten“ (Psychologie). Sowohl fächerübergreifend als auch fachspezifisch findet das Thema Inklusion derzeit vor dem Hintergrund des umfassenderen Aspektes „Umgang mit Heterogenität am Gymnasium“ Berücksichtigung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Ausbildung in Pädagogik und Psychologie sowie in den Fachseminarsitzungen: Möglichkeiten der Differenzierung im Unterricht, der Schülerbeobachtung und Rückmeldung sowie des Umgangs mit unterschiedlichen Begabungsprofilen. Im Rahmen des Vorbereitungsdienstes finden Hospitationen an anderen Schularten statt, darunter auch Förderschulen mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten, einschließlich der Förderzentren geistige Entwicklung. Als Multiplikatoren werden die Seminarlehrkräfte in zentralen Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Inklusion weitergebildet . Berufliche Schulen: Es finden Hauptseminarveranstaltungen mit folgenden Themen statt: – Inklusion – Sonderpädagogik – Benachteiligtenpädagogik – Lernräume gestalten – Pädagogische Diagnostik – Identifikation von Begabungen – Identifikation von Benachteiligungen – Diagnoseinstrumente – Schüler mit Lernschwierigkeiten, Lern- und Leistungsstö- rungen – Arbeit mit Förderplänen Darüber hinaus erteilen alle Referendare – nach vorhergehender pädagogischer Diagnostik – Förderunterricht. 4. Inwiefern werden die pädagogischen Bedürfnisse eines Unterrichts an Ganztagsschulen während des Vorbereitungsdienstes vermittelt? Im Hinblick auf eine spätere Tätigkeit an Ganztagsschulen sind im Rahmen der Lehrerausbildung insbesondere folgende Themenfelder aufzugreifen: − grundlegende Kenntnisse zur Organisation und Konzep- tion schulischer Ganztagsangebote − Berücksichtigung des verlängerten Schultags bei Me- thodik und Didaktik (z. B. durch Rhythmisierung; durch Wechsel der Unterrichtsmethoden, Arbeitsformen, Lernumgebungen und Sozialformen; durch individuelle Diagnostik und Förderung) − Gestaltung der Schule als Lebensraum; Aufwertung der erzieherischen Aufgaben von Lehrkräften − Vermittlung der Bedeutung von Kooperation und Partizipation bei der Ausgestaltung des Ganztags; Bewusstsein für die Notwendigkeit gelingender Kooperation zwischen Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften sowie zusätzlichem pädagogischen und außerschulischem Personal Drucksache 17/4836 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Im Zusammenhang mit dem Ausbau ganztägiger Bildungsund Betreuungsangebote an den bayerischen Schulen hat die Staatsregierung daher frühzeitig Maßnahmen ergriffen, um angehende Lehrkräfte auf diese Herausforderung vorzubereiten : − Bei der Erarbeitung von Änderungsverordnungen an den Zulassungs- und Ausbildungsordnungen für die einzelnen Lehrämter werden schulische Ganztagsangebote als Ausbildungsinhalt schulartspezifisch verankert. Damit ist sichergestellt, dass Fragen der Ganztagsschule bei der Zweiten Staatsprüfung hinreichend berücksichtigt werden . − Das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München (ISB) hat im Auftrag des Kultusministeriums einen Arbeitskreis aus Praktikern aller Schularten eingerichtet, der ein multimedial ausgerichtetes Materialpaket für den Bereich der Lehrerausbildung erarbeitet. − Im Rahmen von Dienstbesprechungen, Fachtagungen, Thementagen sowie Einführungs- und Fortbildungsveranstaltungen werden die für die Ausbildung der Lehramtsanwärter im Bereich Pädagogik zuständigen Se- minarlehrkräfte gezielt über grundlegende und aktuelle Aspekte der Ganztagsschuldidaktik und -methodik informiert und entsprechend geschult. Zu berücksichtigen ist überdies, dass die didaktischen und methodischen Anforderungen, die sich unter dem besonderen Gesichtspunkt der Ganztagsschule ergeben, unmittelbar an zahlreiche Aufgabenfelder der Halbtagsschule anknüpfen. So bestehen in der Lehrerbildung in Bayern bereits jetzt verbindliche Vorgaben für die Bewältigung vieler berufsbedingter Anforderungen an die Lehrkräfte, die sich auch und besonders im Rahmen der Ganztagsschule ergeben . Beispielsweise werden der Umgang mit Heterogenität und sozialen Konflikten, die begabungsgerechte Förderung und verstärkte Individualisierung, Maßnahmen der Binnendifferenzierung , Maßnahmen des selbstgesteuerten Lernens und Fragen der Diagnostik seit Längerem ausführlich im Rahmen der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung behandelt. Diese Inhalte sind auch in der Lehramtsprüfungsordnung I bzw. in den Zulassungs- und Ausbildungsordnungen der einzelnen Lehrämter verankert.