Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann SPD vom 05.12.2014 Veränderungen im öffentlichen Beschaffungswesen durch ein CETA-Abkommen Ich frage die Staatsregierung: 1. a) In welchen Bereichen gehen die Regelungen des von der EU-Kommission vorgelegten CETA-Vertragsentwurfes über den Anwendungsbereich des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) der WTO hinaus? b) Welche positiven und negativen Auswirkungen könnte die ggf. weitreichendere Liberalisierung entsprechend der CETA-Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen und zur Erbringung von Dienstleistungen für die Ausgestaltung der Beschaffungspolitik in Deutschland bzw. Bayern haben? 2. Ist es richtig, dass die CETA-Marktöffnungsverpflichtungen im Dienstleistungsbereich entsprechend einer Generalausnahme für die kommunale Ebene nicht gelten, der Zugang europäischer Anbieter zum öffentlichen Auftragswesen in Kanada jedoch auf die regionale und kommunale Ebene ausgeweitet werden soll (bitte näher ausführen)? 3. a) Wie beurteilt die Staatsregierung die Möglichkeit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten insb. Deutschlands, nach Inkrafttreten des CETA-Abkommens (entsprechend dem derzeit vorliegenden konsolidierten CETAText ) weiterhin (beschaffungs-)politische Maßnahmen zur Initiierung von Konjunkturprogrammen oder zur regionalen Wirtschaftsentwicklung z. B. durch Direktvergaben einleiten zu können? b) Werden diese Möglichkeiten weiterhin unverändert gegeben sein oder könnten hier im Einzelfall u. a. auch bei einer lt. CETA-Vertragsentwurf zulässigen Subventionierung zur Dienstleistungserbringung Prüfungen auf Zulässigkeit notwendig werden? 4. a) Welche unmittelbaren Konsequenzen ergeben sich für Bund und Länder in Deutschland bezüglich der Bereitstellung von Dienstleistungen durch die öffentliche Hand und sog. Public-Private-Partnerships? b) Ist es nach Abschluss des CETA-Abkommens für öffentliche Auftraggeber in Deutschland zulässig, im Rahmen ökologischer Vergabekriterien beispielsweise einen regionalen Einkauf für öffentliche Beschaffungsvorgänge auszuweisen, oder könnte der daraus folgende Ausschluss kanadischer Anbieter aus dem Vergabeverfahren eine unzulässige Diskriminierung darstellen? 5. Welche im CETA-Vertragsentwurf enthaltenen Bereiche unterliegen sog. Stillhalteklauseln (bitte detaillierte Aufzählung)? Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 15.01.2015 1. a) In welchen Bereichen gehen die Regelungen des von der EU-Kommission vorgelegten CETA-Vertragsentwurfes über den Anwendungsbereich des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) der WTO hinaus? b) Welche positiven und negativen Auswirkungen könnte die ggf. weitreichendere Liberalisierung entsprechend der CETA-Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen und zur Erbringung von Dienstleistungen für die Ausgestaltung der Beschaffungspolitik in Deutschland bzw. Bayern haben? Wegen des engen Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 a) und 1 b) zusammen beantwortet. Im Rahmen von CETA werden für den Bereich der öffentlichen Beschaffung ganz überwiegend die gleichen Regelungen getroffen, die für Kanada und die EU bereits nach dem WTO-Beschaffungsübereinkommen GPA gelten. Das im Rahmen der WTO abgeschlossene plurilaterale Agreement on Government Procurement (GPA) verpflichtet die Vertragsparteien – einschließlich der EU und Kanada – zur diskriminierungsfreien und transparenten Vergabe der von dem Übereinkommen erfassten öffentlichen Aufträge. Diese Nichtdiskriminierungs- und Transparenzpflichten werden im Beschaffungskapitel des CETA-Vertragsentwurfes überwiegend wortgleich übernommen. Der Anwendungsbereich der von CETA erfassten öffentlichen Aufträge geht aber, was Kanada betrifft, über den Anwendungsbereich des GPA hinaus. In CETA verpflichtet sich Kanada dazu, über seine im GPA gemachten Zusagen hinausgehend, auch die öffentliche Beschaffung durch die kanadischen Provinzen und Kommunen für europäische Bieter zu öffnen. Regionale kanadische Unternehmen können in Kanada dank CETA gegenüber europäischen Anbietern nicht mehr so einfach bevorzugt werden, wie das bisher der Fall war. Das war ein wichtiges Anliegen der EU im Rahmen der CETAVerhandlungen , weil in der EU und in Deutschland Anbieter aus Drittstaaten schon jetzt an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen können. Für die EU und Deutschland bringt also CETA im Bereich der öffentlichen Beschaffung keine über das GPA hinausgehenden Änderungen, wohl aber für Kanada. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 06.03.2015 17/4957 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/4957 2. Ist es richtig, dass die CETA-Marktöffnungsverpflichtungen im Dienstleistungsbereich entsprechend einer Generalausnahme für die kommunale Ebene nicht gelten, der Zugang europäischer Anbieter zum öffentlichen Auftragswesen in Kanada jedoch auf die regionale und kommunale Ebene ausgeweitet werden soll (bitte näher ausführen)? Im CETA-Abkommen sind Regelungen zur Marktöffnung für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens gesondert aufgenommen und nicht vom Kapitel über Dienstleistungen erfasst. CETA schafft keinen neuen Zwang zur Ausschreibung für die kommunale Ebene. Ob ausgeschrieben wird oder ob ein kommunales Unternehmen beauftragt wird, kann weiterhin nach Maßgabe des geltenden Rechts entschieden werden. Aber wenn sich eine Kommune für eine Ausschreibung entscheidet, kann ein Anbieter aus Kanada nach den gleichen Bedingungen teilnehmen wie ein Anbieter aus Deutschland bzw. der EU. Das gilt auch schon nach dem bisher geltenden Recht in Deutschland. CETA führt hier zu keinen Änderungen für Kommunen und Regionen in Deutschland, wohl aber in Kanada. 3. a) Wie beurteilt die Staatsregierung die Möglichkeit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten insb. Deutschlands , nach Inkrafttreten des CETA-Abkommens (entsprechend dem derzeit vorliegenden konsolidierten CETA-Text) weiterhin (beschaffungs-) politische Maßnahmen zur Initiierung von Konjunkturprogrammen oder zur regionalen Wirtschaftsentwicklung z. B. durch Direktvergaben einleiten zu können? b) Werden diese Möglichkeiten weiterhin unverändert gegeben sein oder könnten hier im Einzelfall u. a. auch bei einer lt. CETA-Vertragsentwurf zulässigen Subventionierung zur Dienstleistungserbringung Prüfungen auf Zulässigkeit notwendig werden? Wegen des engen Sachzusammenhangs werden die Fragen 3 a und 3 b zusammen beantwortet. Die vergaberechtliche Situation im Hinblick auf öffentliche Subventionen, Konjunkturprogramme, KfW-Darlehen, Beihilfen etc. wird sich durch CETA nicht ändern. Bereits bisher sieht das WTO-Beschaffungsübereinkommen (GPA) hierfür in Art. II Abs. 3 lit. b) die auch in CETA enthaltene Ausnahme vor: „this Agreement does not apply to … the non-contractual agreements or any form of assistance that a Party provides, including cooperative agreements, grants, loans, equity infusions, guarantees and fiscal incentives”. Da die Texte im (für Deutschland bereits bindenden) GPA und im Beschaffungskapitel von CETA identisch sind, ändert sich nichts. Deutschland kann also weiterhin z. B. Konjunkturprogramme einführen, ohne dabei an vergaberechtliche Vorgaben gebunden zu sein. Wenn mit der angesprochenen „Direktvergabe“ freihändige Vergaben und beschränkte Ausschreibungen unterhalb der von den Bundesländern dafür im Unterschwellenbereich festgelegten Wertgrenzen gemeint sein sollte, so sind diese von den CETA-Regelungen nicht betroffen. Das Beschaffungskapitel von CETA ist nicht auf Auftragsvergaben anwendbar, deren Volumen unterhalb der in CETA und im EU-Vergaberecht deckungsgleich festgelegten Schwellenwerte liegt. Wenn mit der angesprochenen „Direktvergabe“ der Fall gemeint sein sollte, dass durch eine Direktvergabe (= ohne Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens) eines öffentlichen Auftrags an ein lokal tätiges Unternehmen zugleich die regionale Wirtschaft gefördert werden soll, so wäre dieser Fall nicht von der zitierten Ausnahme für „noncontractual agreements“ abgedeckt. Sofern auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an sich das Vergaberecht anwendbar ist, ist die Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen aufgrund ihrer Herkunft grundsätzlich unzulässig, sowohl nach dem GPA und nach CETA als auch nach dem EU-Vergaberecht und nationalem Vergaberecht. Auch insofern hat CETA also keine Auswirkungen. Allerdings wird durch CETA die Möglichkeit der kanadischen Provinzen und Regionen eingeschränkt, in ihrer Beschaffungspolitik mittels Direktvergaben die regionale Wirtschaftsentwicklung zu stimulieren. Für europäische bzw. deutsche Regionen bestand diese Möglichkeit aber ohnehin nicht (s. o.). 4. a) Welche unmittelbaren Konsequenzen ergeben sich für Bund und Länder in Deutschland bezüglich der Bereitstellung von Dienstleistungen durch die öffentliche Hand und sog. Public-Private-Partnerships ? Deutschland geht im Bereich der Daseinsvorsorge in CETA keine neuen Marktöffnungsverpflichtungen ein. Insofern ergeben sich auch für die Bereitstellung von Dienstleistungen durch die öffentliche Hand und für die Frage, wie die Daseinsvorsorge in Deutschland ansonsten organisiert wird, keine Konsequenzen. b) Ist es nach Abschluss des CETA-Abkommens für öffentliche Auftraggeber in Deutschland zulässig, im Rahmen ökologischer Vergabekriterien beispielsweise einen regionalen Einkauf für öffentliche Beschaffungsvorgänge auszuweisen, oder könnte der daraus folgende Ausschluss kanadischer Anbieter aus dem Vergabeverfahren eine unzulässige Diskriminierung darstellen? Die öffentlichen Auftraggeber können auch nach Abschluss des CETA-Abkommens wie bisher nach Maßgabe des geltenden Rechts in Deutschland und in der EU die Ausschreibungsbedingungen festlegen. Insbesondere können Vergabestellen soziale und ökologische Vergabekriterien festlegen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Für die Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und in den Ländern ändert sich in der Praxis nichts. Allein die „Regionalität“ als solche ist jedoch bereits nach geltendem Recht kein zulässiges Vergabekriterium. 5. Welche im CETA-Vertragsentwurf enthaltenen Bereiche unterliegen sog. Stillhalteklauseln (bitte detaillierte Aufzählung)? Das Dienstleistungskapitel im CETA-Vertragsentwurf (veröffentlicht im Internet, Fundstelle: http://trade.ec.europa.eu/ doclib/html/152806.htm) enthält für die EU zwei Annexe, die Einschränkungen bei den Liberalisierungsverpflichtungen im Detail darstellen. Im Annex 1 werden die bestehenden Einschränkungen der Marktöffnung dargestellt. Diese Einschränkungen unterliegen einer sog. „Stillhalteklausel“, es darf nicht hinter das bestehende Niveau der Marktöffnung zurückgegangen werden . Der Annex I ist im veröffentlichten Vertragsentwurf zu finden. Ab Seite 1204 werden EU-weit geltende Einschränkungen gelistet, ab Seite 1327 die Einschränkungen für Deutschland auf Bundes- und Länderebene. Drucksache 17/4957 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Im Annex 2 werden die Sektoren genannt, für die sich die EU insgesamt (gelistet ab Seite 1500) bzw. die Mitgliedstaaten (gelistet für Deutschland ab Seite 1572) auch zukünftig Regulierungsspielraum erhalten. In den in Annex II genannten Sektoren (wie beispielsweise der Daseinsvorsorge oder dem öffentlichen Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- oder Finanzwesen, um nur einige Beispiele zu nennen) enthält CETA für Deutschland keine neuen Marktöffnungsverpflichtungen . Der Gestaltungsspielraum für die Zukunft bleibt umfassend erhalten.