Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 25.02.2015 Ergänzung des Krisenbewältigungsmechanismus nach Artikel 33 der Dublin-III-Verordnung durch eine Verteilung entsprechend einem zur Erreichung dieses Ziels geeigneten Verteilungsschlüssels In einem Dringlichkeitsantrag vom 10.02.2015 setzte sich die CSU-Fraktion für eine andere Verteilung der in die EU einreisenden Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf alle Mitgliedstaaten ein. Der Antrag 17/5221 fordert im Rahmen einer Weiterentwicklung des Krisenbewältigungsmechanismus nach Artikel 33 der Dublin-III-Verordnung eine Verteilung entsprechend einem noch nicht näher erläuterten Verteilungsschlüssel . Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Wann wäre nach Meinung der Staatsregierung von einer Krisensituation gemäß Art. 33 Dublin-III-Verordnung auszugehen? 2.1 Wären nach Meinung der Staatsregierung gemäß den aktuellen Flüchtlingszahlen bereits jetzt EU-Mitgliedstaaten von dieser ergänzenden Regelung betroffen? 2.2 Wenn ja, welche EU-Mitgliedstaaten wären dies, beziehungsweise was leistet Deutschland aktuell für diejenigen Mitgliedstaaten, die am ehesten davon betroffen wären? 2.3 Wenn nein, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Krisenbewältigungsmechanismen gemäß Art. 33 der Dublin-III-Verordnung würde nach Meinung der Staatsregierung eine Verteilung im Sinne des zu erarbeitenden Verteilungsschlüssels in Kraft treten? 3. Nach welchen Faktoren und mit welcher Gewichtung der gewählten Faktoren soll nach Meinung der Staatsregierung die Erarbeitung und Umsetzung eines geeigneten Verteilungsschlüssels erfolgen und welche Quote würde dies für Deutschland nach sich ziehen? 4. Welche Institutionen sollen nach Meinung der Staatsregierung für eine Verteilung und Überführung gemäß dem noch zu erarbeitenden Verteilungsschlüssel zuständig sein? 5. Zu welchem Zeitpunkt wäre nach Meinung der Staatsregierung eine Krisensituation gemäß Art. 33 der Dublin -III-Verordnung überwunden und was bedeutet dies für die Dauer der Umsetzung des zu erarbeitenden Verteilungsschlüssels? Antwort des Leiters der Bayerischen Staatskanzlei Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben vom 27.03.2015 1. Wann wäre nach Meinung der Staatsregierung von einer Krisensituation gemäß Art. 33 Dublin-III-Verordnung auszugehen? Im Jahr 2014 entfielen nach Angaben der Europäischen Statistikbehörde Eurostat 72 % aller in der Europäischen Union (EU) gestellten Asylanträge auf lediglich fünf Staaten: Deutschland (202.700, 32 %), Schweden (81.200, 13 %), Italien (64.600, 10 %) und Ungarn (42.800, 7 %). Demgegenüber teilen sich die verbleibenden 23 Mitgliedstaaten die restlichen 28 % der in der EU gestellten Asylanträge. Dieses große Ungleichgewicht bei der Aufnahme von Asylbewerbern zeigt, dass die Funktionsfähigkeit des Dublin-III-Systems derzeit nicht gegeben ist. Die Zahl an Asylbewerbern in der EU und in Deutschland hat sich im Jahr 2014 und zum Jahresbeginn 2015 deutlich verstärkt. Vergangenes Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) deutschlandweit fast 203.000 Antragsteller verzeichnet. Für 2015 geht das BAMF in seiner jüngsten Prognose vom 18. Februar 2015 von mindestens 250.000 Erst- und 50.000 Folgeantragstellern aus. Auch die Zahl der beim BAMF anhängigen Verfahren steigt weiterhin permanent an. In der Zeit von Januar bis Februar 2015 haben bereits 51.938 Personen in Deutschland Asyl beantragt. Gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr bedeutet dies eine Erhöhung um 99,2 %. Insbesondere der Ende 2014 und zu Beginn dieses Jahres nochmals deutlich stärkere Anstieg von Asylbewerbern (insbesondere auch aus dem Kosovo) haben die Funktionsfähigkeit des Asylsystems in Deutschland infrage gestellt. Allein im Januar und Februar 2015 stellten nach Angaben des BAMF 11.383 kosovarische Staatsangehörige einen Asylantrag in Deutschland. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 22.04.2015 17/5967 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/5967 In solchen Situationen einer besonderen Belastung einzelner Mitgliedstaaten, die deren nationale Aufnahmesysteme konkret gefährden, sollten Asylbewerber künftig gerechter auf alle Mitgliedstaaten der EU verteilt werden. Hierzu hält die Staatsregierung – etwa im Rahmen einer Weiterentwicklung des bereits vorhandenen Krisenbewältigungsmechanismus des Artikels 33 der Dublin-III Verordnung – die Einführung eines geeigneten europaweiten Verteilungsschlüssels für zielführend. Hierdurch sollen betroffene Mitgliedstaaten entlastet und damit sichergestellt werden, dass die Funktionsfähigkeit der nationalen Aufnahmesysteme gewahrt bleibt. 2.1 Wären nach Meinung der Staatsregierung gemäß den aktuellen Flüchtlingszahlen bereits jetzt EUMitgliedstaaten von dieser ergänzenden Regelung betroffen? Es obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten, zu beurteilen, ob deren Aufnahmesysteme derzeit aufgrund besonderer Belastungssituationen in dem beschriebenen Maß gefährdet sind, sodass ein erweiterter Krisenbewältigungsmechanismus Anwendung finden müsste. Die Staatsregierung ist jedoch der Auffassung, dass Entwicklungen , wie etwa die dargestellte sprunghafte Zunahme von Asylanträgen in Deutschland Ende 2014/Anfang 2015, eine Krisensituation darstellen, die zukünftig die Anwendung eines Verteilungsschlüssels im Rahmen eines erweiterten Krisenbewältigungsmechanismus nach Art. 33 Dublin-III notwendig machen würden. 2.2 Wenn ja, welche EU-Mitgliedstaaten wären dies, beziehungsweise was leistet Deutschland aktuell für diejenigen Mitgliedstaaten, die am ehesten davon betroffen wären? Siehe zunächst die Beantwortung von Frage 2.1. Deutschland kommt nach Auffassung der Staatsregie- rung seiner gesamteuropäischen Verantwortung im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in besonderem Maße nach. So entfiel in den Jahren 2013 und 2014 jeweils rund ein Drittel der in der EU gestellten Asylanträge allein auf Deutschland. Diese besondere Aufnahmebereitschaft führt – zulasten Deutschlands – zu einer direkten Entlastung der anderen Mitgliedstaaten. Die Frage eines darüber hinausgehenden Entlastungsbeitrags Deutschlands zugunsten der anderen EU-Mitgliedstaaten stellt sich aus Sicht der Staatsregierung daher derzeit nicht. 2.3 Wenn nein, zu welchem Zeitpunkt innerhalb der Krisenbewältigungsmechanismen gemäß Art. 33 der Dublin-III-Verordnung würde nach Meinung der Staatsregierung eine Verteilung im Sinne des zu erarbeitenden Verteilungsschlüssels in Kraft treten? Eine Festlegung auf eine konkrete Ausgestaltung des erweiterten Krisenbewältigungsmechanismus ist derzeit aus der Sicht der Staatsregierung nicht ratsam. Anderenfalls würden Vorfestlegungen getroffen, die den Verhandlungsspielraum Deutschlands gegenüber der Europäischen Kommission unnötig einschränken könnten. Dort werden derzeit Vorschläge für ein Verteilungssystem erarbeitet. Diese dürften überdies bei den europäischen Partnern auf mehr Akzeptanz stoßen, als – zum jetzigen Zeitpunkt verfrühte – Vorschläge einzelner Mitgliedstaaten. Aus Sicht der Staatsregierung ist daher jetzt zunächst die Europäische Kommission gefordert, sehr zeitnah konkrete Vorschläge vorzulegen. Die Staatsregierung wird ihre Position dann zu gegebener Zeit einbringen. 3. Nach welchen Faktoren und mit welcher Gewichtung der gewählten Faktoren soll nach Meinung der Staatsregierung die Erarbeitung und Umsetzung eines geeigneten Verteilungsschlüssels erfolgen und welche Quote würde dies für Deutschland nach sich ziehen? Die Festlegung auf eine konkrete Ausgestaltung des geforderten Verteilungsschlüssels ist derzeit aus der Sicht der Staatsregierung aus den bereits genannten Gründen nicht angezeigt und auch aus fachlicher Sicht nicht notwendig. Nach den wissenschaftlichen Berechnungen des ICMPD (International Centre for Migration Policy Development, Wien), die im Oktober 2014 veröffentlicht wurden, hätten alle derzeit untersuchten Verteilungsschlüssel dazu geführt, dass die aktuell hohe Aufnahmeverpflichtung Deutschlands im Untersuchungszeitraum 2009 bis 2013 reduziert worden wäre. 4. Welche Institutionen sollen nach Meinung der Staatsregierung für eine Verteilung und Überführung gemäß dem noch zu erarbeitenden Verteilungsschlüssel zuständig sein? Siehe die Beantwortung zu Frage 2.3. 5. Zu welchem Zeitpunkt wäre nach Meinung der Staatsregierung eine Krisensituation gemäß Art. 33 der Dublin-III-Verordnung überwunden und was bedeutet dies für die Dauer der Umsetzung des zu erarbeitenden Verteilungsschlüssels? Ein erweiterter Krisenfallmechanismus sollte darauf abzielen , besondere Belastungssituation in einem Mitgliedstaat oder mehreren Mitgliedstaaten auszugleichen, um die Funktionsfähigkeit der dortigen Aufnahmesysteme zu gewährleisten . Mit Beendigung der Gefahrenlage entfiele somit die Grundlage für die Anwendung eines erweiterten Krisenbewältigungsmechanismus . Der konkrete Beendigungszeitpunkt ist dabei abhängig von den Umständen im Einzelfall.