Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 30.03.2015 Widerstand gegen Neonazis in der Fanszene des TSV 1860 München Bereits seit einigen Jahren wird sowohl in Medienberichten als auch durch engagierte, antifaschistische Fangruppen darauf hingewiesen, dass eine geschlossene Gruppe von mehreren Dutzend, zum Teil polizeibekannten Neonazis, die Spiele des TSV 1860 München besucht. In der Allianz Arena treten sie insbesondere im Block 132 auf, auch bei den Spielen von TSV 1860 München II sind sie vereinzelt im Grünwalder Stadion vertreten. Auf die Verbindungen eines Teils der 1860-Fanszene zur rechtsextremen (Hooligan-)Szene hat auch die Staatsregierung bereits wiederholt hingewiesen – zuletzt in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage (Drs. 17/4852) der Abgeordneten Katharina Schulze (Bündnis 90/Die Grünen) und auf eine Anfrage zum Plenum (Drs. 17/5164) des Abgeordneten Jürgen Mistol (Bündnis 90/Die Grünen). Die Präsenz der Neonazis und rechtsextremen Hooligans wird in der 1860-Fanszene aber keinesfalls widerspruchslos hingenommen. Besonders engagiert für eine offene, tolerante, antirassistische und demokratische Fanszene ist seit vielen Jahren die Initiative „Löwenfans gegen rechts“ (LFGR), die für ihr vorbildliches Engagement 2009 mit dem Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ausgezeichnet wurde. Ausgezeichnet werden mit diesem Preis, laut DFB, „Personen, Initiativen und Vereine, die sich als Aktive auf dem Fußballplatz, als Fans im Stadion, im Verein und in der Gesellschaft beispielhaft und unübersehbar einsetzen für die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen und gegen Antisemitismus und Rassismus, für Verständigung und gegen Ausgrenzung von Menschen, für die Vielfalt aller Menschen und gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit“. Der Widerstand gegen die Unterwanderungsversuche der Neonazis hat sich insbesondere am 24. Juli 2013 beim Spiel zwischen TSV 1860 München II und FV Illertissen gezeigt. Der überwiegende Teil der Fanszene bezog mit „Nazis raus“ – und „Wir sind Löwen – und ihr nicht!“ – Rufen lautstark Stellung. In Presseberichten war anschließend von einem „spektakulären Erfolg (…) gegen die Nazis im Fanvolk“ die Rede (http://www.taz.de/!122122). Dass es bei der Aktion der 1860-Fans auch zu einem Handgemenge kam, soll an dieser Stelle weder verschwiegen noch gutgeheißen werden. Überraschend ist jedoch die Tatsache, dass der Vorfall von der Staatsregierung unter der Rubrik „Linksextremismus“ geführt wird (https://www. bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de/wissen/linksextremismus -in-bayern), während in der Sachverhaltsschil- derung die bekannten Neonazis – darunter der Münchner Neonaziaktivist Sven G. – als „rechte“ Fans (ausdrücklich in Anführungszeichen) verharmlost werden. Interessant ist zudem, dass das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr in der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze (Drs. 17/4852) auf die Frage nach Zusammenstößen zwischen rechtsextremen Hooligans und antirassistischen Fangruppierungen am 17. Dezember 2014 ausdrücklich Folgendes erklärte: „Das BayLfV beobachtet mögliche Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und linksgerichteten Fangruppen sowie antirassistischen Ultras sehr aufmerksam. (…) Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und linksgerichteten Gruppierungen in Bayern weisen nach jetziger Erkenntnislage keine Bezüge zum Fußball auf.“ Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über den genauen Verlauf der geschilderten Aktion? 2. Wie viele Personen waren jeweils auf beiden Seiten an dem Handgemenge zwischen Neonazis und Neonazi -Gegnern beteiligt? 2.1 Gegen wie viele Beteiligte wurde wegen welchen Verdachts ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und wie ist jeweils der Stand des Verfahrens (aufgeschlüsselt nach: Einstellung des Verfahrens unter Angabe des jeweiligen Einstellungsgrundes, Anklageerhebung, Verurteilung , andauernde Ermittlungen)? 2.2 Welcher Seite (Neonazis bzw. Neonazi-Gegner) sind die Personen, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, jeweils zuzuordnen? 3. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Verbindungen der am Handgemenge beteiligten Personen zur rechtsextremen Szene? 3.1 Ist es zutreffend, dass an dem Handgemenge der bekannte Münchner Neonaziaktivist Sven G. beteiligt war? 3.2 Weshalb ist angesichts dieser Erkenntnisse auf der Website https://www.bayern-gegen-linksextremismus. bayern.de bei der Schilderung des Vorfalls lediglich von „rechten“ Fans (ausdrücklich in Anführungszeichen ) die Rede? 4. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Verbindungen der am Handgemenge beteiligten Personen zur linksextremen Szene? 4.1 Weshalb geht die Staatsregierung – über diese Erkenntnisse hinaus – von einer linksextremen Motivation der konkreten Straftaten aus? 4.2 Genügen diese Erkenntnisse aus Sicht der Staatsregierung , um den Vorfall als linksextreme Straftat zu identifizieren? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 17.06.2015 17/6599 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/6599 5. Versteht die Staatsregierung Aktionen und Straftaten, die sich gegen Neonazis wenden, automatisch als linksextrem motiviert? 5.1 Welche konkreten Faktoren müssen erfüllt sein, um eine Straftat dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität -Links“ (PMK-Links) zuzuordnen? 5.2 Sind diese Faktoren im geschilderten Fall als erfüllt anzusehen ? 6. Wie ist der Widerspruch zwischen der Auflistung des geschilderten Vorfalls durch die Staatsregierung unter der Rubrik „Linksextremismus“ (auf der Website https://www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern. de) und der in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage (Drs. 17/4852) getroffenen Feststellung des Innenministeriums , wonach Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und linksgerichteten Gruppierungen in Bayern nach jetziger Erkenntnislage keine Bezüge zum Fußball aufweisen würden, zu erklären? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 07.05.2015 1. Welche Kenntnisse hat die Staatsregierung über den genauen Verlauf der geschilderten Aktion? 2. Wie viele Personen waren jeweils auf beiden Seiten an dem Handgemenge zwischen Neonazis und Neonazi-Gegnern beteiligt? 2.1 Gegen wie viele Beteiligte wurde wegen welchen Verdachts ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und wie ist jeweils der Stand des Verfahrens (aufgeschlüsselt nach: Einstellung des Verfahrens unter Angabe des jeweiligen Einstellungsgrundes, Anklageerhebung, Verurteilung, andauernde Ermittlungen )? 2.2 Welcher Seite (Neonazis bzw. Neonazi-Gegner) sind die Personen, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, jeweils zuzuordnen? Die Fragen 1, 2, 2.1 und 2.2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Am Mittwoch, 24.07.2013, fand im Stadion an der Grünwalder Straße 4 in München das Fußballspiel der Regionalliga Bayern zwischen dem TSV 1860 München II gegen den FV Illertissen e. V. mit Anstoßzeit 18:30 Uhr statt. Die Begegnung , zu der im Vorfeld keine Erkenntnisse über die Teilnahme von Personen aus dem rechten Spektrum vorlagen, wurde als Spiel mit sehr geringem Risiko eingestuft. Neben Einsatzkräften des Polizeipräsidiums München waren seitens des Veranstalters 27 Ordner eingesetzt. Während des Fußballspiels erkannten Fußballfans auf der Gegengerade innerhalb der Fangruppe des TSV 1860 München etwa drei bis fünf Personen des rechten Spektrums , worauf es nach Sprechchören „Nazis raus“ zu Würfen von Getränkebechern seitens umstehender Fans des TSV 1860 München und letztendlich zu körperlichen Auseinandersetzungen kam. Laut Angaben des Sicherheitsdienstes und eines Mitarbeiters eines Fanprojektes kamen hierbei zwei Personen des rechten Spektrums zu Schaden. Diese wurden durch den Sicherheitsdienst aus dem Stadion be- gleitet. An dem Handgemenge waren drei bis fünf Personen aus dem rechten Spektrum und ca. 20 Personen aus der „Gegnergruppe“ beteiligt. Weder der Mitarbeiter des Fanprojekts noch die beiden Personen des rechten Spektrums kamen der Vorladung zur polizeilichen Vernehmung nach, sodass die polizeilichen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen gegen unbekannt der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt wurden. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) ein. 3. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Verbindungen der am Handgemenge beteiligten Personen zur rechtsextremen Szene? Zu einer Person liegen frühere Erkenntnisse über Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene vor, eine weitere Person ist aktuell als Rechtsextremist bekannt. 3.1 Ist es zutreffend, dass an dem Handgemenge der bekannte Münchner Neonaziaktivist Sven G. beteiligt war? Der Rechtsextremist Sven G. wurde als Geschädigter des Ereignisses genannt. 3.2 Weshalb ist angesichts dieser Erkenntnisse auf der Website https://www.bayern-gegen-linksextre mismus.bayern.de bei der Schilderung des Vorfalls lediglich von „rechten“ Fans (ausdrücklich in Anführungszeichen) die Rede? Die Teilnahme des Rechtsextremisten Sven G. an der Auseinandersetzung ist nach Auffassung der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) bei gleichzeitigem Fehlen zusätzlicher Erkenntnisse über die Identitäten der weiteren beteiligten Personen zum damaligen Zeitpunkt nicht ausreichend dafür, den beteiligten Personenkreis aus dem rechten Spektrum als Ganzes als „rechtsextremistisch“ einzustufen. In solchen Fällen, in denen Personenkreise bzw. Personen nicht explizit nach der verfassungsschutzrechtlichen Definition einer extremistischen Bestrebung zuzuordnen sind, sind Bezeichnungen wie „rechte Szene“ als sicherheitsbehördlicher Terminus gebräuchlich. 4. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über die Verbindungen der am Handgemenge beteiligten Personen zur linksextremen Szene? Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) liegen keine Personalien der Täter vor. Das Ermittlungsverfahren ist nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden , da die Täter unbekannt waren. Eine Überprüfung auf das Vorhandensein von Erkenntnissen war nicht möglich. 4.1 Weshalb geht die Staatsregierung – über diese Erkenntnisse hinaus – von einer linksextremen Motivation der konkreten Straftaten aus? 4.2 Genügen diese Erkenntnisse aus Sicht der Staatsregierung , um den Vorfall als linksextreme Straftat zu identifizieren? 5. Versteht die Staatsregierung Aktionen und Straftaten , die sich gegen Neonazis wenden, automatisch als linksextrem motiviert? 5.1 Welche konkreten Faktoren müssen erfüllt sein, um eine Straftat dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität-Links“ (PMK-Links) zuzuordnen? Drucksache 17/6599 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 5.2 Sind diese Faktoren im geschilderten Fall als erfüllt anzusehen? Die Fragen 4.1, 4.2, 5, 5.1 und 5.2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Gemäß dem bundeseinheitlich geltenden Definitionssystem Politisch motivierter Kriminalität wird der Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – links“ wie folgt definiert : „Politisch motivierter Kriminalität – links – werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z. B. nach Art der Themenfelder) einer ‚linken‘ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Insbesondere sind Taten dazuzurechnen, wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus (einschließlich Marxismus) ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. Diese politisch motivierten Straftaten sind als linksextremistisch zu qualifizieren.“ Ob diese Faktoren als erfüllt anzusehen sind, unterliegt einer Prüfung anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls . Nach Würdigung der Gesamtumstände des Vorfalls im Grünwalder Stadion waren nach Einschätzung der sachbearbeitenden Dienststelle des Polizeipräsidiums München die notwendigen Faktoren zur Einstufung als Straftat in „PMK – links“ erfüllt. Die Aggression ging von Personen aus, die nach Einschätzung der zuständigen Dienststelle der linken Szene zuzurechnen sind. Der vorliegende Fall wurde dem BayLfV von der Polizei mit Fernschreiben vom 17.12.2013 (Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität – KPMD-PMK) als „Politisch motivierte Kriminalität links“ unter dem Themenfeld „Antifaschismus, Konfrontation/politische Einstellung – gegen rechts“ mitgeteilt. Das BayLfV bewertete daraufhin den Sachverhalt aufgrund der Gewalttat als extremistische Kriminalität. 6. Wie ist der Widerspruch zwischen der Auflistung des geschilderten Vorfalls durch die Staatsregierung unter der Rubrik „Linksextremismus“ (auf der Website https://www.bayern-gegen-linksextre mismus.bayern.de) und der in der Antwort auf die Schriftliche Anfrage (Drs. 17/4852) getroffenen Feststellung des Innenministeriums, wonach Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und linksgerichteten Gruppierungen in Bayern nach jetziger Erkenntnislage keine Bezüge zum Fußball aufweisen würden, zu erklären? Ein Widerspruch zwischen der Auflistung des geschilderten Vorfalls auf der Internetseite https://www.bayern-gegenlinksextremismus .bayern.de und der Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr auf die Schriftliche Anfrage vom 30.10.2014 besteht nicht (LT-Drs. 17/4852 vom 09.02.2015). Die dort in der Antwort auf Frage 6 in Bezug genommene Feststellung des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr (StMI) ist dahingehend zu verstehen, dass die in bayerischen Fanszenen unstrittig vereinzelt vorhandenen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene ihr FanDasein und den Fußball nicht dazu instrumentalisieren, ihre „rechte Ideologie“ zu platzieren. Auseinandersetzungen mit linksgerichteten Gruppierungen weisen Bezüge zum Fußball in einzelnen Fällen zwar über den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu einem Fußballspiel auf, könnten sich aber in gleicher Weise auch unabhängig vom Fußballsport beim Aufeinandertreffen der Gruppierungen ereignen. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Fußballveranstaltungen gezielt dazu genutzt würden, die Fanszene jedweden Vereins ideologisch zu infiltrieren und zu unterwandern .