Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Johann Häusler FREIE WÄHLER vom 10.04.2015 Auswirkungen der Mindestlohngesetzgebung auf landwirtschaftliche Selbsthilfeeinrichtungen Derzeit erreichen mich verschiedenartige Anfragen aus dem Bereich der Landwirtschaft und des nachgelagerten Gewerbes im Hinblick auf die seit 1. Januar 2015 geltenden bundesgesetzlichen Regelungen zur praktischen Handhabung des Mindestlohngesetzes. Insbesondere eine Zusammenkunft mit Vertretern von landwirtschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen hat in diesem Zusammenhang einen akuten Handlungsbedarf aufgezeigt. Wesentliche Defizite bestehen meines Erachtens insbesondere im Zusammenwirken des Marktstrukturgesetzes und des Landwirtschaftsförderungsgesetzes mit dem neuen Mindestlohngesetz. Besondere Problemstellungen ergeben sich mit Blick auf die Maßgaben des Arbeitszeitgesetzes, welche sich als weithin unvereinbar mit den saisonalen Begebenheiten der Agrarwirtschaft erweisen. Gerade landwirtschaftliche Selbsthilfeeinrichtungen sind zur Sicherstellung ihres Dienstleistungsauftrages existenziell auf den zeitweisen Einsatz von Jung- und Nebenerwerbslandwirten angewiesen , um saisonbedingten Spitzenbelastungen gerecht werden zu können. Diese seit Jahren bewährte Praxis der Nachbarschaftshilfe über Betriebsgrenzen hinweg stellt einen wesentlichen Eckpfeiler für die Sicherung unserer bäuerlichen Familienstrukturen dar, die sich ganz wesentlich von der großteiligeren Agrarstruktur anderer Bundesländer und europäischer Wettbewerber unterscheidet. Gerade die Limitierung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit widerspricht nunmehr sowohl den Wünschen der betroffenen Arbeitnehmer (meist Neben- oder Zuerwerbslandwirte ) als auch dem Bedarf der Auftraggeber, die punktuelle Spitzen in den dafür zur Verfügung stehenden Zeitfenstern abdecken müssen, was über einen Zugriff auf den offenen Arbeitsmarkt nicht gelingen kann. Schließlich steht entsprechend qualifiziertes Personal (Führerschein etc.) von außerhalb der Landwirtschaft regelmäßig nur für ganzjährige und langfristige Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung. Schließlich zeigt die Tatsache, dass die betroffenen Selbsthilfeeinrichtungen ihre Mitarbeiter grundsätzlich deutlich über den im Mindestlohngesetz verankerten Mindestentgeltsatz bezahlen, unmissverständlich auf, dass die Handhabung und der Sinn dieser gesetzlichen Regelung in ihrer praktischen Umsetzung zu ganz erheblichen Widersprüchen führt. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Welche Maßnahmen sind angedacht, um der beschrie- benen Problemlage im Sinne einer bestmöglichen Förde- rung der bäuerlichen Landwirtschaft im Freistaat gerecht zu werden? 2. Bestehen konkrete Handlungsempfehlungen, wie – bis zu einer von der Staatsregierung angestrebten Novellierung des Mindestlohngesetzes – mit der betreffenden Problematik umgegangen werden kann, ohne die gewachsenen Strukturen der landwirtschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen in Bayern unnötig zu gefährden? 3. Welche Ausnahmeregelungen sind mit Blick auf die besonderen saisonalen Anforderungen der Land- und Forstwirtschaft seitens der Staatsregierung vorgesehen? 4. Zu welchem Zeitpunkt ist nach Einschätzung der Staats- regierung damit zu rechnen, dass die auf Bundesebene neu geschaffene Rechtslage einer praxiskonformen Nachregulierung unterzogen wird? Antwort des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 18.05.2015 Die Schriftliche Anfrage wird in Abstimmung mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet: 1. Welche Maßnahmen sind angedacht, um der beschriebenen Problemlage im Sinne einer bestmöglichen Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft im Freistaat gerecht zu werden? Seit Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) im Jahr 1994 ist eine durchgehende Beschäftigung von Arbeitnehmern in der Landwirtschaft (einschließlich an Sonn- und Feiertagen ) bis maximal zehn Stunden täglich und somit bis zu 70 Stunden wöchentlich zulässig. Dafür ist kein Antrag und somit keine kostenpflichtige Ausnahmegenehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes erforderlich. Eine gesetzliche Ausdehnung der durchgehenden Beschäftigung in der Landwirtschaft auf mehr als zehn Stunden täglich würde im Widerspruch zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten stehen. Der Gesetzgeber lässt daher eine solche Ausdehnung nur per Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu, sofern der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 ArbZG). Darüber hinaus kann die Aufsichtsbehörde gemäß § 7 Abs. 5 ArbZG auf Antrag längere tägliche Arbeitszeiten be- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 26.06.2015 17/6705 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/6705 willigen, wenn dies aus betrieblichen Gründen erforderlich ist und die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Sofern die landwirtschaftliche Selbsthilfeeinrichtung die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Saisonbetrieb erfüllt, kann ferner die Aufsichtsbehörde gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG auf Antrag längere tägliche Arbeitszeiten bis zu 12 Stunden bewilligen (weitere Details hierzu siehe Antwort zu Frage 2). Die Staatsregierung setzt sich für eine Flexibilisierung der Arbeitszeitkonten ein. Konkrete gesetzliche Maßnahmen seitens der Staatsregierung sind nicht möglich, da es sich sowohl beim ArbZG als auch beim Mindestlohngesetz (MiLoG) um Bundesgesetze handelt. 2. Bestehen konkrete Handlungsempfehlungen, wie – bis zu einer von der Staatsregierung angestrebten Novellierung des Mindestlohngesetzes – mit der betreffenden Problematik umgegangen werden kann, ohne die gewachsenen Strukturen der landwirtschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen in Bayern unnötig zu gefährden? Die angesprochene Problemlage ergibt sich nicht aus dem MiLoG, sondern aus dem ArbZG. Sie wird auch bei einer möglichen Novellierung des MiLoG nicht gelöst. Mit Umlaufbeschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom 16.04.2015 wurde u. a. beschlossen, dass auch für Betriebe der Landwirtschaft, soweit sie im Einzelfall als Saisonbetrieb eingeordnet werden können, Ausnahmen nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG im Rahmen einer verantwortungsvollen Umsetzung einer Gefährdungsbeurteilung infrage kommen. Tarifliche Regelungen haben dabei Vorrang vor behördlichen Genehmigungen. Ein Ausgleich auf eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden kann bei Saisonarbeitskräften auch durch den Nachweis von beschäftigungslosen Zeiten oder Zeiten mit geringerer Beschäftigung erfüllt werden. Diese Regelung kann im Einzelfall auch auf Selbsthilfeeinrichtungen übertragen werden, soweit es sich um saisonale Arbeitsspitzen (z. B. Mähdrusch) handelt. Maßgeblich ist die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung einschließlich der festgelegten Arbeitsschutzmaßnahmen und das Ergebnis ihrer Überprüfung gemäß §§ 5 und 6 Arbeitsschutzgesetz durch den Arbeitgeber. Die Bewilligung einer täglichen Arbeitszeit von über 12 Stunden scheidet in der Regel aus. 3. Welche Ausnahmeregelungen sind mit Blick auf die besonderen saisonalen Anforderungen der Landund Forstwirtschaft seitens der Staatsregierung vorgesehen ? Siehe auch Antwort zu Frage 2. Die Staatsregierung setzt sich im Übrigen für eine Aus- nahme der „Mithelfenden Familienangehörigen“ vom MiLoG bzw. für die Streichung der Dokumentationspflichten für diesen Personenkreis ein. 4. Zu welchem Zeitpunkt ist nach Einschätzung der Staatsregierung damit zu rechnen, dass die auf Bundesebene neu geschaffene Rechtslage einer praxiskonformen Nachregulierung unterzogen wird? Die Staatsregierung hat sich bereits frühzeitig mit den Vollzugsproblemen des MiLoG befasst. Sie hat gegenüber der Bundesregierung eine Vielzahl von Anpassungen im Zusammenhang mit dem MiLoG und dem Arbeitnehmerentsendegesetz gefordert. Die im Koalitionsausschuss am 24. Februar 2015 vereinbarte Bestandsaufnahme der Praxisprobleme ist erfolgt. Sie war Gegenstand einer weiteren Sitzung des Koalitionsausschusses am 26. April 2015 und wird in den Erörterungen auf Bundesebene Basis für eine gemeinsame Bewertung und die Entscheidung für Korrekturen des MiLoG sein.