Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Rinderspacher SPD vom 22.04.2015 Aleviten Ich frage die Staatsregierung; 1. Wie viele Aleviten leben in Bayern? 1.1 In welchen Organisationen und Verbänden organisie- ren sich die in Bayern lebenden Aleviten? 2. Wie viele alevitische Gebetsstätten, sogenannte Cem- Häuser, gibt es momentan in Bayern? 2.1 An welchen Standorten befinden sich im Freistaat Bayern diese Gebetsstätten? 3. An welchen Schulen in Bayern wird alevitischer Reli- gionsunterricht angeboten (aufgelistet nach Schulformen und Standorten)? 3.1. Wie viele Schülerinnen und Schüler nehmen an diesem Unterricht teil? 3.2 Was sind die formalen Voraussetzungen, damit alevitischer Religionsunterricht stattfinden kann? 4. Welche religiöse Feiertage gelten für die in Bayern lebenden Aleviten? 4.1 Inwieweit haben die in Bayern lebenden Aleviten das Recht, an ihren Feiertagen Urlaub zu nehmen oder der Schule fern zu bleiben? 4.2. Inwieweit haben Aleviten in Bayern die Möglichkeit, ihre verstorbenen Angehörigen nach dem Ritus ihrer Religion zu bestatten? 5. Beabsichtigt die Staatsregierung, das Alevitentum analog zu dem bspw. in Bremen und Hamburg existierenden Staatsvertrag anderen Religionsgemeinschaften rechtlich gleichzustellen? 5.1. In welchem Umfang werden von der alevitischen Gemeinde in Bayern gemeinnützige Einrichtungen und Schulen betrieben? 6. An welchen bayerischen Hochschulen werden alevitische Lehrinhalte angeboten? Antwort des Staatsministeriums Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 05.06.2015 Die Schriftliche Anfrage wird in Abstimmung mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration sowie dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Aleviten leben in Bayern? Nach Grundgesetz und Bayerischer Verfassung ist die Ausübung der Religion in Bayern frei. Die Befugnis der Behörden zu Fragen nach der Religionszugehörigkeit der hier lebenden Menschen unterliegt engen Grenzen. Über die Zahl der Aleviten in Bayern liegen der Staatsregierung keine Zahlen vor. 1.1 In welchen Organisationen und Verbänden organisieren sich die in Bayern lebenden Aleviten? Alevitische Glaubensangehörige in Bayern sind organisiert in der „Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V.“ („Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu“ – AABF), unter deren Dach sich weitere Vereinigungen, u. a. der „Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e. V.“, befinden. Als Ansprechpartnerin für den in Bayern eingerichteten alevitischen Religionsunterricht ist diese Organisation Kooperationspartnerin der Staatsregierung. Ob noch andere auf deutschem Gebiet verbreitete alevitische Organisationen , etwa die „CEM-Stiftung“ oder die „Kurdistan Aleviten Föderation“, in Bayern tätig sind, ist der Staatsregierung nicht bekannt. 2. Wie viele alevitische Gebetsstätten, sogenannte Cem-Häuser, gibt es momentan in Bayern? Der Staatsregierung liegen keine Erkenntnisse über die Zahl der alevitischen Gebetshäuser in Bayern vor. 2.1 An welchen Standorten befinden sich im Freistaat Bayern diese Gebetsstätten? Der Staatsregierung ist auch nicht bekannt, an welchen Standorten sich alevitische Gebetshäuser in Bayern befinden. 3. An welchen Schulen in Bayern wird alevitischer Religionsunterricht angeboten (aufgelistet nach Schulformen und Standorten)? Alevitischer Religionsunterricht wird an folgenden Grundschulen (GS) erteilt: – Ingolstadt (GS auf der Schanz) – Landshut (GS St. Nikola) – Mainburg (GS Mainburg) – München (GS St.-Martin-Straße, GS Großhaderner Straße) – Nürnberg (GS Dunantschule) – Neufahrn (GS Neufahrn) – Rosenheim (GS Erlenau) Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 03.07.2015 17/6967 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/6967 3.1 Wie viele Schülerinnen und Schüler nehmen an diesem Unterricht teil? Der alevitische Religionsunterricht wird im Schuljahr 2014/2015 von 116 Schülerinnen und Schülern besucht. 3.2 Was sind die formalen Voraussetzungen, damit alevitischer Religionsunterricht stattfinden kann? Mit Kultusminsteriellem Schreiben (KMS) vom 15.04.2011 wurde der mit KMS vom 18.06.2008 an bayerischen Grundschulen im Schuljahr 2008/2009 eingerichtete Probelauf für den alevitischen Religionsunterricht nach den Grundsätzen der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. unbefristet fortgeführt. Der Unterricht ist nach folgenden Maßgaben einzurichten: a) Für die Teilnahme melden sich die Eltern grundsätzlich am Schuljahresende für das folgende Schuljahr schriftlich an. b) Bei der Bildung von Unterrichtsgruppen ist von einer Mindestzahl von zwölf Schülerinnen und Schülern auszugehen . c) Es gilt die Stundentafel des Religionsunterrichts. d) Der Unterricht kann auch in überschulischen Sammelkur- sen am Nachmittag organisiert werden. Für die Schülerbeförderung (Schulweg und Exkursionen) gelten die Regelungen des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes. e) Unterrichtssprache ist Deutsch. Für die Unterrichtsinhalte ist ein Lehrplan auf der Internetseite des Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung MÜNCHEN (ISB) einsehbar. f) Die Regierungen decken den Bedarf im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten an geeigneten alevitischen Lehrkräften . g) Die Regierungen prüfen die Organisation geeigneter Fortbildungsmaßnahmen, die auch der Gewinnung und Verbreitung von Unterrichtsmaterialien in deutscher Sprache dienen. h) Die Schulämter organisieren die Bildung von Unterrichtsgruppen für den alevitischen Religionsunterricht an den Schulen oder schulübergreifend. 4. Welche religiöse Feiertage gelten für die in Bayern lebenden Aleviten? Nach einem religionswissenschaftlichen Gutachten, das im Zusammenhang mit der Einführung alevitischen Religionsunterrichts 2003 von Frau Prof. Dr. Ursula SpulerStegemann erstellt wurde, feiern die Aleviten teilweise zur gleichen Zeit wie die Sunniten und Schiiten das „Opferfest“. Weitere Feiertage sind der „Tag der Trauer über Hüseyins Tod“, die Feier des 21. März als „Alis Geburtstag“ und das Fest des Sufi-Heiligen Hqzqr am 6. Mai. Darüber hinaus gibt es nach den Ausführungen des Gutachtens jährlich alevitische Feste in der Kleinstadt Hacqbekta und in Sivas. 4.1 Inwieweit haben die in Bayern lebenden Aleviten das Recht, an ihren Feiertagen Urlaub zu nehmen oder der Schule fern zu bleiben? Alevitische Feiertage sind keine gesetzlichen Feiertage im Sinne des Bayerischen Feiertagsgesetzes (Art. 1 Bayerisches Feiertagsgesetz), die einen zwingenden gesetzlichen Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit begründen. Nur an gesetzlichen Feiertagen dürfen Arbeitnehmer nach dem Arbeitszeitgesetz nicht beschäftigt werden (§ 9 Arbeitszeitgesetz) und ist die entfallene Arbeitszeit nach den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes (§ 2 Entgeltfortzahlungsgesetz) zu vergüten. Arbeitnehmer alevitischen Glaubens ist es jedoch unbenommen, anlässlich alevitischer Feiertage beim Arbeitgeber Urlaub zu beantragen . Über die Urlaubsgewährung ist nach den allgemeinen Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes zu entscheiden. Nach den Schulordnungen können Schülerinnen und Schüler auf schriftlichen Antrag in begründeten Ausnahmefällen vom Unterricht in einzelnen Fächern befreit oder vom Schulbesuch beurlaubt werden. Den Schülerinnen und Schülern ist ausreichende Gelegenheit zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten und zur Wahrnehmung religiöser Veranstaltungen auch außerhalb der Schule zu geben (§ 37 Abs. 3 der Gymnasialschulordnung , § 35 Abs. 5 der Fachober- und Berufsoberschulordnung , § 39 Abs. 3 der Realschulordnung und der Mittelschulordnung, § 30 Abs. 3 der Grundschulordnung). Diese Normen sind auch in Bezug auf die Ausübung des alevitischen Glaubens an alevitischen Feiertagen anzuwenden. 4.2. Inwieweit haben Aleviten in Bayern die Möglichkeit , ihre verstorbenen Angehörigen nach dem Ritus ihrer Religion zu bestatten? Für Aleviten bestehen keine rechtlichen Hindernisse, ihre Verstorbenen auf gemeindlichen oder kirchlichen Friedhöfen bestatten zu lassen. Die Gemeinden sind zwar nicht verpflichtet , bestimmte Friedhofsbereiche für die Bestattung verstorbener Aleviten vorzuhalten. Auch Angehörige des Alevitentums dürfen aber religiöse Handlungen in Friedhöfen und Bestattungseinrichtungen durchführen. Nach den Erfahrungen der Staatsregierung sind die Gemeinden bestrebt, den Wünschen der Hinterbliebenen nach einer Bestattung unter den maßgeblichen Riten ihrer Glaubensrichtung nach Möglichkeit zu entsprechen. Eine Bestattung ohne Sarg ist nach dem geltenden bayerischen Bestattungsrecht allerdings unzulässig. Erkenntnisse, ob und inwieweit ein praktischer Bedarf für Gesetzesänderungen zugunsten nicht-christlicher Bestattungsriten besteht, soll eine Expertenanhörung des Ausschusses für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport des Bayerischen Landtags im Juni 2015 bringen. 5. Beabsichtigt die Staatsregierung, das Alevitentum analog zu dem bspw. in Bremen und Hamburg existierenden Staatsvertrag anderen Religionsgemeinschaften rechtlich gleichzustellen? Der Abschluss eines Vertrags mit alevitischen Organisationen ist vonseiten der Staatsregierung nicht beabsichtigt. 5.1. In welchem Umfang werden von der alevitischen Gemeinde in Bayern gemeinnützige Einrichtungen und Schulen betrieben? Der Staatsregierung ist nicht bekannt, ob in Bayern von der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. gemeinnützige Einrichtungen betrieben werden. In Bayern gibt es weder staatlich genehmigte noch staatlich anerkannte Schulen der Alevitischen Gemeinde. 6. An welchen bayerischen Hochschulen werden alevitische Lehrinhalte angeboten?Studiengänge, die auf die Lehren der alevitischen Religion fokussiert sind, sind an bayerischen Hochschulen nicht eingerichtet . Es ist jedoch davon auszugehen, dass die alevitische Religion im Rahmen von Studiengängen, die die Geschichte und Gegenwart des Vorderen Orients und seiner Kulturen zum Gegenstand haben, in den Blick genommen wird.