Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Ulrike Gote BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 13.04.2015 Veröffentlichung des Urteils gegen Uli Hoeneß In dem Artikel „Keine Legitimation. Anmerkungen zum Prozessverlauf und Urteil in der Strafsache Hoeneß“ (myops 22/2014, S. 43 bis 49) beschreibt der Rechtswissenschaftler Walter Grasnick, dass es eines längeren Verfahrens bedurft habe, bis ihm das Urteil in der Strafsache Hoeneß zur Verfügung gestellt wurde und dass dieses dann auch nur in Auszügen veröffentlicht wurde, und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. Oktober 2014 („München mauert“) bezeichnet Jochen Zenthöfer es als einen klaren Verstoß gegen die Pressefreiheit, dass das Gericht die Veröffentlichung des Urteils zunächst verweigert hatte. Vor diesem Hintergrund frage ich die Staatsregierung: 1. Treffen die in diesen Artikeln beschriebenen Verfahrensabläufe tatsächlich zu? Ist es insbesondere zutreffend, dass dem Rechtswissenschaftler Grasnick trotz mehrfacher Nachfragen nicht nur eine Urteilsabschrift verweigert wurde, sondern auch eine beschwerdefähige Begründung dieser Ablehnung? 2. Entspricht es der Praxis bei bayerischen Gerichten, dass Urteile erst nach mehreren Monaten veröffentlicht werden ? Welcher Zeitablauf nach Erlass von Urteilen ist für die bayerische Justiz üblich? 3. Ist es nach Auffassung der Staatsregierung zulässig, dass die Namen der an einem Strafverfahren beteiligten Richterinnen und Richter in der veröffentlichten Fassung eines Urteils anonymisiert werden? 4. Ist es nach Auffassung der Staatsregierung sinnvoll, ein derartiges Urteil nur in einer auf diese Weise anonymisierten Form zu veröffentlichen? 5. Wie soll gewährleistet werden, dass künftig Journalistinnen und Journalisten zügig die Möglichkeit erhalten, Urteile zur Kenntnis zu nehmen? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 15.06.2015 1. Treffen die in diesen Artikeln beschriebenen Verfahrensabläufe tatsächlich zu? Ist es insbesondere zutreffend , dass dem Rechtswissenschaftler Grasnick trotz mehrfacher Nachfragen nicht nur eine Urteilsabschrift verweigert wurde, sondern auch eine beschwerdefähige Begründung dieser Ablehnung? 1. Das Urteil der 5. Strafkammer des Landgerichts München II vom 13. März 2014 in dem Strafverfahren gegen Herrn Hoeneß, das seit 17. März 2014 rechtskräftig ist, wurde am 30. Oktober 2014 über den Internetauftritt des Oberlandesgerichts München in anonymisierter Form veröffentlicht. Vorausgegangen waren Abstimmungen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und den Rechtsanwälten des Verurteilten, die wegen seines Rechts auf rechtliches Gehör geboten waren, über den Umfang der Veröffentlichung bzw. der erforderlichen Anonymisierungen. Der Präsident des Landgerichts München II hat berichtet, dass für das Gericht von Anfang an kein Zweifel bestand, dass vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung das Urteil gegen Herrn Hoeneß auch ohne eine förmliche Anfrage von Medien zu veröffentlichen sein würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind alle Entscheidungen zu veröffentlichen, an deren Veröffentlichung die Öffentlichkeit ein Interesse hat oder haben kann. Veröffentlichungswürdige Entscheidungen sind durch Anonymisierung bzw. Neutralisierung für die Herausgabe an die Öffentlichkeit vorzubereiten (Bundesverwaltungsgericht , Urteil vom 26. Februar 1997, Az. 6 C 3/96, NJW 1997, 2694). Dabei ist im jeweiligen Einzelfall eine Abwägung des Auskunftsinteresses der Öffentlichkeit und der Medien mit dem Interesse des Verurteilten an der Versagung der Auskünfte vorzunehmen . Bei der Veröffentlichung war im vorliegenden Fall neben dem Schutz allgemeiner Persönlichkeitsrechte das Steuergeheimnis (§ 30 AO) bezüglich des Verurteilten und seiner Ehefrau zu berücksichtigen. Aufgrund dessen war den Betroffenen vor der Veröffentlichung rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 26. Oktober 2006, Az. 2 BvR 67/06, NJW 2007, 1052, Beschluss vom 18. März 2009, Az. 2 BvR 8/08, NJW 2009, 2876). Die Entscheidung über die Veröffentlichung oblag dem Landgericht München II als dem erkennenden Gericht. In die Entscheidungsfindung war auch die Staatsanwaltschaft München II eingebunden, die alsbald nach der Urteilsverkündung am 13. März 2014 bemüht war, zur Vermeidung von Verzögerungen eine konsensuale Lösung mit den Rechtsanwälten des VerDrucksachen , Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 16.07.2015 17/7060 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7060 urteilten hinsichtlich der Veröffentlichung des Urteils in anonymisierter Form zu erreichen und auf diese Weise einen möglichen Rechtsstreit vor den Verwaltungsgerichten zu vermeiden. Am 27. März 2014 nahm ein Verteidiger des Verurteilten nach vorheriger telefonischer Anfrage durch den staatsanwaltschaftlichen Sachbearbeiter zur Frage des Umfangs der Urteilsveröffentlichung schriftlich Stellung. Nachdem das Gericht das schriftliche Urteil am 29. April 2014 abgesetzt hatte und die Akten am 2. Mai 2014 bei der Staatsanwaltschaft München II eingegangen waren, wurde am 22. Mai 2014 ein Entwurf für eine zu veröffentlichende Version des Urteils an einen weiteren Verteidiger des Verurteilten übermittelt. Der Entwurf fand keine Zustimmung . Stattdessen wurde am 10. Juli 2014 ein Gegenvorschlag übermittelt, der allerdings nach Auffassung der Staatsanwaltschaft München II zu stark gekürzt war. Da in der Folgezeit trotz mehrerer Gespräche keine Einigung erzielt werden konnte, wurden der Schriftverkehr und die jeweiligen Entwürfe am 15. September 2014 an das Landgericht München II zur Entscheidung über die Urteilsveröffentlichung in anonymisierter Form übermittelt. Ebenfalls am 15. September 2014 übersandten die Rechtsanwälte des Verurteilten einen Publikationsvorschlag , der vom Gericht als nicht geeignet angesehen wurde. Daraufhin wurde beim Landgericht München II ein eigener Vorschlag erarbeitet und den Rechtsanwälten des Verurteilten unter dem 24. September 2014 mit zweiwöchiger Äußerungsfrist zugeleitet. Wegen Abstimmungsbedarfs zwischen dem Verurteilten und seinen Rechtsanwälten wurde die Frist antragsgemäß verlängert bis 30. Oktober 2014. Diese Frist erschien dem Gericht mit Blick auf den Umfang des Urteils sowie die Komplexität der Urteilsausführungen und der Rechtsmaterie angemessen. Nach Fristablauf erfolgte die Veröffentlichung über den Internetauftritt des Oberlandesgerichts München. Die Veröffentlichung des Urteils über den Internetauftritt der Pressestelle des Oberlandesgerichts München wurde aus Gründen der Gleichbehandlung aller potenziellen Interessenten gewählt. Auf diese Weise wurde es für jedermann einsehbar. Die im Internet veröffentlichte anonymisierte Fassung des schriftlichen Urteils kann über gängige Suchmaschinen aufgefunden werden. 2. Nach Berichten des Präsidenten des Oberlandesgerichts München und des Generalstaatsanwalts in München stellen sich die Verfahrensabläufe in Bezug auf die in der Anfrage genannten, auf die Übersendung des Strafurteils gegen Herrn Hoeneß gerichteten Begehren wie folgt dar: a) Der Autor des Artikels „Keine Legitimation. Anmerkung zum Prozessverlauf und Urteil in der Strafsache Hoeneß“, Herr Prof. Dr. Walter Grasnick, wandte sich nach Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts München II an die Pressestelle des Oberlandesgerichts München und bat um die Übersendung des Urteils. Die Leiterin der Pressestelle teilte ihm mit, dass die Entscheidung über die Übersendung von Urteilen nicht von der Pressestelle getroffen werden könne, da es sich hierbei nicht um eine Presseauskunft handle. Sie verwies insoweit an die Staatsanwaltschaft München II, die zum damaligen Zeitpunkt als Vollstreckungsbehörde aktenführende Stelle war. Soweit bei der Staatsanwaltschaft München II erinnerlich , wandte sich Herr Prof. Dr. Grasnick im Sommer 2014 per E-Mail und telefonisch an die Staatsanwaltschaft München II und begehrte die Übersendung des schriftlichen Urteils in der Strafsache Hoeneß. In einem Telefonat teilte der Leiter der Wirtschaftsabteilung ihm mit, dass nach Auffassung der Staatsanwaltschaft München II über die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen das Gericht selbst zu entscheiden habe. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen als verfassungsunmittelbare Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt und damit eines jeden Gerichts angesehen. Dabei handelt es sich nicht um eine freiwillige Aufgabe des jeweiligen Richters, sondern um eine aus dem Grundgesetz abgeleitete öffentliche Aufgabe und Pflicht der Gerichtsverwaltung (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1997, a. a. O.). Dem Anrufer wurde mitgeteilt , dass derzeit auch geprüft werde, ob und in welchem Umfang Anonymisierungen zum Schutz der berechtigen Interessen von Verfahrensbeteiligten vorgenommen werden müssen. Ferner wurde ihm signalisiert, dass diese Prüfung noch einige Zeit andauern könne und derzeit keine Veranlassung bestünde, ihr im Wege einer Auskunftserteilung gemäß §§ 475, 478 StPO vorzugreifen. Eine weitere telefonische oder schriftliche Aufforderung zur Urteilsübersendung bzw. zur Übersendung einer ablehnenden Entscheidung erfolgte gegenüber der Staatsanwaltschaft München II nicht. Schriftliche Unterlagen oder Aufzeichnungen existieren zur Anfrage von Prof. Dr. Grasnick bei der Staatsanwaltschaft München II nicht mehr. Nach Erinnerung der Leiterin der Pressestelle des Oberlandesgerichts München bat Herr Prof. Dr. Grasnick sie zu einem späteren Zeitpunkt nochmals um Übersendung einer Urteilsabschrift. Abermals teilte sie ihm mit, dass eine Entscheidung der Pressestelle nicht erfolgen könne, da es sich nicht um eine Presseauskunft handle. Sie sagte jedoch zu, mit dem Vorsitzenden der zuständigen Strafkammer am Landgericht München II Kontakt aufzunehmen und das Petitum an ihn weiterzuleiten. Dies ist geschehen. Eine beschwerdefähige Entscheidung, durch die das Begehren von Herrn Prof. Dr. Grasnick auf Überlassung des schriftlichen Urteils abgelehnt wurde, ist nicht ergangen. Da die Veröffentlichung des Urteils beabsichtigt war, wurde seitens des Landgerichts München II keine ablehnende Entscheidung getroffen. Die Pressestelle des Oberlandesgerichts München konnte keine ablehnende Entscheidung treffen, weil die Entscheidung über die Veröffentlichung dem Landgericht München II oblag. b) Der Journalist Dr. Jochen Zenthöfer, Verfasser des Artikels „München mauert“, beantragte am 12. September 2014 per E-mail und am 15. September 2014 nochmals schriftlich bei der Staatsanwaltschaft München II die Übersendung des Drucksache 17/7060 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Urteils im Verfahren gegen Herrn Hoeneß. Nachdem die Staatsanwaltschaft München II am 17. September 2014 die Urteilsübersendung abgelehnt und dabei hinsichtlich des presserechtlichen Auskunftsanspruchs auf die Zuständigkeit des Landgerichts München II verwiesen hatte, übermittelte die Staatsanwaltschaft München II dem Antragsteller auf seine Beschwerde vom 29. September 2014 mit E-Mail vom 6. November 2014 eine anonymisierte Fassung des Urteils, das vom Gericht inzwischen im Internet veröffentlicht worden war. Mit E-Mail vom 7. November 2014 warf Herr Dr. Zenthöfer mehrere Fragen zur Anonymisierung des Urteils auf und wies unter anderem darauf hin, dass die Entfernung des Rubrums mit den Namen der Richter, Staatsanwälte und Verteidiger nicht begründet sei. Die Staatsanwaltschaft München II legte diese Einwendungen als Antrag auf gerichtliche Entscheidung aus und leitete die Sache dem zuständigen Amtsgericht München zur Entscheidung zu. Das Amtsgericht München wies den Antrag auf ergänzende Auskunftserteilung und Übersendung einer nicht anonymisierten Urteilsfassung am 4. Dezember 2014 zurück. Mit Entscheidung des Landgerichts München I vom 24. März 2015 wurde der Beschwerde des Herrn Dr. Zenthöfer gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 4. Dezember 2014 insoweit stattgegeben, als dem Beschwerdeführer die im Strafverfahren beteiligten Richter, Schöffen, Staatsanwälte und Verteidiger mitgeteilt wurden. Soweit Herr Dr. Zenthöfer eine Urteilsabschrift in nicht anonymisierter Form mit Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Verurteilten begehrte, wurde die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Das Landgericht München I nahm in der Entscheidung vom 24. März 2015 zur Frage der Veröffentlichung der Namen von Verfahrensbeteiligten auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 2014 Bezug. Danach ist die namentliche Identität von Personen, die in amtlicher Funktion oder als Organ der Rechtspflege in Gerichtsverhandlungen mitwirken, der Presse regelmäßig mitzuteilen , weil ihre Persönlichkeitsrechte dem nicht entgegenstehen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Oktober 2014, Az. 6 C 35/13, NJW 2015, 807). Dem Landgericht München II und der Staatsanwaltschaft München II war die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 2014 im Zeitpunkt der Urteilsveröffentlichung am 30. Oktober 2014 sowie im Zeitpunkt der Übersendung des anonymisierten Urteils an Herrn Dr. Zenthöfer am 6. November 2014 noch nicht bekannt. Soweit dem Beschwerdeführer eine Urteilsabschrift übermittelt wurde, die keine Feststellungen zum privaten und beruflichen Werdegang des Verurteilten enthält, hielt das Landgericht München I dies für rechtlich nicht zu beanstanden. Sinngemäß führte das Gericht in der Entscheidung vom 24. März 2015 dazu aus, dass Journalisten zwar ein berechtigtes Interesse an der Urteilsveröffentlichung hätten, das dem Schutzbereich der Pressefreiheit unterfalle. Diesem Auskunftsinteresse stehe aber das schutzwürdige Interesse des Verurteilten an der Versagung der Auskünfte entgegen. Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen komme es entscheidend darauf an, wie hoch das öffentliche Informationsinteresse an der begehrten Auskunft zu bewerten und wie stark der Eingriff in private Rechte durch die Offenlegung der begehrten Information zu gewichten ist. Je geringer der Eingriff in das Recht des Privaten sei, desto geringere Anforderungen seien an das Informationsinteresse der Allgemeinheit zu stellen; je intensiver und weitergehend die begehrte Auskunft reiche, desto gewichtiger müsse das öffentliche Informationsinteresse sein. Angaben über den persönlichen und beruflichen Werdegang eines Verurteilten beträfen dessen Persönlichkeitsrecht in hohem Maße und stellten einen erheblichen Eingriff in das Recht des Privaten dar, und zwar auch dann, wenn diese Informationen einem Teil der Öffentlichkeit bereits bekannt sind. Demgegenüber bestehe das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit insbesondere hinsichtlich der tatbestandsmäßigen Handlungen des Verurteilten. Hinsichtlich darüber hinausgehender Informationen zu dessen Privatleben , dem privaten und beruflichen Werdegang und zu den Vermögensverhältnissen sei das Interesse der Öffentlichkeit in aller Regel nicht so hoch anzusetzen wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Verurteilten. 2. Entspricht es der Praxis bei bayerischen Gerichten, dass Urteile erst nach mehreren Monaten veröffentlicht werden? Welcher Zeitablauf nach Erlass von Urteilen ist für die bayerische Justiz üblich? Über Einzelfälle hinausgehende Erkenntnisse zum regelmäßigen Zeitablauf zwischen der Urteilsverkündung und der Veröffentlichung der schriftlichen Urteile durch die bayerischen Gerichte liegen dem Staatsministerium der Justiz nicht vor. Dieser wird sich regelmäßig nach der Notwendigkeit von Anonymisierungen, deren Umfang und der Komplexität der sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen richten. Maßgeblich für die Dauer dürfte ferner sein, ob und wann sich dazu Einvernehmen zwischen den Beteiligten erzielen lässt. Auf die Antwort zu Frage 1 (Abschnitt 1) wird insoweit Bezug genommen. Des Weiteren dürfte es in vielen Fällen sinnvoll sein, vor der Veröffentlichung die Rechtskraft der Entscheidung abzuwarten, weil sich deren Bedeutung für die Rechtsfortbildung erst dann abschätzen lässt. Hinsichtlich der Veröffentlichung von Strafurteilen ist ferner von Bedeutung, dass das schriftliche Urteil bei Verkündung häufig noch nicht vorliegen wird. Gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz StPO muss das schriftliche Urteil spätestens fünf Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht werden. Diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen (§ 275 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz StPO). 3. Ist es nach Auffassung der Staatsregierung zulässig, dass die Namen der an einem Strafverfahren beteiligten Richterinnen und Richter in der veröffentlichten Fassung eines Urteils anonymisiert werden? Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7060 Mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 2014, Az. 6 C 35/13, wurde zum Umfang des Presseauskunftsrechts festgestellt, dass die Persönlichkeitsrechte eines Richters, eines Verteidigers und eines Staatsanwalts, die in einem gerichtlichen Strafverfahren mitgewirkt haben, regelmäßig der Nennung ihres Namens an Pressevertreter nicht entgegenstehen. Ein Vorrang der Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Informationsinteresse der Presse ist auch nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bei Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa dann anzunehmen, sofern diese Personen erhebliche Belästigungen oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter zu befürchten hätten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. Juli 2000, Az. 1 BvQ 17/00, NJW 2000, 2890, Beschluss vom 19. Dezember 2007, Az. 1 BvR 620/07, BVerfGE 119, 309, 323, NJW 2008, 977). Das Staatsministerium der Justiz hat die Pressestellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften mit Schreiben vom 11. Juni 2015 auf diese Entscheidung hingewiesen. Außerhalb des Presseauskunftsrechts besteht auch unter Berücksichtigung des genannten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts keine Verpflichtung zur Namensnennung. Ein generell überwiegendes allgemeines Interesse an der Veröffentlichung ist nicht anzunehmen, zumal angesichts der räumlich und zeitlich unbegrenzten Verfügbarkeit durch die Möglichkeiten des Internet ein gewachsenes Datenschutzbedürfnis in Bezug auf die persönlichkeitsrechtlich geschützten Namen besteht. Dies gilt umso mehr, als das öffentliche Interesse an der Entscheidung mit zunehmendem Zeitablauf regelmäßig abnimmt. Bei der Veröffentlichung des Urteils über den Internetauftritt der Pressestelle des Oberlandesgerichts München unterblieb die Nennung der Namen der Verfahrensbeteiligten, da diese Publikationsform nicht nur Medien, sondern jedermann uneingeschränkt zugänglich ist. 4. Ist es nach Auffassung der Staatsregierung sinnvoll, ein derartiges Urteil nur in einer auf diese Weise anonymisierten Form zu veröffentlichen? Die Gerichtsverwaltung hat bei der Entscheidung über die Veröffentlichung von Entscheidungen bestehende öffentlich -rechtliche Bindungen zu beachten, insbesondere die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, den Datenschutz sowie in einschlägigen Fällen das Steuergeheimnis (§ 30 AO). Aufgrund einer Abwägung der verfassungsrechtlich begründeten Rechtspflicht zur Veröffentlichung und der Persönlichkeitsrechte des Verurteilten werden nicht selten Maßnahmen zur hinreichenden Anonymisierung und Neutralisierung geboten sein. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 5. Wie soll gewährleistet werden, dass künftig Journalistinnen und Journalisten zügig die Möglichkeit erhalten , Urteile zur Kenntnis zu nehmen? Größtmögliche Transparenz unter gleichzeitiger Wahrung der grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ist der bayerischen Justiz ein wichtiges Anliegen . Soweit Journalisten nicht in der Hauptverhandlung anwesend waren und die gewünschte Entscheidung nicht – etwa über den Internetauftritt des Gerichts oder in der Datenbank BAYERN-RECHT – öffentlich verfügbar ist, können sie sich unter Hinweis auf die grundsätzliche Veröffentlichungspflicht an das zuständige Gericht wenden. Dieses hat im jeweiligen Einzelfall eine Abwägungsentscheidung zu treffen, was gerade auch in Fällen, in denen etwa das Steuergeheimnis betroffen ist, in Einzelfällen durchaus zeitaufwendig sein kann. Auf die Antworten zu den Fragen 1 (Abschnitt 1), 2 und 4 wird Bezug genommen. Die gegenwärtige Handhabung der allgemeinen Veröffentlichungspraxis in Strafverfahren wird seit Februar dieses Jahres vom Staatsministerium der Justiz geprüft. Klärungsbedürftig erscheint derzeit insbesondere die Frage der Zuständigkeit . Denn die Rechtslage der Zurverfügungstellung strafgerichtlicher Entscheidungen an einzelne nichtverfahrensbeteiligte Dritte wie etwa Presse oder Fachzeitschriften ist im Schrifttum umstritten: Während zum Teil unter Hinweis auf die in der Antwort auf Frage 1 zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts eine Verpflichtung der Gerichte gesehen wird, halten andere nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss die Staatsanwaltschaft als aktenführende Stelle (§ 475 StPO) für zur Entscheidung berufen (vgl. zum Streitstand Karlsruher Kommentar-Gieg, StPO, 7. Auflage 2013, § 475 Rdnr. 9). Aus Anlass öffentlich erhobener Kritik an einer aus Sicht der Kritiker zu restriktiven Veröffentlichungspraxis in Bayern wurde das Thema auf der Dienstbesprechung des Staatsministeriums der Justiz mit den Leiterinnen und Leitern der bayerischen Staatsanwaltschaften vom 11. bis 13. März 2015 erörtert. Dabei wurde Einvernehmen erzielt, zunächst eine anstehende gerichtliche Entscheidung in einem derzeit anhängigen Einzelfall abzuwarten, die sich mit der Zuständigkeitsfrage auseinandersetzen dürfte. Am 6. Mai 2015 erfolgte eine Behandlung bei der bayernweiten Tagung der Abteilungsleiter für Wirtschaftsstrafsachen und der zuständigen Referenten der Generalstaatsanwaltschaften. Es ist beabsichtigt, auf der Grundlage der genannten gerichtlichen Entscheidung, die noch nicht vorliegt, eine bayernweit einheitliche Handhabung anzustreben. Zu diesem Zweck ist geplant, die Problematik bei der Dienstbesprechung mit den Präsidentinnen und Präsidenten der bayerischen Land- und Amtsgerichte sowie den Leiterinnen und Leitern der bayerischen Staatsanwaltschaften am 21./22. Oktober 2015 zu erörtern. Ungeachtet dessen stellt der Freistaat Bayern in Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Presse wichtige Entscheidungen bayerischer Gerichte des aktuellen Jahres sowie der vergangenen vier Jahre kostenfrei im Internet zur Verfügung. Die Entscheidungen können über den Bürgerservice BAYERN -RECHT online (www.gesetze-bayern.de) mithilfe verschiedener Suchfunktionen abgerufen werden. In dem Vertrag über die Datenbank BAYERN-RECHT mit dem externen Dienstleister ist vereinbart, dass die Gerichte veröffentlichungswürdige Entscheidungen in anonymisierter Form dem Datenbankbetreiber zur Veröffentlichung übersenden . Als veröffentlichungswürdig sind dabei grundsätzlich Entscheidungen anzusehen, die für die Rechtsauslegung oder Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sein können. Auf die Ablieferungsverpflichtung wurden die Gerichte vom Staatsministerium der Justiz hingewiesen . Zeitliche Vorgaben wurden dabei nicht gemacht, weil sie sich weder der zitierten Rechtsprechung zur Entscheidungsveröffentlichung noch den bestehenden Verträgen mit den Datenbankanbietern entnehmen lassen. Den Gerichten steht unter Berücksichtigung ihrer grundsätzli- Drucksache 17/7060 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 chen Pflicht zur Veröffentlichung von Entscheidungen ein Ermessensspielraum zu, zu welchem Zeitpunkt die Veröffentlichung erfolgt. Die Gerichte übersenden mithin bereits heute von sich aus in erheblichem Umfang ihre veröffentlichungswürdigen Entscheidungen an den technischen Betreiber der Datenbank BAYERN-RECHT. Dieser veröffentlicht sämtliche übersandten Entscheidungen im Internet, wo sie durch alle Bürgerinnen und Bürger sowie auch durch Journalistinnen und Journalisten kostenlos abgerufen werden können.