Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Schindler SPD vom 06.05.2015 Aussage eines Polizeibeamten vom 18.06.2013 vor dem Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ Bezug nehmend auf die Anfrage vom 05.08.2014 und die Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 03.09.2014 (Drs. 17/2999), dass die Ermittlungen gegen den Polizeibeamten P. wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage abgeschlossen seien und nach den durchgeführten Ermittlungen ein hinreichender Tatverdacht bestehe, dass er am 18.06.2013 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags unrichtige Angaben gemacht hat, insbesondere im Hinblick auf seine Aussage, der Begriff „NSU“ sei bei den Polizeibehörden bereits im Jahre 2007 bekannt gewesen und dass die Staatsanwaltschaft München I deshalb am 07.08.2014 Anklage zum Amtsgericht München erhoben habe, frage ich die Staatsregierung: 1. Hat das Amtsgericht München die Anklage zur Hauptverhandlung unverändert oder ggf. mit welchen Änderungen zugelassen und hat die Hauptverhandlung zwischenzeitlich stattgefunden? 2. Falls die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, welchen Fortgang hat das Verfahren gegen den Polizeibeamten P. dann genommen und ist es zwischenzeitlich abgeschlossen, und falls ja, mit welchem Ergebnis? 3. Hat die Staatsanwaltschaft München I auch gegen den Polizeibeamten R., der am 18.06.2013 gleichzeitig mit dem Polizeibeamten P. vor dem Untersuchungsausschuss vernommen worden ist und sämtliche Behauptungen seines Kollegen bestritten hat, und gegen weitere Polizeibeamte, die vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt haben, dass die Polizei erst im November 2011 von dem Begriff „NSU“ und seiner Bedeutung Kenntnis erlangt habe, Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage eingeleitet, und falls ja, mit welchen Ergebnissen, und falls nein, weshalb nicht? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 11.06.2015 Die Schriftliche Anfrage wird aufgrund der Berichte des Generalstaatsanwalts in München sowie des Leitenden Oberstaatsanwalts München I wie folgt beantwortet: 1. Hat das Amtsgericht München die Anklage zur Hauptverhandlung unverändert oder ggf. mit welchen Änderungen zugelassen und hat die Hauptverhandlung zwischenzeitlich stattgefunden? Die mit Datum vom 7. August 2014 wegen falscher uneidlicher Aussage gemäß § 153 StGB erhobene Anklage wurde der Verteidigung von Herrn P. am 15. September 2014 zugestellt. Im Zwischenverfahren wies die Verteidigung zur Entlastung von Herrn P. auf eine erstmals Anfang Oktober 2014 erfolgte Medienberichterstattung hin, wonach dem Bundesamt für Verfassungsschutz bereits seit dem Jahr 2005 eine CD vorgelegen habe, welche Daten zur Gruppierung „NSU“ enthalten solle. Eine Einlassung zur Sache wurde – ebenso wie bereits zuvor im Ermittlungsverfahren – nicht abgegeben. Mit Verfügung vom 10. Oktober 2014 bat das erkennende Amtsgericht München die Staatsanwaltschaft München I um Stellungnahme, ob angesichts dieses neuen Sachvortrags an der Anklage festgehalten werde. Die Staatsanwaltschaft München I beauftragte daraufhin am 22. Oktober 2014 das Bayerische Landeskriminalamt mit Nachermittlungen. Der Ermittlungsauftrag umfasste die Frage, ob tatsächlich – wie in der Presse berichtet (z. B. Süddeutsche Zeitung vom 2. Oktober 2014, Seite 1) – beim Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2005 eine Daten-CD mit einer Datei „NSU“ vorlag, ob es sich dabei um eine Datei handelte, die den „Nationalsozialistischen Untergrund“, d. h. die mutmaßliche Gruppierung um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe betraf, und ob diese Daten-CD auch Verfassungsschutzbehörden in den Ländern zugänglich gemacht wurde oder die Existenz der CD dort zumindest bekannt war. Eine entsprechende Anfrage des Bayerischen Landeskriminalamts wurde vom Bundesamt für Verfassungsschutz am 25. November 2014 lediglich dahingehend beantwortet, dass bei Durchsicht der Personen- und Sachakten eines zwischenzeitlich verstorbenen V-Mannes im Bundesamt für Verfassungsschutz durch das Bundeskriminalamt eine CD mit umfangreichen NS-Bildern und NS-Symbolen aufgefunden worden sei. Diese enthalte unter den Dateinamen „einlage.jpg“ und „index.htm“ Dateien, in denen die Bezeichnung „NSU/NSDAP“ bzw. „Nationalsozialistischer Untergrund der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ zu finden sei. Weiter teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz mit, dass eine „Bewertung dieser aufgefundenen Dateien bezüglich einer möglichen Relevanz hinsichtlich des bisher Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 15.07.2015 17/7064 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7064 bekannten „NSU-Trios“ derzeit sowohl durch das Bundeskriminalamt als auch durch das Bundesamt für Verfassungsschutz erarbeitet wird“. Zur Frage der Verbreitung der CD wurde lediglich angegeben , dass die CD seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht an die Landesämter für Verfassungsschutz gesteuert worden sei. Allerdings seien die Dateien auch auf einer den Landesämtern für Verfassungsschutz seit Mai 2014 vorliegenden DVD zu finden. Weitere Informationen wurden seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht freigegeben. Darüber hinausgehende Erkenntnisse, insbesondere zur Verbreitung der CD bzw. der darauf befindlichen Dateien, lagen und liegen der Staatsanwaltschaft München I nach deren Angabe nicht vor. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I konnte auf der Grundlage dieser Nachermittlungen der für eine Eröffnung des Hauptverfahrens erforderliche hinreichende Tatverdacht (§ 203 StPO) nicht mehr ausreichend begründet werden. Hinreichender Tatverdacht ist nur dann anzunehmen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung besteht. Insoweit gelangte die Staatsanwaltschaft München I ebenso wie die Generalstaatsanwaltschaft München zu folgender Bewertung : 1. Soweit Herr P. gemäß Anklageschrift der Vorwurf falscher Angaben in Bezug auf Inhalte einer Dienstbesprechung der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Bosporus“ im Jahr 2007, insbesondere zu angeblich dort mitgeteilten Hinweisen des Verfassungsschutzes auf eine rechtsterroristische Gruppierung „NSU“ und deren möglichen Tatbezug zu den sog. „Ceska-Morden “ und in Bezug auf die Anwesenheit des Zeugen Kriminalhauptkommissar R. in dieser Dienstbesprechung zur Last lag, bestanden nunmehr entscheidungserhebliche Unsicherheiten im Tatsächlichen. Zwar waren die Angaben von Herrn P. vor dem Untersuchungsausschuss schon zu den äußeren Umständen der fraglichen Besprechung wenig konkret und teilweise widersprüchlich, insgesamt nicht überzeugend . So konnte er beispielsweise als weiteren Teilnehmer der Besprechung lediglich den Zeugen Kriminalhauptkommissar R. nennen. Zu anderen Teilnehmern konnte er keine Angaben machen. Zum Zeitpunkt der fraglichen BAO-Besprechung gab Herr P. zunächst an, es könne sein, dass diese am 19./20. Dezember 2007 stattgefunden habe. Diese Aussage revidierte er jedoch kurze Zeit später. Dann führte er wieder aus, die Besprechung habe Ende des Jahres 2007 kurz vor Weihnachten stattgefunden. Später bestritt er, angegeben zu haben, dass er an einer Besprechung, die im Dezember stattfand, teilgenommen habe. Die Besprechung müsse vielmehr vor Ende 2007 stattgefunden haben. Soweit Herr P. vor dem Untersuchungsausschuss angab, anlässlich der Besprechung sei der Leiter der BAO „Bosporus“, Kriminaldirektor G., verabschiedet worden, um die Sonderkommission „Peggy II“ weiterzuführen , steht dies in Widerspruch dazu, dass die Sonderkommission „Peggy II“ bereits im November 2002 beendet worden war. Auch haben die weiteren vor dem Untersuchungsausschuss einvernommenen Polizeibeamten S. und R. die von Herrn P. behaupteten Besprechungsinhalte mit Bezug zu einer Gruppierung „NSU“ und einer Verbindung zu den „Ceska-Morden“ nicht bestätigt. Allerdings konnte aufgrund der im Rahmen der Nachermittlungen erteilten Auskunft des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 25. November 2014 (siehe oben) nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I nicht die von der Verteidigung vorgetragene theoretische Möglichkeit mit hinreichender Sicherheit widerlegt werden, dass der Begriff „NSU/NSDAP“ bzw. „Nationalsozialistischer Untergrund der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ Mitarbeitern von Verfassungsschutzbehörden bereits vor 2007 bekannt war. In der Folge könne auch nicht – was für eine Verurteilung von Herrn P. wegen eines vorsätzlichen Aussagedelikts erforderlich wäre – mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass bereits 2007 Hinweise auf eine Tatbeteiligung einer rechtsterroristischen Gruppierung „NSU“ kursierten. Die Auskunft des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 25. November 2014 bestätigte die Existenz einer entsprechenden CD im Aktenbestand des Bundesamts für Verfassungsschutz und das Vorhandensein der Dateien mit „NSU“-Bezug auf einer den Landesämtern für Verfassungsschutz seit Mai 2014 vorliegenden DVD. Nähere Angaben zum Zeitpunkt der Erlangung und zur Verbreitung der CD oder deren Dateien wurden aber nicht gemacht. Daher konnte nicht geklärt werden, woher die im Aktenbestand zu einem V-Mann aufgefundene CD stammt und wem der Inhalt der CD wann auf welchem Weg bekannt geworden ist. Der inzwischen verstorbene V-Mann kann zur Herkunft der CD und zum Zeitpunkt des Besitzerwerbes nicht mehr befragt werden. Weitere Erfolg versprechende Aufklärungsmöglichkeiten sind nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I nicht vorhanden. Trotz der oben genannten erheblichen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage von Herrn P. zum Inhalt der fraglichen Dienstbesprechung der BAO „Bosporus “ im Jahr 2007 könne aufgrund der verbleibenden Unsicherheiten im Ergebnis nicht mehr von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung von Herrn P. wegen einer bewussten und gewollten Falschaussage ausgegangen werden. 2. Soweit Herrn P. in der Anklageschrift der Vorwurf falscher Angaben zum Inhalt von dienstlichen Gesprächen mit den Zeugen Kriminalhauptkommissar R., Kriminalhauptkommissar E.-A. und Kriminalhauptkommissar S. zur Last lag, in welchen nach Aussage von Herrn P. Spuren in Richtung der rechtsextremistischen Gruppierung „NSU“ thematisiert worden sein sollen, sprechen nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I nach wie vor die Ermittlungsergebnisse deutlich dafür, dass Herr P. hierzu objektiv falsche Angaben gemacht hat und die behaupteten Gespräche so nicht geführt worden sind. Übereinstimmend gaben die drei Zeugen mit Bestimmtheit an, mit Herrn P. im fraglichen Zeitraum 2007 und „einige Zeit“ nach der fraglichen BAO-Besprechung im Jahr 2007 die Spur „NSU“ überhaupt nicht erörtert zu haben. Anhaltspunkte dafür, dass insoweit auf Zeugenseite durchgängig – gegebenenfalls auch kollusiv – wahrheitswidrig ausgesagt worden sein könnte, liegen nicht vor. Drucksache 17/7064 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Allerdings bestehen aus Sicht der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieses Teils des Tatvorwurfs gegen Herrn P. nunmehr auch erhebliche Zweifel am Vorliegen der erforderlichen subjektiven Tatseite. Angesichts des Umstands, dass in Zusammenhang mit den „CeskaMorden “ über mehrere Jahre hinweg offenbar allein in der BAO „Bosporus“ eine Vielzahl von Dienstbesprechungen mit wechselnden Teilnehmern und sicher eine noch weit größere Anzahl an bilateralen Gesprächen zwischen einzelnen BAO-Mitgliedern stattgefunden hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass Herr P. insoweit vorsätzlich falsche Angaben machte. Es erscheint nicht fernliegend, dass Herr P. von dem Begriff „NSU“ bei anderer, unter Umständen deutlich späterer Gelegenheit als der von ihm geschilderten BAO-Dienstbesprechung im Jahr 2007 Kenntnis erlangte und die Spur auch tatsächlich mit Kollegen erörterte, nunmehr aber Jahre später in seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss diese Sachverhalte – möglicherweise irrtümlich – falschen Zeiträumen und falschen Gesprächspartnern zuordnete . Die vorgenannten Zweifel bezüglich der subjektiven Tatseite werden bestärkt durch die neuen Erkenntnisse im Zwischenverfahren, wonach nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Begriff „NSU“ möglicherweise auf Verfassungsschutzseite bereits seit Längerem bekannt und damit potenzieller Gesprächsgegenstand auch auf Ermittlerebene hätte sein können. Deshalb konnte nach Durchführung der Nachermittlungen nicht mehr davon ausgegangen werden, dass in einer Hauptverhandlung mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit der Nachweis einer vorsätzlichen Straftat des Herrn P. nach § 153 StGB i. V. m. Art. 16 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags geführt werden kann. Die Anklage wurde daher mit Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 17. Februar 2015 zurückgenommen . Weitere Ermittlungsansätze sind nicht vorhanden, zumal die Dienstbesprechungen, Telefonate und Gespräche , welche für das Verfahren von Bedeutung wären , mittlerweile bereits acht Jahre zurückliegen. Eine valide Erkenntnisgewinnung zu Einzelheiten erscheint nicht mehr möglich. Daher wurde das Verfahren gegen Herrn P. mit Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 5. März 2015 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. 2. Falls die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zugelassen worden ist, welchen Fortgang hat das Verfahren gegen den Polizeibeamten P. dann genommen und ist es zwischenzeitlich abgeschlossen, und falls ja, mit welchem Ergebnis? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. 3. Hat die Staatsanwaltschaft München I auch gegen den Polizeibeamten R., der am 18.06.2013 gleichzeitig mit dem Polizeibeamten P. vor dem Untersuchungsausschuss vernommen worden ist und sämtliche Behauptungen seines Kollegen bestritten hat, und gegen weitere Polizeibeamte, die vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt haben, dass die Polizei erst im November 2011 von dem Begriff „NSU“ und seiner Bedeutung Kenntnis erlangt habe, Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage eingeleitet, und falls ja, mit welchen Ergebnissen, und falls nein, weshalb nicht? Vor dem Hintergrund der der Staatsanwaltschaft München I bekannten Sachverhaltsgrundlage, insbesondere der fortbestehenden Verdachtslage zur objektiven Unrichtigkeit der Darstellungen von Herrn P. zu Gesprächen mit den Zeugen R., E.-A. und S. (vgl. Antwort zu Frage 1), besteht kein Anfangsverdacht einer Falschaussage durch andere polizeiliche Zeugen des Untersuchungsausschusses. Die Einleitung von Ermittlungsverfahren unterblieb daher gemäß § 152 Abs. 2 StPO.