Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Mütze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 04.05.2015 Gesetzliche Regelungen zum Betrieb von Spielhallen 1. Sieht die Staatsregierung unterschiedliche Regelungen für Spielhallen auf der einen und Spielbanken auf der anderen Seite als vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz? 2. Ist aus Sicht der Staatsregierung eine bundeseinheitliche Regelung für den Betrieb von Spielhallen sinnvoll , insbesondere in den Fragen Mindestabstand und Höchstzahl an Spielgeräten pro Halle? 3. Welche wissenschaftlichen Grundlagen sind der Staatsregierung für die Annahme bekannt, dass durch räumliche Separation sowie die Erfordernis der Überwindung einer Wegstrecke beim Spielhallenwechsel der übermäßigen Ausnutzung des Spieltriebs entgegengetreten wird und dass demnach ein größerer Abstand zwischen Spielhallen der Suchtbekämpfung dienen kann? 4. a) Inwiefern sind die gesetzlichen Änderungen in Bayern – die Verkürzung des Mindestabstands und das Verbot von Mehrfachkonzessionen – aus Sicht der Staatsregierung mit dem Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung vereinbar, insbesondere vor dem Hintergrund von genehmigten, aber nach neuen Recht nicht mehr genehmigungsfähigen Altfällen und der nach der Übergangszeit anstehenden Schließung einzelner Spielhallen? b) Nach welchen Kriterien oder Übergangsvorschriften haben Kommunen nach Ende der Übergangszeit zu entscheiden, welche Konzessionen verlängert werden und welche nicht? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 29.05.2015 1. Sieht die Staatsregierung unterschiedliche Regelungen für Spielhallen auf der einen und Spielbanken auf der anderen Seite als vereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz? Wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.06.2013 (Az. Vf. 10-VII-12, Vf. 11-VII-12, Vf. 12-VII-12, Vf. 14-VII-12, Vf. 19-VII-12) festgestellt hat, ergibt sich aus der Existenz unterschiedlicher Regelungen für Spielhallen und Spielbanken kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber muss danach Spielbanken und Spielhallen nicht den genau gleichen gesetzlichen Regelungen unterwerfen, da bei Spielbanken strenge Zugangsregelungen eine Kontrolle von Spielersperren sicherstellen und durch zahlenmäßige Limitierung insoweit keine allgegenwärtige Verfügbarkeit des dort vorhandenen Spielangebots besteht. 2. Ist aus Sicht der Staatsregierung eine bundeseinheitliche Regelung für den Betrieb von Spielhallen sinnvoll, insbesondere in den Fragen Mindestabstand und Höchstzahl an Spielgeräten pro Halle? Die Länder haben seit der Föderalismusreform gemäß Art. 70 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen. Die Verfassung geht daher davon aus, dass von Land zu Land unterschiedliche Regelungen in diesem Bereich zulässig sind. Auf Grundlage dieser Kompetenz haben die Länder durch Staatsvertrag (Siebter Abschnitt des Glücksspieländerungsstaatsvertrages ) – insoweit bundeseinheitlich – sowie ergänzend durch die entsprechenden Landesausführungsgesetze (in Bayern: AGGlüStV) die notwendigen Regulierungen zur Begrenzung der Zahl der Spielhallen und des Spieler- und Jugendschutzes in diesem Bereich erlassen. Selbst im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung wäre überdies eine bundesgesetzliche Regelung auf dem Gebiet des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gemäß Art. 72 Abs. 2 GG nur dann zulässig, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen würde. Dies wäre lediglich dann der Fall, wenn eine Regelungsvielfalt in den Ländern oder das (teilweise ) Fehlen landesrechtlicher Regelungen gewichtige Nachteile mit sich bringen würde, die nur durch eine übergeordnete Regelung abzuwenden wären. Das bundesstaatliche Rechtsgut gleichwertiger Lebensverhältnisse wäre erst dann bedroht, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt hätten oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnete. Die Wahrung der Rechtseinheit geböte im gesamtstaatlichen Interesse erst dann eine bundesgesetzliche Regelung, wenn unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr zu befürchten wären. Die Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse geböte schließlich nur dann die Zuweisung der Kompetenz an den Bund, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Rechtsetzung ginge. Unabhängig von der Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz bezüglich des Rechts der Spielhallen an die Länder (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) sind diese Situationen jedoch bei regional unterschiedlicher Ausgestaltung der Mindestabstände Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 15.07.2015 17/7066 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7066 von Spielhallen zueinander sowie bei durch Landesgesetz angeordnetem Verbot von Mehrfachkonzessionen für Spielhallen im baulichen Verbund nicht zu befürchten. Im Übrigen sind unterschiedliche Rechtslagen in den einzelnen Ländern für die Bürger lediglich notwendige Folge des bundesstaatlichen Aufbaus und wie in anderen Rechtsbereichen auch hinzunehmen. 3. Welche wissenschaftlichen Grundlagen sind der Staatsregierung für die Annahme bekannt, dass durch räumliche Separation sowie die Erfordernis der Überwindung einer Wegstrecke beim Spielhallenwechsel der übermäßigen Ausnutzung des Spieltriebs entgegengetreten wird und dass demnach ein größerer Abstand zwischen Spielhallen der Suchtbekämpfung dienen kann? Die Bayerische Landeskammer der psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten hat im Rahmen der Anhörung zur Änderung des AGGlüStV in ihrer Stellungnahme vom 28.03.2012 gegenüber dem Staatsministerium des Innern die Einführung eines Abstands von 500 Metern gefordert und zur Begründung dieser Forderung ausgeführt, es bestehe ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der leichten Verfügbarkeit und Griffnähe eines Spielangebots und einem verstärkten Nachfrageverhalten. Ein dichtes Netzwerk an Glücksspielangeboten einschließlich einer intensiven Vermarktung senke potenzielle Hemmschwellen und fördere die gesellschaftliche Akzeptanz von Glücksspielen. Eine Vergrößerung des Glücksspielangebots erhöhe immer auch das Auftreten problematischen und pathologischen Spielverhaltens. Die Erhöhung des Abstandes von Spielhallen auf mindestens 500 Meter sei ein einfaches und wirksames Mittel, um den Spielerschutz zu verbessern und eine Gesundheitsgefährdung zu verringern. Auch die im Auftrag der Länder von einem Konsortium unter Beteiligung des Instituts für Psychologie und Kognitionsforschung der Universität Bremen durchgeführte international vergleichende Analyse des Glücksspielwesens (2009) kommt unter Heranziehung mehrerer Untersuchungen zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass eine Zunahme in der Verfügbarkeit von Glücksspielen zu einem Anstieg in der Prävalenz glücksspielbedingter Probleme führt, wenngleich es sich hierbei nicht unbedingt um eine lineare Beziehung handele, und dass der weitgehend akzeptierte direkte Einfluss der Verfügbarkeit weitreichende Implikationen für gesundheitspolitische Maßnahmen im Glücksspielbereich habe. Neben der Begrenzung des Spielangebots und der Verhinderung eines weiteren Zuwachses im Spielhallenbereich dienen das Verbot der Mehrfachkonzession und die Einführung eines Mindestabstands dazu, durch räumliche Separation sowie das Erfordernis der Überwindung einer längeren Wegstrecke beim Spielhallenwechsel der übermäßigen Ausnutzung des Spieltriebs entgegenzuwirken. Durch den gewählten Abstand von 250 Metern sollen die Spielhallen außer Sichtweite zueinandergerückt und so sichergestellt werden, dass Spieler, die sich von einer Spielhalle zur nächsten bewegen, die Gelegenheit erhalten, ihr Spielverhalten zu reflektieren. Durch das Verlassen einer Spielhalle und deren Atmosphäre muss der Spieler vor dem Betreten einer weiteren Spielhalle einen neuen Entschluss zum Spiel fassen; somit besteht die Möglichkeit, dass er aufgrund der zeitlichen und räumlichen Unterbrechung sein unkontrolliertes Spiel abbricht. Durch die mittels des Abstandsgebots bewirkte Auflockerung der Ansammlung von Spielhallen in Vergnügungsvierteln soll es für die Spieler schwieriger werden , von einer voll besetzten Spielhalle in die nächste zu wechseln. 4. a) Inwiefern sind die gesetzlichen Änderungen in Bayern – die Verkürzung des Mindestabstands und das Verbot von Mehrfachkonzessionen – aus Sicht der Staatsregierung mit dem Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung vereinbar, insbesondere vor dem Hintergrund von genehmigten, aber nach neuen Recht nicht mehr genehmigungsfähigen Altfällen und der nach der Übergangszeit anstehenden Schließung einzelner Spielhallen? Die Vorgaben zum Verbot der Mehrfachkonzession sowie zum Mindestabstandsgebot sind vor dem Hintergrund des Ziels der Begrenzung eines künftigen Zuwachses im Spielhallenbereich und einer wirksamen Bekämpfung der Glücksspielsucht gemessen an den Nachteilen, die insbesondere Spielhallenbetreibern mit Alterlaubnissen entstehen , verhältnismäßig und daher mit dem Grundgesetz sowie der Bayerischen Verfassung vereinbar. Die neuen Vorgaben in § 25 Abs. 1, 2 GlüStV, Art. 9 Abs. 2 und 3 AGGlüStV sind zur Begrenzung des künftigen Zuwachses im Spielhallenbereich und damit zu einer wirksamen Bekämpfung der Glücksspielsucht geeignet. Wie bereits zu Frage 3 ausgeführt, bewirkt eine Vergrößerung des Glücksspielangebots immer auch das Auftreten problematischen und pathologischen Spielverhaltens. Die Erhöhung des Mindestabstands zwischen den Spielhallen sowie die Rückführung von kasinoähnlichen Spielhallenkomplexen dienen der insoweit erforderlichen Begrenzung des Spielangebots . Hierdurch wird der Ausnutzung des Spieltriebs entgegengewirkt und die Möglichkeit geschaffen, dass ein Spieler sein unkontrolliertes Spiel infolge zeitlicher und räumlicher Unterbrechung abbricht. Die Vorgaben sind auch erforderlich. Die Zahl der Geldspielgeräte in Spielhallen hat, insbesondere bedingt durch die Änderung der Spielverordnung 2006 sowie auch durch die Zunahme der Zahl der Spielhallen, in den Jahren bis 2012 einen rasanten Zuwachs erfahren. Dabei war im Freistaat Bayern eine im Bundesvergleich überproportionale Expansion der gewerblichen Spielhallen zu verzeichnen. Mit dem Instrument der Mehrfachkonzessionen erreichten die Spielhallenbetreiber in der jüngeren Vergangenheit, dass sie die Höchstzahl von einem Automaten je 12 m², maximal jedoch 12 Spielgeräten pro Spielhalle, umgehen und im Ergebnis mehr Automaten an einem Standort aufstellen konnten. Seit Anfang 2006 sind in Bayern über 500 neue Spielhallen entstanden. Die Anzahl der gewerblichen Spielhallengeräte hat sich von 9.495 auf 15.416 erhöht, was einem Zuwachs von 62,36 % entspricht (vgl. Antwort auf die Schriftliche Anfrage zu den Herausforderungen durch die Expansion der gewerblichen Spielhallen, LT-Drs. 16/11765). Mit dem Anstieg der Zahl der Geldspielgeräte korreliert auch ein Zuwachs bei den Spielerzahlen. Die über Mehrfachkonzessionen entstandenen Spielhallenkomplexe haben die starke Zunahme der Zahl der Geldspielgeräte im gewerblichen Automatenspiel angetrieben und den Charakter des Spiels in Spielhallen, dem vom Verordnungsgeber ein kleiner, überschaubarer Rahmen zugedacht war (vgl. § 3 Abs. 2 SpielV), grundlegend verändert. Durch Zusammenlegung mehrerer Einzelkonzessionen konnten sich so kasinoähnliche Spielhallenkonglomerate Drucksache 17/7066 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 etablieren, die unter Suchtgesichtspunkten besonders gefährlich sind. Durch § 25 Abs. 1 und 2 GlüStV, Art. 9 Abs. 2 und 3 AGGlüStV wurde zunächst die weitere Zunahme der Zahl der Geldspielgeräte durch Errichtung von Spielhallenkomplexen gestoppt. Ein milderes Mittel zur Begrenzung eines künftigen Zuwachses im Spielhallenbereich und einer wirksamen Bekämpfung der Glücksspielsucht ist nicht ersichtlich . Die Regelungen sind auch angemessen. Die den einzelnen Betreiber treffenden Belastungen für die künftige Errichtung und den künftigen Betrieb von Spielhallen sind nicht als unzumutbar zu bewerten. Dies gilt auch für Fälle, in denen Spielhallen mit Alterlaubnissen nicht mehr unbefristet weiterbetrieben werden können. Spielhallen dürfen auch künftig in einer Größe betrieben und zugelassen werden, die einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglicht. Zudem können gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 2 AGGlüStV unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls Ausnahmen vom Erfordernis der Einhaltung eines Mindestabstands zugelassen werden. Die Regelungen über das Verbot der Mehrfachkonzession und den Mindestabstand dienen der Bekämpfung der Glücksspielsucht und damit einem besonders wichtigen Gemeinwohlziel. Angesichts des rasanten Zuwachses der Zahl an Geldspielgeräten in Spielhallen durch die Zunahme von Spielhallenkomplexen ist die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet. Laut dem Endbericht zum Projekt „Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE)“, das aufgrund einer internationalen Maßstäben entsprechenden wissenschaftlichen Methodik durchgeführt wurde, gibt es in Deutschland hochgerechnet rund 500.000 pathologische Glücksspieler und rund 800.000 problematische Spieler. Allein im Freistaat Bayern gibt es laut Erkenntnissen der Landesstelle Glücksspielsucht zwischen 16.000 bis 44.000 Menschen, die an Spielsucht leiden. Angesichts des hohen Suchtpotenzials der Geldspielautomaten und der mit Spielsucht verbundenen schwerwiegenden Folgen sowohl für den Betroffenen als auch für dessen Familie und die Gesellschaft sind die Eingriffe in die wirtschaftliche Betätigung der Spielhallenbetreiber verhältnismäßig, da die betreffenden Regelungen spürbare Suchtbekämpfungserfolge ermöglichen. b) Nach welchen Kriterien oder Übergangsvorschriften haben Kommunen nach Ende der Übergangszeit zu entscheiden, welche Konzessionen verlängert werden und welche nicht? Die Zuständigkeit für die Entscheidung über Anträge auf glücksspielrechtliche Erlaubnis sowie über die Befreiung bzw. Ausnahme liegt bei den Kreisverwaltungsbehörden, Art. 9 Abs. 4 AGGlüStV i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Verordnung zur Durchführung der Gewerbeordnung, soweit sie nicht den Großen Kreisstädten und Delegationsgemeinden zugewiesen ist. Einzelfragen – auch in Konkurrenzfällen – lassen sich sachgerecht im Rahmen der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Erteilung der Erlaubnis sowie der Ausnahme und Befreiung lösen. Befreiungen sind nur in Einzelfällen zur Vermeidung besonderer Härten möglich, da die grundsätzliche Zielsetzung des Staatsvertrags auf eine Rückführung der Spielhallen hin zu Standorten des bloßen Unterhaltungsspiels mit höchstens 12 Spielautomaten gerichtet ist. Eine Befreiung kommt gemäß Art. 12 Satz 1 AGGlüStV zunächst nur für Fälle in Betracht, in denen die Gesamtzahl der Geld- und Warenspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit in den in einem baulichen Verbund, insbesondere einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebrachten Spielhallen 48 nicht überschreitet. Für die Erteilung der Befreiung ist überdies die Vorlage eines Anpassungskonzepts mit dem Ziel sukzessiver Reduzierung erforderlich. Im Übrigen wird die Einhaltung sonstigen Rechts, insbesondere die bisher geltenden Anforderungen zur räumlichen und optischen Sonderung, vorausgesetzt.