Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Ritter SPD vom 30.04.2015 Bewertung rassistischer Aussagen Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2014 erklärt der bayerische Innenminister Herrmann laut Redemanuskript : „Das Wiederaufflammen von klassischen rechtsextremistischen Agitationsfeldern gegen Asylbewerber sowie die antiisraelischen Demonstrationen und Demonstrationen gegen eine angebliche Islamisierung Deutschlands hat zu einem Anstieg der antisemitischen und fremdenfeindlichen Straftaten im Vergleich zum Vorjahr von 310 auf 538 geführt.“ Im vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2014 wird unter anderem festgestellt: „Vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen agitieren Rechtsextremisten vermehrt gegen Asylbewerberunterkünfte . Sie versuchen, Ängste in der Bevölkerung vor angeblicher Überfremdung und Steigerung der Kriminalität vor Ort zu schüren und sich selbst als die einzige politische Kraft, die diese Sorgen ernst nimmt, darzustellen. (Seite 91) Unter Bezugnahme auf diese Stellungnahmen frage ich die Staatsregierung: 1. a) Wie beurteilen das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) und die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) den Zusammenhang zwischen gegen Asylbewerber gerichtete rechtsextreme Propaganda und der zunehmenden Gewalt gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte? b) Wie tragen nach Ansicht des BayLfV und der BIGE pauschalisierte und falsche Vorwürfe sowie nachweislich der Rechtsprechung widersprechende Forderungen in Zusammenhang mit Asylbewerbern zu einer Radikalisierung und Steigerung der Gewaltbereitschaft gegenüber Geflüchteten bei? 2. a) Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE die Zusammenhänge zwischen pauschalisierten und falschen Vorwürfen sowie nachweislich der Rechtsprechung widersprechende Forderungen in Zusammenhang mit den Debatten zur Verschärfung des Asylrechts in den Neunzigerjahren und den in zeitlichem Zusammenhang stattgefundenen rassistischen Übergriffen und Anschlägen wie zum Beispiel in Hoyerswerda, Rostock -Lichtenhagen, Solingen, Mölln und Schwandorf? b) Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE die Zusammenhänge zwischen der in 2 a angeführten Debatte zur Verschärfung des Asylrechts, den vermehrten Übergriffen und Anschlägen und einer nachweislich zeitgleich stattgefundenen Radikalisierung der rechtsextremen Szene sowie deren strategische Debatten, in der auch die Strategie des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ihren Ursprung hat? 3. Welche Kriterien legen das BayLfV und die BIGE zugrunde , um zu beurteilen, ob eine Parole, Aussage oder Forderung rassistisch ist? 4. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE folgende Aussagen und Forderungen? a) – „Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt“ b) – „Wir sträuben uns bis zur letzten Patrone gegen eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme!“ c) – „ Asylmissbrauch in Deutschland endlich stoppen!“ 5. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage folgende Aussagen und Forderungen? a) – „Abgelehnt heißt ausreisen oder abschieben!“ b) – „Wenn nur die, die entsprechend unserem Grundgesetz Anspruch auf Asyl haben, in unser Land kämen, hätten wir viel mehr Platz.“ 6. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE vor dem Hintergrund des Urteils des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 betreffend der Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Flüchtlinge auch ohne Anerkennung als Asylbewerber einen legalen Aufenthaltstitel erlangen können, folgende politische Aussage: „Kürzungen der Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber schneller umsetzen!“ 7. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE vor dem Hintergrund der tatsächlichen Einwohnerzahlen des Afrikanischen Kontinents in Relation zu den tatsächlichen Flüchtlingszahlen sowie des durch den Inhalt erweckten Eindrucks folgende Aussage: „Wir können die Probleme Afrikas doch nicht dadurch lösen, dass die Hälfte der Menschen Afrikas nach Europa kommt.“ Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 16.06.2015 Vorbemerkung: Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) beobachtet Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Bestrebungen könDrucksachen , Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 29.07.2015 17/7143 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7143 nen von Gruppierungen oder Einzelpersonen ausgehen. Der Begriff Bestrebung erfordert ein ziel- und zweckgerichtetes , finales Handeln, das in Vorbereitungstätigkeiten, Agitation oder Gewaltakten bestehen kann. Nach der Rechtsprechung (Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.02.2008 – 5 A 130/05) bedarf es dazu „Aktivitäten , die über bloße Missbilligung oder Kritik an einem Verfassungsgrundsatz hinausgehen“. Einer Bestrebung zurechenbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine extremistische Ausrichtung können sich beispielsweise aus schriftlich formulierten Zielen und Erklärungen oder auch aus Reden und sonstigen Äußerungen führender Funktionäre ergeben. Auf Einzeläußerungen allein lässt sich eine extremistische Bewertung nicht stützen. Ob eine extremistische Zielsetzung verfolgt wird, ist im Rahmen einer Gesamtschau zu bewerten. Nicht dem Beobachtungsauftrag unterfallen bloße Äußerungen von Meinungen nach Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz, sogar wenn diese in extrem populistischer Weise Argumente in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen sollten. Kritik, die im Rahmen einer geistig-politischen Auseinandersetzung auf Probleme hinweist, unterliegt nicht der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Es ist nicht Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden , derartige, auch gegebenenfalls gesellschaftlich polarisierende Kritik generell zu überwachen oder zu bewerten. Maßgebend für einen Beobachtungsauftrag ist ausschließlich das Vorhandensein einer extremistischen Bestrebung . Erst wenn eine politisch motivierte, gegen die staatliche Grundordnung gerichtete Zielrichtung zurechenbar festzustellen ist, ist der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes eröffnet. 1. a) Wie beurteilen das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) und die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) den Zusammenhang zwischen gegen Asylbewerber gerichtete rechtsextreme Propaganda und der zunehmenden Gewalt gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte? b) Wie tragen nach Ansicht des BayLfV und der BIGE pauschalisierte und falsche Vorwürfe sowie nachweislich der Rechtsprechung widersprechende Forderungen in Zusammenhang mit Asylbewerbern zu einer Radikalisierung und Steigerung der Gewaltbereitschaft gegenüber Geflüchteten bei? Die Fragen 1 a und 1 b werden gemeinsam beantwortet. Durch Hetzkampagnen könnten sich Rechtsextremisten dazu ermutigt fühlen, sich weiter zu radikalisieren oder gewalttätige Aktionen durchzuführen. Die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) wird mit ihrem Beratungsangebot gerade in diesem Bereich aktiv. Beratungsschwerpunkt ist dabei auch die Bekämpfung von Vorurteilen und die Auseinandersetzung mit bestehenden Ängsten in der Bevölkerung. Sollten sich aus dem operativen Berichtsaufkommen des BayLfV Hinweise zu Straftaten ergeben, so werden diese der Polizei mitgeteilt (Art. 14 Abs. 1 ff. BayVSG) 2. a) Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE die Zusammenhänge zwischen pauschalisierten und falschen Vorwürfen sowie nachweislich der Rechtsprechung widersprechende Forderungen in Zusammenhang mit den Debatten zur Verschärfung des Asylrechts in den Neunzigerjahren und den in zeitlichem Zusammenhang stattgefundenen rassistischen Übergriffen und Anschlägen wie zum Beispiel in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln und Schwandorf? b) Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE die Zusammenhänge zwischen der in 2 a angeführten Debatte zur Verschärfung des Asylrechts, den vermehrten Übergriffen und Anschlägen und einer nachweislich zeitgleich stattgefundenen Radikalisierung der rechtsextremen Szene sowie deren strategische Debatten, in der auch die Strategie des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ihren Ursprung hat? Die Fragen 2 a und 2 b werden gemeinsam beantwortet. Grundsätzlich unterliegen politische Diskurse im Rahmen des demokratischen Parteienspektrums weder dem Beobachtungsauftrag des BayLfV noch der Präventionsarbeit der BIGE. Unabhängig von den Ereignissen aus der Epoche der 1990er-Jahre beobachtet das BayLfV die aktuellen rechtsextremistischen Aktivitäten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte sehr genau. 3. Welche Kriterien legen das BayLfV und die BIGE zugrunde, um zu beurteilen, ob eine Parole, Aussage oder Forderung rassistisch ist? 4. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE folgende Aussagen und Forderungen? a) – „Wir sind nicht das Sozialamt für die ganze Welt!“ b) – „Wir sträuben uns bis zur letzten Patrone gegen eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme !“ c) – „Asylmissbrauch in Deutschland endlich stoppen !“ 5. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage folgende Aussagen und Forderungen? a) – „Abgelehnt heißt ausreisen oder abschieben!“ b) – „Wenn nur die, die entsprechend unserem Grundgesetz Anspruch auf Asyl haben, in unser Land kämen, hätten wir viel mehr Platz.“ 6. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE vor dem Hintergrund des Urteils des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 betreffend die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes und vor dem Hintergrund der Tatsache , dass Flüchtlinge auch ohne Anerkennung als Asylbewerber einen legalen Aufenthaltstitel erlangen können, folgende politische Aussage: „Kürzungen der Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber schneller umsetzen!“ 7. Wie beurteilen das BayLfV und die BIGE vor dem Hintergrund der tatsächlichen Einwohnerzahlen des Afrikanischen Kontinents in Relation zu den tatsächlichen Flüchtlingszahlen sowie des durch den Inhalt erweckten Eindrucks folgende Aussage : „Wir können die Probleme Afrikas doch nicht dadurch lösen, dass die Hälfte der Menschen Afrikas nach Europa kommt.“ Zur Beantwortung der Fragen 3, 4, 5, 6 und 7 wird auf die Vorbemerkung verwiesen.