Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Peter Paul Gantzer SPD vom 21.04.2015 Nächtliches Verkaufsverbot an Tankstellen Seit März 2010 dürfen in Baden-Württemberg zwischen 22 und 5 Uhr an Tankstellen und Kiosken keine alkoholischen Getränke mehr verkauft werden. Am 10. Oktober 2013 hält die Baden-Württembergische Landesregierung in einem Bericht (Plenarprotokoll 15/78) fest: „Fest steht [...], dass Tankstellen in Baden-Württemberg aufgrund der Regelung praktisch keinen nächtlichen Einsatzschwerpunkt mehr darstellen .“ Zwei wissenschaftliche Gutachten des Hamburger Center for Health Economics (HCHE) und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) haben aufgrund des nächtlichen Verkaufsverbots festgestellt, dass die alkoholbedingten Krankenhauseinlieferungen in BadenWürttemberg zurückgingen: Bei den 15- bis 19-Jährigen und bei den 20- bis 24-Jährigen um jeweils sieben Prozent (am stärksten bei jungen Männern). Die Zahl der Krankenhauseinlieferungen wegen Körperverletzungen ist ebenfalls zurückgegangen. In allen anderen Bundesländern sind die Zahlen der alkoholbedingten Krankenhauseinlieferungen gestiegen. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Inwieweit sind Tankstellen und Kioske nächtliche Einsatzschwerpunkte der Bayerischen Polizei? b) Aus welchen Gründen? c) Wie haben sich diesbezüglich die Einsatzzahlen in Bayern in den letzten 10 Jahren entwickelt? 2. a) Wie hat sich die Zahl alkoholbedingter Straftaten in Bayern allgemein in den letzten 10 Jahren entwickelt (aufgeschlüsselt nach Altersgruppen)? b) Wie haben sich die Zahlen der Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten von Alkoholisierten in den letzten 10 Jahren in Bayern entwickelt (aufgeschlüsselt nach Altersgruppen)? 3. Wie haben sich die alkoholbedingten Krankenhauseinlieferungen in den letzten 10 Jahren in Bayern entwickelt (aufgeschlüsselt nach Altersgruppen)? 4. Wie schätzt die Staatsregierung die Nützlichkeit eines nächtlichen Alkoholverkaufsverbots in Bayern entsprechend dem Verbot in Baden-Württemberg an Tankstellen und Kiosken ein? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 16.06.2015 Vorbemerkung: Im Sinne der angefragten Thematik ergeht hier ergänzend zur Beantwortung der Hinweis auf den Projektbericht der kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei zum Thema „Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss bei jungen Menschen in Bayern“ aus dem Jahr 2014, der veröffentlicht und im Internet unter https://www.polizei.bayern.de/ content/4/3/7/25_alkohol_gewalt.pdf zu finden ist. 1. a) Inwieweit sind Tankstellen und Kioske nächtliche Einsatzschwerpunkte der Bayerischen Polizei? b) Aus welchen Gründen? Die Fragen 1 a und 1 b werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Im Sinne der Anfrage und der Thematisierung des Alkoholverkaufsverbotes im Land Baden-Württemberg bezieht sich die Beantwortung insbesondere auf mögliche Zusammenhänge zwischen dem Verkauf und Konsum von Alkoholika an Tankstellen und Kiosken und folgebedingtem polizeilichem Einsatzaufkommen : Polizeiliche Einsätze mit örtlichem Bezug zu Tankstellen werden unabhängig von der Tages- bzw. Nachtzeit erforderlich . Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und reichen von Streitigkeiten, über Vermögens- und Eigentumsdelikte, Verkehrsdelikte bis hin zu Gewaltdelikten, um nur einige mögliche Einsatzgründe anzuführen. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass sich zwischen Alkoholkonsum und Sicherheitsstörungen ein kausaler Zusammenhang herstellen lässt, da Alkohol im Kriminalitätsgeschehen durch seine oftmals enthemmende und aggressionssteigernde Wirkung als tatgestaltender Faktor von Bedeutung sein kann. Dieser lässt sich in der Kriminalstatistik der Bayerischen Polizei ablesen und wird in den Erfahrungen der polizeilichen Praxis ebenfalls bestätigt. Beispielhaft wird hierfür ein Auszug aus der Bayerischen Kriminalstatistik für das Jahr 2014 genannt: Im Zeitraum 01:00 Uhr–05:59 Uhr wurden 41.072 geklärte Straftaten festgestellt, davon wurden 19.885 unter Alkoholeinfluss begangen . Eine Identifizierung des Beitrags, den hierzu eine Alkoholabgabe an Tankstellen zur Nachtzeit liefert, ist jedoch nicht möglich. Ordnungsstörungen und Straftaten an oder im Umfeld von Tankstellen und Kiosken sind über die nächtlichen Öffnungszeiten hinaus vor allem durch die geografische Lage und das soziale Umfeld beeinflusst. Tankstellen beispielsweise , die in Ballungsraumzentren insbesondere in auffälligen Stadtteilen liegen, die zu Szenetreffs geworden sind, oder die im Umfeld von Erlebnisgastronomien angesiedelt sind, können als Bezugsquelle von Alkoholika gerade für junge Menschen dienen, die dadurch die höheren Getränkepreise der Diskotheken und Clubs zu umgehen versuchen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 07.08.2015 17/7282 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7282 Der Alkoholkonsum wird dann in die Öffentlichkeit verlagert, wodurch gegebenenfalls Polizeieinsätze ausgelöst werden. Es lässt sich jedoch grundsätzlich nicht verifizieren, ob die Grundlage der Alkoholisierung des vom Einsatz Betroffenen im nächtlichen Verkaufsbetrieb der Tankstelle zu finden ist oder ob die Alkoholisierung andernorts, beispielsweise in der Diskothek oder auch zu Hause (sogenanntes „Vorglühen “), stattgefunden hat. Die Bereitschaft für delinquentes oder strafbares Verhalten wird zudem nicht nur vom Alkoholkonsum und situativen Gegebenheiten beeinflusst, auch spielen individuelle Faktoren wie Geschlecht, Alter und Persönlichkeit des Betroffenen eine entscheidende Rolle. In der Kumulation dieser verschiedenen Faktoren können sich Tankstellen zu sogenannten „Brennpunkt-Tankstellen“ und in der Folge zu örtlichen Einsatzschwerpunkten für die Polizei entwickeln. c) Wie haben sich diesbezüglich die Einsatzzahlen in Bayern in den letzten 10 Jahren entwickelt? Aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen werden in den polizeilichen Einsatzleitsystemen gespeicherte Datensätze nach zwei Jahren gelöscht. In den vorhandenen Datensätzen im Einsatzleitsystem sind textbasierte Abfragen mit Schlagwörtern „Tankstelle“ und „Kiosk“ möglich. Sie bedingen aber im Anschluss eine manuelle Auswertung jedes Treffers dahingehend, ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der Möglichkeit des Alkoholverkaufs und dem Alkoholkonsum an den beiden Tatörtlichkeiten mit dem polizeilichen Einsatz besteht. Eine derartige manuelle Erhebung in den vorhandenen Datensätzen ist aufgrund der Vielzahl der polizeilichen Einsätze im Rahmen der vorgegebenen Frist nicht mit vertretbarem Aufwand zu leisten. Recherchemöglichkeiten in anderen polizeilichen Auskunftssystemen (z. B. Integrationsverfahren der Polizei und Polizeiliche Kriminalstatistik) können zur Beantwortung der Frage ebenfalls nicht herangezogen werden, da diese das polizeiliche Einsatzgeschehen nur unvollständig abbilden. Die Dienststellen der Polizeipräsidien gehen aufgrund ihrer Erfahrungswerte in der polizeilichen Praxis jedoch davon aus, dass Wirkzusammenhänge zwischen einem Alkoholverkauf zur Nachtzeit, der Sicherheitslage und dem damit verbundenen polizeilichen Einsatzgeschehen aus den unter 1 a und 1 b erläuterten Gründen gegeben sind. Die von den Polizeipräsidien abgegebenen Bewertungen lassen durchgängig erkennen, dass das Einsatzgeschehen der letzten Jahre an Tankstellen mit nächtlichem Verkauf auf gleichbleibendem Niveau liegt und keine signifikanten Veränderungen festzustellen waren. 2. a) Wie hat sich die Zahl alkoholbedingter Straftaten in Bayern allgemein in den letzten 10 Jahren entwickelt (aufgeschlüsselt nach Altersgruppen)? Die nachfolgenden Daten bezüglich der Altersgruppen wurden mit den standardmäßigen Alterskohorten ausgewertet und im Sinne der Anfrage auf das Alter bis 24 Jahre begrenzt . Die Aufteilung ergibt sich wie folgt: - Jugendliche 14 mit 17 Jahren - Heranwachsende 18 mit 20 Jahren - Erwachsene 21 mit 24 Jahren Straftaten insgesamt unter Alkoholeinfluss Jahr Schlüssel der Tat Straftat erfasste Fälle begangen durch 14- bis 17- Jährige 18- bis 20- Jährige 21- bis 24- Jährige 2014 ------ Straftaten insgesamt 4.720 9.182 11.136 2013 ------ Straftaten insgesamt 5.619 10.754 12.321 2012 ------ Straftaten insgesamt 6.353 11.894 12.611 2011 ------ Straftaten insgesamt 6.865 11.957 12.509 2010 ------ Straftaten insgesamt 7.352 12.587 12.507 2009 ------ Straftaten insgesamt 7.826 12.959 12.228 2008 ---- Straftaten insgesamt 8.019 12.721 11.673 2007 ---- Straftaten insgesamt 7.563 12.291 11.184 2006 ---- Straftaten insgesamt 7.268 11.623 10.972 2005 ---- Straftaten insgesamt 6.840 10.865 10.271 b) Wie haben sich die Zahlen der Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten von Alkoholisierten in den letzten 10 Jahren in Bayern entwickelt (aufgeschlüsselt nach Altersgruppen)? Die Auswertungen der anschließenden Tabelle wurden in der Datei „Gewalt gegen Polizeibeamte“ (GewaPol) durchgeführt . Da eine Erfassung entsprechender Daten erst ab dem Jahr 2010 stattfand, sind Aussagen vor diesem Zeitpunkt nicht möglich. Die Auswertung wurde mit den bereits bekannten standardmäßigen Alterskohorten durchgeführt und im Sinne der Anfrage auf das Alter bis 24 Jahre begrenzt . Gewalt gegen Polizeibeamte – Straftaten insgesamt unter Alkoholeinfluss Jahr Schlüssel der Tat Straftat erfasste Fälle begangen durch 14- bis 17- Jährige 18- bis 20- Jährige 21- bis 24- Jährige 2014 ------ Straftaten insgesamt 282 645 898 2013 ------ Straftaten insgesamt 306 664 954 2012 ------ Straftaten insgesamt 328 803 993 2011 ------ Straftaten insgesamt 335 718 1.039 2010 ------ Straftaten insgesamt 406 779 935 3. Wie haben sich die alkoholbedingten Krankenhauseinlieferungen in den letzten 10 Jahren in Bayern entwickelt (aufgeschlüsselt nach Altersgruppen )? Drucksache 17/7282 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 4. Wie schätzt die Staatsregierung die Nützlichkeit eines nächtlichen Alkoholverkaufsverbots in Bayern entsprechend dem Verbot in Baden-Württemberg an Tankstellen und Kiosken ein? Die von Baden-Württemberg landesgesetzlich getroffene Regelung, die gemäß § 3 a Ladenöffnungsgesetz den Verkauf alkoholischer Getränke in der Zeit von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr in Verkaufsstellen untersagt, beschränkt sich auf eine ladenschlussrechtliche Regelung. Die bei Tankstellen in Bayern weitverbreitete zusätzliche gaststättenrechtliche Schank- bzw. Verkaufsbefugnis bliebe durch ein Verbot gleich dem in Baden-Württemberg aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Grundlage unberührt. Die Rückmeldungen der bayerischen Polizeipräsidien bezüglich des Einsatzaufkommens an Tankstellen zeigen jedoch seit Jahren eine gleichbleibende Tendenz auf und lassen derzeit keine Auswüchse in der Häufigkeit der Einsätze erkennen. Kioske stellen nach Angaben der Polizeipräsidien hinsichtlich des Einsatzaufkommens ohnehin keine Einsatzschwerpunkte dar. Unmittelbarer Handlungsbedarf in Form einer neuen Gesetzgebung wird darum derzeit nicht gesehen. Die bereits bestehenden Regelungs- und Handlungsmöglichkeiten im Jugendschutzgesetz, im Gaststättengesetz mit Gaststättenverordnung , sowie im Landesstraf- und Verordnungsgesetz sind ausreichend. Krankenhausfälle infolge psychischer und Verhaltensstörungen durch Alkohol (F10), Bayern 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Alle Altersgruppen 42.060 43.040 42.362 45.575 48.243 49.323 50.009 50.823 51.590 51.959 Unter 10 Jahren 3 10 4 1 3 4 2 2 8 2 10 bis unter 15 Jahre 604 705 637 734 856 793 838 837 738 693 15 bis unter 20 Jahre 3.037 3.351 3.191 3.957 4.464 4.706 4.979 5.100 5.108 4.701 20 bis unter 25 Jahre 1.987 2.131 2.132 2.443 2.808 3.072 3.304 3.527 3.501 3.271 25 bis unter 30 Jahre 1.954 2.033 2.026 2.199 2.422 2.601 2.781 2.857 2.990 3.145 30 bis unter 35 Jahre 2.886 2.763 2.659 2.683 2.809 2.977 3.146 3.208 3.534 3.707 35 bis unter 40 Jahre 5.420 4.934 4.547 4.553 4.552 4.319 4.061 3.821 3.913 4.082 40 bis unter 45 Jahre 7.010 6.691 6.633 6.828 6.882 6.783 6.398 6.398 5.980 5.750 45 bis unter 50 Jahre 6.410 6.586 6.713 7.374 7.572 7.424 7.666 7.554 7.538 7.592 50 bis unter 55 Jahre 4.920 5.052 5.034 5.621 5.781 6.149 6.437 6.811 7.040 7.123 55 bis unter 60 Jahre 2.957 3.464 3.443 3.731 4.043 4.157 4.169 4.388 4.655 4.998 60 bis unter 65 Jahre 2.376 2.397 2.319 2.352 2.410 2.645 2.667 2.721 2.956 3.151 65 bis unter 70 Jahre 1.452 1.698 1.716 1.679 1.974 1.846 1.685 1.655 1.702 1.723 70 bis unter 75 Jahre 591 732 775 862 1.034 1.159 1.223 1.267 1.181 1.154 75 bis unter 80 Jahre 286 329 347 379 385 465 410 465 488 596 80 bis unter 85 Jahre 128 123 133 138 172 157 176 156 183 187 85 bis unter 90 Jahre 31 30 42 33 62 61 58 49 59 69 90 Jahre und älter 8 11 11 8 14 5 9 7 16 15 Datenquelle: Statistisches Bundesamt; Bezug: Personen mit Wohnort Bayern, unabhängig vom Behandlungsort