Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Verena Osgyan BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 26.05.2015 Kein Ausverkauf von Gesundheitsdaten – Individualisierte Tarife bei Krankenversicherungen Medienberichten zufolge wird der Versicherungskonzern Generali das Telemonitoring-System „Vitality“ einführen, mit dem Verbraucherinnen und Verbraucher über ein spezielles Softwareprogramm (App) dem Unternehmen regelmäßig private Gesundheitsdaten zu ihren Lebensumständen übermitteln müssen, um einen Preisvorteil zu erhalten. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie steht die Staatsregierung zu den Plänen von Krankenversicherungen , Versicherten rabattierte Angebote im Gegenzug zur Preisgabe individueller Gesundheitsinformationen anzubieten? 2. Wie bewertet sie das Geschäftsmodell der Telemonitoring -Systeme im Hinblick darauf, dass es zu einer Bestrafung der Verbraucherinnen und Verbraucher führen könnte , die einen erhöhten Wert auf ihre Privatsphäre legen, und deshalb nicht bereit sind, sensible Gesundheitsdaten für Rabattsysteme preiszugeben (Solidaritätsbruch)? 3. Wie bewertet die Staatsregierung die Freiwilligkeit der Einwilligung der Versicherten zur Datennutzung bei solchen Geschäftsmodellen, wenn durch die Rabattierungssysteme gleichzeitig ein finanzieller Druck aufgebaut wird? 4. Welche rechtlichen Vorgaben haben die Versicherer bei verhaltensabhängigen Geschäftsmodellen, insbesondere unter Nutzung von Telemonitoring, zu beachten? 5. Wie kann sichergestellt werden, dass sensible Gesundheitsdaten nicht in missbräuchlicher Weise erhoben und verwendet werden? 6. Welche technischen Vorgaben sind an Apps zur Übermittlung der Gesundheitsdaten an die Versicherer zu stellen, um die Datensicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten? 7. Welche Schritte wird die Staatsregierung im Hinblick auf die geplanten individualisierten Telemonitoring-Tarife von Krankenversicherungen unternehmen? 8. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Initiativen und Bestrebungen der Bundesebene zur Regulierung entsprechender Geschäftsmodelle? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 17.07.2015 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr und dem Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie wie folgt beantwortet: 1. Wie steht die Staatsregierung zu den Plänen von Krankenversicherungen, Versicherten rabattierte Angebote im Gegenzug zur Preisgabe individueller Gesundheitsinformationen anzubieten? 2. Wie bewertet sie das Geschäftsmodell der Telemonitoring -Systeme im Hinblick darauf, dass es zu einer Bestrafung der Verbraucherinnen und Verbraucher führen könnte, die einen erhöhten Wert auf ihre Privatsphäre legen, und deshalb nicht bereit sind, sensible Gesundheitsdaten für Rabattsysteme preiszugeben (Solidaritätsbruch)? Stabile Beiträge in der Privaten Krankenversicherung (PKV) sind ein wichtiges Anliegen des Verbraucherschutzes in Bay ern. Maßnahmen, die eine Senkung des monatlichen Beitrags ermöglichen, werden vor diesem Hintergrund unter der Voraussetzung begrüßt, dass ein flächendeckender, hochwertiger und für alle Versicherten bezahlbarer Versicherungsschutz gewährleistet ist, die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gewahrt und die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung erhalten bleibt. Derzeit ist nur schwer absehbar, welche konkrete Ausgestaltung die genannten Geschäftsmodelle haben werden, insbesondere welche Informationen erfasst und in welcher Weise sie verarbeitet werden sollen. Eine laufende Erfassung von Gesundheitsdaten dergestalt, dass ein bestimmtes gesundheitsrelevantes Verhalten der Nutzer erfasst bzw. gefördert werden soll, wird mit Blick auf die grundsätzlich lebenslange Versicherungsdauer insbesondere vor dem Hintergrund kritisch gesehen, dass sie die Entscheidungsfreiheit bezüglich einer persönlichen Lebensgestaltung beeinträchtigen könnte. Andererseits ist es Ausfluss der Gewährleistung allgemeiner Handlungsfreiheit für die Versicherten, ihre personenbezogenen Daten frei verwenden und diese ggf. auch zur Erlangung von Vorteilen im Versicherungswesen einsetzen zu können. Lastenverschiebungen zum Nachteil von nicht teilnehmenden Versicherten sollten nach Ansicht der Staatsregierung in jedem Fall nachhaltig vermieden werden. Insoweit ist zu beachten, dass der Beitrag des einzelnen Versicherten im System der PKV grundsätzlich für die Gesamtlebensdauer kalkuliert wird und daher grundsätzlich während der gesamten Versicherungsdauer stabil bleibt. Beitragsanpassungen sind nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen – etwa einer Änderung der tariflichen Kalkulationsbasis aufgrund neu entwickelter Diagnose- und BehandlungsmeDrucksachen , Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 18.09.2015 17/7694 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7694 thoden oder steigender Lebenserwartung – möglich. Daher können im Rahmen eines an bestimmte Bedingungen anknüpfenden Rabattsystems gewährte Vergünstigungen nicht ohne Weiteres in Form von Beitragserhöhungen aufseiten anderer Versichertengruppen geltend gemacht werden. Auch darf eine stärkere Differenzierung der Tarifgestaltung nicht dazu führen, dass der Grundsatz des Versichertenkollektivs aufgegeben wird. Gleichwohl sind mittel- oder langfristige Lastenverschiebungen nicht ausgeschlossen, wenn z. B. überwiegend gesunde Versicherte aus bestimmten Tarifen abwandern und sich verstärkt in anderen Tarifen (wie etwa einem Telemonitoring-Tarif) sammeln. Indes ist fraglich, inwieweit die allgemeinen Gesundheitskosten – die wesentlich von erblich bedingten Faktoren oder typischen Alterserscheinungen abhängen – durch verhaltensbasierte Faktoren wie das Bewegungs- bzw. Ernährungsverhalten, wie sie z. B. über Smartphone-Apps in Verbindung mit sog. „wearables“, also etwa Schrittzählern, erfasst werden können , beeinflussbar bzw. auf einer solchen Grundlage zuverlässig kalkulierbar sind. Insoweit ist zu beachten, dass die Tarifkalkulation speziellen gesetzlichen Vorgaben wie der Kalkulationsverordnung (KalV) unterliegt. So müssen die Prämien beispielsweise zwingend risikoorientiert kalkuliert werden. Die statistische Wahrscheinlichkeit künftiger Krankheitskosten lässt sich versicherungsmathematisch aber nur in einem größeren Kollektiv hinreichend genau ermitteln. Ob und inwieweit darüber hinaus die nach dem hier in Rede stehenden Modell erhobenen Daten per se geeignet sind, belastbare Rückschlüsse auf den kollektiven Gesundheitszustand und die damit einhergehenden Gesundheitskosten zuzulassen, kann auf der derzeitigen Grundlage nicht beurteilt werden. 3. Wie bewertet die Staatsregierung die Freiwilligkeit der Einwilligung der Versicherten zur Datennutzung bei solchen Geschäftsmodellen, wenn durch die Rabattierungssysteme gleichzeitig ein finanzieller Druck aufgebaut wird? Voraussetzung einer freiwilligen datenschutzrechtlichen Einwilligung ist, dass diese auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Eine auf einer unfreiwilligen Einwilligung beruhende Datennutzung ist unzulässig und kann Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche des Betroffenen auslösen. Auch im Rahmen der Verwendung von Telemonitoring-Systemen ist die uneingeschränkte freie Entscheidungsmöglichkeit der Verbraucher von erheblicher Bedeutung. An der Freiwilligkeit kann es beispielsweise fehlen , wenn der Betroffene einem erheblichen wirtschaftlichen Zwang ausgesetzt ist, dem er nur durch Einwilligung in die Nutzung bestimmter Daten entgehen kann, was für den jeweiligen Einzelfall zu klären wäre. Nach Auffassung des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht führt allein die Tatsache, dass die Verweigerung der Einwilligung zu wirtschaftlichen Nachteilen wie einer Verteuerung des eigenen Krankenversicherungstarifs führen könnte, nicht zur Unwirksamkeit einer entsprechenden Einwilligung des Betroffenen. Im Zusammenhang mit den Reformüberlegungen zum Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) oder der aktuell in den Trilogberatungen befindlichen Europäischen Datenschutzgrundverordnung wird jedoch die Einführung eines generellen Kopplungsverbotes erwogen, wonach die Gewährung einer wirtschaftlichen Leistung wie beispielsweise eines Versicherungsschutzes nicht von der Einwilligung in eine Datenerhebung oder -verarbeitung abhängig gemacht werden darf. Dieser Ansatz ist nach Auffassung der Staatsregierung grundsätzlich geeignet, einen höheren Grad an Freiwilligkeit zu gewährleisten. 4. Welche rechtlichen Vorgaben haben die Versicherer bei verhaltensabhängigen Geschäftsmodellen, insbesondere unter Nutzung von Telemonitoring, zu beachten ? Maßgebliche Bedeutung kommt nach Ansicht der Staatsregierung gerade im Rahmen von Telemonitoring den geltenden Datenschutzbestimmungen zu. Das Erheben, Speichern , Verändern oder Übermitteln personenbezogener Daten ist grundsätzlich nur unter Wahrung insbesondere von Zweckerfordernissen und den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen an der Datensicherheit zulässig. Sofern besondere personenbezogene Daten, also Daten von herausragender Sensibilität betroffen sind, gelten zudem besondere Einwilligungserfordernisse. So muss sich die Einwilligung ausdrücklich auf diese Daten beziehen, § 4 a Abs. 3 BDSG. Zur Umsetzung der Vorgaben müssen alle erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen (z. B. Zugriffskontrollen) getroffen werden, § 9 BDSG. Für die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften im nicht-öffentlichen Bereich ist in Bayern das Landesamt für Datenschutzaufsicht zuständig. Dabei handelt es sich um eine unabhängige Behörde, deren datenschutzrechtlicher Bewertung nicht vorgegriffen werden darf. Für die Tarifkalkulation enthalten das Versicherungsvertragsgesetz (VVG), das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und insbesondere die Kalkulationsverordnung (KalV) einschlägige gesetzliche Vorgaben. Diese stecken insbesondere den rechtlichen Rahmen hinsichtlich der versicherungsmathematischen Berechnungsweise der Beiträge ab. Daneben ist das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot aus §§ 19 ff. des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu beachten, das unterschiedliche Versicherungsbedingungen beispielsweise wegen einer Behinderung nur auf Grundlage einer anerkannten risikoadäquaten Kalkulation zulässt. 5. Wie kann sichergestellt werden, dass sensible Gesundheitsdaten nicht in missbräuchlicher Weise erhoben und verwendet werden? 6. Welche technischen Vorgaben sind an Apps zur Übermittlung der Gesundheitsdaten an die Versicherer zu stellen, um die Datensicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten? Insbesondere bei sensiblen Daten sollte die Zahl der Personen , die hierauf Zugriff haben, effektiv begrenzt und intern überwacht werden. Wichtig ist auch eine Vermeidung der Weitergabe an Dritte. Aus Sicht der Staatsregierung bietet bei der Erhebung und Verwendung sensibler Daten ein präventiver Ansatz die größte Effektivität. Bayern hat sich aus diesem Grund unter anderem bei den Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung auf europäischer Ebene für eine vom Unternehmen vorab vorzunehmende Folgeabschätzung sowie eine behördliche Vorabkontrolle bei besonders datenintensiven Sachverhalten eingesetzt. Nach derzeit geltendem Recht steht das Instrument des § 38 Vorstellung unserer neuen Räume, a BDSG zur Verfügung, wonach Berufsverbände eigene Verhaltensregeln zur Förderung der Durchführung datenschutzrechtlicher Regelungen an die Datenschutzbehörde herantragen und mit dieser Drucksache 17/7694 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 abstimmen können. In technischer Hinsicht sollte insbesondere bei der Übermittlung mithilfe von mobilen Endgeräten Wert auf eine ausreichende Datenverschlüsselung gelegt werden. Auch ist zu überlegen, eine Datennutzung soweit möglich auf pseudonymisierte Daten zu beschränken. 7. Welche Schritte wird die Staatsregierung im Hinblick auf die geplanten individualisierten TelemonitoringTarife von Krankenversicherungen unternehmen? Die Staatsregierung wird die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen. In Bayern ansässige Anbieter sollten in Abhängigkeit vom jeweiligen Geschäftsmodell dazu angeregt werden, frühzeitig Kontakt mit den Datenschutzbehörden bzw. Verbraucherverbänden aufzunehmen. 8. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Initiativen und Bestrebungen der Bundesebene zur Regulierung entsprechender Geschäftsmodelle? Derzeit sind diesbezüglich keine Vorhaben auf Bundesebene bekannt; vor dem Hintergrund der vor dem Abschluss stehenden Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung werden diese derzeit auch nur als wenig wahrscheinlich erachtet.