Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 23.06.2015 Von der Staatsregierung angedachte Asylzentren in nordafrikanischen Staaten Die Staatsregierung befürwortet die Einrichtung sogenannter Asylzentren in den nordafrikanischen Staaten, obwohl deren konkrete Ausgestaltung mehr als unklar ist. Ich frage daher die Staatsregierung: 1.1 Sollen die von der Staatsregierung vorgeschlagenen nordafrikanischen Asylzentren unter Leitung der Europäischen Union oder der Bundesrepublik stehen? 1.2 Welche Länder kommen nach Auffassung der Staatsregierung für die Einrichtung außereuropäischer Asylzentren in Betracht? 2.1 Sollen Schutzsuchende, wie beispielsweise etwa aus Syrien, erst diese Zentren aufsuchen müssen, bevor sie Schutz in Europa beantragen können? 2.2 Wer soll nach Auffassung der Staatsregierung Zutritt zu diesen Asylzentren erhalten? 2.3 Welche Kapazität sollen diese Zentren haben? 3.1 Sollen Menschen in diesen Asylzentren Visa nach Europa erhalten, damit sie in Europa ihren Asylantrag stellen können, oder sollen Geflüchtete dort Asyl beantragen können und dort Aufenthalt erhalten, bis deren Asylantrag geprüft ist? 3.2 Wie lange sollen Asylsuchende sich dort hierzu aufhalten können? 4.1 Soll nach Auffassung der Staatsregierung europäisches Personal oder Personal der jeweiligen afrikanischen Staaten für Sicherheit, Betreuung und rechtliche Prüfung sorgen? 4.2 In welche Länder sollen nach Auffassung der Staatsregierung die in diese Asylzentren geflüchteten Asylsuchenden mit entsprechenden Visa oder Anerkennungen dann weiterverteilt werden? 5.1 Ist für diese Aufnahmezentren ein Status vorgesehen, der den EU-Delegationen, den ausländischen Botschaften und/oder ausländischen Konsulaten gemäß dem Wiener Übereinkommen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen zuerkannt ist? 5.2 Wird das Personal sowie die Räumlichkeiten jeweiliger Aufnahmezentren die Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten als Auslandsvertretungen gemäß den Wiener Übereinkommen genießen? 6.1 Werden die Räumlichkeiten jeweiliger Aufnahmezentren als völkerrechtliches Gebiet der Europäischen Union bzw. der einzelnen Mitgliedstaaten angesehen werden? 6.2 Könnte das Betreten von Räumlichkeiten jeweiliger Aufnahmezentren durch einen Asylsuchenden automatisch zum Schutz und zur Immunität vor Verfolgungen jenseits der Räumlichkeiten der Aufnahmezentren führen? 6.3 Sollen und können die jeweiligen nordafrikanischen Staaten für ausreichenden Schutz für diese Einrichtungen sorgen? 7.1 Gab es bereits Verständigungen über die Einrichtung von Aufnahmezentren in Nicht-EU-Ländern mit der Bundesregierung, wenn ja, mit welchem Inhalt? 7.2 Gab es Verständigungen über die Einrichtung von Aufnahmezentren in Nicht-EU-Ländern auf europäischer Ebene, wenn ja, mit wem und mit welchem Inhalt? 8. Ist angedacht, dass Geflüchtete keinen Asylantrag mehr in Deutschland stellen können, wenn sie nicht vorher eines dieser Zentren aufgesucht haben oder dieses sich auf ihre Aufenthaltsbedingungen wie Unterbringung , Recht auf Arbeit o. a. in Europa auswirkt? Antwort der Staatsministerin für Europaangelegenheiten und regionale Beziehungen in der Bayerischen Staatskanzlei vom 30.07.2015 1.1 Sollen die von der Staatsregierung vorgeschlagenen nordafrikanischen Asylzentren unter Leitung der Europäischen Union oder der Bundesrepublik stehen? Die Dimension der Flüchtlingsproblematik stellt die Weltgemeinschaft nach wie vor vor große Herausforderungen. Derzeit sind über 50 Mio. Menschen weltweit auf der Flucht vor Verfolgung, Gewalt und Krieg. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 10.09.2015 17/7809 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7809 Auch die Europäische Union (EU) ist hiervon stark betroffen. Die EU muss daher auch weiterhin daran arbeiten, mögliche Antworten auf die drängendsten Fragen der Flüchtlings- und Asylproblematik geben zu können. Hierzu könnten nach Ansicht der Staatsregierung auch europäische oder internationale Asylzentren in Nordafrika gehören. 1.2 Welche Länder kommen nach Auffassung der Staatsregierung für die Einrichtung außereuropäischer Asylzentren in Betracht? Der Staatsregierung ist bewusst, dass derzeit nicht alle Staaten in Nordafrika verlässlich stabile Staats- und Verwaltungsstrukturen aufweisen, welche zwingende Voraussetzung für die Errichtung und den Betrieb von Asylzentren außerhalb der EU sind. Es gilt daher für die EU und die Weltgemeinschaft intensiv daran zu arbeiten, dass sich dies ändert. Bereits Ende des Jahres soll nach Auskunft der Europäischen Kommission ein Asylzentrum in der Republik Niger eingerichtet werden. Aus den dort gewonnenen Erkenntnissen sollte die EU die notwendigen Schlüsse für die Errichtung von Asylzentren in weiteren Staaten ziehen. 2.1 Sollen Schutzsuchende, wie beispielsweise etwa aus Syrien, erst diese Zentren aufsuchen müssen, bevor sie Schutz in Europa beantragen können? Nach derzeit geltendem Recht ist das Aufsuchen von Asylzentren außerhalb der EU nicht Voraussetzung für die Beantragung von Asyl in einem Mitgliedstaat der EU. Der Staatsregierung sind derzeit keine Bestrebungen der EU oder des Bundes bekannt, dies zu ändern. 2.2 Wer soll nach Auffassung der Staatsregierung Zutritt zu diesen Asylzentren erhalten? 2.3 Welche Kapazität sollen diese Zentren haben? Zutrittsberechtigungen sowie Umfang, Größe und finanzielle / personelle Ausstattung von Asylzentren außerhalb der EU bedürfen einer umfassenden Verständigung innerhalb der EU sowie mit möglichen Partnerstaaten. Die Diskussion hierzu steht noch am Anfang. 3.1 Sollen Menschen in diesen Asylzentren Visa nach Europa erhalten, damit sie in Europa ihren Asylantrag stellen können oder sollen Geflüchtete dort Asyl beantragen können, und dort Aufenthalt erhalten , bis deren Asylantrag geprüft ist? Das Ziel der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik muss sein, dass in erster Linie diejenigen Flüchtlinge nach Europa kommen, die Fluchtgründe geltend machen und nachweisen können, die durch unsere Gesetze anerkannt sind. Asylzentren in Nordafrika können hierfür je nach Ausgestaltung einen sinnvollen Beitrag leisten. Angesichts der weiter stark steigenden Flüchtlingszahlen müssen die EU-Mitgliedstaaten die Unterstützung auf diejenigen Flüchtlinge konzentrieren , die unsere Hilfe wirklich benötigen. 3.2 Wie lange sollen Asylsuchende sich dort hierzu aufhalten können? Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Antworten zu den Fragen 2.1, 2.2, 2.3 und 3.1 verwiesen. 4.1 Soll nach Auffassung der Staatsregierung europäisches Personal oder Personal der jeweiligen afrikanischen Staaten für Sicherheit, Betreuung und rechtliche Prüfung sorgen? Für die Staatsregierung ist es unabdingbare Voraussetzung, dass in europäischen und/oder internationalen Asylzentren sämtliche einschlägigen rechtlichen Standards der Europäischen Union sowie die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eingehalten werden. Diese Grundüberlegung ist auch bei der Personalauswahl zu berücksichtigen . 4.2 In welche Länder sollen nach Auffassung der Staatsregierung die in diese Asylzentren geflüchteten Asylsuchenden mit entsprechenden Visa oder Anerkennungen dann weiterverteilt werden? Außereuropäische Asylzentren sind auch im Kontext einer zukünftig gerechteren Verantwortungsteilung in Europa zu sehen. Leider konnten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zuletzt nicht auf ein objektiven Kriterien folgendes verbindliches Quotensystem einigen, wie dies die Bundesregierung und Bayern anstreben. Der Widerstand vieler EU-Staaten zu dieser Frage ist für die Staatsregierung schwer nachvollziehbar. Für Bayern geht es hier um Grundsätzliches: Es geht um Fairness und um Solidarität unter europäischen Partnern und Freunden, aber auch um Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Denn schon angesichts der Dimension der Aufgabe kann und darf deren Bewältigung nicht Sache nur einiger weniger Mitgliedstaaten sein. Bayern tritt daher auch weiterhin für die Einführung eines gerechten Verteilungsmechanismus in der EU ein. 5.1 Ist für diese Aufnahmezentren ein Status vorgesehen , der den EU-Delegationen, den ausländischen Botschaften und/oder ausländischen Konsulaten gemäß dem Wiener Übereinkommen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen zuerkannt ist? 5.2 Wird das Personal sowie die Räumlichkeiten jeweiliger Aufnahmezentren die Erleichterungen, Vorrechte und Immunitäten als Auslandsvertretungen gemäß den Wiener Übereinkommen genießen? 6.1 Werden die Räumlichkeiten jeweiliger Aufnahmezentren als völkerrechtliches Gebiet der Europäischen Union bzw. der einzelnen Mitgliedstaaten angesehen werden? 6.2 Könnte das Betreten von Räumlichkeiten jeweiliger Aufnahmezentren durch einen Asylsuchenden automatisch zum Schutz und zur Immunität vor Verfolgungen jenseits der Räumlichkeiten der Aufnahmezentren führen? Die unter den Ziffern 5.1 und 5.2 sowie den Ziffern 6.1 und 6.2 aufgeworfenen Fragen unterliegen den völkerrechtlichen Grundsätzen der Reziprozität, der Freiwilligkeit und der Einvernehmlichkeit. Vor deren Beantwortung müssen daher die Ergebnisse möglicher Gespräche der EU bzw. der Weltgemeinschaft mit den als Standort infrage kommenden Staaten in Nordafrika abgewartet werden. Dieser Entwicklung durch öffentliche Äußerungen der Staatsregierung vorzugreifen , erscheint nicht angezeigt. 6.3 Sollen und können die jeweiligen nordafrikanischen Staaten für ausreichenden Schutz für diese Einrichtungen sorgen? Für die Staatsregierung ist es unverzichtbar, dass auch in außereuropäischen Asylzentren der EU und der Weltgemeinschaft sämtliche rechtlichen Standards der Europä- Drucksache 17/7809 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 ischen Union sowie die Vorgaben der EMRK eingehalten werden. Hieran hat sich die künftige Standortwahl maßgeblich zu orientieren. 7.1 Gab es bereits Verständigungen über die Einrichtung von Aufnahmezentren in Nicht-EU-Ländern mit der Bundesregierung, wenn ja, mit welchem Inhalt? Die Einrichtung von Asylzentren in Nordafrika ist nach Auffassung der Staatsregierung Aufgabe der EU sowie der Weltgemeinschaft. 7.2 Gab es Verständigungen über die Einrichtung von Aufnahmezentren in Nicht-EU-Ländern auf europäischer Ebene, wenn ja, mit wem und mit welchem Inhalt? Ausweislich der Migrationsagenda der Europäischen Kommission vom 13. Mai 2015 plant die EU ein sog. multifunktionales Zentrum als Pilotprojekt in der Republik Niger. Das dort geplante Zentrum soll in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM), dem UNHCR und den Behörden der Republik Niger betrieben werden. Das Aufgabenspektrum soll neben Schutz und Niederlassungsmöglichkeiten vor Ort vor allem die Bereitstellung von Informationen umfassen. Ob es darüber hinaus auf EU-Ebene bereits eine Verständigung über weitere Projekte gibt, ist der Staatsregierung nicht bekannt. 8. Ist angedacht, dass Geflüchtete keinen Asylantrag mehr in Deutschland stellen können, wenn sie nicht vorher eines dieser Zentren aufgesucht haben oder dieses sich auf ihre Aufenthaltsbedingungen wie Unterbringung, Recht auf Arbeit o. a. in Europa auswirkt? Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Antwort zu Frage 2.1 verwiesen.