Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Markus Ganserer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 18.06.2015 Barrierefreiheit im ÖPNV Ministerpräsident Horst Seehofer hat in seiner Regierungserklärung im November 2013 das Ziel vorgegeben, Bayern bis 2023 im gesamten öffentlichen Raum und im gesamten ÖPNV komplett barrierefrei zu machen. In jüngster Vergangenheit erzeugte ein Vorfall in der Gemeinde Salzweg im Landkreis Passau Schlagzeilen. Dort weigerte sich ein Busfahrer der RBO, mit Verweis auf die neuen Beförderungsbedingungen , mehr als einen Fahrgast mit Kinderwagen mitzunehmen, weshalb eine Mutter mit ihrem Kinderwagen zurückbleiben musste. In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. Wie beurteilt die Staatsregierung die Mitnahmemöglichkeiten von Kindern in Kinderwagen im ÖPNV, nachdem es immer wieder vorkommt, dass Fahrgäste mit Kindern in Kinderwagen nicht im Bus mitgenommen werden? 2. Wie will die Staatsregierung dem Anspruch, Bayern bis 2023 im gesamten ÖPNV komplett barrierefrei zu machen , gerecht werden, solange die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn - und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (BefBedV) keinen Beförderungsanspruch von Kinderwagen, Rollatoren oder Rollstühlen vorsieht? 3. Inwieweit sieht die Staatsregierung Änderungsbedarf bei der BefBedV? 4. Wie will die Staatsregierung dem Anspruch, Bayern bis 2023 im gesamten ÖPNV komplett barrierefrei zu machen, gerecht werden, solange die Genehmigungsbehörden in Bayern Beförderungsbedingungen von Verkehrsunternehmen genehmigen, die einen Beförderungsanspruch von Kinderwagen, Fahrrädern, Krankenfahrstühlen, Rollatoren oder Einkaufstrolleys ausdrücklich ausschließen? 5. Inwieweit sieht die Staatsregierung Änderungsbedarf bei der Genehmigungspraxis von Beförderungsbedingungen von Verkehrsunternehmen? 6. Wie bewertet die Staatsregierung den konkreten Fall in der Gemeinde Salzweg im Landkreis Passau, wo sich ein Busfahrer der RBO mit Verweis auf die neuen Beförderungsbedingungen weigerte, mehr als einen Fahrgast mit Kinderwagen mitzunehmen, und eine von zwei Müttern mit Kinderwagen zurückbleiben musste? 7. Wie wird die Staatsregierung auf diesen konkreten Fall reagieren? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 03.08.2015 1. Wie beurteilt die Staatsregierung die Mitnahmemöglichkeiten von Kindern in Kinderwagen im ÖPNV, nachdem es immer wieder vorkommt, dass Fahrgäste mit Kindern in Kinderwagen nicht im Bus mitgenommen werden? Aus Sicherheits- und Kapazitätsgründen können nicht immer alle Mütter mit Kinderwagen im ÖPNV mit Bussen mitgenommen werden. § 11 Abs. 3 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn - und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (BefBedV) besagt, dass sich die Pflicht zur Beförderung von Kleinkindern in Kinderwagen nach den Vorschriften des § 2 Satz 1 richtet. Demzufolge besteht ein Anspruch auf Beförderung, der nach den Vorschriften des PBefG und den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften aber Einschränkungen unterliegt. Nach Möglichkeit soll das Betriebspersonal dafür sorgen, dass Fahrgäste mit Kind in Kinderwagen nicht zurückgewiesen werden. Die Entscheidung über die Mitnahme liegt beim Betriebspersonal . Der Fahrgast hat grundsätzlich das aus dem Beförderungsvertrag abgeleitete Recht, dass auch sein Hand- und Reisegepäck sowie sonstige von ihm mitgeführte Gegenstände befördert werden. Unter den Voraussetzungen des § 22 PBefG besteht für den Unternehmer eine Beförderungspflicht , die sich auch auf die mitgeführten Sachen, wie z. B. auch Kinderwagen erstreckt. Die setzt aber voraus, dass der Fahrgast die Beförderungsbedingungen einhält, zu denen auch die Pflichten nach § 15 BOKraft zählen, wonach der Fahrgast Sachen (Handgepäck, Reisegepäck, Kinderwagen ) so unterzubringen und zu beaufsichtigen hat, dass die Sicherheit und Ordnung des Betriebes nicht gefährdet und andere Fahrgäste nicht belästigt werden können. Durchgänge sowie Ein- und Ausstiege sind freizuhalten. Soweit ein Fahrgast diese Verpflichtung nicht einhalten kann, ist der Unternehmer berechtigt, die Beförderung abzulehnen oder abzubrechen. Wenn das Betriebspersonal keine Möglichkeit für eine sichere Unterbringung für Kinderwagen, Gehhilfen, Rollstühle sieht und die Durchgänge oder auch Ein- bzw. Ausstiege blockiert würden, kann es die Beförderung ablehnen und z. B. auf den nächsten Bus verweisen. Praktisch ist ein Beförderungsanspruch nur so weit realisierbar , wie auch geeignete Abstellflächen verfügbar sind. Ein uneingeschränkter Mitnahmeanspruch von KinderwaDrucksachen , Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 02.10.2015 17/7861 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7861 gen in Bussen ist bei begrenzter Abstellfläche nicht gegeben . 2. Wie will die Staatsregierung dem Anspruch, Bayern bis 2023 im gesamten ÖPNV komplett barrierefrei zu machen, gerecht werden, solange die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (BefBedV) keinen Beförderungsanspruch von Kinderwagen, Rollatoren oder Rollstühlen vorsieht? Die BefBedV steht nicht in Widerspruch zum Ziel der Staatsregierung , Bayern bis 2023 barrierefrei zu machen. Selbstverständlich können Kapazitätsengpässe nicht in jedem Einzelfall ausgeschlossen werden. 3. Inwieweit sieht die Staatsregierung Änderungsbedarf bei der BefBedV? Die Staatsregierung sieht keinen Bedarf, die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (BefBedV) zu ändern. 4. Wie will die Staatsregierung dem Anspruch, Bayern bis 2023 im gesamten ÖPNV komplett barrierefrei zu machen, gerecht werden, solange die Genehmigungsbehörden in Bayern Beförderungsbedingungen von Verkehrsunternehmen genehmigen, die einen Beförderungsanspruch von Kinderwagen, Fahrrädern, Krankenfahrstühlen, Rollatoren oder Einkaufstrolleys ausdrücklich ausschließen? Der Staatsregierung sind keine genehmigten Beförderungsbedingungen bekannt, die einen Beförderungsanspruch von Kinderwagen, Fahrrädern, Krankenfahrstühlen, Rollatoren oder Einkaufstrolleys ausdrücklich ausschließen. Der Beförderungsanspruch findet jedoch dann seine Grenze, wenn eine sichere Beförderung wegen Belegung der Aufstellflächen objektiv unmöglich ist. 5. Inwieweit sieht die Staatsregierung Änderungsbedarf bei der Genehmigungspraxis von Beförderungsbedingungen von Verkehrsunternehmen? Die Staatsregierung sieht keinen Änderungsbedarf bei der Genehmigungspraxis von Beförderungsbedingungen von Verkehrsunternehmen. Ein unbegrenzter Beförderungsanspruch wird den verkehrlichen Gegebenheiten im öffentlichen Linienverkehr nicht gerecht. Für den Fall der Belegung der Aufstellflächen muss es dem Betriebspersonal im Einzelfall möglich sein, einen Ausschluss von der Beförderung durchzusetzen. 6. Wie bewertet die Staatsregierung den konkreten Fall in der Gemeinde Salzweg im Landkreis Passau, wo sich ein Busfahrer der RBO mit Verweis auf die neuen Beförderungsbedingungen weigerte, mehr als einen Fahrgast mit Kinderwagen mitzunehmen, und eine von zwei Müttern mit Kinderwagen zurückbleiben musste? Eine Rückfrage bei der RBO hat ergeben, dass die Sondernutzungsfläche („Rollstuhlplatz“) des eingesetzten Busses bei Einhaltung der Bestimmungen über die Ladungssicherheit nur für den Transport eines „klassischen“ Kinderwagens ausgelegt ist, der an einer Sicherungsstange befestigt werden kann. Abweichend hiervon könne die Fläche auch von maximal zwei Kinderwagen belegt werden, wenn die Eltern selbst dafür Sorge tragen, dass der Kinderwagen im Bus nicht ins Rollen komme. Dieses Zugeständnis könne aber nur funktionieren, wenn die Fahrgäste auch mithelfen. Die Entscheidung hierüber müsse der Busfahrer im Einzelfall vor Ort aufgrund der Umstände des Einzelfalls (z. B. Größe der Abstellfläche, Art des Kinderwagens) treffen. Er sei letztlich für die Sicherheit im Bus verantwortlich. Die Entscheidung der Busfahrerin, keinen zweiten Kinderwagen zu befördern, ist unter diesen Prämissen nicht zu beanstanden. Die Aussage, dass sich die einschlägige Beförderungsbestimmung zum 1. Januar 2015 geändert habe, trifft nicht zu. Hier liegt wohl ein Missverständnis vor, die Änderung der Beförderungsbedingungen der RBO zum 1. Januar 2015 betraf nur die Beförderungsentgelte. Der Niederlassungsleiter der RBO in Passau hat mitgeteilt, dass das Thema bei dem Fahrerdienstunterricht im Dezember 2014 behandelt worden sei, da in letzter Zeit öfter der Fall eingetreten sei, dass mehrere Mütter mit Kinderwagen an einer Haltestelle warteten. 7. Wie wird die Staatsregierung auf diesen konkreten Fall reagieren? Die Staatsregierung hat hier keine Möglichkeiten, eingreifend tätig zu werden. Niederflurbusse besitzen keinen Kofferraum, in dem ein Kinderwagen untergebracht werden könnte. Würden stattdessen im Linienverkehr Hochflurbusse (mit Kofferraum) eingesetzt, könnten dort zwar die Kinderwagen verstaut werden – die Kinder müssten dann von ihren Müttern getragen werden – auch wäre die Barrierefreiheit des Busses aufgrund der kofferraumbedingten Treppen nicht mehr gegeben . Abgesehen davon wäre eine Verladung von Kinderwagen in den Kofferraum des Busses im Linienverkehr aus betriebsbedingten Gründen nicht praktikabel, weil der Fahrplan nicht mehr eingehalten werden könnte. Im Hinblick auf den demografischen Wandel, der insgesamt wohl eine vermehrte Mitnahme von Rollatoren, Rollstühlen und Kinderwagen mit sich bringen wird, kann der ÖPNV-Aufgabenträger bedarfsbezogen eine entsprechende Umrüstung von Bussen vornehmen (größere Abstellflächen) und gegebenenfalls im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags durchsetzen. Eine Vergrößerung der Sondernutzungsplätze führt aber zu einem Verlust von Sitzplätzen , was zu Protesten der übrigen Fahrgäste führen dürfte. Der Aufgabenträger vor Ort hat gegebenenfalls durch entsprechende Vorgaben zur Innengestaltung einen sachgerechten Ausgleich der Fahrgastinteressen herbeizuführen. Handlungsempfehlungen an Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen , im Bedarfsfall mehr Rollstühle bzw. Kinderwagen mitzunehmen, als gesicherte Stellplätze vorhanden sind, scheiden aus Haftungsgründen aus.