Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Jürgen Mistol BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 15.07.2015 Ausbau der Atomkraftanlage in Tschechien und grenzübergreifender atomarer Katastrophenschutz Die tschechische Regierung hat einen neuen nationalen Aktionsplan für die Kernenergie verabschiedet, der den Ausbau der Atomenergieanlagen und den Bau von bis zu vier neuen Reaktorblöcken vorsieht. Nicht nur Umweltschützer und Atomkraftgegner halten die schon bestehenden Blöcke des grenznah gelegenen AKW Temelin für pannenanfällig und gefährlich. So kam es erst Ende Juni 2015 im Block der Reaktoranlage in Temelin zu einem Störfall, der zu umfangreichen Dekontaminationsmaßnahmen führte. Da das südböhmische Temelin nur 60 Kilometer von Deutschland entfernt liegt, können größere Unfälle auch Auswirkungen auf die bayerische Bevölkerung haben. Ich frage die Staatsregierung: 1. Wird sich die Staatsregierung beim geplanten Ausbau des AKW Temelin dafür einsetzen, dass keine Subventionen für den Ausbau zur Verfügung gestellt werden? 2. Wurden Quellterm-Karten bei verschiedenen realistischen Wetterlagen und bei der Annahme des Austritts des gesamten radioaktiven Inventars eines Reaktors des AKW Temelin erstellt (siehe Projekt flexRISK der Universität für Bodenkultur Wien http://flexrisk.boku. ac.at/de/wp2.html)? a) Wenn nein, wann werden Quellterm-Karten erstellt? b) Wie wird die Öffentlichkeit darüber informiert? 3. In welchen Regionen Bayerns sind Kontaminationen im Katastrophenfall des AKW Temelin über den Katastrophenschutzgrenzwerten nicht auszuschließen? a) In welchen Regionen Bayerns sind Kontaminationen im Katastrophenfall des AKW Temelin über dem Evakuierungsgrenzwert nicht auszuschließen? 4. Wie ist generell die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Katastrophenfall des AKW Temelin geregelt? a) Erfolgt eine direkte Zusammenarbeit mit der tschechischen Atomaufsichtsbehörde? b) Wenn ja, welche bayerischen und tschechischen Stellen arbeiten konkret in welchen Fragen zusammen? 5. Welche Aufgaben werden im Katastrophenfall des AKW Temelin von den jeweilig zuständigen bayerischen Behörden übernommen? a) Wie erfolgt im Katastrophenfall des AKW Temelin die Alarmierung und Information der bayerischen Bevölkerung ? b) Welche regelmäßigen atomaren Katastrophenschutzübungen führten bayerische Feuerwehren und andere Behörden in den vergangenen Jahren grenzübergreifend durch? 6. Wie hoch sind die jährlichen Kosten, um eine Einsatzbereitschaft für den Katastrophenfall des AKW Temelin aufrechtzuerhalten und neuen Erkenntnissen anzupassen ? Antwort des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz vom 13.08.2015 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1. Wird sich die Staatsregierung beim geplanten Ausbau des AKW Temelin dafür einsetzen, dass keine Subventionen für den Ausbau zur Verfügung gestellt werden? Für die Staatsregierung steht der Schutz der bayerischen Bevölkerung im Mittelpunkt. Sie hat den zügigen Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie maßgeblich mitgestaltet und lehnt den geplanten Neubau am Standort Temelin ab. Ziel der Staatsregierung ist es, die Tschechische Regierung von der Energiewende und dem bayerischen Weg hin zu erneuerbaren Energien zu überzeugen. Die Entscheidungen zur Nutzung der Kernenergie liegen jedoch in der Verantwortung jedes einzelnen souveränen EU-Mitgliedsstaates . 2. Wurden Quellterm-Karten bei verschiedenen realistischen Wetterlagen und bei der Annahme des Austritts des gesamten radioaktiven Inventars eines Reaktors des AKW Temelin erstellt (siehe Projekt flexRISK der Universität für Bodenkultur Wien http://flexrisk.boku.ac.at/de/wp2.html)? a) Wenn nein, wann werden Quellterm-Karten erstellt ? b) Wie wird die Öffentlichkeit darüber informiert? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 02.10.2015 17/7924 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/7924 Ausbreitungsrechnungen mit generischen Quelltermen („Quellterm-Karten“) wurden nicht im Vorgriff erstellt. Sie werden erst erstellt, wenn bei einem Störfall mit zu erwartender oder tatsächlicher Freisetzung der Quellterm bekannt ist. Im Ereignisfall wird die Öffentlichkeit, wie im Katastrophenschutz üblich, über die entsprechenden zu ergreifenden Maßnahmen informiert. 3. In welchen Regionen Bayerns sind Kontaminationen im Katastrophenfall des AKW Temelin über den Katastrophenschutzgrenzwerten nicht auszuschließen ? a) In welchen Regionen Bayerns sind Kontaminationen im Katastrophenfall des AKW Temelin über dem Evakuierungsgrenzwert nicht auszuschließen ? Die Außenzone um das Kernkraftwerk Temelin (Radius 100 km) streift ein kleines Gebiet im Südosten Bayerns (nordöstlich Passau, Regen, Lam). Bei einem Ereignisfall sind bei Überschreitung der jeweiligen Eingreifrichtwerte als Maßnahmen Jodblockade der Schilddrüse, Aufenthalt im Haus und eine Einschränkung des Verzehrs frisch geernteter Lebensmittel vorgesehen. Der Abstand zum Kernkraftwerk Temelin ist so groß, dass eine Evakuierung nicht in Betracht zu ziehen ist. Grundsätzlich müssen alle Maßnahmen im Ereignisfall an die tatsächliche Lage angepasst werden. 4. Wie ist generell die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Katastrophenfall des AKW Temelin geregelt? Zur Regelung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Katastrophenfällen und schweren Unglücksfällen hat das Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr mit dem Ministerium des Innern der Tschechischen Republik am 27.08.2013 eine Vereinbarung zur Durchführung des Vertrags vom 19.09.2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen abgeschlossen. Diese Vereinbarung regelt sowohl den Austausch von Informationen über schwere Unglücksfälle und Katastrophen, die grenzüberschreitende Auswirkungen haben können, als auch die Anforderung von Kräften und Mitteln im Wege der grenzüberschreitenden Katastrophenhilfe . a) Erfolgt eine direkte Zusammenarbeit mit der tschechischen Atomaufsichtsbehörde? Verantwortlich für die atomrechtliche Aufsicht und die Bewertung der Sicherheit der tschechischen Kernkraftwerke ist in der Tschechischen Republik das Tschechische Staatliche Amt für Reaktorsicherheit. In Deutschland ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) für die internationalen Angelegenheiten der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes zuständig. Im Falle eines radiologisch relevanten Ereignisses oder bei einem Störfallverlauf in einem tschechischen Kernkraftwerk, bei dem ein solches zu erwarten ist, ist es damit grundsätzlich Aufgabe des BMUB, die für eine Ermittlung und Bewertung möglicher radiologischer Auswirkungen auf Bayern erforderlichen Informationen bei der tschechischen Aufsichtsbehörde zu beschaffen und an das StMUV weiterzuleiten. b) Wenn ja, welche bayerischen und tschechischen Stellen arbeiten konkret in welchen Fragen zusammen ? Im Bereich des Katastrophenschutzes arbeiten im Rahmen der o. g. Vereinbarung vom 27.08.2013 die bayerischen Katastrophenschutzbehörden mit den für Katastrophenschutz zuständigen Stellen in der Tschechischen Republik zusammen . 5. Welche Aufgaben werden im Katastrophenfall des AKW Temelin von den jeweilig zuständigen bayerischen Behörden übernommen? Die zuständigen Katastrophenschutzbehörden würden ggf. nach dem Eingang von gesicherten Informationen über einen Unfall im Kernkraftwerk Temelin auf der Grundlage einer Freisetzungsprognose des Landesamts für Umwelt bzw. des Bundesamts für Strahlenschutz in Abstimmung mit dem StMUV geeignete Schutzmaßnahmen für die betroffene Bevölkerung ergreifen. Als Katastrophenschutzmaßnahmen kommen z. B. in Betracht : • Empfehlung des Aufenthalts im Gebäude • Ausgabe von Kaliumjodidtabletten Zusätzlich können Verbote, Beschränkungen und Empfehlungen im Rahmen des Strahlenschutzvorsorgegesetzes vom Bund im Benehmen mit den obersten Landesbehörden erfolgen, z. B.: • Warnung vor dem Verzehr frisch geernteter möglicherweise kontaminierter Lebensmittel • Sperrung von kontaminierten oberflächennahen Wassergewinnungsstellen • Maßnahmen bei der Futtermittelgewinnung Darüber hinaus käme, falls freie Kapazitäten zur Verfügung stehen, im Wege der grenzüberschreitenden Katastrophenhilfe auf Anforderung aus der Tschechischen Republik die Entsendung von Einsatzmitteln, Einsatzkräften oder Sachverständigen in Betracht. a) Wie erfolgt im Katastrophenfall des AKW Temelin die Alarmierung und Information der bayerischen Bevölkerung? Die bayerische Bevölkerung wird in einem solchen Fall über Rundfunkdurchsagen, Fernsehen, Videotext und Internet gewarnt und über das Ereignis informiert. b) Welche regelmäßigen atomaren Katastrophenschutzübungen führten bayerische Feuerwehren und andere Behörden in den vergangenen Jahren grenzübergreifend durch? In Bayern finden regelmäßig Katastrophenschutzübungen statt, in deren Rahmen das Vorgehen bzw. einzelne Maßnahmen unter der Annahme eines kerntechnischen Unfalls in einem bayerischen Kernkraftwerk geübt werden. Hierzu werden oftmals auch Vertreter des Bundes, benachbarter Bundesländer, aus der Tschechischen Republik bzw. aus Österreich eingeladen. Im Gegenzug nahmen auch bayerische Vertreter an entsprechenden Übungen in der Tschechischen Republik teil. Grenzübergreifende Katastrophenschutzübungen im Bereich des Katastrophenschutzes in der Umgebung kerntechnischer Anlagen wurden bisher nicht durchgeführt. Der Katastrophenschutz sieht hierfür aber auch keinen Bedarf, da Drucksache 17/7924 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 die unter der Annahme eines Unfalls in einem bayerischen Kernkraftwerk vorgeplanten und geübten Maßnahmen genauso bei einem Unfall im Kernkraftwerk Temelin angewandt werden können. 6. Wie hoch sind die jährlichen Kosten, um eine Einsatzbereitschaft für den Katastrophenfall des AKW Temelin aufrechtzuerhalten und neuen Erkenntnissen anzupassen? Solange Vorhaltungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen in Bayern erforderlich sind, fallen im Bereich des Katastrophenschutzes keine speziellen Kosten an, um die Einsatzbereitschaft für den Fall eines Katastrophenfalls beim Kernkraftwerk Temelin aufrechtzuerhalten . Die für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen in Bayern ausgebildeten Einsatzkräfte und vorhandenen Vorhaltungen können auch im Fall eines Unfalls beim Kernkraftwerk Temelin eingesetzt werden.