Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Christian Magerl BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 29.07.2015 Hitzebedingte Mortalität und Morbidität in Bayern Im Auftrag des Umweltbundesamts hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) jüngst eine Studie zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Bevölkerung vorgelegt , in der anhand der Analyse zahlreicher Daten dramatische Entwicklungen prognostiziert werden. Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche Erkenntnisse besitzt die Staatsregierung über den Anstieg der durch Hitze bedingten Mortalität und Morbidität in Bayern? 2. Wie viele Tote waren hitzebedingt während des Sommers 2003 in Bayern zusätzlich zu beklagen (Angaben nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt)? 3. Wie hat sich die Zahl der Hitzewellen (definiert als „Phasen mit mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen mit einer Tagesmitteltemperatur größer dem 95 %-Perzentil“ (o. g. DWD-Studie)) seit 2003 in Bayern verändert (Angaben pro Jahr)? 4. Wie viele Tote waren seit 2003 pro Jahr in Bayern aufgrund solcher Hitzewellen zu beklagen? 5. Wie viele zusätzliche hitzebedingte Krankheitstage wurden seit 2003 in Bayern verzeichnet (Angaben pro Jahr und nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt)? 6. Wie wird sich der Klimawandel entsprechend der Ergebnisse der DWD-Studie auf die Zahl der zusätzlichen Toten und Krankheitstage in Bayern in Zukunft auswirken? 7. Welche Lehren zieht die Staatsregierung aus der DWDStudie für Bayern? 8. Welche konkreten Schritte sind für wann vorgesehen, um die zu erwartenden Folgen des Klimawandels auf Leben und Gesundheit der Menschen in Bayern zumindest zu mildern? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 02.09.2015 Die Schriftliche Anfrage wird in Abstimmung mit dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz wie folgt beantwortet : 1. Welche Erkenntnisse besitzt die Staatsregierung über den Anstieg der durch Hitze bedingten Mortalität und Morbidität in Bayern? In Bayern wurde untersucht, inwieweit sich Änderungen der Lufttemperatur auf die Zahl der Todesfälle durch HerzKreislauf -Erkrankungen auswirken. Dazu wurde untersucht, ob es in den Städten München, Nürnberg und Augsburg im Zeitraum von 1990 bis 2006 einen Zusammenhang zwischen den rund 188.000 Todesfällen durch Herz-Kreislauf -Erkrankungen und Lufttemperaturänderungen gab. In diesem Zeitraum ist die Zahl der Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowohl bei einem Temperaturanstieg als auch bei einem Temperaturabfall signifikant gestiegen (Zunahme um 9,5 % bei einem Temperaturanstieg von 20°C auf 25°C und Zunahme um 7,9 % bei einem Temperaturabfall von -1°C auf -8°C). Herz-Kreislaufbedingte Todesfälle konnten auch noch bis zu zwei Tage nach Temperaturanstiegen bzw. bis zu zwei Wochen nach Kälteperioden beobachtet werden. Betroffen waren in dieser Studie vor allem ältere Personen, die häufiger auch an anderen Krankheiten, die ihre Sensitivität auf thermische Belastungen erhöhen, leiden. Problematisch ist in diesem Zusammenhang ferner, dass sich Menschen über 75 Jahren überwiegend in innerstädtischen Gebieten mit erhöhter Lufttemperatur (städtische Wärmeinsel) aufhalten. Modellsimulationen deuten darauf hin, dass bis zum Ende des 21. Jahrhunderts die Zahl der Todesfälle durch ischämische bzw. koronare Herzerkrankungen, die auf Hitzewellen in Deutschland zurückzuführen sind, um den Faktor 2,4 (bei akklimatisierten Personen) bzw. 5,1 (bei nicht akklimatisierten Personen) zunehmen werden. 2. Wie viele Tote waren hitzebedingt während des Sommers 2003 in Bayern zusätzlich zu beklagen (Angaben nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt)? Am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wurden für Bayern für die Jahre von 2000 bis 2003 die nach ICD-10 kodierten alters- und geschlechtsstratifizierten Todesfälle pro 100.000 Einwohner durch u. a. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems pro Tag aufgearbeitet und unter Hinzunahme der Klimadaten modelliert. Bei der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit zeigte sich ein deutlicher Gradient von kalten Temperaturen mit hoher Sterblichkeit zu warmen/heißen Temperaturen mit niedriger Sterblichkeit . In den kalten Monaten starben im Mittel 216 Frauen und 212 Männer pro 100.000 an Herz-Kreislauf-ErkrankunDrucksachen , Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 13.11.2015 17/8031 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/8031 gen. In warmen/heißen Monaten hingegen starben im Mittel 180 Frauen und 172 Männer pro 100.000. In der Gesamtanalyse zeigte sich, dass unabhängig von Extremereignissen die Sterblichkeit in Kälteperioden erhöht war. Für Bayern konnte außerdem eine leichte Abnahme des Mortalitätstrends von 2000 bis 2003 beobachtet werden . Unerwartet war jedoch das Ausmaß der niedrigeren Sterberaten in warmen/heißen Monaten. Allerdings waren die Temperaturen in Bayern und München nicht so extrem hoch wie in Frankreich oder BadenWürttemberg . Zusammen mit der temperaturbedingten Übersterblichkeit wird ein „harvesting“-Effekt (harvest: engl. Ernte) diskutiert, speziell für die Risikogruppe der alten und pflegebedürftigen Menschen. Demnach sterben durch Kälte- und Hitzewellen zwar akut mehr Menschen, ihr Tod wird aber durch das auslösende Ereignis (Hitze, Kälte) lediglich um eine gewisse Zeit vorgezogen und die Sterblichkeit der Folgemonate liegt dann wieder unter dem Durchschnitt. Dieser Effekt ist auch an den bayerischen Daten zu beobachten. Eine Aufschlüsselung nach Regierungsbezirken liegt der Staatsregierung nicht vor. 3. Wie hat sich die Zahl der Hitzewellen (definiert als „Phasen mit mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen mit einer Tagesmitteltemperatur größer dem 95 %-Perzentil“ (o. g. DWD-Studie)) seit 2003 in Bayern verändert (Angaben pro Jahr)? Die Perzentilgrenze (95%-Perzentil) als Grundlage für die Berechnung bezieht sich auf die Tagesmittelwerte aus dem Referenzzeitraum 01.01.1971–31.12.2000 und entspricht 13,8°C für Bayern (das größte Tagesmittel in diesem Zeitraum ist 18,4°C). Basierend auf der Auswertung der vorliegenden meteorologischen Stationen des DWD für Bayern ergibt sich seit 2003 bis 2014 für die oben genannte Definition die in Tabelle 1 und Abbildung 1 dargestellte Anzahl von Hitzewellen. Für das Jahr 2015 steht dem Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) noch keine Datengrundlage zur Verfügung. Ein Trend ist aus den Zahlen aufgrund des kurzen betrachteten Zeitraums nicht ableitbar. Tabelle 1: Anzahl und Andauer der Hitzewellen pro Jahr im Zeitraum 2003 bis 2014 Abbildung 1: Anzahl der Hitzewellen pro Jahr im Zeitraum 2003 bis 2014 Zusätzlich wurde die mittlere Andauer der Hitzewellen pro Jahr berechnet. Im Gegensatz zur Anzahl wird hier die Dauer einer Hitzewelle berücksichtigt. Die mittlere Andauer pro Jahr ist jeweils in Abbildung 2 bzw. Tabelle 1 dargestellt. Abbildung 2: Andauer der Hitzewellen pro Jahr im Zeitraum 2003 bis 2014 Hinweis zur Berechnung der Hitzewellen durch das LfU: Für die Berechnung der Hitzewellen wurde die Definition gemäß der Publikation „Einfluss des Klimawandels auf die Biotropie des Wetters und die Gesundheit bzw. die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung in Deutschland“ (DWD/Umweltbundesamt ) verwendet. Im Gegensatz zu den Berechnungen in dieser Publikation musste allerdings eine andere Datengrundlage verwendet werden. In der Berechnung des LfU wurden die verfügbaren Stationsdaten des DWD genutzt , da dem LfU der in der o. g. Publikation verwendete Rasterdatensatz (ERA40) nicht vorliegt. Fazit: Trotz einer möglicherweise leicht zunehmenden Tendenz in der Anzahl der Hitzewellen pro Jahr ist für die mittlere Andauer der Hitzewellen kein Trend für den betrachteten Zeitraum erkennbar. 4. Wie viele Tote waren seit 2003 pro Jahr in Bayern aufgrund solcher Hitzewellen zu beklagen? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 5. Wie viele zusätzliche hitzebedingte Krankheitstage wurden seit 2003 in Bayern verzeichnet (Angaben Drucksache 17/8031 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 pro Jahr und nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt )? Dazu liegen der Staatsregierung keine Angaben vor. 6. Wie wird sich der Klimawandel entsprechend der Ergebnisse der DWD-Studie auf die Zahl der zusätzlichen Toten und Krankheitstage in Bayern in Zukunft auswirken? Es wird auf die Antwort zu den Fragen 1 und 5 verwiesen. Eine Abschätzung speziell für Bayern liegt der Staatsregierung nicht vor. 7. Welche Lehren zieht die Staatsregierung aus der DWD-Studie für Bayern? 8. Welche konkreten Schritte sind für wann vorgesehen, um die zu erwartenden Folgen des Klimawandels auf die Leben und Gesundheit der Menschen in Bayern zumindest zu mildern? Die Staatsregierung hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, klimaempfindliche Bereiche möglichst gut an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels anzupassen. In der Bayerischen Klimaanpassungsstrategie (BayKLAS), die derzeit überarbeitet wird, werden konkrete Maßnahmen und Handlungsmöglichkeiten vorgestellt. Einer Empfehlung der WHO folgend hat sich Bayern bereits seit 2007 an das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes (DWD) angeschlossen, das entsprechende Meldungen an Medien und sensible Einrichtungen wie Alten - und Pflegeheime weiterleitet. Auch stellen die Landesämter ausführliche Informationen im Internet zu Schutzmaßnahmen zur Verfügung (z. B.: http://www.lgl.bayern.de/gesundheit/praevention/sonne_hit ze/hitze_sonne_schu tz.htm oder http://www.lfu.bayern.de/ klima/klimaanpassung/bayern/gesundheit/index.htm). Mit Forschungsprojekten zum Aspekt „Klimawandel und Gesundheit“ fördert die Staatsregierung wissenschaftsbasierte Erkenntnisse im Bereich Klimawandel und Gesundheit zur Beurteilung, Planung und Förderung von geeigneten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Verbundprojekt „Planerische Strategien und städtebauliche Konzepte zur Reduzierung der Auswirkungen von klimatischen Extremen auf Wohlbefinden und Gesundheit von Menschen in Städten“ (KLIMES) gefördert. Darin wurden praxistaugliche Entwurfsbausteine für einen klimawandelgerechten Städtebau abgeleitet und in einem Leitfaden zusammengefasst . Ziel ist, die klimawandelbedingt erhöhten thermischen Belastungen in städtischen Frei- und Innenräumen auf ein gesundheitlich verträgliches Maß zu reduzieren.