Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Claudia Stamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 29.07.2015 Intersexualität in Bayern Ich frage die Staatsregierung: 1.1 Wie viele intersexuelle Menschen leben in Bayern, aufgeschlüsselt nach Alter und Region (bitte jährlich von 2004–2015 in absoluten Zahlen und prozentual angeben)? 1.2 Wie schätzt die Staatsregierung die Dunkelziffer intersexueller Personen ein? 2.1 Wann wird die Intersexualität eines Menschen festgestellt ? 2.2 Welche Vorschriften regeln das Vorgehen, wenn ein intersexueller Mensch geboren wird? 2.3 Ist der Umgang mit Intersexualität im Qualitätsmanagement von Kliniken festgeschrieben? 3.1 Welche Maßnahmen werden in der Regel eingeleitet, wenn bei einem Neugeborenen festgestellt wird, dass es intersexuell ist? 3.2 In welchen Fällen und zu welchem Zeitpunkt wird eine Operation durchgeführt? 3.3 Welche Personen in welcher Funktion müssen diesen Operationen zustimmen? 4. Gibt es eine Entschädigung für gesundheitliche und seelische Belastungen, die durch Operationen entstanden sind? Wenn ja, in welchen Fällen und aus welcher Art bestehen diese? 5.1 Welche fachspezifischen Fortbildungsmaßnahmen zum Thema Intersexualität gibt es für das medizinische Personal (bitte aufgeschlüsselt nach medizinischen Berufsgruppen)? 5.2 Wie gestaltet sich der Zugang zu diesen Fortbildungsangeboten sowie ihrer Nutzungshäufigkeit? 5.3 Welche Inhalte werden in Fortbildungen zum Thema Intersexualität vermittelt? 6.1 Von welcher Institution und wann werden die Eltern intersexueller Kinder beraten? 6.2 Welche Institutionen bieten ein Beratungsangebot für intersexuelle Menschen an? Inwiefern werden diese staatlich gefördert? Antwort des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 04.11.2015 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration , dem Staatsministerium für Justiz sowie dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet : 1.1 Wie viele intersexuelle Menschen leben in Bayern, aufgeschlüsselt nach Alter und Region (bitte jährlich von 2004–2015 in absoluten Zahlen und prozentual angeben)? Intersexualität ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Erscheinungsformen einer uneindeutigen Geschlechtszuordnung infolge genetischer, anatomischer oder hormoneller Faktoren und wird medizinisch unter „Störungen der Geschlechtsentwicklung “ (Disorders of Sex Development, DSD) zusammengefasst. Der Deutsche Ethikrat weist jedoch darauf hin, dass der damit hergestellte Bezug zu „Krankheit“ kritisch zu hinterfragen ist und DSD daher besser als „Unterschiede der Geschlechtsentwicklung“ (Differences of Sex Development) zu verstehen seien (Deutscher Bundestag 2012). Intersexualität wird von Transgender und Transsexualität als sozial bzw. psychologisch verorteten Aspekten des Umgangs mit der Geschlechterrolle abgegrenzt. Die Zahl der intersexuellen Menschen wird statistisch nicht erfasst. Die Bundesärztekammer schätzt, dass es in Deutschland etwa 8.000 bis 10.000 Fälle mit einer ausgeprägten Symptomatik gibt (d. h. ungefähr 1 Fall je 10.000 der Bevölkerung) und dass jährlich in Deutschland ungefähr 150 Kinder mit uneindeutigem Geschlecht zur Welt kommen. Die Bundesärztekammer verweist zudem auf ein bis zwei von 1.000 männlichen Neugeborenen mit Klinefelter-Syndrom und einem von 2.000 bis 2.700 weiblichen Neugeborenen mit Turner-Syndrom, die in einem weiteren Sinne zusammen mit noch selteneren Formen ebenfalls den DSD zuzurechnen seien (Bundesärztekammer 2015). In der Fachliteratur werden dementsprechend je nach Spektrum der berücksichtigten Syndrome große Spannbreiten der Häufigkeit berichtet, die bis zu einer Prävalenz im einstelligen Prozentbereich reichen. Überträgt man die Schätzung der Bundesärztekammer über die Fallzahlen mit ausgeprägter Symptomatik auf Bayern , so entspräche dies einer Häufigkeit von ca. 1.200 bis 1.600 Fällen in Bayern und jährlich ca. 20 Kindern, die in Bayern neu ohne eindeutiges Geschlecht zur Welt kommen. Verlaufsdaten liegen nur für Fallvarianten vor, die zu einem Krankenhausaufenthalt geführt haben. Auf die Entwicklung der Fallzahlen lässt sich daraus kein Rückschluss ziehen. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 16.12.2015 17/8926 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/8926 Ausgewählte ICD-Diagnosen zur Intersexualität, Krankenhausfälle Bayern 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Q56: Hermaphroditismus 12 8 8 9 4 6 2 1 2 E25: Adrenogenitales Syndrom 59 33 41 29 22 31 20 24 13 E29.1: 5-alpha- Reduktase- Mangel 5 3 6 5 4 1 2 1 3 E34.5: Androgeninsensitivität 3 7 3 0 2 1 0 0 3 Q96: Turner- Syndrom (meist ohne zwischengeschlechtliche Befunde) 9 17 10 9 5 5 4 4 8 Q98: Klinefelter- Syndrom (meist ohne zwischengeschlechtliche Befunde) 4 7 2 5 9 5 4 7 2 Q 99: Gonadendysgenesie (Hermaphroditismus verus) 16 19 29 7 19 15 9 9 6 Quellen: Daten: Statistisches Bundesamt; Diagnoseziffern aus: Deutscher Bundestag (2012), S. 12–13. 1.2 Wie schätzt die Staatsregierung die Dunkelziffer intersexueller Personen ein? Eine Dunkelziffer im engeren Sinne gibt es nicht, da es keine statistische Erfassung intersexueller Menschen gibt. Allerdings weisen Studien darauf hin, dass ein großer Teil der betroffenen Neugeborenen – über 50 % – auch ein halbes Jahr nach der Geburt noch keine eindeutige Diagnose hat (Thyen et al. 2006). 2.1 Wann wird die Intersexualität eines Menschen festgestellt ? In der Regel wird das Geschlecht des Neugeborenen bei der Geburt festgestellt. Intersexualität im Sinne der Fragestellung existiert in unserem Recht als Kategorie nicht. Sie wird dementsprechend auch nicht als rechtliche Geschlechtszuordnung festgestellt. Die Regelung in § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) betrifft nicht die Feststellung von Intersexualität im Rechtssinn, sondern nur den Fall, dass eine von Rechts wegen sonst zwingend vorgegebene Geschlechtszuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht (noch) nicht möglich ist. 2.2 Welche Vorschriften regeln das Vorgehen, wenn ein intersexueller Mensch geboren wird? Personenstandsrecht Im Geburtenregister wird gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG auch das Geschlecht des Kindes beurkundet. Nach den Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (PStG-VwV) ist das Geschlecht mit „weiblich “ oder „männlich“ einzutragen (Nr. 21. 4. 3 PStG-VwV). Die mit Zustimmung Bayerns zum 01.11.2013 ergangene Neuregelung des § 22 Abs. 3 PStG hat die Anregungen des deutschen Ethikrats zum Thema Intersexualität (BT-Drs. 17/9088) insoweit aufgegriffen, als die Geschlechtsangabe im Geburtseintrag nunmehr zwingend offen bleibt, wenn das Kind – den Angaben in der Geburtsanzeige zufolge – weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Das Feld „Geschlecht“ bleibt dann leer. Die dargestellten Änderungen im Personenstandsrecht ermöglichen es, eine nicht festlegbare Zuordnung zu einem Geschlecht im Geburtenregistereintrag durch Offenhalten der Eintragung angemessen zu berücksichtigen; ein „drittes Geschlecht“ wird damit aber nicht eingeführt. Wird im Falle einer zunächst erfolgten Beurkundung der Geburt des Kindes ohne Angabe des Geschlechts später durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen, dass das Kind nunmehr einem Geschlecht, d. h. dem weiblichen oder dem männlichen , zugeordnet werden kann, so ist über die nachträgliche Angabe des Geschlechts eine Folgebeurkundung ins Geburtenregister einzutragen (§ 27 Abs. 3 Nr. 4 PStG, Nr. 27. 8. 1 PStG-VwV). Im Übrigen kann eine Geburtsurkunde nach geltendem Recht bereits auf Wunsch ohne Geschlechtseintrag und dann auch ohne Leittext „Geschlecht“ ausgestellt werden (§ 59 Abs. 2 PStG). Melderecht Im Bereich des Melderechts richtet sich die Eintragung des Geschlechts nach der Bekanntmachung über Änderungen des Datensatzes für das Meldewesen – Einheitlicher Bundes -/Länderteil – (DSMeld) vom 10.06.2013, BAnz vom 20.06.2013. Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden (§ 22 Abs. 3 PStG), wird dies ohne Angabe des Geschlechts im DS- Meld mit dem Ersatzwert „1“ dargestellt. Im Bereich der Datenübermittlung wird ein „X“ übermittelt. Pass- und Ausweisrecht Nach Ziffer 111.36 der Vorläufigen Hinweise zur Durchführung des Personalausweis- und Passgesetzes des Bundesministeriums des Innern zum Stand vom 20.05.2015 ist im Reisepass im Feld „Geschlecht“ (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 PassG) in den Fällen, in denen die antragstellende Person weder dem weiblichen (F) noch dem männlichen (M) Geschlecht zugeordnet werden kann, die Eintragung „X“ vorzunehmen. In der maschinenlesbaren Zone (MRZ) ist in diesem Fall das Füllzeichen „<“ einzutragen. Im Passregister ist ein „X“ vorzusehen. Der Eintrag des unspezifizierten Geschlechtsmerkmals „X“ in Pass und Passregister darf nur vorgenommen werden, sofern die Eintragung im Melderegister den Ersatzwert „1“ enthält und im Bereich der Datenübermittlung in DSMeld ein „X“ übermittelt wird. Der Eintrag im Reisepass kann auch erfolgen, wenn sich aus dem Geburtenregister des Standesamts kein Geschlecht ergibt (Nachweis: beglaubigter Registerausdruck). Im Personalausweis ist keine Geschlechtsangabe vorgesehen (vgl. § 5 Abs. 2 Personalausweisgesetz – PAuswG). 2.3 Ist der Umgang mit Intersexualität im Qualitätsmanagement von Kliniken festgeschrieben? Für die Ermittlung des medizinischen Erkenntnisstandes und die Qualitätssicherung der Behandlung sind in der ärztlichen Praxis die Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften von Bedeutung. Der Arzt schuldet dem Patienten eine auf die individuellen Besonderheiten ausgerichtete Diagnose, Aufklärung und Therapie. Aufklärungs- und Behandlungsfehler unterliegen der zivil- und strafrechtlichen Ahndung. Krankenhäuser verfügen grundsätzlich über ein internes Qualitätsmanagementsystem und beteiligen sich an den Maßnahmen zur externen Qualitätssicherung. Nach § 135 a Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) müssen alle Leistungserbringer die Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen sichern und weiterentwickeln. Dazu sind sie verpflichtet, sich an einrichtungsübergreifenden Drucksache 17/8926 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Maßnahmen – insbesondere zur Sicherung der Ergebnisqualität – zu beteiligen (externe Qualitätssicherung) und ein Qualitätsmanagementsystem einzuführen (interne Qualitätssicherung ). Näheres dazu bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Der G-BA bestimmt auch Sanktionen wie z. B. Vergütungsabschläge für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen (§ 137 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Die externe Qualitätssicherung entwickelt und erhebt Parameter zur Ergebnisqualität ausgewählter Indikationsbereiche (derzeit 30). Bei Auffälligkeiten werden im sogenannten strukturierten Dialog mit dem Krankenhaus Schwachstellen ermittelt und beseitigt. Bisher werden in der externen Qualitätssicherung rund 20 % des stationären Leistungsgeschehens erfasst. Genitaloperationen sind in der Richtlinie des G-BA über Maßnahmen der Qualitätssicherung in Krankenhäusern nicht enthalten, unterliegen aber der internen Qualitätssicherung . 3.1 Welche Maßnahmen werden in der Regel eingeleitet , wenn bei einem Neugeborenen festgestellt wird, dass es intersexuell ist? Je nach Grunderkrankung (Androgenitales Syndrom, Androgeninsuffizienzsyndrom , Gonadendysgenesie, 5alpha Reduktase-2-Mangel usw.) müssen weitere Untersuchungen (Genetik, Molekulargenetik, Stoffwechsel usw.) veranlasst werden. In größeren Geburtskliniken wird dazu ein Expertenteam bestehend aus Geburtshelfer, Pädiater, pädiatrischem Endokrinologen , Genetiker Stellung nehmen und die notwendigen Untersuchungen veranlassen. In kleineren Geburtskliniken ohne angeschlossene Kinderklinik muss eine Verlegung des Neugeborenen in eine geeignete Klinik erfolgen, um die Diagnose zeitnah zu stellen. Nach Sicherung der Diagnose wird die Weiterbetreuung durch den Pädiater, den pädiatrischen Endokrinologen, dem Kinderchirurg bzw. bei Mädchen durch einen Kinder- und Jugendgynäkologen und einem Psychologen/Sexualmediziner sichergestellt. 3.2 In welchen Fällen und zu welchem Zeitpunkt wird eine Operation durchgeführt? Die Operationsindikation wird von mehreren Faktoren bestimmt . Primär muss die Frage geklärt werden, welchem Geschlecht das Kind zugeordnet werden soll, da dies sowohl den Phänotyp als auch die weitere Geschlechtsidentität mit Geschlechtsrollenerwartung repräsentiert. Diese Frage wurde in der Vergangenheit in der Regel ohne Information und Zustimmung des Kindes durch die Eltern und betreuende Einrichtungen festgelegt. Diese Zuweisung berücksichtigt daher nicht die individuelle Geschlechtsidentität, die u. U. nicht kongruent zur primär getroffenen Festlegung ist. Durch eine frühzeitig durchgeführte Operation wird u.U. der Phänotyp des Kindes falsch festgelegt und es werden irreversible Eingriffe durchgeführt, die von dem Jugendlichen/Adoleszenten /Erwachsenen dann abgelehnt und als traumatischer Eingriff erlebt werden. Eine Leitlinie stellt daher zu Recht dar, dass Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung aus kosmetischen Gründen primär nicht korrekturbedürftig sind. Die Frage nach dem Operationszeitpunkt ist bisher nicht eindeutig festgelegt. Auf Wunsch der Eltern wird u.U. auch heute ein frühzeitiger Eingriff vorgenommen, um einen phänotypisch eindeutiges Genitale zu erzielen und zu einer psychischen und psychosozialen Entlastung der Eltern beizutragen . Viele Experten und Organisationen von Betroffenen empfehlen mit geschlechtszuweisenden Eingriffen mindestens bis zur Pubertät abzuwarten und den Jugendlichen mit seiner eigenen Identität und Geschlechtsidentität im Sinne einer informierten Einwilligung einzubeziehen. 3.3 Welche Personen in welcher Funktion müssen diesen Operationen zustimmen? Bei Neugeborenen oder sehr kleinen Kindern entscheiden allein die Eltern in ihrer Funktion als Sorgerechtsinhaber über Operationen in Bezug auf die Intersexualität der Kinder. Es gibt keine spezielle Regelung für die Zustimmungspflicht bei Operationen intersexuell geborener Personen. Es gelten daher die allgemeinen Regeln über Einwilligung zur ärztlichen Heilbehandlung. Wer einer geschlechtsvereindeutigenden oder darüber hinausgehenden geschlechtszuordnenden Operation zustimmen muss, hängt daher maßgeblich davon ab, in welchem Alter das Kind operiert wird. Grundsätzlich gilt, dass das betroffene Kind dann selbst einwilligen kann (und muss), wenn es entscheidungsfähig ist. Dies setzt voraus, dass der oder die Minderjährige in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs oder der Unterlassung eines Eingriffs zu verstehen und die Folgen der Entscheidung zu ermessen. Zudem muss das Kind auch die Dringlichkeit des Eingriffs erfassen und beurteilen können. Es gibt keine gesetzliche Regelung, ab wann bei Minderjährigen diese Entscheidungsfähigkeit gegeben ist. In der Regel geht man von einer Altersgrenze von ca. 14 bis 16 Jahren aus. Solange die Einsichtsfähigkeit bei dem oder der Minderjährigen noch nicht gegeben ist, müssen die Eltern als Inhaber der elterlichen Sorge (oder, wenn nur ein Elternteil sorgeberechtigt ist, nur dieser Elternteil) dem Eingriff zustimmen. Allerdings wird Minderjährigen ein Vetorecht gegen schwere Eingriffe mit erheblichen Folgen für die Lebensgestaltung zugestanden, wenn sie über eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügen. 4. Gibt es eine Entschädigung für gesundheitliche und seelische Belastungen, die durch Operationen entstanden sind? Wenn ja, in welchen Fällen und aus welcher Art bestehen diese? Betroffene haben unter Umständen Anspruch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Aufklärung oder Falschbehandlung gegen den behandelnden Arzt, wenn die ärztliche Aufklärung vor dem Eingriff nicht richtig oder unvollständig war oder wenn die Behandlung fehlerhaft war. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt hierfür ist der Zeitpunkt der Aufklärung bzw. der Vornahme des Eingriffs. Es handelt sich um einen zivilrechtlichen Anspruch gem. § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die Höhe hängt vom Einzelfall ab. Andere, etwa öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche gibt es nicht. 5.1 Welche fachspezifischen Fortbildungsmaßnahmen zum Thema Intersexualität gibt es für das medizinische Personal (bitte aufgeschlüsselt nach medizinischen Berufsgruppen)? 5.2 Wie gestaltet sich der Zugang zu diesen Fortbildungsangeboten sowie ihrer Nutzungshäufigkeit? 5.3 Welche Inhalte werden in Fortbildungen zum Thema Intersexualität vermittelt? Die Bayerische Landesärztekammer hat von folgenden Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte Kenntnis: Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/8926 – Die zwischen 2012 und 2015 in Bayern neunmal angebotene Weiterbildung mit dem Titel „Sexualtherapie/ Sexualmedizin “ des Instituts für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie mit sieben Wochenendeinheiten behandelte jeweils an einem Tag das Thema „Sexuelle Entwicklungsstörungen“. – Zum Thema „Geschlechtsentwicklung und Intersexualität “ wurden im Rahmen des 2. Münchner Symposiums für Kinder- und Jugendgynäkologie vom 8. bis 10. März 2007 im Klinikum Großhadern fünf Vorträge gehalten. – Die Akademie für Ärztliche Fortbildung wird sich in ihrer Sitzung am 4. Dezember 2015 mit Fortbildungen zu der Thematik „Disorders of Sex Development (DSD)“ beschäftigen . – Im Universitätsklinikum Erlangen fand eine 45-minütige Veranstaltung mit dem Titel „Phallusplastiken – Intersexualität und Transsexualität“ für klinikinterne Chirurgen statt. Der Zugang zu den Fortbildungsangeboten der Bayerischen Landesärztekammer ist teils kostenpflichtig, teils kostenfrei. Zahlen zur Nutzungshäufigkeit liegen nicht vor. Bei der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PTK Bayern) ist in den vergangenen fünf Jahren keine spezielle Fortbildungsveranstaltung zur Thematik „Intersexualität“ von Veranstaltern zur Anerkennung eingereicht worden. Die PTK Bayern weist darauf hin, dass die Berufsgruppen der Psychologischen Psychotherapeut (inn)en und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut (inn)en mit ihrer Approbation grundsätzlich in der Lage sind, jegliche Art von psychischen Störungen zu behandeln. Besondere Fortbildungen zu speziellen Themen sind zwar stets vorteilhaft, aber nicht Bedingung für die Möglichkeit, fach- und sachgerechte Behandlungen von betroffenen Personenkreisen durchzuführen. Der Deutsche Hebammen-Verband e.V. hat in seiner Verbandszeitschrift umfassend über die Diagnosen und Ausprägungen der Intersexualität informiert und empfiehlt seinen Mitgliedern die Kenntnis des vom Verein Intersexuelle Menschen herausgegebenen Ratgebers für Hebammen „Was ist es denn?“. Zu Fortbildungsveranstaltungen der Krankheits- und Gesundheitspflegerinnen und -pfleger wurden der Staatsregierung derzeit keine Informationen gemeldet. Für den bayerischen Maßregelvollzug (MRV) lassen sich die Fragen 5.1, 5.2 und 5.3 in der gewünschten Detailliertheit nicht beantworten, weil im bayerischen Maßregelvollzug Statistiken über die Häufigkeit bestimmter Themen von Fortbildungen , die durch Mitarbeiter der forensischen Kliniken, gleich welcher Berufsgruppe, wahrgenommen werden, nicht geführt werden. Allerdings sind innerhalb des Maßregelvollzugs untergebrachte Personen mit Transsexualität sehr selten, solche mit Intersexualität kaum anzutreffen. Sofern Letzteres doch der Fall ist, ist dies nach Mitteilung der bayerischen Maßregelvollzugsleiter für die Frage der forensischen Unterbringungsnotwendigkeit mangels Auswirkung auf die Gefahr von Delikten irrelevant. Hauptort der Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist deshalb nicht der Besuch von Fortbildungsveranstaltungen etwa zum Thema „Intersexualität“, sondern zunächst die im Rahmen der Facharztweiterbildung für Psychiatrie und Psychotherapie integrierten Selbsterfahrungssitzungen bzw. -gruppen. Des Weiteren sind innerhalb dieser Weiterbildung Therapiemodule über Sexualität enthalten, die auch das Thema „Intersexualität“ einschließen. Ähnliches gilt für die Psychotherapie-Weiterbildung der klinischen Psychologen und für die Fachpflegeweiterbildung für Psychiatrie. Verwiesen werden muss auch auf die Tatsache, dass der Kern der berufsbegleitenden Weiterbildung in der Medizin das Lesen der entsprechenden Fachliteratur ist. Vor allem zum Thema Transsexualität finden sich entsprechende Ausführungen in einschlägigen Lehrbüchern der Forensischen Psychiatrie. 6.1 Von welcher Institution und wann werden die Eltern intersexueller Kinder beraten? 6.2 Welche Institutionen bieten ein Beratungsangebot für intersexuelle Menschen an? Inwiefern werden diese staatlich gefördert? Medizinische, psychotherapeutische und sozialpädiatrische Beratung In den Universitätskliniken erfolgt die Betreuung der Kinder und Jugendlichen in der Regel in spezialisierten endokrinologischen Ambulanzen, z. B. in der Kinder- und Poliklinik der Technischen Universität (TU) München, der Pädiatrischen Endokrinologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München oder in Praxen von spezialisierten kinder- und jugendgynäkologischen Ärzten. Abhängig vom Alter wird die Betreuung durch Kinderchirurgen bzw. kinder- und jugendgynäkologisch spezialisierte Ärzte in Praxis und Klinik ergänzt , die auch operative Eingriffe durchführen. Begleitend ist eine Unterstützung durch Kinder- und Jugendpsychiater/ Psychologen/Psychotherapeuten/Sexualtherapeuten sinnvoll und notwendig. Gerade bei Jugendlichen vor und in der Pubertät ist der Austausch mit Betroffenen im Rahmen der „Peer-Group“ (Gruppe von Gleichaltrigen) von großer Bedeutung. Hier können Organisationen wie Netzwerk DSD/Intersexualität und der Bundesverband intersexuelle Menschen hilfreich sein. An mehreren Universitäten bestehen Einrichtungen, die sich auf die Beratung von Menschen mit DSD spezialisiert haben, wie in der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf bzw. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik der LMU München. Sozialpädiatrische Zentren können dazu ergänzend in der Beratung im Umgang mit Intersexualität und bei notwendiger psychotherapeutischer Betreuung des Kindes grundsätzlich eine Rolle spielen. Die Beratung findet auf Initiative der Eltern statt. Jugendhilfe und Erziehungsberatungsstellen Ausgehend von dem allgemeinen Grundsatz der Kinderund Jugendhilfe, wonach jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat (§ 1 Abs. 1 SGB VIII), kommen die Träger der Jugendhilfe in Bayern ohne Ansehen sexueller Wertvorstellungen oder der geschlechtlichen Erscheinungsform diesem Förderanspruch nach. Intersexuelle junge Menschen werden bei der Verwirklichung dieser Rechte aus § 1 Abs.1 SGB VIII individuell und nach Maßgabe ihrer sozialen Entwicklung gefördert. Unterstützung können die betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern zudem bei den 180 Erziehungsberatungsstellen in Bayern erhalten. Dieses Angebot unterstützt das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) mit rund 7,5 Mio. Euro pro Jahr. In den Beratungsstellen leisten multidisziplinäre Teams bei inter- Drucksache 17/8926 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 familiären Problemen, Erziehungs- und Entwicklungsfragen den jungen Menschen und ihren Eltern Unterstützung. Damit Erziehungsberatung auch im Internet zur Verfügung steht, hat sich der Freistaat zudem an der Beratungsstelle der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (http://www. bke.de) beteiligt. Im Übrigen gibt es speziell zum Thema Intersexualität auch Angebote freier Träger. Selbsthilfegruppen Selbsthilfegruppen wie die Selbsthilfegruppe Intersexualität (http://www.intersexuelle-menschen.net) bieten Beratung und Unterstützung an. Der Landesverband Bayern ist unter der Email-Adresse lv.bayern@intersexuelle-menschen.net zu erreichen. Ergänzend zu diesen Ausführungen wird auf die Antwort des StMAS vom 28.10.2014 zur Schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer vom 09.09.2014 „Rechte intersexueller Menschen“ (Drucksache 17/3884 vom 12.12.2014) hingewiesen.