Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 02.01.2014 Freizügigkeit in Europa: Problemlösung statt Stimmungsmache Nichts ist so ekelhaft, verantwortungslos und brandgefährlich , wie wenn ewig gestrige Vorurteile, die in der Vergangenheit unendlich viel Leid über bestimmte Minderheiten gebracht haben, reaktiviert und bedient werden, um damit im Wahlkampf auf Stimmenfang zu gehen. Integrationsprobleme, Ausgrenzung und Armut gilt es zu überwinden, anstelle sie zu instrumentalisieren. Ich frage die Staatsregierung: 1.1 Wie viele Fälle von Sozialleistungsbetrug ergaben sich 2013 in Bayern, aufgeschlüsselt nach den unterschiedlichen Nationalitäten der Tatverdächtigen? 1.2 Wie viele Fälle von Wiedereinreise nach Ausweisung aufgrund von Sozialleistungsbetrug gab es in Bayern 2013, aufgeschlüsselt nach betroffenen Nationalitäten ? 1.3 Trifft es zu, dass die zugewanderten Bulgaren und Rumänen im Schnitt über höhere Qualifikationen verfügen als die deutsche Gesamtbevölkerung? 2.1 Trifft es zu, dass zugewanderte Bulgaren und Rumänen mehr Zahlungen an die deutschen Renten- und Krankenversicherungskassen erwirtschaften, als sie selbst Renten und Gesundheitsleistungen beziehen? 2.2 Auf welche Mutmaßungen stützt sich der bayerische Innenminister, wenn er behauptet, da komme ein Riesenproblem auf Bayern zu, das nicht auf dem Rücken der Steuerzahler und Rentner ausgetragen werden dürfe? 2.3 Wie verhält sich die Erwerbstätigenquote unter Rumänen und Bulgaren in Deutschland und Bayern im Vergleich zur Gesamtbevölkerung? 3. Kann die Bayerische Staatsregierung nachvollziehen, dass hier arbeitende Bulgaren und Rumänen verärgert sind, wenn rumänische und bulgarische Arbeitnehmer pauschal als Sozialschmarotzer bezeichnet werden und behauptet wird, mit dem Inkrafttreten der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit mit Bulgarien und Rumänien bestünde die Gefahr eines massenhaften Ausnutzens der EU-Freizügigkeit, um in Deutschland Sozialleistungen zu erschleichen? 4.1 Wie viele Fälle von Steuerbetrug, wie viele Fälle von Betrug gab es in Bayern 2013? 4.2 Wie viele Fälle von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit gab es in Bayern 2013? 4.3 Was will die Staatsregierung unternehmen, um Arbeitnehmer/-innen und Migrant(inn)en vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen besser zu schützen? 5.1 Was unternimmt Bayern gegen die Ausgrenzung von Minderheiten in Rumänien und Bulgarien und gegen rassistische Übergriffe auf ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen in Europa? 5.2 Erkennt die Staatsregierung die Gefahr, dass mit der Kampagne „Wer betrügt, der fliegt“ Vorurteile und Ausgrenzungen aus Südosteuropa nach Deutschland importiert werden? 6.1 Teilt die Staatsregierung die Auffassung, dass die Kürzung des Rechts auf Kindergeldbezug für bestimmte Gruppen oder eine Kopplung des Kindergeldbezugs an bestimmte Bedingungen verfassungsrechtlich wie europarechtlich unzulässig ist? 6.2 Teilt die Staatsregierung die Auffassung, dass Wiedereinreise gemäß § 6 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit verweigert werden kann und Wiedereinreisesperren aus Armutsgründen nicht verhängt werden können? 6.3 Teilt die Staatsregierung die Auffassung, dass die europäischen Freizügigkeitsregelungen für alle EUBürger /-innen gelten und bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht ausgegrenzt werden können? 7.1 Ab wann wird es für EU-Bürger/-innen einen Rechtsanspruch auf Teilnahme an Integrationskursen geben? 7.2 Was ist geplant, um die Schulangebote für die mit den EU-Bürger(inne)n kommenden Kinder und Jugendlichen zu verbessern? 7.3 In welcher Höhe wurden in Deutschland und in Bayern ESF-Mittel abgerufen, die in den Kommunen für Integrationsprogramme verwendet werden könnten? 8.1 Ab wann können Kommunen Mittel aus ESF-Programmen auch außerhalb der Programmgebiete einsetzen , um die Lebenssituation von Migrant(inn)en in bestimmten Großstädten zu verbessern? 8.2 Ab wann ist mit einer gezielten Unterstützung der Kommunen mit besonderen Integrationsaufgaben durch Freistaat, Bund oder EU zu rechnen? 8.3 Ab wann ist mit einer Erhöhung des Mittelansatzes des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ der Städtebauförderung zu rechnen? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 02.04.2014 17/902 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/902 Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 24.02.2014 Die Schriftliche Anfrage wird in Abstimmung mit der Staatskanzlei , mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, dem Staatsministerium der Justiz, dem Staatsminis- terium für Gesundheit und Pflege und dem Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst wie folgt beantwortet: 1.1 Wie viele Fälle von Sozialleistungsbetrug ergaben sich 2013 in Bayern, aufgeschlüsselt nach den unterschiedlichen Nationalitäten der Tatverdächtigen ? Fallzahlen für Verurteilungen aus der Strafverfolgungsstatistik für Bayern für das Jahr 2013 liegen noch nicht vor. Es wird bei Beantwortung der Fragestellung auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2012 eingegangen. Insoweit handelt es sich nur um polizeilich bekannt gewordene Fälle. Im Jahr 2012 wurden in der PKS für Bayern insgesamt 591 Fälle des Sozialleistungsbetrugs registriert. Aufgrund Datenumfangs wurden die Fallzahlen zu den zehn am häufigsten für Sozialleistungsbetrug verantwortlichen Nationalitäten eruiert: Nationalität Fälle Tatverdächtige* Deutschland 463 516 Türkei 32 34 Rumänien 10 12 Irak 9 9 Kroatien 5 6 Griechenland 6 6 Österreich 7 6 Kosovo 3 5 Ungarn 4 5 Polen 4 4 * Die Summe der Tatverdächtigen ist höher als die Anzahl der Fälle, da an einigen Straftaten mehrere Täter beteiligt sind. 1.2 Wie viele Fälle von Wiedereinreise nach Auswei- sung aufgrund von Sozialleistungsbetrug gab es in Bayern 2013, aufgeschlüsselt nach betroffenen Nationalitäten? Statistische Daten liegen der Staatsregierung hierzu nicht vor. Im Ausländerzentralregister werden die von den Ausländerbehörden verfügten Verlustfeststellungen des Freizügigkeitsrechts gemäß § 6 FreizügG/EU (Ausweisungen nach dem Aufenthaltsgesetz betreffen nur Drittstaatsangehörige, nicht Unionsbürger) nicht nach Deliktsgruppen erfasst. Aussagen zur Zahl der Wiedereinreisen nach diesbezüglicher Verlustfeststellung sind deshalb nicht möglich. 1.3 Trifft es zu, dass die zugewanderten Bulgaren und Rumänen im Schnitt über höhere Qualifikationen verfügen als die deutsche Gesamtbevölkerung? Unter den bereits in Deutschland ansässigen Bulgaren und Rumänen waren im Jahr 2010 28 % Hochschulabsolventen, 46 % hatten eine Berufsausbildung und 26 % keinen Berufsabschluss . Von den Neuzuwanderern aus Bulgarien und Rumänien (in den letzten beiden Jahren vor Erhebung zu- gewandert) verfügten 25 % über einen Hochschulabschluss und 40 % über eine Berufsausbildung, 35 % hatten keinen Berufsabschluss. Damit waren Bulgaren und Rumänen im Vergleich zu Neuzuwanderern anderer Zuwanderungsgruppen geringer qualifiziert: Denn unter den Neuzuwanderern aller Ausländer in Deutschland waren 43 % Hochschulabsolventen , 35 % hatten eine Berufsausbildung und 22 % waren ohne Berufsabschluss. In Deutschland war bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund der Anteil der Hochschulabsolventen 28 %, 61 % hatten eine Berufsausbildung und lediglich 11 % keinen Abschluss (Quelle: IABKurzbericht 16/2013 auf Basis des EU Labour Force Survey; Berechnungen des IAB). 2.1 Trifft es zu, dass zugewanderte Bulgaren und Rumänen mehr Zahlungen an die deutschen Renten- und Krankenversicherungskassen erwirtschaften, als sie selbst Renten und Gesundheitsleistungen beziehen? Die Versichertenkonten nach Deutschland zugewanderter Bürger aus Bulgarien und Rumänien werden bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund, bei der DRV Knappschaft-Bahn-See und – im Bereich der Regionalträger – bei der DRV Nordbayern als zuständiger Verbindungsstelle für Rumänien bzw. der DRV Mitteldeutschland für Bulgarien oder – wenn keine bulgarischen oder rumänischen Versicherungszeiten geltend gemacht werden – bei den für den Wohnort des Versicherten zuständigen Regionalträgern der DRV geführt. Es ist daher für die der bayerischen Aufsicht unterstehende DRV Nordbayern nicht möglich, Angaben darüber zu machen, in welcher Größenordnung Rumänen in Deutschland Rentenbeiträge entrichten bzw. Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) beziehen. Zahlen über die Höhe der geleisteten Rentenbeiträge bzw. den Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung von Bulgaren liegen ebenfalls nicht vor. Nach Aussage der bayerischen Rentenversicherungsträger darf aus bei Zuwanderung naheliegenden, aktuell geringeren Rentenzahlungen allerdings nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, es sei von einem „Gewinn“ für die GRV auszugehen. Denn den Beitragszahlungen stehen korrespondierende Ansprüche auf Gegenleistungen gegenüber . Die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 stellen die Zusammenrechnung aller nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten zu berücksichtigenden Zeiten für die Anspruchsprüfung und die Berechnung von Leistungen sicher und gewährleisten die Zahlung der Leistungen ohne Einschränkungen in alle Mitgliedstaaten. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die zeitversetzt an die Zuwanderer zu erbringenden Rentenleistungen eine dann schwächer gewordene Beitragszahlergeneration belasten werden. Die bundeseinheitlichen Vorschriften zur Rechnungslegung in der gesetzlichen Krankenversicherung sehen keine Aufschlüsselung der Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben nach Nationalitäten der Versicherten vor. Deswegen können keine Angaben gemacht werden, in welcher Größenordnung Rumänen oder Bulgaren in Deutschland Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung entrichten. Eine Aussage zum Verhältnis von Einzahlungen zu dem Empfang von Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ist daher ebenfalls nicht möglich. Drucksache 17/902 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 2.2 Auf welche Mutmaßungen stützt sich der bayerische Innenminister, wenn er behauptet, da komme ein Riesenproblem auf Bayern zu, das nicht auf dem Rücken der Steuerzahler und Rentner ausgetragen werden dürfe? Der bayerische Innenminister stützt sich auf ein Schreiben der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München sowie der Städte Hof, Nürnberg und Regensburg an die Vorsitzenden der Koalitionsparteien der Bundesregierung vom 13. November 2013. Dort heißt es u. a.: „Zugleich (...) verzeichnen wir aus diesen Ländern einen seit mehreren Jahren anhaltenden und sich aktuell verstärkenden Zuzug von Menschen, die aus prekären Verhältnissen stammend auch hierzulande unter prekären Bedingungen leben. (…) Hieraus resultieren Probleme, die für die betroffenen Kommunen eine völlig neue Qualität haben. (…) Vielerorts ist daher eine Situation entstanden, die die Nachbarschaften völlig überfordert und die Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Kommunen übersteigt.“ In einem Schreiben vom 17.05.2013 des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude an die Münchner Bundestagsabgeordneten heißt es u. a.: „Die Armutszuwanderung aus Südosteuropa, insbesondere aus den Ländern Bulgarien und Rumänien, stellt viele deutsche Städte vor kaum lösbare Aufgaben. Mit den Folgen der starken Zuwanderung beruflich nahezu völlig unqualifizierter Menschen werden die betroffenen Gemeinden bisher weitgehend alleingelassen.“ Die Problematik greift mit entsprechendem Tenor auch der Bundeskoalitionsvertrag auf, s. dort Seite 108. 2.3 Wie verhält sich die Erwerbstätigenquote unter Rumänen und Bulgaren in Deutschland und Bayern im Vergleich zur Gesamtbevölkerung? Zur Jahresmitte 2013 waren rund 60 % der Bulgaren und Rumänen im erwerbsfähigen Alter in Deutschland erwerbstätig (Quelle: IAB „Aktuelle Berichte „Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit“). Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2012 waren bei den 15- bis 65-Jährigen in Deutschland insgesamt gut 72 % (in Bayern gut 76 %) der Gesamtbevölkerung erwerbstätig. 3. Kann die Bayerische Staatsregierung nachvollziehen , dass hier arbeitende Bulgaren und Rumänen verärgert sind, wenn rumänische und bulgarische Arbeitnehmer pauschal als Sozialschmarotzer bezeichnet werden und behauptet wird, mit dem Inkrafttreten der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit mit Bulgarien und Rumänien bestünde die Gefahr eines massenhaften Ausnutzens der EU-Freizügigkeit , um in Deutschland Sozialleistungen zu erschleichen ? Die Bayerische Staatsregierung hat sich am 13. Januar 2014 in ihrer Ministerratssitzung intensiv mit der Thematik befasst und in einem eigenen Positionspapier mit dem Titel „Ja zur Freizügigkeit – Nein zur Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme“ ihre Haltung verdeutlicht: Die Staatsregierung bekennt sich klar zur Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union, die ein Gewinn für die Menschen in Europa wie auch für unsere Wirtschaft und den Arbeitsmarkt ist. Diese Errungenschaft der europäischen Integration gilt es zu erhalten. Freizügigkeit bedeutet jedoch nicht Wahlfreiheit in Bezug auf die besten Sozialleistungssysteme . Dass hier Handlungsbedarf besteht, zeigt nicht nur die steigende Anzahl der Bezieher von Sozialleis- tungen aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten, sondern wird auch untermauert durch die Schreiben der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München sowie der Städte Hof, Nürnberg und Regensburg (auch erwähnt in Antwort zu Frage 2.2). Diese verweisen auf ihre Probleme und Belastungen durch den Zuzug von Menschen, die keiner geregelten Erwerbsarbeit nachgehen und – abgesehen vom regelmäßigen Kindergeldbezug – über kein ausreichendes Familieneinkommen sowie zumeist auch über keinen Krankenversicherungsschutz verfügen. Um die Akzeptanz der Bevölkerung für die Freizügigkeit zu erhalten, muss der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Sozialleistungen konsequent entgegengetreten werden. Im Übrigen siehe auch die Beantwortung der Frage 5.2. 4.1 Wie viele Fälle von Steuerbetrug, wie viele Fälle von Betrug gab es in Bayern 2013? Ebenso wie bei Frage 1.1. liegen derzeit noch keine Zahlen zu Verurteilungen aus der Strafverfolgungsstatistik für Bayern für das Jahr 2013 vor. Deswegen können auch zu Frage 4.1. momentan keine Angaben zu Verurteilungen von Steuerbetrug und Betrug für das Jahr 2013 gemacht werden. Aus diesem Grund wird für die Beantwortung der zweiten Fragestellung (Betrug) erneut auf die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2012 zurückgegriffen. Für das Jahr 2012 belief sich die Zahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Betrugsfälle auf insgesamt 85.059 Fälle. Steuerbetrug (erste Fragestellung) ist eine Straftat nach der Abgabenordnung und liegt insoweit in der Verantwortung der zuständigen Finanzbehörden. Sie wird daher nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Statistiken der Finanzbehörden zu registrierten Fällen von Steuerbetrug liegen für das Jahr 2013 noch nicht vor. 4.2 Wie viele Fälle von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit gab es in Bayern 2013? Hierzu darf zunächst auf den Zwölften Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung (BT-Drucksache 17/14800 vom 27.09.2013) verwiesen werden. Die Bekämpfung von Schwarzarbeit (§ 1 Abs. 2 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz ) ist Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung, welche zur Bundesverwaltung gehört. Mangels eigener Zuständigkeiten hat das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration deshalb die Bundesfinanzdirektion Südost um Stellungnahme gebeten. Die Bundesfinanzdirektion Südost hat mitgeteilt, dass derzeit (noch) keine Zahlen vorliegen. Nach Auskunft der der bayerischen Aufsicht unterstehenden Regionalträger (DRV Nordbayern, DRV Bayern Süd und DRV Schwaben) sind im Jahr 2013 in 526 Betrieben in Bayern nach Meldung durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls Prüfungen wegen des Verdachts von Schwarzarbeit bzw. illegaler Beschäftigung durchgeführt worden. Es handelt sich dabei um vorläufige Werte. Unter den Begriff Schwarzarbeit würden hierbei auch Vorgänge mit vermuteter Scheinselbstständigkeit fallen. Die Behörden der Zollverwaltung hätten in diesen Betrieben 9.335 Verdachtsfälle wegen Schwarzarbeit bzw. illegaler Beschäftigung festgestellt. Zahlen zu den von der DRV Bund im Jahr 2013 in Bayern geprüften Betrieben und Verdachtsfällen lägen nicht vor. 4.3 Was will die Staatsregierung unternehmen, um Arbeitnehmer/-innen und Migrant(inn)en vor aus- Seite 4 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/902 beuterischen Arbeitsverhältnissen besser zu schützen? Die Staatsregierung hält es für erforderlich, dass ordnungspolitische Maßnahmen geprüft und umgesetzt werden, wo Leistungsmissbrauch, kriminelle Strukturen und Ausbeutung Integration behindern und zulasten der Zuwandernden selbst gehen. 5.1 Was unternimmt Bayern gegen die Ausgrenzung von Minderheiten in Rumänien und Bulgarien und gegen rassistische Übergriffe auf ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen in Europa? Die Bayerische Staatsregierung hat nicht die Möglichkeit, durch eigenes Handeln die Ausgrenzung von Minderheiten in anderen Staaten oder rassistische Übergriffe auf ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen in diesen Staaten zu unterbinden . Die soziale Situation in Bulgarien und Rumänien und dabei insbesondere die Lage von Minderheiten wurde in Gesprächen mit Vertretern beider Staaten mehrfach erörtert . Bayern hat seine Bereitschaft bekundet, die öffentliche Verwaltung Rumäniens und Bulgariens bei der Entwicklung von Projekten zur Integration von Minderheiten zu unterstützen . 5.2 Erkennt die Staatsregierung die Gefahr, dass mit der Kampagne „Wer betrügt, der fliegt“ Vorurteile und Ausgrenzungen aus Südosteuropa nach Deutschland importiert werden? Zunächst ist festzuhalten, dass es keine Kampagne der Staatsregierung „Wer betrügt, der fliegt“ gibt. Dieser Satz ist in dem Beschlusspapier der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag zum Thema „Dort, wo die Menschen wohnen : Die Belange der Kommunen zukunftsfest gestalten“ enthalten, das im Rahmen der Klausurtagung in Wildbad Kreuth im Januar 2014 von der Landesgruppe verfasst und beschlossen wurde. Die Bayerische Staatsregierung hat sich am 13. Januar 2014 in ihrer Ministerratssitzung intensiv mit der Thematik befasst und in einem eigenen Positionspapier mit dem Titel „Ja zur Freizügigkeit – Nein zur Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme“ ihre Haltung verdeutlicht. Siehe hierzu auch die Antwort zur Arbeitnehmerfreizügigkeit bei Frage 3. Im Übrigen sieht die Staatsregierung Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen: – Zum einen stehen die Herkunftsländer in der Verantwor- tung, die Lebensbedingungen von Minderheiten zu verbessern , Diskriminierung zu bekämpfen und die Integration voranzutreiben. – Der Missbrauch des Freizügigkeitsrechts muss klare aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Fälle von ungerechtfertigter Inanspruchnahme von Sozialleistungen müssen nicht nur den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach sich ziehen, sondern auch eine Wiedereinreisesperre . Die Staatsregierung fordert eine entsprechende Änderung der Freizügigkeitsrichtlinie. – Schließlich muss auch die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen wirksam unterbunden werden . Dazu müssen zum Beispiel die im nationalen Recht enthaltenen Leistungsausschlüsse europafest gemacht werden. Denn es droht aufgrund der Rechtsprechung des EuGH und teilweise der deutschen Sozialgerichte, die das EU-Recht als unmittelbar geltendes und dem SGB II vorgehendes Recht anwenden, dass die Leistungsausschlüsse für Ausländer wegen Unvereinbarkeit mit Euro- päischem Recht nicht angewendet werden. Im Einzelnen können die Vorschläge der Bayerischen Staatsregierung dem beigefügten Positionspapier entnommen werden (vgl. Anlage). Die Staatsregierung setzt sich auf nationaler und europäischer Ebene dafür ein, dass die im Positionspapier dargelegten Lösungsansätze aufgegriffen werden. 6.1 Teilt die Staatsregierung die Auffassung, dass die Kürzung des Rechts auf Kindergeldbezug für bestimmte Gruppen oder eine Kopplung des Kindergeldbezugs an bestimmte Bedingungen verfassungsrechtlich wie europarechtlich unzulässig ist? Die Staatsregierung ist der Auffassung, dass auch bei der Gewährung von Kindergeld Handlungsbedarf besteht. Die Staatsregierung fordert deshalb die Bundesregierung auf, erneut zu prüfen, ob die Kindergeldberechtigung an strengere Voraussetzungen geknüpft werden kann, insbesondere wie ein Ausschluss für die ersten drei Monate nach Einreise vorgesehen oder eine Anpassung der Höhe des Kindergeldes an den Lebensstandard im jeweiligen Aufenthaltsort vorgenommen werden kann. Das Kindergeld erfüllt eine Doppelfunktion als steuerrechtliche und familienrechtliche Leistung. Es ist daher maßgeblich im Steuerrecht (EStG) verankert. Rechtlich bedeutsam sind im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Kindergeldrechts neben der nationalen einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Ebene Bestimmungen auf der Ebene des EU-Rechts. Die Frage der rechtlichen Möglichkeit der Koppelung des Kindergelds an bestimmte Voraussetzungen ist daher unter Berücksichtigung unterschiedlicher Rechtsmaterien und Rechtsebenen, der dort bereits bestehenden rechtlichen Vorgaben und deren Zusammenspiel sowie auch mit Blick auf gesetzgeberische Möglichkeiten auf allen Ebenen zu beantworten. 6.2 Teilt die Staatsregierung die Auffassung, dass Wiedereinreise gemäß § 6 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit verweigert werden kann und Wiedereinreisesperren aus Armutsgründen nicht verhängt werden können? Nach geltendem Recht kann die Einreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigert werden (§ 6 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU). Die Einreise darf nicht verweigert werden, weil Unionsbürger über keine ausreichenden Existenzmittel verfügen. Unberührt bleibt die Verpflichtung nicht erwerbstätiger Unionsbürger, für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten ausreichende Existenzmittel und einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz nachzuweisen. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen , die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren haben, dürfen nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen (§ 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU). Das Verbot wird auf Antrag befristet. Nach Auffassung der Staatsregierung muss auch der Missbrauch des Freizügigkeitsrechts klare aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. Fälle von ungerechtfertigter Inanspruchnahme von Sozialleistungen müssen nicht nur den Verlust des Freizügigkeitsrechts nach sich ziehen, sondern auch eine Wiedereinreisesperre. Insoweit fordert die Staatsregierung eine Änderung der Freizügigkeitsrichtlinie. Drucksache 17/902 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 5 Außerdem hält es die Staatsregierung für erforderlich, dass ordnungspolitische Maßnahmen geprüft und umgesetzt werden, wo Leistungsmissbrauch, kriminelle Strukturen und Ausbeutung Integration behindern und zulasten der Zuwandernden selbst gehen. 6.3 Teilt die Staatsregierung die Auffassung, dass die europäischen Freizügigkeitsregelungen für alle EU-Bürger/-innen gelten und bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht ausgegrenzt werden können? Die Staatsregierung bekräftigt, dass die europäischen Freizügigkeitsregelungen für alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger gelten. Bestimmte Bevölkerungsgruppen sind hiervon nicht ausgegrenzt. Freizügigkeit darf aber nicht als Wahlfreiheit in Bezug auf die besten Sozialleistungssysteme verstanden werden. Die Staatsregierung weist außerdem darauf hin, dass missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen – wie auch bei Inländern – auch bei EUZuwanderern empfindliche Konsequenzen haben muss. 7.1 Ab wann wird es für EU-Bürger/-innen einen Rechtsanspruch auf Teilnahme an Integrationskursen geben? Der Rechtsanspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs ist im Aufenthaltsgesetz geregelt. Die Zuständigkeit für die einschlägigen Regelungen liegt folglich beim Bund. Laut Auskunft des Bundesministeriums des Innern stellten EU-Bürger im 1. Halbjahr 2013 nahezu 50 % der Gesamtteilnehmer der Integrationskurse. Sie werden in der Praxis ohne Wartezeiten zu den Integrationskursen zugelassen . Ein praktischer Handlungsbedarf auf Einräumung eines Teilnahmeanspruchs für EU-Bürger ist daher aus Sicht des BMI nicht gegeben. Der Bundeskoalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sieht vor (siehe dort Seite 75), dass die Teilnahme von Unionsbürgern weiterhin sichergestellt wird. 7.2 Was ist geplant, um die Schulangebote für die mit den EU-Bürger(inne)n kommenden Kinder und Jugendlichen zu verbessern? Die an den verschiedenen Schularten eingerichteten Deutschförderangebote für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden bedarfsgerecht und im Rahmen der vorhandenen Personalmittel ausgebaut. 7.3 In welcher Höhe wurden in Deutschland und in Bayern ESF-Mittel abgerufen, die in den Kommu- nen für Integrationsprogramme verwendet werden könnten? Zahlen für den Bund liegen in Bayern nicht vor. In Bayern wurden im Förderzeitraum 2007–2013 bislang 99 Projekte der Förderaktivität C14/1 (Förderung der Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt) durchgeführt. Hierfür wurden ESF-Mittel i. H. v. rund 11,3 Mio. € bewilligt bzw. gebunden. 8.1 Ab wann können Kommunen Mittel aus ESF-Programmen auch außerhalb der Programmgebiete einsetzen, um die Lebenssituation von Migran- t(inn)en in bestimmten Großstädten zu verbessern? Programmgebiet des ESF ist der Freistaat Bayern. Innerhalb dieses Programmgebiets wird ein flächendeckender Einsatz der Mittel angestrebt. 8.2 Ab wann ist mit einer gezielten Unterstützung der Kommunen mit besonderen Integrationsaufgaben durch Freistaat, Bund oder EU zu rechnen? Der Freistaat unterstützt die Kommunen bereits aktiv bei der Wahrnehmung der Integrationsaufgaben. Integrationsprojekte der Kommunen können vom Freistaat Bayern über die Integrationsrichtlinie gefördert werden. Nach der Integrationsphilosophie der Staatsregierung erfolgt Integration niederschwellig und vor Ort. Soweit die Anfrage den Bund und die EU betrifft, können keine Angaben gemacht werden. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich im Bundeskoalitionsvertrag (siehe dort Seite 117) Aussagen zum Programm des Bundes „Soziale Stadt“ finden, das im Rahmen der Städtebauförderung als Leitprogramm der sozialen Integration weitergeführt werden soll. 8.3 Ab wann ist mit einer Erhöhung des Mittelansatzes des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ der Städtebauförderung zu rechnen? Der Entwurf des Bundeshaushalts 2014 liegt wohl nicht vor März 2014 vor. Auf dieser Grundlage werden Bund und Länder in Verhandlungen zur Verwaltungsvereinbarung „Städtebauförderung 2014“ treten, in der die einzelnen Städtebauförderungsprogramme ausgestaltet werden. Die Verwaltungsvereinbarung kann erst mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts 2014 in Kraft treten.