Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Bernhard Roos SPD vom 14.10.2015 Tarifunterwanderung in Fernbusunternehmen Durch die europaweite Liberalisierung des Fernverkehrs und das Durchbrechen des Monopols der Deutschen Bahn AG in diesem Bereich werden die Fernbusunternehmen zunehmend attraktiver und entsprechend wirtschaftlich erfolgreicher . Gleichzeitig steigt der Preisdruck auf die Unternehmen aufgrund immer neuer Marktakteure. Jüngste Tendenzen belegen, dass die Fernbusunternehmen mehr und mehr versuchen, neue Mitarbeiter zu Entgeltbedingungen einzustellen, die zum Teil deutlich unter den Vorgaben der Branchentarifverträge liegen. Damit werden die Risiken des Marktes und der ausgebrochene Preiskampf auf den Rücken der Mitarbeiter verschoben . Ich frage daher die Staatsregierung: 1. Hat die Staatsregierung bereits von den bedenklichen Entwicklungen auf dem Markt der Fernbusunternehmen Kenntnis genommen? 2. Wie beurteilt die Staatsregierung die zukünftige Entwicklung auf diesem Gebiet? 3. Mit welchen wirtschaftspolitischen Instrumentarien wird die Staatsregierung der zunehmenden Tarifunterwanderung begegnen? 4. Wie beurteilt die Staatsregierung die Auswirkungen des Fernbusbooms auf den Schienenpersonenfern- und -nahverkehr? 5. Sind die Gewerbeaufsichtsämter mit diesbezüglich geschulten Mitarbeitern besetzt und in der Lage, Tarifbedingungen zu kontrollieren? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 17.11.2015 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Durch eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zum 1. Januar 2013 wurde für die Verkehrswirtschaft die Möglichkeit eröffnet, nationale Fernbuslinien einzurichten . Das Marktsegment der Fernbusse entwickelt sich seitdem dynamisch. Bestanden vor der Liberalisierung des Fernbusmarktes bundesweit 86 nationale Fernlinien, waren es zum Stichtag 30. Juni 2015 325 Linien. Die Einrichtung dieser Linien erfolgt auf Initiative der Busunternehmen ohne staatliche Ausschreibung oder Vergabe. Sie bedarf nur einer Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz (§ 2 PBefG). Für die Erteilung der Genehmigung sind in Bayern die sieben Bezirksregierungen zuständig. Grundsätzlich gilt für alle Branchen, dass nicht staatlich überwacht wird, zu welchen Entgelt- bzw. Tarifbedingungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden. Eine staatliche Kontrolle findet nur hinsichtlich der Einhaltung des allgemeinen Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz sowie der branchenbezogenen Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) statt. Für das Omnibusgewerbe gibt es keinen branchenbezogenen Mindestlohn nach dem AEntG, jedoch ist der allgemeine Mindestlohn von 8,50 € einzuhalten. Zuständig für die Kontrolle sind die Behörden der Zollverwaltung, die als Bundesbehörden dem Bundesministerium der Finanzen unterstehen. Beschäftigte müssen vorenthaltene Arbeitnehmerrechte, also z. B. auch zu niedrige Vergütung, selbst gegenüber dem Arbeitgeber, gegebenenfalls gerichtlich, geltend machen . Dies gilt auch für die Mitarbeiter der Fernbusunternehmen . An diesen Grundlagen des Arbeitsrechts ändert sich in der Regel auch nichts dadurch, dass die Genehmigung nach § 2 PBefG unter anderem nur dann erteilt werden darf, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmer oder des Betriebsführers dartun (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG). • Der Unternehmer und der Betriebsführer gelten als zuverlässig , wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Führung des Unternehmens die für den Straßenpersonenverkehr geltenden Vorschriften missachtet oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens geschädigt oder gefährdet werden. Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit des Unternehmers oder des Betriebsführers sind insbesondere rechtskräf- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 15.01.2016 17/9187 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/9187 tige Verurteilungen wegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften, schwere Verstöße gegen Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes oder der auf diesem Gesetz beruhenden Rechtsverordnungen, gegen arbeits- oder sozialrechtliche Pflichten und insbesondere gegen die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten des Fahrpersonals (§ 1 Abs. 1 der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr). Das Merkmal der Unzuverlässigkeit bezieht sich somit zunächst auf eine Gefährdung der Schutzzwecke der für die Personenbeförderung geltenden Vorschriften. Verstöße in nicht zur Personenbeförderung gehörenden Unternehmensbereichen zwingen nicht zur Annahme von Unzuverlässigkeit mit Bezug auf die Personenbeförderung. • Eine fehlende Tarifbindung des Antragstellers kann für sich genommen keine Unzuverlässigkeit des Unternehmers oder Betriebsführers i. S. v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 PBefG begründen. Dies stünde im Widerspruch zur negativen Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes – GG), das heißt dem Recht nicht organisierter Arbeitgeber und Arbeitnehmer, einer Koalition fernbleiben zu können und dieser nicht beitreten zu müssen. Zwang und Druck zum Koalitionsbeitritt darf nicht ausgeübt werden. • Unabhängig von der Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband sind die Bestimmungen eines Tarifvertrages dann zwingend einzuhalten, wenn eine Allgemeinverbindlicherklärung vorliegt. Eine Allgemeinverbindlicherklärung führt dazu, dass der Tarifvertrag innerhalb seines räumlichen und fachlichen Geltungsbereichs auch für alle bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt. Der für die Branche des privaten Omnibusverkehrs in Bayern bestehende Tarifvertrag ist nicht für allgemein verbindlich erklärt. • Auch der Verstoß eines Arbeitgebers gegen einen anzuwendenden Tarifvertrag würde aber noch nicht automatisch zur Annahme der Unzuverlässigkeit führen. Verstöße gegen zivil- und wettbewerbsrechtliche Verpflichtungen kommen generell im Gewerberecht nicht als Kriterium der Unzuverlässigkeit in Betracht, es sei denn, sie stellen gleichzeitig eine relevante Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit dar. Sind öffentlich-rechtliche Belange nicht berührt, sind die Beteiligten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche zunächst auf den Privatrechtsweg zu verweisen. Eine öffentlich-rechtliche Unzuverlässigkeit i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 2 PBefG kann deshalb nicht pauschal dann angenommen werden, wenn ein Unternehmen trotz eines anzuwendenden Tarifvertrages unter Tarif bezahlen sollte. • Eine andere Betrachtung wäre im Ausnahmefall nur dann angebracht, wenn ein Gewerbetreibender hartnäckig und in erheblichem Umfang z. B. wettbewerbsrechtliche Vorschriften missachtet, um sich dadurch in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise wirtschaftliche Vorteile zulasten seiner Geschäftspartner zu verschaffen. Dies könnte im Einzelfall auch bei einem bekannten beharrlichen Verstoß gegen einen anzuwendenden Tarifvertrag gelten und so zur Annahme der Unzuverlässigkeit des Verkehrsunternehmers führen. 1. Hat die Staatsregierung bereits von den bedenklichen Entwicklungen auf dem Markt der Fernbusunternehmen Kenntnis genommen? Die Staatsregierung verfügt über keine eigenen Erkenntnisse hinsichtlich der in der Schriftlichen Anfrage dargestellten Entwicklung einer Entlohnung unterhalb der Vorgaben der Branchentarifverträge. Eine staatliche Kontrolle der Entgelte jenseits des gesetzlichen Mindestlohns findet nicht statt (vgl. Vorbemerkung). Nach Auskunft der Gewerkschaft ver.di habe sich der Fernbusmarkt in den letzten beiden Jahren stark verändert. Es gebe immer mehr neue Linien mit unterschiedlichen Anbietern . Vermehrt würden Busse mit Firmensitz in Tschechien oder Slowenien fahren, deren Entgelt- und Arbeitsbedingungen nicht bekannt seien. Die großen Fernbusanbieter in Bayern würden sich jedoch überwiegend an die Tarifverträge für das bayerische private Omnibusgewerbe halten und Tariflohn zahlen. Nach dem dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) vorliegenden Tarifvertrag für das private Omnibusgewerbe beträgt der Grundstundenlohn für Omnibusfahrer abhängig vom Beschäftigungsjahr derzeit zwischen 11,49 € und 12, 64 €. Hinzu kommen verschiedene Zuschläge. Auch in den unteren Lohngruppen wird je nach beruflicher Tätigkeit ein Lohn von mindestens bzw. mehr als 8,50 € je Stunde gezahlt. 2. Wie beurteilt die Staatsregierung die zukünftige Entwicklung auf diesem Gebiet? Der Staatsregierung sind keine Prognosen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung möglich. 3. Mit welchen wirtschaftspolitischen Instrumentarien wird die Staatsregierung der zunehmenden Tarifunterwanderung begegnen? Auch im Bereich der Fernbuslinien unterliegt es der freien, durch die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) bzw. die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützten Entscheidung des Arbeitgebers, einem tarifschließenden Arbeitgeberverband beizutreten oder fernzubleiben bzw. bei fehlender Tarifbindung entsprechend den tariflichen Bedingungen zu entlohnen. Ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag liegt im privaten Omnibusgewerbe nicht vor. Die Staatsregierung hat deshalb keine Einflussmöglichkeiten auf die Entgelte in Fernbusunternehmen. Möglichen Tendenzen zur Tarifunterwanderung kann – von Ausnahmefällen abgesehen – auch nicht im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nach dem Personenbeförderungsgesetz begegnet werden (vgl. Vorbemerkung). Die Staatsregierung hält jedoch eine möglichst hohe Bindung an Branchentarifverträge grundsätzlich für wünschenswert . Sie unterstützt deshalb – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Zuständig für die Allgemeinverbindlicherklärung eines bayerischen Tarifvertrages ist das StMAS. Ein Tarifvertrag kann nach § 5 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz für allgemein verbindlich erklärt werden, wenn – ein gemeinsamer Antrag der Tarifvertragsparteien vorliegt , – die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint und – der mit Vertretern der Spitzenorganisationen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden paritätisch besetzte Tarifausschuss sein Einvernehmen erteilt, das heißt mehrheitlich zustimmt. Drucksache 17/9187 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Dabei erscheint die Allgemeinverbindlicherklärung in der Regel im öffentlichen Interesse geboten, wenn – der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder – die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt. Der Landesverband Bayerischer Omnibusunternehmen e.V. hatte gemeinsam mit ver.di im Jahr 2012 und im Jahr 2013 die Allgemeinverbindlicherklärung des Lohntarifvertrages für das private Omnibusgewerbe in Bayern beantragt. Die Anträge wurden vom StMAS wohlwollend begleitet, mussten wegen des fehlenden Einvernehmens des Tarifausschusses letztlich jedoch abgelehnt werden. Das StMAS hat kein eigenes Stimmrecht im Tarifausschuss und kann einem Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung nicht stattgeben, wenn der Tarifausschuss sein Einvernehmen verweigert. Derzeit liegt ein erneuter Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung des Lohntarifvertrages für das private Omnibusgewerbe in Bayern vor. Sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, steht das StMAS einer Allgemeinverbindlicherklärung wohlwollend gegenüber. 4. Wie beurteilt die Staatsregierung die Auswirkungen des Fernbusbooms auf den Schienenpersonenfernund -nahverkehr? Im Fernbuslinienverkehr ist die Beförderung von Personen zwischen zwei Haltestellen grundsätzlich unzulässig, wenn der Abstand zwischen diesen zwei Haltestellen nicht mehr als 50 km beträgt, oder wenn zwischen diesen Haltestellen Schienenpersonennahverkehr mit einer Reisezeit von unter einer Stunde betrieben wird (§ 42 a PBefG). Diese Regelung wurde zum Schutz der von den Ländern finanzierten Schienenpersonennahverkehrsangebote in das Personenbeförderungsgesetz aufgenommen. Ein darüber hinausreichender Schutz vor Konkurrenz besteht für Schienen- bzw. Busangebote nicht. Nachfragerückgänge infolge des Fernbusverkehrs gibt es nach Mitteilung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft auf fast allen parallel zu Autobahnen verlaufenden Regional- Express-Linien in Bayern. Dort ist die Fernbuskonkurrenz zwischen den Großstädten besonders deutlich. Die Problematik der Nachfragerückgänge im Schienenpersonennahverkehr aufgrund der Konkurrenz durch den Fernbusverkehr ist dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr daher bekannt und wird derzeit näher untersucht . Die Thematik wurde Ende Oktober 2015 in den Bund-Länder-Fachausschuss Straßenpersonenverkehr eingebracht und auch im bundesweiten Arbeitskreis Öffentlicher Personenverkehr angesprochen. 5. Sind die Gewerbeaufsichtsämter mit diesbezüglich geschulten Mitarbeitern besetzt und in der Lage, Tarifbedingungen zu kontrollieren? Die Gewerbeaufsichtsämter sind zuständig für die Kontrolle der Einhaltung von Sozialvorschriften in Fernbusbetrieben, nicht für die Kontrolle der Einhaltung von Tarifbedingungen. Unter Sozialvorschriften versteht man Vorschriften, die dem Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor zu langen Arbeitszeiten und dem Schutz besonderer Personengruppen , wie z. B. Schwangeren und Jugendlichen, dienen . Auch die Einsatzzeiten von Berufskraftfahrern werden in den Sozialvorschriften geregelt. Bei Straßenverkehrskontrollen, die durch die Polizei oder das Bundesamt für Güterverkehr durchgeführt werden, geht es neben dem technischen Zustand der Busse und anderer Aspekte ebenfalls um die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeitbestimmungen , nicht um die Einhaltung von Tarifbestimmungen .