Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Ulrich Leiner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 08.09.2015 Ambulante betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz – Kostenträgerschaft bei Sozialbedarf Ich frage die Staatsregierung: 1. Wie ist die Kostenträgerschaft bei den ambulant betreuten Wohngemeinschaften geregelt? 2. Welche Kostenträger – Landkreis oder Bezirk – sind bei Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft zuständig, wenn sie Sozialhilfe benötigen? 3. Gibt es eine verbindliche Anweisung an einen Sozialhilfeträger , wie die Restfinanzierung für Menschen mit geringem Einkommen, die in einer Wohngemeinschaft leben, abzuwickeln ist? 4. Welche Möglichkeiten gibt es für die Betroffenen und den ambulanten Pflegedienst, die Kosten der Betreuung zu erhalten, bis unter den Kostenträgern entschieden ist, welche Behörde endgültig zuständig ist? 5. Gibt es Unterschiede in der Zuständigkeit bzw. Leistungspflicht bei Sozialhilfebedarf von Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft zwischen – den Regionen und Landkreisen in Bayern? – den jeweiligen Bundesländern? 6. Ist der Staatsregierung bekannt, dass Menschen mit Sozialhilfebedarf, die in einer betreuten Wohngemeinschaft leben, Probleme mit dem Sozialhilfe-Bezug haben ? – Falls ja, wie erklärt sich dies die Staatsregierung? – Welcher Träger sollte bei Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft mit Sozialhilfebedarf, für die Restfinanzierung zuständig sein? Antwort des Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration vom 24.11.2015 Die Schriftliche Anfrage des Herrn Abgeordneten Ulrich Leiner wird nach Beteiligung des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege wie folgt beantwortet: 1. Wie ist die Kostenträgerschaft bei den ambulant betreuten Wohngemeinschaften geregelt? Bewohnerinnen und Bewohner einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft gehen ein Mietverhältnis ein mit dem Eigentümer der Räumlichkeiten bzw. dem Initiator der Wohngemeinschaft . Aus diesem Mietverhältnis sind die Bewohnerinnen und Bewohner verpflichtet, die geschuldete Miete zu zahlen. Wird darüber hinaus ein Vertrag über Betreuungsleistungen abgeschlossen, sind die Bewohnerinnen und Bewohner auch insoweit zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Die betroffenen Personen erhalten bei Vorliegen von Pflegebedürftigkeit aber regelmäßig Leistungen der Pflegeversicherung , über die die entstehenden Kosten teilweise ausgeglichen werden: Pflegebedürftige Mieterinnen und Mieter, die in ambulant betreuten Wohngemeinschaften wohnen, haben Anspruch auf die Gewährung von Sachleistungen gemäß § 36 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches (SGB) – Elftes Buch (XI). Darüber hinaus können pflegebedürftige Menschen, die in ambulant betreuten Wohngemeinschaften leben, zusätzlich Leistungen nach § 38 a Abs. 1 SGB Xl beanspruchen. Demnach haben Pflegebedürftige Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 Euro monatlich, wenn – sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und – davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne des SGB Xl sind oder bei ihnen eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz nach § 45a SGB Xl festgestellt wurde, – sie Leistungen z. B. nach § 36 SGB Xl beziehen, – eine Person von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten, und – keine Versorgungsform vorliegt, in der der Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen. Die Regelungen des § 38 a SGB Xl werden sich im Rahmen des Pflege-Stärkungsgesetzes II (PSG II), das am Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 00.00.2015 17/9237 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/9237 13.11.2015 vom Bundestag in 2./3. Lesung verabschiedet wurde und voraussichtlich am 18.12.2015 im Bundesrat letztberaten wird, voraussichtlich folgendermaßen ändern: – Erhöhung der Zusatzleistungen von 205 auf 214 Euro monatlich pro Person; – Gewährung des Zuschlags auch dann, wenn die Mieterinnen und Mieter Angebote zur Unterstützung im Alltag nach § 45 a neue Fassung SGB Xl (Art. 2 Nr. 29 PSG II) wahrnehmen. Des Weiteren kann von den pflegebedürftigen Mieterinnen und Mietern unter gewissen Voraussetzungen in der Gründungsphase einer ambulant betreuten Wohngruppe eine Anschubfinanzierung gemäß § 45 e SGB Xl geltend gemacht werden. In diesem Zusammenhang wird Pflegebedürftigen , die Anspruch auf Leistungen nach § 38 a SGB Xl haben und die an der gemeinsamen Gründung einer ambulant betreuten Wohngruppe beteiligt sind, für die altersgerechte oder barrierearme Umgestaltung der gemeinsamen Wohnung zusätzlich zu dem Betrag nach § 40 Abs. 4 SGB Xl für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen jeweils einmalig ein Betrag von bis zu 2.500 Euro gewährt. Der Gesamtbetrag ist hierbei je Wohngruppe auf 10.000 Euro begrenzt und wird bei mehr als vier Anspruchsberechtigten anteilig auf die Versicherungsträger der Anspruchsberechtigten aufgeteilt . Seitens des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege kann für die Ausstattung ambulant betreuter Wohngemeinschaften auf Antrag bis zu 40.000 Euro gewährt werden . Initiatoren von ambulant betreuten Wohngruppen können unter bestimmten Voraussetzungen Leistungen gemäß § 45 f Abs. 1 SGB Xl beanspruchen. Zur wissenschaftlich gestützten Weiterentwicklung und Förderung neuer Wohnformen werden in diesem Rahmen zusätzlich 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dabei sind insbesondere solche Konzepte in die Förderung einzubeziehen, die es alternativ zu stationären Einrichtungen ermöglichen, außerhalb der vollstationären Betreuung bewohnerorientiert individuelle Versorgung anzubieten. 2. Welche Kostenträger – Landkreis oder Bezirk – sind bei Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft zuständig, wenn sie Sozialhilfe benötigen? Die sachliche Zuständigkeit für Leistungen der Sozialhilfe ist in Bayern in Art. 82 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) geregelt. Art. 82 Abs. 2 AGSG sieht eine einheitliche sachliche Zuständigkeit der überörtlichen Sozialhilfeträger (Bezirke) für alle Leistungen nach dem SGB XII vor, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe an Menschen mit (drohenden) Behinderungen „in einer Wohngemeinschaft oder in betreutem Einzelwohnen“ erbracht werden. Werden keine Leistungen der Eingliederungshilfe, sondern allein andere Leistungen nach dem SGB XII erbracht (z. B. Leistungen der Hilfe zur Pflege), verbleibt die sachliche Zuständigkeit bei den örtlichen Trägern der Sozialhilfe (Landkreise und kreisfreie Gemeinden). Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen der Sozialhilfe ist in § 98 SGB XII geregelt. Diese Vorschrift greift unabhängig davon ein, ob nach Landesrecht der örtliche oder der überörtliche Sozialhilfeträger sachlich zuständig ist. Im Regelfall ist die örtliche Zuständigkeit flexibel an den tatsächlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten geknüpft, § 98 Abs. 1 SGB XII. § 98 Abs. 5 SGB XII perpetuiert jedoch die örtliche Zuständigkeit , wenn Berechtigte Leistungen nach dem Sechsten Kapitel (Eingliederungshilfe), dem Siebten Kapitel (Hilfe zur Pflege) und/oder dem Achten Kapitel (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) „in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten“ beziehen. Dann bleibt der Sozialhilfeträger örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuständig war oder gewesen wäre. § 98 Abs. 5 SGB XII schützt dadurch die Sozialhilfeträger an den Orten, an denen ambulante Wohnformen verfügbar sind, vor finanziellen Belastungen durch „Zuzügler“. 3. Gibt es eine verbindliche Anweisung an einen Sozialhilfeträger, wie die Restfinanzierung für Menschen mit geringem Einkommen, die in einer Wohngemeinschaft leben, abzuwickeln ist? Wie und durch wen die Finanzierung von Leistungen für bedürftige Menschen in ambulant betreuten Wohnformen erfolgt, ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 82 AGSG und des § 98 SGB XII. Insoweit wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Eine über den Wortlaut dieser Vorschriften hinausgehende Anweisung der Staatsregierung an die Sozialhilfeträger existiert nicht. 4. Welche Möglichkeiten gibt es für die Betroffenen und den ambulanten Pflegedienst, die Kosten der Betreuung zu erhalten, bis unter den Kostenträgern entschieden ist, welche Behörde endgültig zuständig ist? Hat eine pflegebedürftige Mieterin bzw. ein pflegebedürftiger Mieter einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft einen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe und wird ein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, werden ihm oder ihr gegenüber diese Leistungen unabhängig von der Klärung eventueller Zuständigkeitsfragen erbracht. Dies ergibt sich aus § 43 Abs. 1 SGB I bzw. aus § 14 SGB IX. Bestehen zwischen mehreren Leistungserbringern Meinungsverschiedenheiten über die originäre Zuständigkeit für die Übernahme der Kosten der Unterbringung und Betreuung in einer ambulant betreuten Wohnform, ist nach § 43 SGB I derjenige Träger zur vorläufigen Leistung an den Betroffenen verpflichtet, der zuerst angegangen, d. h. bei dem der Antrag auf Leistungsgewährung gestellt wurde. Sofern die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die beantragten Leistungen auch Leistungen zur Teilhabe umfassen, findet hingegen § 14 SGB IX Anwendung. § 14 SGB IX sieht vor, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger, sofern er sich für unzuständig hält, einen Antrag innerhalb von zwei Wochen an den seiner Auffassung nach zuständigen Träger weiterreichen kann, der dann über die beantragte Leistung unabhängig von seiner Zuständigkeit zu entscheiden hat und die Leistung ggf. zu erbringen hat. Nach Bewilligung der Leistung kann dieser Leistungserbringer gegenüber dem rechtmäßigen Leistungserbringer einen Erstattungsanspruch geltend machen. Sollte es trotz dieser gesetzlich normierten Vorleistungspflicht der Träger gegenüber dem Antragsteller zu Leistungsverzögerungen kommen, hat der Antragsteller die Möglichkeit, beim zuständigen Sozialgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Fall des § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) zu stellen. Drucksache 17/9237 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 5. Gibt es Unterschiede in der Zuständigkeit bzw. Leistungspflicht bei Sozialhilfebedarf von Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft zwischen – den Regionen und Landkreisen in Bayern? – den jeweiligen Bundesländern? Unterschiede in der Zuständigkeit bzw. Leistungspflicht bei Sozialhilfebedarf von Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft zwischen den Regionen und Landkreisen in Bayern und den jeweiligen Bundesländern sind der Staatsregierung nicht bekannt. Die Zuständigkeit für die Kostentragung ist allgemein verbindlich durch Gesetz geregelt (vgl. Antwort auf Frage 2). 6. Ist der Staatsregierung bekannt, dass Menschen mit Sozialhilfebedarf, die in einer betreuten Wohngemeinschaft leben, Probleme mit dem Sozialhilfe- Bezug haben? – Falls ja, wie erklärt sich dies die Staatsregierung? Der Staatsregierung ist nicht bekannt, dass Menschen mit Sozialhilfebedarf, die in einer betreuten Wohngemeinschaft leben, generell Probleme mit dem Sozialhilfebezug haben. Die Staatsregierung geht davon aus, dass die bayerischen Kommunen ihre Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sehr ernst nehmen und die von den leistungsberechtigten Personen benötigten Leistungen auch in ambulant betreuten Wohnformen rechtzeitig gewähren. – Welcher Träger sollte bei Einwohnern einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft mit Sozialhilfebedarf , für die Restfinanzierung zuständig sein? Die derzeitige gesetzliche Regelung der Zuständigkeiten ist eindeutig (vgl. Antwort auf Frage 2). Wegen der oben dargestellten , nicht ganz einfachen praktischen Abgrenzung der Zuständigkeiten für ambulant betreute Wohngruppen ist die Staatsregierung dafür offen, eine Vereinfachung der aktuellen Regelungen vorzunehmen. Etwaige Zuständigkeitsänderungen müssen aber, dies ist der Staatsregierung ein großes Anliegen, im Einvernehmen mit den betroffenen Kostenträgern erfolgen. Mit dem Ziel, die Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften zu erleichtern, hat das Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration bereits Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der Sozialhilfeträger zu gemeinsamen Gesprächen eingeladen. Bisher konnten und können sich die bayerischen Kommunen und ihre Spitzenverbände jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie zur Zuordnung der Zuständigkeiten für ambulant betreute Wohnformen einigen.