Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katharina Schulze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 26.10.2015 Aufklärung Terrorverdacht unter Flüchtlingen Ich frage die Staatsregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über konkrete Gefahren durch als Flüchtlinge einreisende gewaltbereite Islamisten in Bayern? 2. Hat die Staatsregierung in den vergangenen zwei Jahren unter den in Bayern lebenden Flüchtlingen Personen identifiziert, die als Mitglieder oder Sympathisanten einer terroristischen Organisation einzustufen sind? 2.1 Wenn ja, welche Fälle waren dies (bitte kurze Darstellung des Sachverhalts, Herkunftsland und weiteres Verfahren)? 3. Werden Flüchtlinge standardmäßig auf mögliche Verbindungen zu terroristischen Organisation überprüft? 3.1 Wenn ja, wie läuft diese Überprüfung im Einzelnen ab? 4. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über ungerechtfertigte Anschuldigungen und Hinweise auf Terrorismus-Zugehörigkeit von Flüchtlingen? 5. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Vorfälle konkreter Anwerbeversuche von Salafisten gegenüber Flüchtlingen in Bayern? 5.1 Wie viele Fälle sind bekannt (ggf. aufgeschlüsselt nach dem Ort des Anwerbeversuchs)? 5.2 Um welche Art der Kontaktaufnahme handelte es sich jeweils konkret? 6. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Vorfälle konkreter Ansprechversuche von Salafisten gegenüber Flüchtlingen am Münchener Hauptbahnhof ? 6.1 Wie viele Fälle sind bekannt? 6.2 Um welche Art der Kontaktaufnahme handelte es sich jeweils konkret? 7. Welche Methoden nutzen Salafisten allgemein um Flüchtlinge gezielt anzusprechen? 8. Welche Maßnahmen werden seitens der Behörden ergriffen, um entsprechende Anwerbeversuche zu entgegenzuwirken (z. B.: Aufklärungsmaterial)? 8.1 In welchen Sprachen liegt die Broschüre „Salafismus Prävention durch Information“ des Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vor und welche Pläne gibt es, diese Broschüre in weitere Sprachen (bitten nennen) zu übersetzen? Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 30.11.2015 1. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über konkrete Gefahren durch als Flüchtlinge einreisende gewaltbereite Islamisten in Bayern? Deutschland ist derzeit neben dem Flüchtlingszustrom aus Syrien und dem Irak auch mit einer hohen Zahl irregulär einreisender Ausländer aus anderen Regionen, wie etwa dem Westbalkan, Afghanistan oder Eritrea konfrontiert. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder erhalten in diesem Zusammenhang auch Hinweise auf Personen, die in Verbindung zu militanten Gruppen in Krisenregionen gestanden oder für diese gekämpft haben sollen. Diesen Hinweisen gehen Polizei und Verfassungsschutzbehörden in jedem Einzelfall unverzüglich und umfassend nach. Bislang liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor, dass jihadistische Gruppierungen die Flüchtlingsströme zielgerichtet zur Infiltration des Bundesgebietes durch Einzeltäter oder Gruppen genutzt haben. Es muss jedoch angesichts des immensen Zustroms und der unvollständigen Erkenntnisse und Hintergründe zu irregulär einreisenden Personen berücksichtigt werden, dass das Lage- und Erkenntnisbild unvollständig ist und Lücken aufweist. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Länder stehen zu der weiteren Entwicklung und in Bezug auf Verdachtsfälle untereinander und mit europäischen und internationalen Partnern in engem Austausch . Sie sind im Rahmen des Asylverfahrens eng eingebunden . Der Staatsregierung liegen darüber hinaus derzeit keine Erkenntnisse über konkrete Gefahren im Sinne der Anfrage in Bayern vor. 2. Hat die Staatsregierung in den vergangenen zwei Jahren unter den in Bayern lebenden Flüchtlingen Personen identifiziert, die als Mitglieder oder Sympathisanten einer terroristischen Organisation einzustufen sind? 2.1 Wenn ja, welche Fälle waren dies (bitte kurze Darstellung des Sachverhalts, Herkunftsland und weiteres Verfahren)? Aktuell liegen dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz verschiedene Einzelhinweise vor, denen zufolge Flüchtlinge im Ausland gekämpft haben sollen, salafistischen bzw. islamistisch-terroristischen Organisationen angehören bzw. mit diesen sympathisieren sollen. Diesen Hinweisen gehen die bayerischen Sicherheitsbehörden Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 23.12.2015 17/9323 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/9323 sorgfältig nach. In einigen Fällen stellte sich allerdings heraus , dass es sich bei eingegangenen Hinweisen um Fotomontagen , Denunzierungsversuche oder Falschdarstellungen handelte. Die Bayerische Polizei überprüfte in der jüngeren Vergangenheit in zuletzt steigender Anzahl eingehende Mitteilungen zu Personen, die angeblich Sympathisanten, Unterstützer oder (ehemalige) Angehörige von „Organisationen“ im Ausland seien, die als terroristisch im Sinne der §§ 129 a, 129b Strafgesetzbuch (StGB) eingestuft werden, z. B. des „Islamischen Staates“ oder der „Jabhat al Nusra“. Der weit überwiegende Anteil dieser Mitteilungen konnte jedoch nicht verifiziert werden. Vereinzelt wurden aufgrund vorgenannter Mitteilungen Ermittlungsverfahren mit unterschiedlichen Tatvorwürfen, jedoch im Zusammenhang mit ausländischen Organisationen i. S. der §§ 129a, 129 b StGB, eingeleitet. Auskünfte zu diesen sind der jeweils sachleitenden Staatsanwaltschaft vorbehalten. 3. Werden Flüchtlinge standardmäßig auf mögliche Verbindungen zu terroristischen Organisation überprüft? 3.1 Wenn ja, wie läuft diese Überprüfung im Einzelnen ab? Zur Durchführung des Asylverfahrens von Flüchtlingen, die einen Asylantrag gestellt haben, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Insofern vermag sich die Staatsregierung hierüber nicht zu äußern, ob und wie im Rahmen des Asylverfahrens eine Überprüfung von Flüchtlingen auf mögliche Verbindungen zu terroristischen Organisationen stattfindet. Das BAMF ist eine Bundesbehörde . Hierzu wird im Übrigen auf die Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr zu der Schriftlichen Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm, Katharina Schulze, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 21.11.2013 betreffend Ausländische Geheimdienste: Befragungen von Asylbewerberinnen und – bewerbern in Deutschland (LT- Drs. 17/409 vom 21.02.2014) verwiesen. Unabhängig davon können die vom BAMF anerkannten Flüchtlinge, welche nach Abschluss des Asylverfahrens einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei den zuständigen Ausländerbehörden stellen, nach Maßgabe des § 73 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (Aufenth G) standardmäßig überprüft werden. Gemäß § 73 Abs. 2 AufenthG können die Ausländerbehörden zur Feststellung von Versagungsgründen gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG oder zur Prüfung von sonstigen Sicherheitsbedenken vor der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels, einer Duldung oder einer Aufenthaltsgestattung die bei ihnen gespeicherten personenenbezogenen Daten zu den betroffenen Personen über das Bundesverwaltungsamt an den Bundesnachrichtendienst , den Militärischen Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt sowie an das Landesamt für Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt oder die zuständigen Behörden der Polizei übermitteln. Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann bei Übermittlungen an die Landesämter für Verfassungsschutz technische Unterstützung leisten. Gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 AufenthG teilen die u. a. im § 73 Abs. 2 AufenthG genannten Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste der zuständi- gen Stelle unverzüglich mit, ob Versagungsgründe gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG oder sonstige Sicherheitsbedenken vorliegen . Versagungsgründe gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG liegen nach der nach dem In-Kraft-Treten des Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (BGBl. I S. 1386) geltenden Rechtslage dann vor, wenn einer der Ausweisungsgründe gemäß § 54 Nr. 5 bis Nr. 5b AufenthG vorliegt. Gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG ist ein solcher Ausweisungsgrund dann erfüllt, wenn Tatsachen zum betreffenden Ausländer vorliegen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat (vgl. hierzu auch die Antwort des StMI vom 26.09.2007 zu Frage 4 der Schriftlichen Anfrage der ehemaligen Abgeordneten Christine Stahl vom 30.08.2007 – LT-Drs. 15/8840 vom 07.11.2007). Im Rahmen der Aufgabenzuweisung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz gem. Art. 3 Abs. 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) findet gegebenenfalls ein jeweils anlassbezogener Informationsaustausch mit anderen Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene statt. Bei Erteilung eines Aufenthaltstitels erfolgt im Mitwirkungs -/Beteiligungsverfahren bei Vorliegen der Voraussetzungen ggf. eine (erneute) Abfrage bei Polizei und Verfassungsschutz . 4. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über ungerechtfertigte Anschuldigungen und Hinweise auf Terrorismus-Zugehörigkeit von Flüchtlingen? Die unter Ziffer 2 dargestellten konkret auf eine Person bezogenen Mitteilungen stellten sich zunächst als eher pauschal dar und relativierten sich mit zunehmenden Ermittlungserkenntnissen in der weit überwiegenden Anzahl der Sachverhalte. In einigen Fällen stellte sich heraus, dass es sich bei eingegangenen Hinweisen um Fotomontagen , Denunzierungsversuche oder Falschdarstellungen handelte. Bislang war kein Strafverfahren gegen einen dieser Mitteiler aufgrund nicht zutreffender Aussagen einzuleiten. 5. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Vorfälle konkreter Anwerbeversuche von Salafisten gegenüber Flüchtlingen in Bayern? Der Staatsregierung liegen Erkenntnisse vor, wonach es in Bayern vereinzelt zu Versuchen von Personen aus dem islamistischen /salafistischen Spektrum kam, mit Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen. Mehrere islamistische Gruppierungen und Organisationen haben entsprechende Aufrufe veröffentlicht , darunter auch die salafistischen Prediger Pierre Vogel und Sven Lau. Generell steht bei den Aufrufen die humanitäre Hilfe im Vordergrund. Es ist jedoch davon auszugehen , dass die soziale und emotionale Nähe, die durch die humanitäre Hilfe hergestellt wird, dazu genutzt werden soll, um auf dieser Basis eine integrationsfeindliche, islamistische Ideologie zu transportieren. Darüber hinaus liegen verschiedene Erkenntnisse vor, die auf zu unterstellende, mittelbare Kontaktaufnahmen hindeuten oder bei denen es sich um aktivitätsbezogene Absichtserklärungen von Personen aus dem salafistischen Spektrum gegenüber Flüchtlingen handelt. So werden Flüchtlinge beispielsweise vereinzelt auch in den privaten Wohn- oder Lebensraum eingeladen. 5.1 Wie viele Fälle sind bekannt (ggf. aufgeschlüsselt nach dem Ort des Anwerbeversuchs)? Drucksache 17/9323 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Nach aktueller Erkenntnislage finden Ansprachen von Flüchtlingen durch Salafisten bayernweit und in unterschiedlicher Intensität statt. 5.2 Um welche Art der Kontaktaufnahme handelte es sich jeweils konkret? Es erfolgten jeweils verbal-persönliche Ansprachen bzw. Versuche einer persönlichen Kontaktaufnahme mit den Flüchtlingen. Darüber hinaus darf auf die Antwort zu Punkt 7 verwiesen. 6. Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über Vorfälle konkreter Ansprechversuche von Salafisten gegenüber Flüchtlingen am Münchener Hauptbahnhof ? 6.1 Wie viele Fälle sind bekannt? 6.2 Um welche Art der Kontaktaufnahme handelte es sich jeweils konkret? Beim Polizeipräsidium München wurden zwei Fälle des „verdächtigen Ansprechens“ von Flüchtlingen durch Personen, die dem salafistischen Umfeld zugerechnet werden, erfasst: – Am 08.09.2015 wurden am Hauptbahnhof München zwei Männer im Gespräch mit Flüchtlingen beobachtet. Die Ermittlungen ergaben, dass es sich bei den Männern um ein aus der Sachbearbeitung im Zusammenhang mit der afghanischen Gemeinde in München bekanntes Brüderpaar handelt. Die beiden Brüder sind dem Bereich des politischen Salafismus zuzurechnen. Aufgrund der Gesamtumstände ist anzunehmen, dass das Brüderpaar für den Islam missioniert hat. – Am 11.09.2015 fielen einem Mitteiler am Münchner Hauptbahnhof zwei Personen auf, die er ihrem äußerlichen Anschein nach der islamistischen/salafistischen Szene zuordnete. Diese hatten Kontakt zu einzelnen Asylbewerbern aufgenommen. Detaillierte Gesprächsinhalte sind nicht bekannt. Der Mitteiler sah die Personen später in einem PKW wegfahren, in welchem er auf dem Armaturenbrett einen Koran liegen sah. Der Halter des PKW ist, Erkenntnissen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz zufolge, dem erweiterten politischsalafistischen Umfeld zuzurechnen. Inwieweit es sich bei dem Gespräch der Personen mit den Flüchtlingen um einen gezielten Anwerbeversuch im Sinne der Anfrage handelte, konnte durch die bisher getätigten Ermittlungen nicht abschließend geklärt werden. Darüber hinaus gehende Sachverhalte sind der Staatsregierung nicht bekannt. 7. Welche Methoden nutzen Salafisten allgemein um Flüchtlinge gezielt anzusprechen? Wie bisher festgestellt werden konnte, versuchen Salafisten gezielt Flüchtlinge insbesondere an bzw. im Umfeld von Erstaufnahmeeinrichtungen/Flüchtlingsunterkünften oder in Einzelfällen an von Flüchtlingen frequentierten Örtlichkeiten, z. B. am Hauptbahnhof München, anzusprechen. Zudem werden Hilfsangebote z. B. für Behördengängen oder Besuchseinladungen in salafistische Moscheen ausgesprochen sowie Lebensmittel, Bekleidungsgegenstände oder religiöse Gegenstände (Korane) verteilt. In den Moscheen werden den Flüchtlingen teils weitere Angebote, beispielsweise auch in Form interner Schulungen, unterbreitet. Vereinzelt liegen auch Hinweise über mutmaßliche Aktivitäten von Salafisten gegenüber Flüchtlingskindern bzw. Bemühungen zu deren Vermittlung an Pflegefamilien vor. 8. Welche Maßnahmen werden seitens der Behörden ergriffen, um entsprechende Anwerbeversuche zu entgegenzuwirken (z. B.: Aufklärungsmaterial)? Die betreffenden Behörden in Bayern sind informiert, möglichst Vorkehrungen zu treffen, um die Kontaktaufnahme von Salafisten zu Flüchtlingen zu unterbinden und etwaige Versuche zu melden. Die bayerischen Sicherheitsbehörden haben Aufklärungsmaßnahmen ergriffen, um die Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften bezüglich der Hintergründe und Methoden dieser Annäherungsversuche zu informieren und zu sensibilisieren. So wird aktuell beispielsweise von Seiten des Bayerischen Verfassungsschutzes ein Faltblatt zur Sensibilisierung und Aufklärung der bayerischen Flüchtlingseinrichtungen erstellt, das über die Bedrohung der Einflussnahme von Salafisten auf hilfsbedürftige Flüchtlinge informiert. 8.1 In welchen Sprachen liegt die Broschüre „Salafismus Prävention durch Information“ des Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vor und welche Pläne gibt es, diese Broschüre in weitere Sprachen (bitten nennen) zu übersetzen? Die Broschüre „Salafismus Prävention durch Information“ liegt derzeit nur in deutscher Sprache vor. Aufgrund der großen Nachfrage und Aktualität der Thematik Salafismus/ Salafismusprävention sind für das nächste Jahr eine Aktualisierung sowie eine Übersetzung in weitere Sprachen angedacht , z. B. Arabisch und Türkisch.