Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Herbert Kränzlein SPD vom 11.11.2015 Neues Integrationsprojekt für Asylbewerber mit Bleibeperspektive – Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger sollen in den Flüchtlingsheimen Rechtskunde lehren Der Justizminister hat angekündigt, ab Januar ein neues Integrationsprojekt für Asylbewerber mit Bleibeperspektive zu starten. Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger sollen in den Flüchtlingsheimen Rechtskunde lehren. Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Werden Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger angewiesen, einer solchen unterrichtenden Tätigkeit nachzugehen? b) Ist diese Tätigkeit eine eigenständig vergütete Nebentätigkeit ? c) Wenn nein, gehört dies zukünftig zu den richterlichen Aufgaben? 2. Über welche Haushaltsstellen ist die Finanzierung des Unterrichts der Asylbewerber gesichert? 3. Nach welcher Qualifikation und Ausbildung werden die Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger ausgesucht, welche den Unterricht halten sollen? 4. In welchen Sprachen findet der Unterricht statt? 5. Wo findet der Unterricht statt? 6. Wie viele Unterrichtsstunden sollen pro Unterrichtsperson gehalten werden? 7. a) Wer stellt die Lehrpläne für den Rechtskundeunterricht auf? b) Welchen Inhalt sollen die Lehrpläne für den Rechtskundeunterricht haben? 8. a) Gibt es unterrichtsbegleitende Materialien für die Lehrenden ? b) Gibt es unterrichtsbegleitende Materialien für die Asylbewerber ? c) In welchen Sprachen werden diese zur Verfügung gestellt ? Antwort des Staatsministeriums der Justiz vom 22.12.2015 1. a) Werden Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger angewiesen, einer solchen unterrichtenden Tätigkeit nachzugehen? Nein. Die Übernahme von Unterrichtseinheiten durch Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger erfolgt freiwillig . Ende Oktober 2015 wurden alle Angehörigen der bayerischen Justiz über das Projekt Rechtsbildung von Flüchtlingen und Asylbewerberinnen und -bewerbern durch die bayerische Justiz auf elektronischem Weg mit einem Ministerschreiben informiert. In diesem Zusammenhang wurde für das Projekt geworben und um Unterstützung gebeten. Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, die Interesse haben, als Lehrkraft für einen Rechtsbildungsunterricht für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber zur Verfügung zu stehen, wurden gebeten, sich bei ihrem örtlichen Gerichtsvorstand oder ihrer Behördenleitung zu melden. b) Ist diese Tätigkeit eine eigenständig vergütete Nebentätigkeit ? c) Wenn nein, gehört dies zukünftig zu den richterlichen Aufgaben? Der durch Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger angebotene Rechtsbildungsunterricht in Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber stellt eine eigenständige auf Vorschlag bzw. Veranlassung des Dienstherrn übernommene Nebentätigkeit dar, die mit den üblichen Referentenhonoraren für Justizangehörige in der Fortbildung vergütet wird. 2. Über welche Haushaltsstellen ist die Finanzierung des Unterrichts der Asylbewerber gesichert? Die Ausgabemittel zur Finanzierung des Rechtsbildungsunterrichts der Asylbewerberinnen und -bewerber wurden im Nachtragshaushalt 2016 im Einzelplan 04 bei Kapitel 04 04 Titel 427 01 (Beschäftigungsentgelte, Aufwendungen für nebenamtliche und nebenberufliche Tätigkeit) veranschlagt. 3. Nach welcher Qualifikation und Ausbildung werden die Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger ausgesucht, welche den Unterricht halten sollen? Die Auswahl von geeigneten Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern, also von Personen, die die Unterrichtsinhalte kraft ihres Amtes mit Überzeugung vermitteln können, erfolgt durch die Gerichtsvorstände und Behördenleiter vor Ort. Mit Schreiben des Staatsministeriums der Justiz vom 27. Oktober 2015 an die Herren General- Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de–Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 12.02.2016 17/9588 Bayerischer Landtag Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/9588 staatsanwälte und Präsidenten der Oberlandesgerichte in Bayern wurden die bayerischen Gerichte und Staatsanwaltschaften gebeten, bis Ende November 2015 geeignete Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger zu nennen, die bereit sind, sich als Lehrkraft für den Rechtsbildungsunterricht in Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber zur Verfügung zu stellen. Vorkenntnisse in Lehrtätigkeiten sind nicht erforderlich. Wesentlich ist die Bereitschaft, sich zu engagieren und einen eigenen Beitrag zur Integration der Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber leisten zu wollen. Als Lehrkräfte werden bewusst auch Frauen zum Einsatz kommen. Auf diesem Weg kann bereits eine wichtige Botschaft – die Gleichberechtigung von Frau und Mann – vermittelt werden. Nach Auswertung der Rückmeldungen haben sich aus den drei Oberlandesgerichtsbezirken München, Nürnberg und Bamberg insgesamt mehr als 800 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger bereit erklärt, als Lehrkräfte zur Verfügung zu stehen. 4. In welchen Sprachen findet der Unterricht statt? Der Unterricht findet unter Mitwirkung von Dolmetscherinnen und Dolmetschern in den Sprachen statt, die die Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber in den Unterbringungseinrichtungen , in denen der Unterricht stattfindet, sprechen. 5. Wo findet der Unterricht statt? Der Unterricht soll zunächst schwerpunktmäßig in großen Anschlussunterbringungseinrichtungen stattfinden, also dort, wo viele Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und -bewerber mit hoher Bleibeperspektive anzutreffen sind. Daneben kann der Unterricht auch in Erstaufnahmeeinrichtungen oder anderen Gebäuden und Einrichtungen wie Schul- oder Bildungszentren angeboten werden. Die Gerichtsvorstände und Behördenleiter vor Ort entscheiden, in welchen Einrichtungen die Unterrichtsveranstaltungen stattfinden werden. In dem in der Antwort zu Frage 3 zitierten Schreiben des Staatsministeriums der Justiz wurde gebeten, dass Vertreterinnen und Vertreter der Justizpraxis Kontakt mit den Sachgebietsleitern für Flüchtlingsbetreuung bei den Bezirksregierungen aufnehmen, um zu klären, welche Einrichtungen für den Start des Projekts geeignet sind. Bereits jetzt gibt es mindestens 13 Standorte in Bayern, an denen die Planungen schon so konkret sind, dass mit dem Rechtsbildungsunterricht Anfang 2016 begonnen werden kann. Die erste Unterrichtseinheit wird unter Anwesenheit von Herrn Staatsminister Prof. Dr. Bausback am 11. Januar 2016 im Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Ansbach stattfinden. Nach Ostern 2016 wird ein umfassender Erfahrungsaustausch durchgeführt und geprüft werden, inwieweit das Projekt verbessert und ausgeweitet werden kann. Zur Vorbereitung dieser Evaluation wird noch vor Beginn der ersten Unterrichtseinheit durch das Justizministerium ein Evalua- tionsbogen zur Verfügung gestellt, der von den Lehrkräften zeitnah nach dem jeweiligen Unterricht ausgefüllt werden kann. 6. Wie viele Unterrichtsstunden sollen pro Unterrichtsperson gehalten werden? Eine Unterrichtseinheit wird etwa einen Vormittag, also etwa drei bis vier Stunden dauern. Ob eine Unterrichtsperson eine Unterrichtseinheit oder mehrere Einheiten übernehmen möchte, entscheidet sie selbst. Wie viele Unterrichtsveranstaltungen insgesamt stattfinden werden, ist im Moment noch nicht absehbar. 7. a) Wer stellt die Lehrpläne für den Rechtskundeunterricht auf? Die Lehrinhalte wurden durch eine vom Staatsministerium der Justiz eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitet, in der die Ausbildungsabteilung des Staatsministeriums der Justiz sowie Kolleginnen und Kollegen aus der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis vertreten sind. b) Welchen Inhalt sollen die Lehrpläne für den Rechtskundeunterricht haben? Zur Wahrung der Identität unseres Landes und zur Verhinderung von Parallelgesellschaften ist es mitentscheidend, dass Flüchtlinge die grundlegenden Werte unserer Rechtsund Verfassungsordnung kennen, sie respektieren und sich mit ihnen identifizieren. Vermittelt werden sollen daher insbesondere die Werte der Demokratie, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Toleranz, der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Grundprinzipien unserer Rechtsordnung wie die Unabhängigkeit der Justiz und die Grundprinzipien des Zivil- und Strafrechts. Auch soll deutlich gemacht werden, dass es ein Gewaltmonopol des Staates gibt und eine „Paralleljustiz“, die außerhalb unserer Rechtsordnung stattfindet und dem Wertesystem des Grundgesetzes widerspricht, nicht geduldet wird. Das Unterrichtskonzept basiert auf einem Grundmodul und drei darauf aufbauenden Zusatzmodulen. Das Grundmodul vermittelt „Grundlegende Prinzipien und Werte der deutschen Rechtsordnung“. Die drei Zusatzmodule beschäftigen sich mit – „Grundprinzipien des deutschen Zivilrechts“, – „Ehe, Familie, Kindererziehung“ sowie – „Grundfragen des deutschen Strafrechts“. Eine Unterrichtseinheit (ein Vormittag) besteht idealerweise aus dem Grundmodul und einem Zusatzmodul. Je nach dem konkreten Interesse in den Einrichtungen wird vor Ort entschieden, welches Zusatzmodul zusätzlich zum Grundmodul in einer Unterrichtseinheit vermittelt wird. 8. a) Gibt es unterrichtsbegleitende Materialien für die Lehrenden? Den Unterrichtenden wird Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt werden, das es ihnen ermöglichen soll, den Unterricht mit nur geringer Vorbereitungszeit abzuhalten. b) Gibt es unterrichtsbegleitende Materialien für die Asylbewerber? Den Flüchtlingen und Asylbewerberinnen und -bewerbern werden schriftliche Kurzzusammenfassungen mit den zentralen Kernaussagen der jeweiligen Module ausgehändigt werden. c) In welchen Sprachen werden diese zur Verfügung gestellt? Die Materialien werden in den fünf häufigsten Flüchtlingssprachen zur Verfügung gestellt werden, nämlich Englisch, Arabisch, Urdu, Paschtu und Dari.