Ich frage deshalb die Staatsregierung: 1. Inwieweit wurde die Staatsregierung von der Bundesregierung und/oder CSU-Bundestagsabgeordneten über die erwartende große Welle an Flüchtlingen, die im Sommer 2015 nach Bayern kamen, informiert? a) Wenn ja, wann genau (Datum) und mit welchem konkreten Inhalt? b) Falls die Staatsregierung nicht von den benannten Quellen informiert wurde, von wem dann? 2. Welche Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge in diesem Jahr (2015) wurde der Staatsregierung von der Bundesregierung und/oder von CSU-Bundestagsabgeordneten im Frühjahr genannt? a) Haben die Bundesregierung und/oder die CSU-Bundestagsabgeordneten diese Zahl an die Staatsregierung weitergegeben? b) Sind die Zahlen konkret im Kabinett behandelt worden? 3. Ist der Staatsregierung bekannt welche CSU-Bundestagsabgeordneten bei der Sitzung des Bundesstages im Frühjahr anwesend waren, bei der der Chef der Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, ü ber die bevorstehenden hohen Flüchtlingszahlen informiert hatte? 4. Welche Informationen der Grenzschutzbehörde Frontex über Zahlen in Zukunft ankommender Flüchtlinge in Deutschland hat die Staatsregierung in den letzten acht Wochen (ab 11. November 2015 rückwirkend) erhalten ? a) Welche Zahlen hat die Bundesregierung der Staatsregierung zukünftig ankommender Flüchtlinge in Deutschland mitgeteilt)? (ab 11. November 2015 rückwirkend) 5. Welche Rückschlüsse zieht die Staatsregierung aufgrund des jetzt öffentlich gewordenen frühen Wissens der hohen Flüchtlingszahlen im Sommer 2015 der Bundesregierung? a) Welche Maßnahmen hat die Staatsregierung aufgrund dieser Informationen getroffen bzw. konkret eingeleitet ? 6. Hat die Staatsregierung Forderungen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt, die Flüchtlingsprognosen zu erhöhen? a) Wenn ja, wann und welche? b) Wenn ja, wieso und mit welcher Begründung wurden diese nicht erhöht? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 30.03.2016 17/9656 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Michael Piazolo FREIE WÄH- LER vom 13.11.2015 Hat die Staatsregierung schon länger von den hohen Flüchtlingszahlen gewusst? Wurden Flüchtlingszahlen verheimlicht? Nicht erst seit Frühjahr 2015 entwickelt sich die europäische Flüchtlingskrise in Deutschland und Bayern zu einer massiven politischen und gesellschaftlichen Herausforderung . Nach einem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen im Sommer und Herbst war und ist insbesondere Bayern als angrenzendes Bundesland an Österreich gefordert. Dass die Zahlen an Flüchtlingen derart anstiegen, wurde von der Bayerischen Staatsregierung, den bayerischen Behörden und Einrichtungen als „überraschend“ und „nicht vorhersehbar“ betitelt, so auch im ZDF vom 7. September 2015: „Die bay[e]rischen Behörden waren im Verlauf des Sonntags von der Zahl der Flüchtlinge aus Ungarn und Österreich überrascht worden.“ Nach Medienberichten der Zeitung Die Welt vom 8. November 2015 wird bekannt, dass die Bundesregierung bereits im März dieses Jahres von einer sehr hohen Zahl an Flüchtlingen gewusst haben soll, die nach Deutschland kamen/kommen. Die Europäische Grenzschutzbehörde Frontex, dessen Mitglied des „Management Boards“ auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Ralf Göbel ist (http://frontex.europa.eu/about-frontex/ organisation/ management-board/), habe diese Informationen nicht nur der Bundesregierung vorgelegt, sondern es sei auch Thema einer „internen Sitzung des Bundestages “ gewesen (Spiegel-Online 8. November 2015: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/frontex-regie rung-wusste-angeblich-frueh-von-hohen-fluechtlingszah len-a-1061684.html). Aus dem Spiegel Bericht geht auch hervor, dass der Chef der Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, im Frühjahr dieses Jahres im Bundestag informierte und warnte, dass „die irregulären Grenzübertritte von der Türkei nach Griechenland im Vergleich zum Vorjahr um 550 Prozent gestiegen sind“. Das bedeutet, dass die Bundesregierung, der Bundestag – dieser mindestens zum Teil – und damit auch CSU-Bundestagsabgeordnete bzw. die Bayerische Staatsregierung von der hohen Flüchtlingswelle des Sommers und Herbsts informiert waren. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/9656 Antwort des Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 05.01.2016 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration und der Bayer. Staatskanzlei wie folgt beantwortet: 1. Inwieweit wurde die Staatsregierung von der Bundesregierung und/oder CSU-Bundestagsabgeordneten über die erwartende große Welle an Flüchtlingen , die im Sommer 2015 nach Bayern kamen, informiert? a) Wenn ja, wann genau (Datum) und mit welchem konkreten Inhalt? b) Falls die Staatsregierung nicht von den benannten Quellen informiert wurde, von wem dann? Gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes teilt das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestellte Stelle (hier: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) den Ländern die voraussichtliche Entwicklung der Zahl der Zugänge von Asylbegehrenden und den voraussichtlichen Bedarf an Unterbringungsplätzen mit. Faktoren für diese Prognosemitteilungen sind insbesondere die Entwicklungen in den Hauptherkunftsländern der Asylbegehrenden, Informationen aus dem Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration über die Migrationsbewegungen (z. B. aus dem Auswärtigen Amt, Bundesnachrichtendienst, Bundespolizei ), Meldungen des Verbindungspersonals des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Antragszahlen in den EU-Mitgliedstaaten und deren Maßnahmen, Maßnahmen Deutschlands, die bisherige Zahlenentwicklung sowie der jahreszeitliche Verlauf. Einzustellende Faktoren wie die Entwicklung in den Hauptherkunftsländern, Maßnahmen in anderen EU-Mitgliedstaaten und der jahreszeitliche Verlauf machen deutlich , dass Prognosen der Entwicklung des Migrationsdrucks nur eingeschränkt möglich sind. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Ländern am 18. Februar 2015 mitgeteilt, dass ein Rückgang der Asylzuwanderung nach Deutschland aufgrund der andauernden Syrienkrise, einer Verschlechterung der Situation im Irak sowie weiterer Konflikte für 2015 nicht zu erwarten sei. Angesichts der sich verstärkenden Asylzuwanderung aus dem Balkan sei auch von dort von einer weiteren Steigerung des Migrationsdrucks auszugehen, da die Arbeitslosigkeit und die fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven in der Region anhielten. Mit einem Rückgang des Migrationsstroms über die zentrale Mittelmeerroute sei 2015 nicht zu rechnen. Die Route über das östliche Mittelmeer werde auch 2015 einen wichtigen Zugangsweg in die Europäische Union darstellen. Die Westbalkanroute würden aktuell vor allem kosovarische Staatsangehörige nutzen, um nach Deutschland zu gelangen. Darüber hinaus kämen aktuell in geringerem Umfang auch syrische und afghanische Staatsangehörige in Verlängerung der östlichen Mittelmeerroute über die Westbalkanroute in die Europäische Union und damit nach Deutschland. Das Bundesamt gehe derzeit für 2015 von einem Zugang von mindestens 250.000 Erst- und 50.000 Folgeantragstellern aus. Die Migrationslage bleibe aber äußerst volatil, auch bei bislang weniger zugangsstarken Herkunftsstaaten wie z. B. der Ukraine seien deutliche Steigerungsraten zu beobachten. Am 7. Mai 2015 passte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Prognose an. Als maßgebliche Gründe nannte das Bundesamt zum einen den unerwarteten zusätzlichen Migrationsdruck von Asylbewerbern aus den Westbalkanstaaten wie Albanien und Kosovo; die dortige Situation unterwerfe jede Asylprognose größeren Unwägbarkeiten. Zum anderen sei eine verstärkte Nutzung der Mittelmeerrouten zu verzeichnen, die anhaltend sein werde. Unter Berücksichtigung dieser neuen Erkenntnisse müsse mit einem Zugang von 400.000 Erst- und Folgeantragstellern für das Jahr 2015 gerechnet werden. Mit Schreiben vom 20. August 2015 informierte das Bundesamt über eine erneute Anpassung der Prognose. Maßgeblich hierfür seien eine festzustellende Verlagerung der Hauptmigrationsroute auf die Ägäis und die Balkanroute, eine perspektivische Verschlechterung der Lage syrischer Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens sowie ein anhaltend hoher Migrationsdruck aus den Westbalkanstaaten bei gleichzeitig anlaufenden Gegenmaßnahmen. Aufgrund des weiteren Ansteigens der Differenz zwischen erfolgten Asylantragstellungen und Registrierungen im Verteilsystem für Asylsuchende (EASY) gehe man aktuell von einem Zugang von bis zu 800.000 in EASY registrierten Personen für das Jahr 2015 aus. 2. Welche Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge in diesem Jahr (2015) wurde der Staatsregierung von der Bundesregierung und/oder von CSU-Bundestagsabgeordneten im Frühjahr genannt? a) Haben die Bundesregierung und/oder die CSU- Bundestagsabgeordneten diese Zahl an die Staatsregierung weitergegeben? b) Sind die Zahlen konkret im Kabinett behandelt worden? Zur Beantwortung der Frage 2 wird zunächst auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Der am Beginn des Jahres 2015 einsetzende erhebliche Zustrom von Asylbewerbern aus den Westbalkanstaaten, der in den Mitteilungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Februar 2015 und 7. Mai 2015 einen wesentlichen Faktor für die Prognose darstellt, wurde vom Kabinett frühzeitig in seinen Sitzungen am 10. Februar 2015 und am 24. Februar 2015 behandelt. Die Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Februar 2015 war zudem Gegenstand einer Sitzung des Kabinetts am 14. April 2015 zu einer Gemeinschaftsinitiative von Bund/Länder/Kommunen zur Bewältigung der Flüchtlingsproblematik. Dabei wurde in der Darstellung der aktuellen Situation im Hinblick auf weitere Maßnahmen und Planungen auch bereits klargestellt, dass die Länder für 2015 von einer gegenüber den Prognosen des Bundes deutlich erhöhten Zahl von Flüchtlingen ausgehen. 3. Ist der Staatsregierung bekannt, welche CSU-Bundestagsabgeordneten bei der Sitzung des Bundestages im Frühjahr anwesend waren, bei der der Chef der Grenzschutzbehörde Frontex, Fabrice Leggeri, über die bevorstehenden hohen Flüchtlingszahlen informiert hatte? Die Anwesenheit von Bundestagsabgeordneten bei einer Sitzung des Deutschen Bundestags oder seiner Ausschüsse fällt nicht in den Verantwortungsbereich der Staatsregierung . Drucksache 17/9656 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 4. Welche Informationen der Grenzschutzbehörde Frontex über Zahlen in Zukunft ankommender Flüchtlinge in Deutschland hat die Staatsregierung in den letzten acht Wochen (ab 11. November 2015 rückwirkend) erhalten? a) Welche Zahlen hat die Bundesregierung der Staatsregierung zukünftig ankommender Flüchtlinge in Deutschland mitgeteilt (ab 11. November 2015 rückwirkend)? Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex unterrichtet in den einschlägigen Europäischen Ratsgremien fortlaufend über die in bzw. nach Europa stattfindenden Migrationsströme . Gegenstand der Meldungen sind die Fälle der illegalen Migration. Die Daten wiederum erhält Frontex von den Mitgliedstaaten und führt sie zusammen, um ein Lagebild zu erstellen. Die Zahlen und Entwicklungen sind deshalb regelmäßig rückwirkend zu sehen. Es werden keine Zahlen über in Zukunft ankommende Flüchtlinge an die Mitgliedstaaten gesteuert. Damit entfällt auch eine Antwort zu Frage 4 a. 5. Welche Rückschlüsse zieht die Staatsregierung aufgrund des jetzt öffentlich gewordenen frühen Wissens der hohen Flüchtlingszahlen im Sommer 2015 der Bundesregierung? a) Welche Maßnahmen hat die Staatsregierung aufgrund dieser Informationen getroffen bzw. konkret eingeleitet? Der nicht prognostizierte Zugang von Asylbewerbern hat die Staatsregierung veranlasst, die Unterbringungskapazitäten – insbesondere im Bereich der Erstaufnahme – weiter deutlich auszubauen. Zielsetzung ist, die Belastung vor Ort durch Notfall- und Anschlussunterbringung im möglichen Maß zu reduzieren. Hierfür wird vorrangig auf Bundesliegenschaften zurückgegriffen, welche den Ländern mietzinsfrei zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten für das „Herrichten“ dieser Liegenschaften werden dabei vom Bund übernommen. Des Weiteren wird in Bayern die bundesgesetzlich eingeräumte Möglichkeit genutzt, Asylbewerber mittlerweile bis zu sechs Monate in der Erstaufnahme zu belassen. Die Ergebnisse des Koalitionsgipfels vom 5. November 2015 in Berlin zeigen, dass Bayerns Weg, insbesondere wegen des Modells der Ankunfts- und Rückführungseinrichtung in Bamberg und Manching, vorbildhaft für das Bundesgebiet ist. Dies wurde im Koalitionsgipfel aufgegriffen und die beiden Standorte in Bayern als Orte für die Besonderen Erstaufnahmeeinrichtungen benannt. Mit diesen schon bestehenden Einrichtungen, die bereits im September unter dem Namen Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen (ARE) ihren Betrieb aufgenommen haben, und dem geplanten weiteren Ausbau dieser Einrichtungen kann insbesondere dem Zugang aus dem Westbalkan wirksam begegnet werden. Um dem unvorhergesehenen Zugangsgeschehen weiter gerecht zu werden, hat die Staatsregierung am 10. November 2015 den weiteren Ausbau von Erstaufnahmeeinrichtungen und Anschlussunterbringung beschlossen. Ferner ist für diejenigen Personen, die ein Bleiberecht erhalten und damit aus der Asylunterbringung herausfallen, dauerhafter Wohnraum bereitzustellen. Die Staatsregierung begegnet dieser Herausforderung u. a. mit dem Wohnungspakt Bayern. Der Wohnungspakt ist auf eine Allianz der Staatsregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Kirchen, der Wohnungswirtschaft und weiteren Beteiligten gerichtet. 6. Hat die Staatsregierung Forderungen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt, die Flüchtlingsprognosen zu erhöhen? a) Wenn ja, wann und welche? b) Wenn ja, wieso und mit welcher Begründung wurden diese nicht erhöht? Für die Flüchtlingsprognose ist ausschließlich das Bundesministerium des Innern und dessen nachgeordnete Behörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), zuständig. Im Rahmen der Zuständigkeit meldet die Staatsregierung dem BAMF lediglich rechtzeitig die Zugangszahlen der Flüchtlinge in den bayerischen Erstaufnahmeeinrichtungen . Das BAMF muss daraus in eigener Kompetenz und Zuständigkeit die Länderzahlen hochrechnen und seine Schlussfolgerungen für die gesamte Bundesrepublik ziehen.