Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Mütze BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 17.12.2013 Flughafen MUC als Standort für Luft- und Raumfahrtindustrie Der Flughafen Frankfurt ist ein bedeutender Standort für die Luft- und Raumfahrtindustrie. In diesem Zusammenhang frage ich die Staatsregierung: 1. Wie viele Unternehmen, die der Luft- und Raumfahrtbranche zugerechnet werden können, sind im Umkreis von etwa 100 km um den Flughafen München angesiedelt? Wie viele Unternehmen werden dabei direkt der Branche zugerechnet und wie viele erbringen z. B. Wartungs-, Reparatur - oder andere Dienstleistungen für die Branche? Wie viele Unternehmen zählen dabei zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bzw. Großunternehmen? 2. Wie hat sich die Anzahl seit Eröffnung des Flughafens im Erdinger Moos entwickelt? Welche weiteren Treiber gibt es in der Region, die diese Entwicklung befördert haben? 3. Welchen Anteil tragen die Unternehmen zur Wertschöpfung in der Region bei? In welcher Höhe werden luftfahrttechnische Erzeugnisse im- bzw. exportiert? Welches sind die wichtigsten Handelspartner? 4. Wie viele Beschäftigte haben diese Unternehmen? Mit welchen Strategien beabsichtigt die Branche dem prognostizierten Fachkräftemangel zu begegnen? 5. Wie hat sich die Hochschul- und Forschungslandschaft in diesem Bereich in den letzten 20 Jahren entwickelt? 6. Wie wird sich die Umstrukturierung bei EADS auf die Branche und die Region auswirken? Antwort des Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 07.03.2014 Die Schriftliche Anfrage wird im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr wie folgt beantwortet: 1. Wie viele Unternehmen, die der Luft- und Raumfahrtbranche zugerechnet werden können, sind im Umkreis von etwa 100 km um den Flughafen München angesiedelt? Wie viele Unternehmen werden dabei direkt der Branche zugerechnet und wie viele erbringen z. B. Wartungs -, Reparatur- oder andere Dienstleistungen für die Branche? Wie viele Unternehmen zählen dabei zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bzw. Großunternehmen ? Im Jahr 2011 (letztverfügbarer Wert) waren 1.949 Unternehmen , die der Luft- und Raumfahrtbranche1 zugeordnet werden können, im Umkreis von ca. 100 km um den Flughafen München ansässig2. Von diesen Unternehmen gehören 97 Unternehmen dem Luft- und Raumfahrzeugbau sowie dem Luftverkehr (Personen - und Güterbeförderung) an. 1.852 Unternehmen erbringen Dienstleistungen für den Verkehr, ein deutlicher Beleg für die Attraktivität des Flughafens München. Bei den Unternehmen der Luft- und Raumfahrtbranche handelt es sich ganz überwiegend um KMU (1.919 Unternehmen ). Im Umfeld des Flughafens München sind darüber hinaus 30 große Unternehmen (mit 250 oder mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigten) tätig – insgesamt ein ausgewogener Mix aus kleinen, mittleren und großen Unternehmen . 2. Wie hat sich die Anzahl seit Eröffnung des Flughafens im Erdinger Moos entwickelt? Welche weiteren Treiber gibt es in der Region, die diese Entwicklung befördert haben? Hinweis: Die erfragten Zahlen liegen innerhalb der amtlichen Statistik ausschließlich dem statistischen Unternehmensregister vor. Das statistische Unternehmensregister wurde in seiner aktuellen Form 2006 eingeführt. In 2008 wurde die statistische Erfassungsbasis geändert, weshalb ein sinnvoller Vergleich erst ab 2008 erfolgen kann. Von 2008 bis 2011 (letzter verfügbarer Datensatz) ist die Anzahl der Unternehmen von 2.181 auf 1.949 gesunken. Dieser Wert spiegelt allerdings die Entwicklung der Branche nicht wider, da Neugründungen, Schließungen und Konsolidierungen nicht berücksichtigt und nicht einzeln ausgewiesen werden können. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. 17. Wahlperiode 15.04.2014 17/994 Bayerischer Landtag 1 Luft- und Raumfahrzeugbau; Personenbeförderung in der Luftfahrt; Güterbeförderung in der Luftfahrt und Raumtransport; Erbringung von sonstigen Dienstleistungen für den Verkehr 2 Ingolstadt, Stadt; München, Landeshauptstadt; Rosenheim, Stadt; Altötting; Bad Tölz-Wolfratshausen; Dachau; Ebersberg; Eichstätt; Erding; Freising; Fürstenfeldbruck; Landsberg am Lech; Miesbach; Mühldorf a. Inn; München; Neuburg-Schrobenhausen; Pfaffenhofen a. d. Ilm; Rosenheim; Starnberg; Weilheim-Schongau; Landshut, Stadt; Kelheim; Landshut; Rottal-Inn; Dingolfing-Landau; Augsburg, Stadt; Aichach-Friedberg; Augsburg Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/994 Die insgesamt positive Entwicklung verdeutlicht die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die von 49.119 (2008) auf 56.670 (2011) deutlich gestiegen ist (vgl. Antwort zu Frage 4). Der Freistaat Bayern gehört weltweit zu den traditionsreichsten und bedeutendsten Luft- und Raumfahrtstandorten – in Industrie wie auch in Forschung. Die strukturellen Gegebenheiten der Luft- und Raumfahrtbranche in Bayern bilden eine ideale Ausgangsbasis. Bayern beheimatet – wichtige Systemfirmen der Branche, – zahlreiche innovative Unternehmen der Zulieferindus- trie, – technische Dienstleister, – Hersteller von Spezialmaschinen und -werkzeugen, – international führende Wissenschafts- und Ausbil- dungseinrichtungen sowie – mit dem Flughafen München eine herausragende Luft- verkehrsinfrastruktur. Die Luft- und Raumfahrtindustrie gehört zu den forschungsintensivsten Branchen überhaupt. Die Metropolregion München und der gesamte Freistaat Bayern bieten als Hochtechnologiestandort ein geeignetes Umfeld mit einer hervorragenden Infrastruktur. Hier sind, nicht zuletzt durch die hervorragende Ausbildung an den bayerischen Universitäten und Hochschulen, die notwendigen Fachkräfte verfügbar . Zudem besteht in Bayern ein enger Austausch zwischen den ansässigen Unternehmen. Diese Netzwerkbildung unterstützt die Bayerische Staatsregierung mit der Cluster-Offensive Bayern, insbesondere mit dem Cluster Aerospace. Neben der hervorragenden Infrastruktur muss auch die allgemein hohe Lebensqualität der Region genannt werden, die Unternehmensansiedlungen deutlich begünstigt. Weiterhin konnten durch das staatliche Engagement in der Gründungsfinanzierung im Bereich der Raumfahrt mehrere Unternehmen erfolgreich gegründet werden. Ein Beispiel ist das vom StMWi co-finanzierte ESA-BIC (Business Incubation Center der Europäischen Raumfahrtagentur ESA), das vom Anwendungszentrum Oberpfaffenhofen betrieben wird. Dort konnte 2013 der 1000. Arbeitsplatz gefeiert werden. 3. Welchen Anteil tragen die Unternehmen zur Wertschöpfung in der Region bei? In welcher Höhe werden luftfahrttechnische Erzeugnisse im- bzw. exportiert? Welches sind die wichtigsten Handelspartner? Angaben zur Wertschöpfung liegen in der gewünschten regionalen und wirtschaftszweigsystematischen Tiefe nicht vor. Ersatzweise werden aus der Umsatzsteuerstatistik die Daten zum Umsatz aus den Lieferungen und Leistungen herangezogen (Umsatzsteuer-Voranmeldungen). So wurden 2011 (letztverfügbarer Wert) über alle Wirtschaftszweige hinweg in der Region „Großraum Flughafen München“ rund 550 Mrd. € erwirtschaftet. Etwa 4,4 % bzw. 24,3 Mrd. € entfielen auf den Luft- und Raumfahrzeugbau, 0,9 % bzw. 5,1 Mrd. € auf sonstige Dienstleistungen für den Verkehr. Auf die Personenbeförderung in der Luftfahrt entfielen rund 0,2 Mrd. €. Hierbei ist zu beachten: Die regionale Zuordnung des gesamten Unternehmensumsatzes einschließlich der Umsätze von Filialen, Zweigstellen und Tochterunternehmen erfolgte am Sitz der Geschäftsleitung des Unterneh mens, also ggf. überwiegend außerhalb der Region Großraum Flughafen München. Angaben zum Außenhandel mit luftfahrttechnischen Erzeugnissen liegen in der gewünschten regionalen Tiefe nicht vor. Für Bayern insgesamt betrugen die entsprechenden Exporterlöse 2012 (letztverfügbarer Wert) 2,7 Mrd. € und die Importerlöse 1,7 Mrd. €. Laut einer Studie3 der IHK München und Oberbayern aus dem Jahr 2007 sind Unternehmen aus Deutschland die wichtigsten Handelspartner der Luft- und Raumfahrtunternehmen der Wirtschaftsregion München. Darauf folgen Unternehmen aus den übrigen Ländern der EU154 sowie aus USA/Kanada. Als Absatzmarkt für die Unternehmen der Region steht Deutschland an dominierender erster Stelle, gefolgt von USA/Kanada und den EU15. In der IHK-Befragung gaben nahezu alle Unternehmen mindestens einen Geschäftsbereich der Airbus Group (vormals EADS) als wichtigste Kunden an. Im Falle vieler Ingenieurdienstleister ist die Airbus Group einziger Kunde. Die Airbus Group ist nach wie vor tragende Säule der Zulieferindustrie in Bayern und Deutschland. Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBW) ist nach der Airbus Group die zweite große Säule im deutschen Kundenportfolio. Aufgrund sinkender Verteidigungsetats wird die Bedeutung allerdings zukünftig zurückgehen. Europaweit spielen die ESA sowie italienische, französische und britische Kunden eine wichtige Rolle, wobei in dieser Verteilung auch die geografische Verteilung der Airbus Group widergespiegelt wird. 4. Wie viele Beschäftigte haben diese Unternehmen? Mit welchen Strategien beabsichtigt die Branche dem prognostizierten Fachkräftemangel zu begegnen? Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Unternehmen der Luft- und Raumfahrtbranche in der Region Großraum Flughafen München ist von insgesamt 49.119 (2008) auf 56.670 (2011) deutlich gestiegen. Der Bundesverband der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI) betrachtet eine Zukunfts- und bedarfsorientierte Ausbildungspolitik als einen Schlüsselfaktor für die Zukunftsfähigkeit der Branche. Nach Aussage des BDLI benötigt die Branche wie kaum ein anderer Industriezweig eine wachsende Zahl qualifizierter Facharbeiter und Ingenieure , um aktuelle und zukünftige, multinationale und komplexe Programme schultern zu können. Momentan benötigt die Luft- und Raumfahrtindustrie in ganz Deutschland Tausende Ingenieure und Facharbeiter. Die Luft- und Raumfahrtindustrie führt daher seit mehreren Jahren umfassende Recruitment-Maßnahmen auf Fachmessen durch. Darüber hinaus engagieren sich viele BDLI-Mitgliedsfirmen im Rahmen bundesweiter Initiativen und eigener Projekttage dafür, potenziellen Branchennachwuchs – vom Grundschüler bis zum Universitätsabsolventen – für das äußerst vielseitige Berufsfeld der Luft- und Raumfahrttechnik zu begeistern. Weiterhin werden die Unternehmen der Branche durch die regionalen Cluster im Bereich Fachkräfte unterstützt. Dazu zählen gemeinsam initiierte Studien zur Aus- und Weiterbildung (Erhebung der Angebotssituation, Ansätze zur Weiterentwicklung u. a.) sowie Maßnahmen zum Fachkräftemarketing . 3 Quelle: Luftfahrt, Raumfahrt, Satellitennavigation in der Wirtschaftsregion München; IHK München und Oberbayern; Juli 2007 4 BE, DE, FR, IT, LU, NL, DK, IE, UK, EL, PT, ES, FI, AT, SE Drucksache 17/994 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 Zu erwähnen sind auch anforderungsgerechte Ausbildungsangebote im Rahmen der Dualen Ausbildung (Bsp.: Premium Aerotec). Am Ludwig Bölkow Campus in Ottobrunn /Taufkirchen haben sich große Luftfahrtunternehmen zusammengeschlossen, um gemeinsam mit der Münchner Hochschul- und Universitätslandschaft sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen anforderungsgerechte Studiengänge und Graduiertenprogramme zu etablieren (siehe auch nächster Punkt). 5. Wie hat sich die Hochschul- und Forschungslandschaft in diesem Bereich in den letzten 20 Jahren entwickelt? 2010 wurde mit Munich Aerospace e.V. die Kooperation der im Großraum München ansässigen namhaften Universitäten und Forschungseinrichtungen ins Leben gerufen. Die Zielsetzung von Munich Aerospace wird insbesondere verwirklicht durch die Bündelung der vielfältigen wissenschaftlichtechnischen Expertisen, die Identifizierung gemeinsamer neuer Forschungsziele, die Bildung von Forschungsschwerpunkten und die Entwicklung des Wissenschaftsraumes München zu einem attraktiven europäischen Ausbildungsstandort in der Luft- und Raumfahrt. 2012 startete der Ludwig Bölkow Campus (damals: Bavarian International Campus Aerospace & Security (BICAS)) als Zusammenschluss von Lehr- und Forschungseinrichtungen sowie Industrieunternehmen. Mit dem Ludwig Bölkow Campus als internationale Drehscheibe für richtungsweisende Innovation, neue Denkansätze und praxisnahe Ausbildung auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrt sowie Sicherheit schließen sich Wissenschaft und Unternehmen in einer einmaligen Weise zusammen. Industrielle Expertise und universitäres Wissen führen zu gemeinsamen Forschungsprojekten sowie Studiengängen und Graduiertenprogrammen in der Luft- und Raumfahrtbranche und in der Sicherheitstechnik. Am Traditionsstandort Ottobrunn/ Taufkirchen bei München arbeiten Universitäten und Forschungseinrichtungen erstmals auf einem Industriegelände („Campus@Industry“) langfristig mit Unternehmen zusammen . Damit positioniert sich der Ludwig Bölkow Campus auf den wachsenden Weltmärkten „Luft- und Raumfahrt“ sowie „Sicherheit“ auf internationalem Top-Niveau. Der Campus steht interessierten Unternehmen und Forschungseinrichtungen offen, um die gemeinsame Forschung in Ottobrunn/ Taufkirchen zu stärken und von ihr zu profitieren. 6. Wie wird sich die Umstrukturierung bei EADS auf die Branche und die Region auswirken? Die Umstrukturierung der einzelnen EADS-Divisionen zur Airbus Group rückt den bereits bestehenden Schwerpunkt des zivilen Geschäfts stärker in den Fokus. Die Ansiedlung der Airbus Defence and Space Konzernzentrale in Ottbrunn/Taufkirchen ist grundsätzlich ein positives Signal für den Standort. Die Aufmerksamkeit der internationalen Wehrtechnikindustrie auf den Standort Bayern und die angesiedelten Kompetenzen wird erhöht. Dennoch erfolgt eine Reduktion der militärischen Kapazitäten in Abhängigkeit von der Auftragslage. Konkrete Angaben über die Auswirkungen auf die jeweiligen Zulieferer können nicht getroffen werden, da deren Anzahl und der jeweilige Wertschöpfungsanteil im militärischen Luftfahrtgeschäft im Detail nicht bekannt sind. Grundsätzlich muss von einer Reduktion der Arbeitsplätze im militärischen Zuliefergeschäft ausgegangen werden, sofern keine Verlagerung in andere Sparten erfolgen kann. Im bedeutungsvollen zivilen Geschäftsbereich von Airbus entstehen die größten Herausforderungen für die bayerischen Zulieferer. Durch die großen Bestellrückstände und die Einführung der neuen Flugzeugmuster A350 und A320- neo wachsen die Anforderungen vor dem Hintergrund steigender Produktionsraten und angestrebter sinkender Produktionskosten stark an. Diese Anforderungen können viele Unternehmen der mittelständisch geprägten Zuliefererlandschaft noch nicht erfüllen. Im Rahmen der Zulieferinitiative „supply chain excellence“ des bayerischen Clusters Aerospace und der übrigen deutschen Luftfahrtcluster werden aktuell Maßnahmen erarbeitet, wie der deutsche Mittelstand weiterhin am Markt partizipieren kann. Dazu gehören unter anderem auch Maßnahmen zur Internationalisierung der Produktion. Grundsätzlich muss von einer weiteren Konsolidierung der Zulieferlandschaft im zivilen Luftfahrtgeschäft ausgegangen werden, sofern den genannten Herausforderungen der Großkunden nicht zeitnah begegnet werden kann.