b) Hält die Staatsregierung in Bayern eine vergleichbare Regelung wie in Nordrhein-Westfalen (NRW) für möglich , wo auf Grundlage einer Vereinbarung mit einem Koordinationsrat der Muslime 2011 ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht eingeführt worden ist? 8. a) Inwiefern unterstützt die Staatsregierung die Forderung eines Vollverschleierungsverbots durch Burka und Niquab? b) Welchen Handlungsbedarf sieht sie? Antwort des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 09.02.2016 Die Anfrage wird in Abstimmung mit dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege sowie dem Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, welches für die Antwort zu Frage 8 darüber hinaus die Staatskanzlei und die Staatsministerien der Justiz, für Arbeit und Soziales, Familie und Integration sowie für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie beteiligt hat, wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Angesichts der verfassungsrechtlich verbürgten Religionsfreiheit bedarf es für die Religionsausübung in Deutschland weder einer staatlichen Genehmigung noch muss die Ausübung staatlichen Stellen angezeigt werden. Genaue und verlässliche Zahlen zum muslimischen Glaubensleben in Deutschland liegen daher nicht vor. Es existieren keine amtlichen Verzeichnisse über Anhänger des Islam, über muslimische Organisationen, Gebetshäuser oder Geistliche. Bereits in den Antworten auf frühere Anfragen zur selben Thematik (vgl. Drs. 16/5697 und 17/2079) hat das Staatsministerium deshalb auf die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz 2009 herausgegebene Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ (nachfolgend: Studie) als eine zentrale Informationsquelle abgestellt. Diese Studie kann im Internet unter folgender Adresse eingesehen werden: http://www.bamf.de/SharedDocs/ Anlagen/DE/Publikationen/Forschungsberichte/fb06-muslimisches -leben.html;jsessionid. Sie ist allerdings – schon aufgrund der gegenwärtigen Flüchtlingsströme – nicht mehr aktuell und enthält auch keine aufgeschlüsselten Zahlen für den Freistaat Bayern. Nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sollen die Zahlen zwar aktualisiert werden; Ergebnisse werden aber im Jahr 2016 noch nicht erwartet. 17. Wahlperiode 08.04.2016 17/9982 Bayerischer Landtag Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Arif Tasdelen SPD vom 09.12.2015 Lebenssituation der Muslime in Bayern Die „Leitkultur“ als Grundlage für ein friedliches Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen im Freistaat Bayern stellen die Werte des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung dar. Die freie und individuelle Ausübung der Religion und Weltanschauung zählt dazu. Neben Christentum und Judentum gehört der Islam zu den drei großen Buchreligionen. Der Islam ist nach dem Christentum die zweitgrößte Glaubensrichtung in Deutschland und deshalb gebührt ihr ein fester Platz in der Gesellschaft. Die Lebenssituation der Muslime in Bayern sollte dieser Tatsache Rechnung tragen. Die Mehrheit der muslimischen Gläubigen tritt für ein friedliches Miteinander und einen konstruktiven Dialog der Religionen ein. Eine erfolgreiche Integration der bayerischen Muslime ist dann gegeben, wenn eine Kultur der Anerkennung vorherrscht, die kulturelle Vielfalt nicht leugnet und kulturelle Unterschiede als Möglichkeit neuer Gemeinsamkeit begreift. Wir fragen die Staatsregierung: 1. a) Wie viele Muslime (geschlechterdifferenziert) leben in Bayern? b) Welche Staatsangehörigkeit haben sie? 2. Wie viele davon haben in Bayern die deutsche Staatsangehörigkeit (in Prozent)? 3. Wie ist die Aufteilung zwischen Jugendlichen/Muslimen mittleren Alters/Senioren im Allgemeinen und im prozentualen Unterschied zur bayerischen Bevölkerung im Besonderen? 4. Wie viele davon bezeichnen sich als gläubig? 5. Wie ist der Anteil der in Bayern lebenden Muslimen an Sunniten, Aleviten, Schiiten sowie anderen Glaubensrichtungen ? 6. a) Wie viele Förderanträge für Sozialprojekte mit dem Schwerpunkt „kultursensible Pflege“ liegen der Bayerischen Staatsregierung inzwischen vor? b) Wie werden diese ggf. finanziert? c) Wer waren ggf. die Projektträger? 7. a) Gibt es bereits eine Entscheidung der Staatsregierung in Bezug auf den Antrag der DITIB im März 2014 auf Anerkennung als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft und Erteilung von bekenntnisorientiertem islamischem Religionsunterricht? Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de –Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung. Seite 2 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Drucksache 17/9982 1. a) Wie viele Muslime (geschlechterdifferenziert) leben in Bayern? Die genaue Zahl der Muslime in Deutschland bzw. Bayern ist nicht bekannt. Amtliche Statistiken dazu existieren nicht. Die in der Vorbemerkung genannte Studie kam 2009 zu dem Ergebnis, dass deutschlandweit insgesamt 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime lebten. Seither dürfte sich die Zahl erhöht haben, insbesondere durch die gegenwärtigen Flüchtlingsbewegungen. Für Bayern kam die seinerzeitige Studie auf einen Anteil von 13,2 %, was eine Zahl von 500.000 bis 570.000 bedeutete. Der Zensus 2011 brachte zu dieser Fragestellung keine neuen Erkenntnisse. Der in der Antwort des Staatsministeriums vom 16. Mai 2014 auf die Schriftliche Anfrage der Herren Abgeordneten Markus Rinderspacher und Arif Tasdelen vom 17. März 2014 (Drs. 17/2079) angesprochene Forschungsauftrag wurde nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nicht realisiert. Gesicherte aktuelle Zahlen liegen somit nicht vor. b) Welche Staatsangehörigkeit haben sie? 2. Wie viele davon haben in Bayern die deutsche Staatsangehörigkeit (in Prozent)? Die o.g. Studie enthält auf den S. 68 ff. mehrere Tabellen mit ausführlichen Erläuterungen zu ausländischen Muslimen und zu deutschen Muslimen mit relevantem Migrationshintergrund . Jedoch gilt auch hier, dass die Zahlen nicht aktuell und nicht auf Bayern bezogen sind. Belastbare Aussagen sind der Staatsregierung deshalb derzeit nicht möglich. 3. Wie ist die Aufteilung zwischen Jugendlichen/Muslimen mittleren Alters / Senioren im Allgemeinen und im prozentualen Unterschied zur bayerischen Bevölkerung im Besonderen? Auch hierzu liegen der Staatsregierung keine belastbaren aktuellen Zahlen vor. 4. Wie viele davon bezeichnen sich als gläubig? Die o. g. Studie enthält auf S. 134 bis 206 ein Kapitel über Religiosität und religiöse Praxis der Muslime in Deutschland . Über darüber hinausgehende, gesicherte aktuelle Erkenntnisse verfügt die Staatsregierung nicht. 5. Wie ist der Anteil der in Bayern lebenden Muslimen an Sunniten, Aleviten, Schiiten sowie anderen Glaubensrichtungen? In der o. g. Studie wurde der Anteil der muslimischen Glaubensrichtungen für das Jahr 2008 wie folgt mitgeteilt: sunnitisch 74,1 %, alevitisch 12,7 %, schiitisch 7,1 %, Ahmadis 1,7 %, sufistisch/Mystiker 0,1 %, ibaditisch 0,3 % und sonstige 4,0 %. Inwieweit diese Aufteilung heute noch zutrifft und auch für die Muslime im Freistaat Bayern gilt, ist der Staatsregierung nicht bekannt. 6. a) Wie viele Förderanträge für Sozialprojekte mit dem Schwerpunkt „kultursensible Pflege“ liegen der Staatsregierung inzwischen vor? Im Zeitraum 01.12.2010 bis 30.09.2015 wurde das Modellprojekt „INA – Interkulturelles Netz Altenhilfe: Integration von älteren pflegebedürftigen bzw. von Pflegebedürftigkeit bedrohten Migranten und ihren Angehörigen in Augsburg unter besonderer Berücksichtigung von demenzerkrankten Migranten“ gefördert: Ziel des Modellprojekts war es, spezifische Anlaufstellen für die Seniorengruppe anbieten zu können, die in den 50er-Jahren als türkische Migrantinnen und Migranten nach Deutschland kam. Ausgehend von der Lebenslage und Kultur der älteren türkischen Migrantinnen und Migranten baute das Konzept darauf auf, die in der Migranten-Community vorhandenen Netze der gegenseitigen Unterstützung zu stärken. Außerdem wurde die Migranten-Community dabei unterstützt, über die vorhandenen Angebote der Altenhilfe in Augsburg informiert zu sein und diese ggf. in Anspruch zu nehmen. b) Wie werden diese ggf. finanziert? • Das in der Antwort zu Frage 6 a genannte Modellprojekt wurde in der Projektphase (vom 01.12.2010 bis 30.09.2015) vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (bis zur Änderung der Ressortzuständigkeit 2013 vom Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen) mit einer Anteilsfinanzierung der sozialen und privaten Pflegeversicherung nach § 45 c SGB XI gefördert . • Angestrebt wird die Weiterführung des Angebots nach der Projektphase als ein nach § 45 d SGB XI gefördertes Sorgenetzwerk . c) Wer waren ggf. die Projektträger? Projektträger des in der Antwort zu Frage 6 a genannten Modellprojekts ist SIC Gesellschaft für Forschung, Beratung , Organisationsentwicklung und Sozialmanagement mbH, Rosenaustr. 38, 86150 Augsburg. 7. a) Gibt es bereits eine Entscheidung der Staatsregierung in Bezug auf den Antrag der DITIB im März 2014 auf Anerkennung als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft und Erteilung von bekenntnisorientiertem islamischem Religionsunterricht? Nein. b) Hält die Staatsregierung in Bayern eine vergleichbare Regelung wie in Nordrhein-Westfalen (NRW) für möglich, wo auf Grundlage einer Vereinbarung mit einem Koordinationsrat der Muslime 2011 ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht eingeführt worden ist? Das Gesetz zur Einführung von islamischem Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen vom 22.12.2011 geht davon aus, dass Bedarf besteht, islamischen Religionsunterricht einzuführen, dass aber noch keine Religionsgemeinschaft im Sinne von Art. 14 und 19 der dortigen Landesverfassung und Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) existiert. In diesem Fall gestattet das Gesetz dem zuständigen Ministerium, übergangsweise bei der Einführung und Durchführung des islamischen Religionsunterrichts mit einer (muslimischen) Organisation oder mehreren (muslimischen) Organisationen zusammenzuarbeiten. Dabei wird ein Beirat gebildet, der die Anliegen und die Interessen der islamischen Organisationen bei der Einführung und Durchführung des Religionsunterrichts vertritt. Der Beirat nimmt damit die Stelle ein, für die Art. 7 Abs. 3 GG Religionsgemeinschaften vorsieht. Der Islamische Unterricht in Bayern ist kein Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG, da er nicht den Glauben einer (muslimischen) Religionsgemeinschaft zum Gegenstand hat. Ziel dieses Unterrichts ist nicht die Erziehung zum Glauben, sondern die Förderung der Entwicklung religiöser Kompetenz im Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags . Er unterstützt die Schülerinnen und Schüler Drucksache 17/9982 Bayerischer Landtag · 17. Wahlperiode Seite 3 in ihrer religiösen Selbstvergewisserung. Das bayerische Modell steht auf verfassungsrechtlich sicherem Boden und findet große Akzeptanz bei den Eltern der muslimischen Schülerinnen und Schüler. Eine Regelung wie in Nordrhein- Westfalen ist deshalb nicht geplant. 8. a) Inwiefern unterstützt die Staatsregierung die Forderung eines Vollverschleierungsverbots durch Burka und Niquab? b) Welchen Handlungsbedarf sieht sie? Die Staatsregierung steht zu den jüdisch-christlich-abendländischen Werten, die dem Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung zugrunde liegen. Dazu gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau einschließlich der Möglichkeit zu einer gleichberechtigten Teilnahme am sozialen Leben wie auch am Erwerbsleben. Nur so ist eine offene Kommunikation miteinander möglich, auf der unser Zusammenleben basiert. Wer eine Burka oder einen Niqab trägt, ist von diesen Möglichkeiten weitgehend ausgeschlossen . Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil vom 01.07.2014 ein in Frankreich geltendes Verbot des Tragens der Vollverschleierung im öffentlichen Raum insoweit als mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar betrachtet, als es die Voraussetzungen für das Zusammenleben der Menschen garantieren will. Angesichts des hohen Flüchtlingszustroms nach Deutschland ist die Förderung der Integration von berechtigt auf Dauer oder zumindest für einen längeren Zeitraum bei uns lebenden Menschen ausländischer Herkunft eine vordringliche Aufgabe von Staat und Gesellschaft. In diesem Rahmen bedarf es auch eines Bekenntnisses der aus dem Ausland zugezogenen Menschen, die bei uns leben möchten, zu unseren Werten und unserem Rechtssystem. Zu unserem Werteverständnis gehören allerdings auch die Achtung der Religionsfreiheit und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen. Ein Verbot der Vollverschleierung wäre deshalb ggf. mit einem Eingriff in die Religionsfreiheit der betroffenen Frauen verbunden, sodass eine entsprechende gesetzliche Regelung einer sorgfältigen Abwägung aller betroffenen Belange unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation und Gegebenheiten, für die das Verbot gelten soll, bedürfte (s. hierzu die Antwort von Staatsminister Joachim Herrmann auf die Anfrage des Abgeordneten Harry Scheuenstuhl (SPD) zum Plenum vom 10.12.2015, Drs. 17/9406, S. 5, Nr. 7).