Drucksache 17 / 10 022 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt (GRÜNE) vom 24. November 2011 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. November 2011) und Antwort Abschirmstation in der JVA Tegel ohne Rechtsgrundlage? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Wie unterscheiden sich die Haftbedingungen auf der Abschirmstation A 4 in Haus 1 zu denen im Normalvollzug der JVA Tegel? Zu 1.: Die Haftbedingungen auf der Abschirmstation unterscheiden sich von regulären Unterbringungsbereichen der JVA Tegel wie folgt: • Die Haftraumausstattung ist auf das Notwendigste reduziert, um eine Übersichtlichkeit des Haftraumes zu gewährleisten. • Alle auf der Abschirmstation untergebrachten Gefangenen haben Anstaltskleidung zu tragen. • Besuche der Gefangenen werden in einem Sprechraum mit Trennscheibe abgehalten. • Der Schriftverkehr der Gefangenen wird überwacht und Telefongespräche müssen im Beisein eines Gruppenbetreuers geführt werden. • Eine Arbeitsaufnahme außerhalb der Abschirmstation ist nicht möglich. • Die Freizeitgestaltung der Gefangenen findet nur auf der Abschirmstation statt. Diese Maßnahmen sind unabdingbar notwendig, weil die Abschirmstation A 4 dem Zweck dient, alle in Betracht zu ziehenden Versorgungswege des anstaltsinternen Handelns mit Betäubungsmitteln zu unterbinden. Mit der Unterbringung auf einer speziellen Station wird auch versucht, auf die dort untergebrachten Gefangenen pädagogisch einzuwirken, um sie künftig vom Handel mit Betäubungsmitteln abzuhalten. 2. Wie viele Gefangene waren in den letzten 5 Jahren auf der Abschirmstation der JVA Tegel untergebracht? Wie lange war die durchschnittliche Verweildauer? Wie lange waren die zehn längsten Verweildauern? Zu 2.: Die nachgefragten Daten konnten ohne erheb- lichen Rechercheaufwand erst ab dem Jahre 2008 erhoben werden. Die durchschnittliche Belegung und die prozentuale Auslastung der Station ab 2008 sind in der nachstehenden Tabelle dargestellt. Zu bemerken ist, dass nach einer baulichen Vergrößerung der Hafträume ab 2010 nur noch 13 Hafträume zur Verfügung stehen. 2008 2009 2010 2011 A4 A4 A4 A4 Jan. 17 14 12 7 Feb. 17 16 11 8 März 21 18 10 10 Apr. 21 20 5 12 Mai 21 16 6 12 Juni 12 21 6 10 Juli 12 23 7 10 Aug. 12 23 7 11 Sep. 13 19 5 13 Okt. 12 19 6 13 Nov. 12 18 8 13 Dez. 14 17 7 Ø-Belegung 16 19 8 10 in % 62% 73% 62% 77% Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 022 2 Auf der Abschirmstation waren von 2008 bis zum 2. Dezember 2011 insgesamt 88 Gefangene an 14.588 Tagen untergebracht. Die durchschnittliche Verweildauer betrug 166 Tage. Als längste zehn Unterbringungszeiträume sind zu nennen: 1. 431 Tage 2. 478 Tage 3. 393 Tage 4. 388 Tage 5. 379 Tage 6. 364 Tage 7. 362 Tage 8. 349 Tage 9. 347 Tage 10. 343 Tage 3. Ist nach Ansicht des Senats eine Ermächtigungs- grundlage rechtsstaatlich geboten, um Gefangene auf der Abschirmstation der JVA Tegel unterzubringen? Zu 3.: Nach Auffassung des Senats erfolgt die Unter- bringung eines Gefangenen auf der Abschirmstation A 4 in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens der Anstaltsleitung auf der Grundlage des § 141 Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Sie dient der Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung , die durch den anstaltsinternen Handel mit Rauschgift erheblich gefährdet wird. Sie wird angeordnet, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass sich ein Gefangener am Drogenhandel in der Anstalt beteiligt oder beteiligen wird. Die Maßnahme stellt weder eine Verlegung nach § 85 StVollzG noch eine Unterbringung nach § 88 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG dar und hat auch nicht den Charakter einer Disziplinarmaßnahme. Sie darf angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass sich ein Gefangener am Drogenhandel beteiligt. Diese rechtliche Einschätzung folgt der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts (zuletzt aufrechterhalten im Beschluss vom 5. September 2011 - 2 Ws 311-312/11 Vollz, Seiten 7 ff.). In diesem Beschluss betont das Kammergericht, dass das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung im Strafvollzugsgesetz keinen Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt begründet, sondern den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringt, die Entscheidung, in welchem konkreten Bereich einer Justizvollzugsanstalt ein Gefangener unterzubringen ist, dem pflichtgemäßen Ermessen der Anstaltsleitung zu überlassen (KG aaO, S. 8). 4. Hält der Senat eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage aus rechtsstaatlichen Gründen für wünschenswert ? Wird der Entwurf zum Landesstrafvollzugsgesetz eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage enthalten? Zu 4.: Aufgrund der eindeutigen Rechtslage besteht kein Anlass, eine gesonderte Rechtsgrundlage zu schaffen . Der von der länderübergreifenden Arbeitsgruppe vorgelegte Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes sieht keine entsprechende Regelung vor. Berlin, den 19. Dezember 2011 In Vertretung Sabine Toepfer-Kataw Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Dez. 2011)