Drucksache 17 / 10 071 Kleine Anfrage 17. Wahlperiode Kleine Anfrage des Abgeordneten Özcan Mutlu (GRÜNE) vom 27. Dezember 2011 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Januar 2012) und Antwort Schluss mit dem Zuständigkeitsgerangel - Welche Angebote gibt es an Berliner Schulen für Seiteneinsteiger/-innen? Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt: 1. Welche Angebote gibt es für schulpflichtige Kinder und Jugendliche, die ohne deutsche Sprachkenntnisse als Seiteneinsteiger/-innen in die Berliner Schulen kommen? Zu 1.: Die Schulämter der Bezirke weisen den Schülerinnen und Schülern Schulplätze zu. Sie werden in der Regel in Lerngruppen für „Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“ unterrichtet. Sie erhalten Sprach- und Sachunterricht, bis sie in der Lage sind, in eine Regelklasse zu wechseln. Im Bedarfsfall erhalten die Kinder und Jugendlichen ein Alphabetisierungsangebot. 2. Welche Anlaufstellen gibt es für Betroffene und welche Hilfen können dort beansprucht werden? Zu 2.: Die Erstberatung der zugezogenen Familien erfolgt in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften . Eine Beratung über schulische Belange erfolgt durch das bezirkliche Schulamt, die regionale Schulaufsicht und durch das pädagogische Personal der aufnehmenden Schulen. Mehrere Freie Träger der Jugendhilfe und Vereine beschäftigen Mediatoren und Mediatorinnen, die an Schulen und Wohneinrichtungen tätig sind. 3. Wo und wie ist genau geregelt, welche Angebote und Förderung Seiteneinsteiger/-innen beanspruchen können und wie werden die Eltern bzw. die Jugendlichen über diese Möglichkeit konkret informiert? Zu 3.: Die rechtlichen Grundlagen der Beschulung von „Neuzugängen ohne Deutschkenntnisse“ sind • §§ 2 ,15 und § 41 Abs. 1 und 2 Schulgesetz für Berlin (SchulG), • § 17 Verordnung über die Schularten und Bildungs- gänge der Sekundarstufe I (Sek I-VO) und • § 17 Verordnung über den Bildungsgang der Grund- schule (GsVO). Darüber hinaus erläutert ein Merkblatt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Stand: 27.07.2011) die Aufnahme und Beschulung von neu zugezogenen Kindern und Jugendlichen. Hinsichtlich der Information der Eltern wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Wie wird die Schulpflicht für diesen Personenkreis nach § 41 Absatz 1 und 2 des Schulgesetzes für Berlin umgesetzt und welche Stellen im Senat oder in den Bezirken sind dafür zuständig? 5. Welche diesbezüglichen Verordnungen oder Rund- schreiben der Senatsverwaltung, in denen entsprechende Zuständigkeiten und Kriterien geregelt sind, existieren im Einzelnen und wie wird die Einhaltung des Schulgesetzes für diesen Personenkreis gewährleistet? Zu 4. und 5.: Für die Beschulung von Kindern und Jugendlichen in der Berliner Schule ist der aufenthaltsrechtliche Status nicht von Belang. Im Vordergrund steht das Recht auf Bildung gem. § 2 Schulgesetz für das Land Berlin. Die Schulbesuchspflicht ist geregelt in § 41 Schulgesetz für das Land Berlin. Schulpflichtig sind ausländische Kinder und Jugendliche, die über einen Aufenthaltstitel verfügen, die sich im Asylverfahren befinden (Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung) oder die geduldet werden. Auch ausländische Kinder und Jugendliche , die sich ohne Aufenthaltserlaubnis in Berlin aufhalten , haben ein Recht auf Beschulung an öffentlichen Schulen gem. § 2 Schulgesetz für das Land Berlin und Art. 20 Abs. 1 der Verfassung von Berlin. Im Grundsatz sind die Bezirke für die Einhaltung der Schulpflicht zuständig, im Konkreten sind es die Schulen, die zunächst die Nichteinhaltung feststellen und ggf. erste Schritte zur Durchsetzung unternehmen. 6. Was wird konkret getan, um die Seiteneinsteiger/- innen in den Regelunterricht zu integrieren und welche Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 071 Mittel stehen dafür pro Schuljahr personell und materiell zur Verfügung? Zu 6.: Neu zugezogene Kinder und Jugendliche ohne Deutschkenntnisse werden zunächst in besonderen, temporären Lerngruppen für „Neuzugänge“ unterrichtet. Die Richtgröße der Klassenfrequenz in den Lerngruppen beträgt 12 Schüler/innen. Damit wird die Voraussetzung für die notwendige Individualisierung und Binnendifferenzierung des Unterrichts geschaffen. Ziel des Unterrichts in Lerngruppen ist die schnellstmögliche Integration der Kinder und Jugendlichen in den regulären Unterricht, d.h. in Regelklassen. Die Beratung und Unterstützung der Schulen erfolgt durch die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung , konkret durch die regionale Schulaufsicht und mittels Merkblatt, Fachbrief, Fortbildungsangeboten und Unterrichtsmaterial. Zur Vernetzung, zum fachlichen Austausch und zur Fortbildung besteht eine Arbeitsgruppe für Lehrkräfte von Lerngruppen für „Neuzugänge“. Um dem erhöhten Zuzug der Schülerinnen und Schüler zu begegnen, wurden auch Einstellungen von Lehrkräften getätigt. Darüber hinaus wurden zusätzlich zu vorhandenen Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern vier weitere Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter für Fragen der Integration von Kindern und Jugendlichen der Volksgruppe der Roma tätig. 7. Welche konkreten Fördermöglichkeiten gibt es für die Seiteneinsteiger/-innen? Zu 7.: Über die oben genannte Förderung in den Lern- gruppen für Neuzugänge hinaus gibt es regionale Angebote , z.B. Bezirke, die Feriensprachkurse anbieten, in denen Sprach- und Sozialkompetenz gefördert sowie basale und motorische Fähigkeiten trainiert werden. Auch die sprachförderlichen Angebote in Kooperation mit der Stiftung Mercator werden auf diese Zielgruppe ausgeweitet . Darüber hinaus bieten diverse Vereine Unterstützung für Kinder und Jugendliche an. 8. Welchen Umfang an Sprachförderung bekommen diese Seiteneinsteiger/-innen, für welchen Zeitraum? Zu 8.: Es liegt in der Verantwortung der auf- nehmenden Schulen ein angemessenes Angebot an Sprachvermittlung und -förderung zu organisieren, ggf. mit stundenweiser Teilnahme am Unterricht in Regelklassen und weiteren Angeboten im Rahmen des Ganztags. Immer sollte der Aspekt der Sprachförderung didaktisch im Zentrum stehen, auch bei der Vermittlung von Sach-, Sozial- und Kulturwissen. Die Sprachvermittlung wird auch nach dem Übergang in eine Regelklasse fortgesetzt, entweder in integrativen oder additiven Organisationsformen. 9. Werden besondere Maßnahmen für die Analphabeten dieser Schüler/-innengruppe ergriffen? a.) wenn ja, welche? b.) wenn nein, warum nicht? Zu 9.: Die Lerngruppen für „Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“ sind äußerst heterogen, was ihre schriftsprachliche Vorbildung angeht. Schülerinnen und Schüler von sechs bis acht Jahren besuchen die Schulanfangsphase der Grundschule und werden dort alphabetisiert . Ältere Kinder und Jugendliche, die in ihrer Herkunftssprache nicht lesen und schreiben gelernt haben, besuchen eine Lerngruppe, in der auch ein Alphabetisierungsangebot gemacht wird. Auch für Lerngruppen mit Alphabetisierungsbedarf hat die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt. 10. Wie viele Schüler/-innen lernen die deutsche Sprache in besonderen Lerngruppen? (sortiert nach Bezirk und Schulen) 11. Wie viele dieser Lerngruppen gibt es in Berlin insgesamt und wie hat sich die Zahl dieser in den vergangenen fünf Schuljahren entwickelt? (Bitte um Aufschlüsselung nach Bezirken und Zahl der Schüler/-innen) Zu 10. und 11.: Die erbetenen Daten sind der folgenden Tabelle zu entnehmen. Die Kategorie "Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse" wurde im Schuljahr 2011/12 eingeführt und erstmals erhoben, Vergleichszahlen aus den vorigen Jahren liegen nicht vor. Bezirk Lerngruppen Schüler/innen Mitte 9 95 Friedrichshain-Kreuzberg 4 50 Pankow 2 24 Charlottenburg-Wilmersdorf 6 108 Spandau 5 42 Steglitz-Zehlendorf 3 33 Tempelhof-Schöneberg 12 136 Neukölln 7 68 Treptow-Köpenick 2 18 Marzahn-Hellersdorf 0 0 Lichtenberg 3 42 Reinickendorf 1 12 Summe 54 628 Stichtag 1.11.2011 2 Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 10 071 3 14. Wie werden die Seiteneinsteiger/-innen im Einzelnen erfasst und wie viele Schüler/-innen aus dieser Personengruppe sind aktuell ohne einen Schulplatz, weil in den Schulen nicht genügend Räumlichkeiten existieren (sortiert nach Bezirk und Zahl der Schüler/-innen) 12. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass manche bezirklichen Schulträger nicht genügend Schulplätze für die betroffenen Seiteneinsteiger/-innen anbieten können und welche Konsequenzen zieht der Senat daraus, um die Schulpflicht für die betroffenen Schüler/-innen zu gewährleisten? Zu 14.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft erstellt regelmäßig nach Bezirken differenzierte Übersichten über die Beschulungssituation neu zugezogener Kinder und Jugendlicher ohne Deutschkenntnisse . Die Daten werden den für Bildung zuständigen Bezirksstadträtinnen und Bezirksstadträten sowie der regionalen Schulaufsicht zur regionalen Schulplatzsteuerung übermittelt. 13. Was können und sollen die Betroffenen gegen dieses Zuständigkeitsgerangel der Behörden tun und was gedenkt die Bildungssenatorin konkret zu tun, um den betroffenen Schüler/-innen zu helfen, damit diese schnellstmöglich in der Berliner Schule integriert werden können? Zu 12. und 13.: Das bisherige Verfahren der Auf- nahme und Beschulung von Kindern und Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse hat sich im Grundsatz bewährt. Allen Engpässen wird von der für das Schulwesen zuständigen Senatsverwaltung unverzüglich und in jedem Einzelfall nachgegangen. Über die regionale Schulaufsicht besteht ein enger Kontakt zu den bezirklichen Schulämtern , die für die Zuweisung von Schulplätzen zuständig sind. Dabei wird erfasst, wie viele Kinder und Jugendliche in (Wohn-)Einrichtungen, die im Zuständigkeitsbereich der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft und im Zuständigkeitsbereich der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) liegen, neu aufgenommen und beschult bzw. noch nicht beschult werden. Von den im Dezember neu zugezogenen Kindern und Jugendlichen wurden bis zum 31. Dezember 2011 107 Schülerinnen und Schüler noch nicht beschult, u.a. weil zunächst die erforderliche schulärztliche Untersuchung erfolgen muss. Diesen Kindern und Jugendlichen wird im Januar 2012 ein Schulplatz zugewiesen. Dezember 2011 Neuzugänge 6 - 12 Jahre davon nicht be- schult (Grundschule) Neuzugänge 13 - 18 Jahre davon nicht be- schult (weiterführende Schule) Mitte 0 0 2 2 Friedrichshain-Kreuzberg 0 0 0 0 Pankow 3 3 0 0 Charlottenburg-Wilmersdorf 5 4 1 1 Spandau 33 33 13 13 Steglitz-Zehlendorf 0 0 24 24 Tempelhof-Schöneberg 3 3 4 4 Neukölln Keine Angabe Keine Angabe Keine Angabe Keine Angabe Treptow-Köpenick 0 0 1 1 Marzahn-Hellersdorf 4 1 3 3 Lichtenberg 12 10 5 5 Reinickendorf Keine Angabe Keine Angabe Keine Angabe Keine Angabe Summen 60 54 53 53 Stichtag 31.12.2011 Berlin, den 07. Februar 2012 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Feb.2012)